Die Mahlzeiten


Liebe geht durch den Magen.

Das Auge isst mit.

7.1 Allgemeine Bemerkungen 

Beobachtungen im täglichen Krankenhausalltag, im Altenheim und bei der häuslichen Pflege zeigen, dass das Essen eine überragende Rolle für die Lebensqualität des Patienten spielt. Die Besuchszeit, die Arztvisite und die Mahlzeiten sind die Höhepunkte im Alltag des Kranken. Das ist unter anderem deshalb so, weil viele Patienten den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als auf das Essen zu warten.

Der Ruf eines Krankenhauses wird oft an der Qualität seiner Küche und des Service gemessen und dann grob verallgemeinert. Ich will dazu ein Extrembeispiel aus der Praxis schildern. Als Frau Unsanft nach einer Operation aus der Klinik entlassen war und in die Sprechstunde kam, schimpfte sie: „Das ist doch ein Mistkrankenhaus!“ Auf meine Frage nach dem Grund meinte sie: „Da hat doch tatsächlich die Schwester mir einmal morgens mein Joghurt ohne Löffel gebracht!“

Meist sind die Wünsche des Patienten wirklich lebens- und krankheitserleichternd und leicht zu erfüllen. Ein aufmunterndes und nicht aufdrängendes Wort kann den Kranken motivieren zu essen und zu trinken. Aber vorrangig wichtig ist, dass der Kranke entscheiden darf, wann, was und wie viel er isst und trinkt.

Schwerkranke haben meist einen erheblich geringeren Bedarf an Nahrung als Gesunde, und ein Unerfahrener kann sich schlecht vorstellen, dass es dem Kranken genügt, nur wenige Happen zu essen. Das kommt daher, weil Gesunde im Allgemeinen mehr essen, als sie wirklich brauchen und dieses Maß auf den Kranken anwenden, der sich auf das Notwendige beschränkt. Viel wichtiger ist meist eine regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitszufuhr, die bei vielen Kranken nur durch geduldig und sehr häufig verabreichte kleinste Mengen erzielt werden kann.

Die gesündeste Kost, die wir kennen und die für nahezu alle Kranken bestens geeignet ist, bekommt der Diabetiker, der Zuckerkranke. Ich möchte absichtlich das Wort Diät nicht benützen, weil es den Beigeschmack des Verzichts, des Selbstkasteiens und der verminderten Lebensqualität hat. Es handelt sich aber um ein in Bezug auf Kohlenhydrate (Zucker), Fett und Eiweiß ausgeglichenes Essen, das frisch, vitamin- und mineralstoffreich, gut verdaulich, mit vielen Abwechslungen, schmackhaft, und sehr lecker angerichtet werden kann.

Eine wichtige und gesunde Regel empfiehlt, möglichst kleine Mahlzeiten zu essen, im Idealfall beim Diabetiker sechs pro Tag. Dabei geht man von drei Hauptmahlzeiten und drei Zwischenmahlzeiten aus. Wobei eine Mahlzeit auch aus einem Stück Obst oder einem Becher Joghurt oder einer Scheibe Brot bestehen kann. Das belastet den Verdauungstrakt bei weitem nicht so sehr wie zwei oder drei große Mahlzeiten.

Ich verspreche Ihnen, wenn eine gute Köchin Ihnen eine Diabetikermahlzeit geschickt zubereitet, merken Sie nicht, dass es sich hier um Diät handelt, sondern Sie werden genussvoll essen. Wenn Ihr Patient in Bezug auf rasch im Darm resorbierbaren Zucker (Honig, Traubenzucker, Kochzucker) keine Einschränkung machen muss, sind die Variationsmöglichkeiten noch viel größer.

Lassen Sie sich von Ihrem Hausarzt ein paar Broschüren mit Vorschlägen geben, die er von der Pharmaindustrie kostenlos bekommt. Oder kaufen Sie sich ein gutes Buch über leichte und gesunde Ernährung. Beschäftigen Sie sich damit, und Sie werden staunen, was der Patient alles essen darf.

