Der Besserwisser

Kennzeichen

Er hat die Diagnose und Therapie parat, bevor Sie eine Chance haben, seinen Schilderungen zuzuhören und eigene Gedanken zu entwickeln.

Der Patient schlägt Ihnen die Diagnostik vor und hat Einwände gegen Ihre Diagnostik, meistens bevor Sie etwas geäußert haben:

Wir müssen nicht schon wieder Blut abnehmen! Das haben wir doch erst vor einem halben Jahr gemacht!“

Er hat Einwände gegen Ihre Therapie, bevor Sie einen Vorschlag gemacht haben:

Aber bitte kein Penicillin und kein Kortison! Da gibt´s so schlimme Nebenwirkungen!“

Der Patient versorgt Sie mit den neuesten Erkenntnissen aus der Regenbogenpresse  und prüft Ihren Wissensstand an seinem eigenen. Dabei gerät er in große Schwierigkeiten, wenn Sie seine Vorschläge sachlich hinterfragen und zusätzliche Informationen haben wollen.

Den Besserwisser gibt es in verschiedenen Varianten: Der „Nörgler“ ist immer unzufrieden und hat an allem etwas auszusetzen. Der „Öko-Freak“ hat regelmäßig Bedenken wegen der Umweltschädigung. Und der „Medizin-Verbesserer“ hat scheinbar so gute Ideen, dass es sich anhört, als habe er den Nobelpreis verpasst. (Zugegeben, der letzte Satz ist ein bisschen übertrieben.)

Was machen Sie mit dem Besserwisser?

Bleiben Sie sachlich. Prüfen Sie die Ideen und Informationen des Patienten. Sie sind oft sehr hilfreich.

Wenn der Patient einen guten Vorschlag gemacht hat, bedanken Sie sich bei ihm, und bauen Sie die Idee in das Vorgehen ein.

Zeigen Sie dem Patienten, dass Sie sein Interesse an der Mitarbeit gut finden, und motivieren Sie ihn zu einem partnerschaftlichen Vorgehen.

Nützen Sie das Interesse des Patienten an seiner Gesundheit.

Wenn der Patient destruktive Kritik bringt, fragen Sie sachlich und ruhig nach seinen Vorschlägen und dem Grund seiner Ablehnung. Oft erhalten Sie wichtige Informationen zur Sozialanamnese, die Sie für Diagnostik und Therapie verwenden können.

Fragen Sie nach Gründen für Sorgen und Angst vor der Diagnostik und Therapie. Vielleicht hat der Patient schlechte Erfahrungen gemacht oder erschreckende Beispiele gehört. Bedenken Sie bitte, dass die Lebenserfahrungen und Wahrnehmungen des Patienten für ihn genauso wichtig sind wie Ihre Eindrücke für Sie. Nehmen Sie also den Patienten ernst, und gehen Sie partnerschaftlich mit ihm um.

Wenn Sie in einer Unterredung mit dem Patienten durch sachliche Information gemeinsam dazu gekommen sind, dass Ihre Vorschläge durchgeführt werden, geben Sie bitte dem Patienten nicht das Gefühl der Unterlegenheit.

Wenn der Patient das Gesicht verliert, verlieren Sie den Patienten.

Vergewissern Sie sich, dass der Patient wirklich mit der erarbeiteten Vorgehensweise einverstanden ist. Wenn er nur Ihnen zuliebe JA sagt und nicht anders aus dem Gespräch herauskommt, wird er wahrscheinlich die Diagnostik und Therapie nicht einhalten und/oder vermehrt Komplikationen haben.

Es ist in Ordnung, auf eigene Erfahrung und eigenes Fachwissen hinzuweisen, wenn Sie gleichzeitige Bereitschaft signalisieren, etwas dazuzulernen.

Arbeiten Sie mit Überweisung und regelmäßigen Kontakten mit Spezialisten zusammen. Informieren Sie den Kollegen so ausführlich, dass die Kosten gering gehalten werden können. Sie vermeiden damit, vom Patienten gegen den anderen Arzt oder Therapeuten ausgespielt zu werden.

Wenn der Patient ein Spezialisten-Saboteur oder Koryphäen-Killer ist, d.h. wenn er versucht, den Spezialisten zu entwerten, um sich selbst zu profilieren, klären Sie, ob der Patient hysterische oder hypochondrische Züge hat. Dieser Patient legt es darauf an, Ihre Unfähigkeit und seine Überlegenheit zu beweisen.

Er ködert Sie mit Vorschusslorbeeren: „Sie sind meine letzte Rettung!“ Die beste Reaktion darauf habe ich bei Rönsberg und Huhn gefunden: „Sicher nicht die letzte, vielleicht die vorletzte!“

Es hilft, wenn Sie die Allmacht bezweifeln, die Ihnen von dem Patienten attestiert wird.

Wenn Sie eine anfängliche Verschlechterung durch Ihre Therapie vorhersagen, können Sie skeptisch bleiben bezüglich eines anhaltenden Therapieerfolges. Sonst fordern Sie den Patienten heraus, Ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Ein Kampfspiel zu dem Thema „Wer hat Recht?“ werden Sie immer verlieren. Deshalb können Sie nur gewinnen, wenn Sie das Spiel nicht mitspielen, jedenfalls nicht nach den Regeln des Patienten.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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