Das war knapp!

Abendsprechstunde in der Notfallpraxis des Marienhospitals Stuttgart.

Der Patient, etwa vierzig Jahre alt, klagte: „Ich bin Migräne-Patient. Seit gestern habe ich schon fünf Tabletten Rizatriptan® genommen, und es hilft nicht. Bald platzt mein Kopf, hier links an der Schläfe ist es am schlimmsten.“
„Haben Sie Flimmern vor den Augen, oder sehen Sie verschwommen?“
„Ja!“
„Ist es Ihnen übel?“ –
„ Ja, ich habe auch schon erbrochen!“
„Gut dann gebe ich Ihnen eine Infusion mit Novaminsulfon.“
„Ich habe aber eine schwere Allergie gegen Ibuprofen!“
„Es ist gut, dass Sie das sagen. Aber ich möchte Ihnen Novaminsulfon geben. Das hilft im Allgemeinen sehr gut und rasch. Kennen Sie Novaminsulfon? Haben Sie es schon einmal gehabt?“
„Nein, das kenne ich nicht!“
Ich wunderte mich, dass der Migränepatient das typische Medikament gegen Migräne nicht kannte.
Die MfA spritzte in die 500 ml Ringerlösung auf meine Bitte hin 1 g Novaminsulfon®, 2 Ampullen Histakut® und eine Ampulle Metoclopramid. Ich legte die Kanüle und ließ die Infusion laufen. Der Patient lag in einem Transportrollstuhl vor meinem Behandlungszimmer. – Wir hatten keinen anderen Platz als auf dem Flur.
Es waren bestimmt nicht mehr als fünf Milliliter Infusionsflüssigkeit eingelaufen, da sah ich, wie dem Patient der Schweiß auf die Stirn trat, und der Mann sagte: „Da fängt eine Allergie an, es kribbelt in den Fingern, und mir wird so warm!“
Ich erschrak, stellt die Infusion sofort ab und bat die MFA: „Bitte geben Sie mir schnell 250 mg Solu-Decortin, das spritze ich direkt in die Vene.“
Während sie das Medikament aufzog, sah ich, wie der Patient unruhig wurde, ein ganz rotes Gesicht bekam und stark schwitzte. Es war mir klar, da bildete sich ein anaphylaktischer Schock aus. 
Als ich gerade das Kortison injizierte hatte, verdreht der Patient die Augen, wurde bewusstlos und hörte auf zu atmen. Während die eine MfA den Herzalarm auslöste, gab ich mit einem Ambubeutel dem Patient einige Atemstöße, die Atmung setzte wieder ein. Das Herz schlug schnell und regelmäßig. Die andere MfA hob die Beine des Mannes hoch, um den Schock so weit wie in dieser Lage möglich auszugleichen.
Rasch war die Notfallmannschaft von der Intensivstation bei uns.
Die Übergabe war einfach: „Das ist ein anaphylaktischer Schock auf Novaminsulfon, 250 mg Solu-Decortin habe ich schon gespritzt.“
„Gut, dann gebe ich ihm noch Suprarenin“, sagte der Kollege von der ITS.
Während er das Medikament spritzte, wachte der Patient auf.
Die Intensivmannschaft nahm den Mann mit, und wir waren froh, dass noch einmal alles gut gegangen war. Ich nahm mir vor, am späteren Abend mich nach seinem Befinden zu erkundigen.
Der Kollege von der ITS kam mir zuvor, er rief an:
„Haben Sie in der Notfallpraxis einen Zugang zu unseren Klinikakten?“
„Nein, das ist aus Datenschutzgründen abgelehnt worden. In Leonberg haben wir in der Notfallpraxis aus demselben Grund auch keinen Zugang zur Klinik-EDV. – Wie geht es dem Mann?“
„Es geht ihm jetzt wieder gut. Aber ich habe nachgeschaut: Er war vor fünf Wochen hier stationär wegen einer schweren Allergie auf Metamizol!“
Ich erschrak sehr. „Oje, ich habe ihn nur gefragt, ob er Novaminsulfon kennt und ob er das schon einmal hatte, und er hat nein gesagt!“
Das Erlebnis ist mir eine Lehre! In Zukunft werde ich fragen: „Haben Sie eine Allergie gegen Novaminsulfon, Novalgin oder Metamizol? Das ist dasselbe!“
Vielleicht hätte der Patient diese Frage bejaht, und wir hätten den Schock verhindern können.
Ich schicke diese Geschichte an einige Kolleginnen und Kollegen in der Hoffnung, dass wir dadurch eine Wiederholung der gefährlichen Situation vermeiden können.

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