Leichte Kost heißt nicht langweilige Kost! Selbst wenn ein Patient nicht mehr kauen kann, nimmt er immer noch mit Genuss wahr, dass Sie sein Essen mit Kräutern und Gewürzen rezent abgeschmeckt haben. Das sollten Sie besonders bedenken, wenn der Patient wegen seines hohen Blutdrucks auf Salz möglichst verzichten sollte. Schauen Sie sich einmal in einem Reformhaus oder der Gewürzbar eines Supermarktes um. Dann erkennen Sie, welche Vielfalt Ihnen an Geschmacksrichtungen zur Verfügung steht.

Am besten ist es natürlich, wenn Sie Ihren eigenen Kräutergarten oder in der Küche oder auf dem Balkon einige Töpfe mit heranwachsenden Kräuter- und Gewürzpflanzen ziehen und dadurch immer über frische Zutaten verfügen. Ein guter Trick, auch außerhalb der Saison frische Kräuter verwenden zu können, besteht darin, die Kräuter zerkleinert anwendungsfertig tiefzufrieren und bei Bedarf auf das Essen zu streuen. Im „Notfall“ verwenden Sie getrocknete Kräuter, die beim Nasswerden am Salat ihr Aroma wieder entfalten.

Obst und Speiseeis sind gut verträglich, erfrischend und können als vollwertige Mahlzeit, auf jeden Fall aber als Zwischenmahlzeit verarbeitet und köstlich serviert werden. Schneiden Sie das Obst auf, und legen Sie die Scheiben oder Stücke malerisch auf einen schönen Teller, verzieren Sie das Ganze mit einer Kugel Eis und vielleicht mit ein bisschen  Puderzucker, Mandelstückchen oder geraspelter Schokolade, dann haben Sie schon wieder etwas Gutes für die Stimmung Ihres Patienten getan. Wenn Sie nur einfach einen ganzen Apfel anbieten, sieht es nicht so appetitlich und einladend aus, und der Patient hat möglicherweise Probleme mit dem Abbeißen und Kauen.

Wenn Sie sich dann noch mit den unzähligen Salatkombinationen und den dazu möglichen Saucen beschäftigen, haben Sie auch in dieser Beziehung wieder eine Mahlzeit. Aus Rohkost, Blattsalaten, Gemüse, Fleisch, Wurst, Käse, Fisch, Teigwaren und Obst können Sie Salate zubereiten. Die Dressings lassen Ihrer Phantasie alle Möglichkeiten offen. Es muss nicht immer Essig und Öl sein! Auch Joghurt, Kräuter, Sahne, Senf, Gewürze, Meerrettich können verwendet werden, um den Salat anzumachen. Reste aus dem Kühlschrank sind ebenfalls mögliche Zutaten für einen leckeren Salat. Sie können einen Salat aufwerten mit Shrimps, ein paar Scheiben Avocado, ein bisschen Obst, ausgelassenen Speck-, gerösteten Brotwürfelchen oder Nüssen. Weil Kranke nicht viel, sondern gutes Essen brauchen, reicht ihnen oft ein frischer Salat, um mit Freude satt zu werden.

Aus Obst und Rohkost gibt es hervorragende Mischungsmöglichkeiten. Wenn Sie einen Apfel und eine Karotte klein schneiden oder reiben und untereinander rühren, mit ein paar Nussstückchen verzieren und frisch servieren, haben Sie schon wieder eine Zwi-schenmahlzeit oder eine Vorspeise, die lecker und gut verdaulich ist.

Denken Sie bitte auch an den herrlichen und gesunden Genuss von frischen Obstsäften und Teesorten. Das Angebot ist sehr groß, und Sie brauchen nur wenig Phantasie, um jeden Tag einen anderen Saft oder eine neue Mischung Tee anzubieten. Vergessen Sie den Eiswürfel im Saft nicht, wenn Ihr Patient das gern mag, und legen Sie bei Bedarf einen Strohhalm zum Trinken bei. Setzen Sie zur Zierde und Geschmacksintensivierung eine Scheibe Zitrone, Kiwi oder Orange auf den Glasrand. Fragen Sie Ihren Patienten, ob er den Tee warm oder gekühlt serviert haben will.

Säurehaltige Obst- und Saftsorten sollten Sie nicht Kranken anbieten, die wie Masern- und Windpockenpatienten einen Ausschlag auf der Mundschleimhaut haben. Denn die Säure brennt. In diesen Fällen bieten sich milde Getränke wie Wasser und Tee an.

Lassen Sie den Patienten trinken, was er mag. Achten Sie auf genügend Flüssigkeitszufuhr. Sprechen Sie die Menge mit dem betreuenden Arzt ab, denn bei Nieren- und Herzerkrankungen gelten besondere Regeln. Außer bei ganz bestimmten Krankheiten ist gegen eine kleine Menge Alkohol zum Essen nichts einzuwenden. Ein Gläschen Sekt, wenn Besuch kommt, kann die Stimmung entspannen und verbessern. Sie sollten nur die Kohlensäure vorher herausrühren, weil sie möglicherweise bläht. Ein Piccolo-Fläschchen im Kühlschrank bereit zu haben, ist manchmal eine gute Über-raschung, und oft reicht die Menge für zwei Personen aus.

Verwenden Sie blähende Speisen und kohlensäurehaltige Getränke nur so, wie sie der Patient verträgt. Denn es ist schon sehr unangenehm, einen Blähbauch zu haben, wenn man gesund ist. Stellen Sie sich vor, Sie liegen krank im Bett und werden Ihre Darmgase nicht los! Das ist noch schlimmer, wenn Sie eine frische Operationsnarbe am Bauch haben.

Braun geröstete Zwiebeln schmecken auch sehr gut und wirken bei weitem nicht so blähend wie glasig gedünstete! Mit Kümmel können Sie Rohkost bekömmlicher machen, wenn Ihr Patient das gerne isst. Verwenden Sie statt Hefeteig Mürbeteig mit wenig Back–pulver oder Blätterteig. Fenchel- oder Kamillentee nach blähenden Speisen erleichtert meist die Situation und den Darm bei Säuglingen und den Erwachsenen.

Wenn es mit den Blähungen schlimmer wird, lassen Sie sich in der Apotheke ein entschäumendes Medikament geben, das die Oberflächenspannung der Gasblasen senkt und sie in sich zusammenfallen lässt. Die Wirkung können Sie sehr gut überprüfen und für sich anschaulich machen, indem Sie ein paar Tropfen dieser Lösung in einen Seifenschaum fallen lassen und dann zusehen, wie rasch die Blasen verschwinden.

Signalisieren Sie Ihrem Patienten auf jeden Fall, dass es in Ordnung ist, wenn er seinen Darmgasen freien Lauf lässßt. Sorgen Sie für frische Luft. Der Patient wird es Ihnen danken, erst recht, wenn es ihm peinlich ist.

Ein Glas gekühlter Sprudel, dem sie eine Prise Kochsalz zusetzen, um die Kohlensäure entweichen zu lassen, schmeckt schon gut. Außerdem können Sie auch ein paar Tropfen frische Zitrone oder ein kleines Stück Zitrone zugeben, um den Geschmack zu verfeinern.. Oder Sie verwenden einfach stilles Wasser oder rühren die Kohlensäure heraus.

7.2  Richten Sie das Essen hübsch an! 

Es spielt eine wichtige Rolle, ob die kleine Mahlzeit zum Essen einladend angerichtet und liebevoll auf normalem Geschirr serviert wird. Ich kenne Familien, die ihren Krebskranken das Essen im Einmalgeschirr mit Wegwerfbesteck serviert haben, weil sie dachten, der Krebs sei ansteckend. Solch ein Verhalten ist nicht nur medizinisch unbegründet, sondern die Kranken empfinden es als einen sichtbaren Beweis, wie sie eingeschätzt und abgeschoben werden.

Es gibt so viele kleine und mühelos anzuwendende Möglichkeiten, das Essen mit einer leckeren und essbaren Zierde einladend zu gestalten. Wenn Sie auf einen Erdbeerquark auch nur eine einzige ganze Erdbeere legen oder einen Rand oder ein Herz aus Erd-beeren gestalten, wird aus der gleichförmig aussehenden Masse ein schönes Bild.

Selbst wenn Sie zur leichteren Verdaulichkeit oder weil der Patient nicht mehr beißen kann auf die pürrierte und immer noch würzige und sehr schmackhafte Rindsroulade ein kleines Stückchen Fleisch legen, das Sie vor dem Pürrieren abgeschnitten haben, kann der Patient es entweder in den Mund nehmen und den Geschmack genießen oder einfach sich an dem leckeren Bild erfreuen. Er sieht auf jeden Fall, womit Sie die Roulade gefüllt haben.

Wichtig ist zu überlegen, dass ein Patient mit einem kranken und wenig belastbaren Darm trotzdem immer noch einen würzigen Geschmack lieben und vertragen kann. Das heißt, das Essen sollte gut verdaulich und schmackhaft zubereitet werden. Sie können also von  der Mahlzeit, die Sie für sich und den Rest der Familie richten, einfach die Portion für den Patienten wegnehmen und pürrieren. Voraussetzung ist natürlich, dass die Bestandteile des Essens zur Verdauungstätigkeit des Patienten passen. Das können Sie im Zweifelsfall ja mit Ihrem Arzt besprechen.

Ein kleiner Klecks Sahne oder ein frisch gepflücktes Basilikumblatt am Tellerrand schaffen den Eindruck ein Festessens.

Was halten Sie davon, den Kartoffelbrei, die Sahne oder die Quarknachspeise in eine Spritztülle zu füllen und dann als Figur auf dem Teller zu servieren?

Sie können das Essen unüblich zubereiten und anrichten, zum Beispiel das Brot in kleine Stückchen schneiden und in der Pfanne rösten, zerkleinerte Gewürze wie Petersilie oder Melisse oder Schnittlauch auf die Speisen streuen. Das aus der Frucht entnommene, zerkleinerte und mit anderen Zutaten vermischte Fruchtfleisch können Sie in den dafür ausgehöhlten Früchten servieren.

Verwenden Sie besondere Gefäße zum Anrichten. Das gilt auch für Gläser! Viele Menschen haben Lieblingsgläser oder -becher. Von meinem Vater habe ich gelernt, Kindern Medikamente in besonderen, sonst für sie nicht erlaubten Gefäßen anzubieten. In meiner eigenen Praxis habe ich oft leuchtende Kinderaugen gesehen, wenn ich die dringend notwendige Teemenge bei Durchfallerkrankungen im Schnapsglas des Vaters verordnet habe! Das hat den Vorteil, dass häufig kleine Mengen getrunken werden und das Kind sich freut, dieses Glas zu bekommen und oft daraus zu trinken.

Wenn wir schon bei diesem Thema sind: Bei Brechdurchfall ist die Therapie mit Cola (Kohlensäure heraus rühren!) und Salzletten oder Brezeln immer noch eine gut wirksame und sehr beliebte Behandlung, auch für die Kinder.

Wenn Sie zum leckeren Essen auch noch eine kleine Blume auf den Tisch oder das Tablett im Bett stellen und eine saubere Serviette auf das Tischtuch legen, sieht es aus wie im guten Restaurant.

Der Kranke wird mit mehr Appetit essen und sich geliebt und geschätzt fühlen. Deshalb lohnt es sich, auf die Zubereitung und das appetitliche Anrichten der Speisen besonders dann Wert zu legen, wenn der Patient nur wenig isst. Er soll auf jeden Fall spüren, dass für ihn mit Liebe gesorgt wird. Es trägt zu seiner Genesung bei, wenn er merkt, dass die Köchin oder der Koch sich phantasievolle Gedanken über den Speiseplan machen.

Wenn Sie für den Patienten kochen, überlegen Sie einfach, was Ihnen gefallen würde, oder was Sie neulich in einem guten Restaurant oder einem einfallsreichen Kochbuch gesehen haben.

Aber wo kann man mit so viel auch zeitaufwendiger und individueller Sorgfalt rechnen? Im Krankenhaus geht es wegen der Personalknappheit nicht, am ehesten kann solch eine Zubereitung noch zu Hause angeboten werden, wenn die Angehörigen sich Mühe geben und den Wert einer liebevollen Betreuung kennen.

7.3 Essen Sie möglichst gemeinsam! 

Viele Patienten freuen sich, wenn sie am Familientisch mitessen können oder Familienmitglieder sich ans Bett setzen, um dem Kranken beim Essen Gesellschaft zu leisten. Gerade bei Kranken hat das gemeinsame Mahl eine enorm wichtige soziale Funktion. Auch dabei zeigt sich, ob der Kranke noch zur Familie gehört oder schon abgesondert wird. Deshalb sollten die Angehörigen oder Besucher auch in dieser Beziehung so natürlich und unkompliziert wie möglich reagieren.

Es hat eine große psychologische Bedeutung, ob wir mit dem Kranken „das Brot und den Wein teilen“. Diese Geste ist nicht nur eine religiös belegte Zeremonie. Hier geht es keineswegs um eine letzte Mahlzeit oder eine heilige Handlung wie beim Abendmahl, sondern um das Feiern eines gemeinsamen Essens. Auch das ist ein wichtiges Ritual in unserer Gesellschaft. Dadurch wird eine Beziehung hergestellt, die besänftigt, verbindet, befreit und tröstet. Und dabei darf wie bei jedem normalen Essen auch gelacht und geredet werden.

7.4 Die Qualität des Essens

Abgesehen davon, dass Sie niemandem, also auch keinem Kranken etwas Schlechtes vorsetzen sollten, müssen wir bei der Kost für Kranke ganz besonders auf eine gute Qualität achten. Hier gilt wie bei bei jedem Essen der Grundsatz: Nur mit guten Zutaten kann ein Essen ernährungswissenschaftlich wertvoll werden.

Ich meine mit Qualität nicht den Luxus exklusiver Zutaten wie Kaviar und Champagner, sondern die sorgfältige und schmackhafte Zubereitung auch ein-facher und frischer, vitamin- und mineralstoffreicher Bestandteile. Eine Tomatensuppe kann eine langwei-lige Brühe aus der Dose oder eine köstliche Delikatesse aus frischen Zutaten sein.

7.5 Wie weit müssen Diätvorschriften eingehalten werden? 

Wenn es irgend möglich ist, sollten Essenswünsche berücksichtigt und erfüllt werden. Bei schweren Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) muss mit dem betreuenden Arzt beraten und klar beschlossen werden, welche Mahlzeiten in welcher Menge verabreicht werden dürfen. Aber solange der Patient über die Folgen eines Diätfehlers genau Bescheid weiß und sie trotzdem absichtlich macht, müssen wir respektieren, dass er seiner Gesundheit schadet. Das ist genau das gleiche, wie wenn unser Lebenspartner oder Nachbar im vollen Bewusstsein der Gefährlichkeit weiterraucht oder der Leberzirrhosepatient Alkohol trinkt.

Und welchen Sinn hat es, wenn wir zum Beispiel einem zuckerkranken Patienten, der seine letzten Wochen erlebt, das Stück Schokolade oder das ersehnte Honigbrot verweigern? Wichtig ist doch, dass der Patient, wenn er schwer krank ist, immer noch ein Optimum an Lebensfreude erhält. Jeder Patient hat dafür seine eigene Definition und kann sie im Allgemeinen auch äußern.

7.6 Sonderernährungen

Manche Patienten brauchen eine sogenannte parenterale Ernährung, das heißt, die Ernährung läuft „neben dem Darm“. Wir Ärzte meinen damit eine Zufuhr der Nährstoffe mit einer Infusion in die Vene. Dafür gibt es spezielle Lösungen, die allen Erforder-nissen der ausreichenden Ernährung gerecht werden. Das ist in der Regel nur in der Klinik möglich.

Wenn ein Mensch nicht schlucken kann, ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, ihn mit einer Sonde in den Magen zu ernähren. Dafür gibt es flüssige Lösungen, die man mit einer Spritze in diese Sonde füllen kann. Dann läuft die Verdauung auf dem nor-malen Weg. Da diese Flüssigkeiten sehr wenig Ballaststoffe enthalten und fast alle Bestandteile der Lösung im Darm aufgenommen werden, macht der Patient sehr wenig Stuhlgang.

Dann gibt es noch die sogenannte Astronautenkost. Das ist eine außerordentlich leicht verdauliche Kost mit speziellen Geschmacksbeimischungen, zum Beispiel Mango, Schokolade, Erdbeer und Vanille für Patienten, deren Darm nur minimal belastet werden darf. Man hat diese Kost unter anderem für Astronauten entwickelt, um eine vollwertige Ernährung zu gewährleisten, die möglichst wenig Abfall produziert, also die Anzahl und die Menge der Stuhlentleerungen reduziert. Da die kranken Menschen normal schmecken und kauen können und die Kost trinken, wird ihnen diese immer gleich schmeckende Kost oft sehr langweilig, und es kostet viel Überzeugungsarbeit, die Patienten bei dieser Ernährungsweise zu halten.

7.7 Vorschläge für Mahlzeiten 

Ich kann Ihnen natürlich hier kein Kochbuch liefern, aber ich möchte gerne ein paar Beispiele aufzeigen für verschiedene Mahlzeiten.

Zum abwechlungsreichen Frühstück sind neben den üblichen Brotaufstrichen auch Marmelade mit Magerquark, Obstauflagen wie halbierte Bananen oder Trauben lecker und gut bekömmlich. Dabei können Sie zwischen verschiedenen Brotsorten und Brötchen variieren. Zur Geschmacksintensivierung dienen geröstete Nüsse und ein paar Tropfen Honig. Selbst zubereitetes Müsli aus Frischobst, verschiedenen Flocken, Nüssen, Rosinen und Milch sind ballastreich und sorgen ganz nebenbei für eine regelmäßige Verdauung. Das kann gesteigert werden mit dem Zusatz von Kleie, Leinsamen und Sesam.

Wer gern ein herzhaftes, kräftiges Frühstück mag, kann mageren Käse, Schinken, frische Rohkost oder Salatstücke zu sich nehmen.

Zwischen den Hauptmahlzeiten denken Sie bitte immer an Obst in allen Variationen. Das schmeckt nicht nur gut und erfrischend, sondern enthält auch viel Wasser und Vitamine. Flüssigkeit ist zur Verdauung unerlässlich, besonders weil Kranke häufig zu wenig trinken und dann über Verstopfung klagen. Das Obst kann als Obstmark zubereitet werden, wenn Patienten Kauprobleme haben. Sie müssen nur darauf achten, dass die im Obst enthaltene Säure bei Entzündungen im Mund sehr unangenehm brennt. Zitrus-früchte können eine Darmentzündung verstärken.

Ein Brot, belegt mit Radieschen, Gurke oder Tomate, bestreut mit Kräutern, verfeinert mit Frischkäse oder Joghurtsauce, kann ebenfalls als Zwischenmahlzeit serviert werden.

Eine lecker angerichtete Schale mit Quark und Joghurt in allen erdenklichen Variationen, verziert mit einem Löffelbisquit bei süßen und Schnittlauch oder Petersilie bei salzigen Speisen, sind ideale Zwischenmahlzeiten.

Bevorzugt werden von Kranken oft Suppen, die schmackhaft, reichhaltig und gut bekömmlich sind. Klare Suppen können mit verschiedenen Einlagen sehr gut variiert werden. Bitte achten Sie darauf, dass nicht zu viel Fett enthalten ist. Um eine Sättigung des Patienten zu erreichen, können Sie der Suppe auch Weißbrot oder mitgekochte Bestandteile pürriert unterrühren und dadurch die Suppe anreichern.

Eine frisch zubereitete Fleischbrühe ist wegen ihres hohen Anteils an Natrium, Kalium, Magnesium und Spurenelementen eine altbewährte Therapie gegen den sogenannten Strahlenkater nach therapeutischer Bestrahlung, zum Beispiel nach oder anstatt Krebsoperationen.

Leicht verdauliche und schmackhafte Bestandteile für ein Hauptgericht sind zum Beispiel Puten-, Kalb-, Rind- und Hähnchenfleisch. Dabei sollten Sie immer die mageren Anteile bevorzugen. Auch Wild wird von vielen Patienten sehr gerne gegessen.

In Brühe gekochtes Fleisch ist bekömmlicher und leichter zu verdauen, weil kein Fett dazu benützt wird. Außerdem bekommen Sie bei dieser Zubereitung eine großartige Brühe für die Suppe, die Sie zum Beispiel für weitere Mahlzeiten oder Salatsaucen verwenden können.

Um eine bekömmliche und kräftige Sauce zu erhalten, können Sie im Backofen eine Saucengrundlage herstellen, indem Sie in einem Bräter Knochen- und Fleischreste und Suppengemüse etwa neunzig Minuten garen, zwischendurch immer wieder mit Wasser ablöschen und das Ganze durch ein Sieb abgießen. Mit Fischresten können Sie auf diesem Weg auch eine Grundlage für Fischsaucen herstellen. Allerdings brauchen Sie einen Fischsud nur eine Garzeit von etwa dreißig Minuten.

Pflanzliche Fette und Öle sind frei von Cholesterin und deshalb beim Braten und Kochen den Butterprodukten vorzuziehen.

Es ist keineswegs erforderlich, eine Hauptmahlzeit immer mit Fleisch zuzubereiten. Die vegetarischen Möglichkeiten sind unendlich vielfältig, sehr geschmacksintensiv und im allgemeinen vitamin- und mineralstoffreich. Einschlägige Kochbücher werden Ihnen ein neues und genussvolles Betätigungsfeld eröffnen.

Ganz nebenbei bemerkt: Unsere Gebissstruktur, unser Verdauungstrakt und unsere Herkunft beweisen, dass wir von der Entwicklung her Pflanzenfresser sind und nicht Fleischfresser! Das zeigt sich besonders, wenn unser Körper krank ist und auf pflanzliche Nahrung eingestellt wird: Es geht viel besser und leichter!

Es gibt nirgends einen Beweis -außer unsere Gewohnheit!-, dass wir Fleisch brauchen, um gesund und kräftig zu sein oder zu werden. Das lässt sich an Hochleistungssportlern zeigen, die Vegetarier sind. Das pflanzliche Eiweiß aus Soja ist dem tierischen Eiweiß im Fleisch ernährungswissenschaftlich gesehen ebenbürtig, und außerdem brauchen wir bei Weitem nicht so viel Eiweiß, wie die meisten Menschen glauben.

Schauen Sie in der Natur nach Beispielen: Welche Tiere sind die stärksten? Elefanten und Menschenaffen. Wo holen sie ihre Kraft her? Aus Pflanzen! Harvey Diamond hat diese Zusammenhänge sehr anschaulich in seinem praktischen und lesenswerten Buch „Fit fürs Leben“ beschrieben.

Wenn Sie zum Hauptgericht ein Gemüse oder einen Salat reichen, nutzen Sie den Vorteil der leichteren Verdaulichkeit, weil in diesen Pflanzen Wasser enthalten ist, das die Verdauung anregt und den Transport der Nahrung fördert. Am allerbesten funktioniert es, wenn Sie den Salat und das Obst vor dem Hauptgang servieren!

Zum Dessert erinnere ich Sie wieder an Obst und Eis. Alternativ sind Süßspeisen wie Grießschnitten oder dünne Eierpfannkuchen (Crêpes) mit verschiedenen Beilagen empfehlenswert. Diabetiker sollten Süßstoff verwenden. Alle anderen Patienten dürfen über das Süßen mit Honig nachdenken.

Obstcremes, Grützen, Beerenmischungen, Puddingsorten, Quarkspeisen und Joghurt mit Früchten der Saison sind wertvolle Bereicherungen der Speisekarte.

Aber probieren Sie selbst aus, was Ihnen und dem Patienten schmeckt. Denn ein erzähltes Mittagessen ist wie ein Fest, von dem Sie hören, aber nichts erlebt haben.

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