Die Kette der Missverständnisse

 

Wir erleben im Alltag der Praxis und des Privatlebens immer wieder Missverständnisse, die das gute Verhältnis zwischen den Gesprächspartnern belasten, zu kritischen Situationen und manchmal sogar zu einer Trennung führen. Hier ist es hilfreich, sich ein paar einfache Gesetzmäßigkeiten bewusst zu machen, wie solche Missverständnisse entstehen. Dann ist es wesentlich einfacher, solche unliebsamen Überraschungen konstruktiv zu vermeiden oder zu erkennen und zu Verständnis umzuändern.

Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat eindrucksvoll dargestellt, wie Missverständnisse entstehen. Er sagte:

Gesagt            bedeutet nicht          gehört,

gehört             bedeutet nicht          verstanden,

verstanden     bedeutet nicht          einverstanden,

einverstanden bedeutet nicht          gemacht,

gemacht          bedeutet nicht          beibehalten,

beibehalten     bedeutet nicht          Erfolg gehabt.

Wir erkennen sofort die Parallele zum Alltag in der Praxis oder Klinik. Wenn wir einem Patienten etwas sagen, heißt es noch lange nicht, dass er es gehört hat. Er könnte nämlich schwerhörig sein oder sich gerade auf etwas anderes konzentriert haben. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Patienten meist nicht zuhören können, wenn sie sich an- oder ausziehen. Auch Mütter, die ihren Säugling wickeln, können sich erfahrungsgemäß in dieser Zeit nicht auf das konzentrieren, was der Arzt zu ihnen sagt. Wenn wir nebenher im Gespräch rasch noch ein paar Rezepte unterschreiben oder Notizen in die Karteikarte machen, hören wir auch nicht genau, was der Patient in dieser Zeit sagt.

Selbst wenn der Patient es gehört hat, versteht er es nicht immer. Vielleicht kennt er ein Fremdwort oder die Zusammenhänge nicht. Oder Sie haben zu schnell gesprochen. Es kommt auch oft vor, dass Patienten etwas anderes erwartet haben, also „hören“, was sie hören wollen.

Dann gilt der Grundsatz: Wahr ist für den Gesprächspartner nicht, was Sie sagen, sondern was er versteht.

Auch wenn der Patient verstanden hat, was Sie zu ihm gesagt haben, ist er vielleicht mit der von Ihnen gewünschten Handlung nicht einverstanden. Denn es könnte unbequem für ihn sein, oder Ihre Absicht widerspricht den Informationen, die er von einem Nachbarn oder seiner bevorzugten Zeitung bekommen hat.

Wenn Sie sein Einverständnis haben, kann es trotzdem sein, dass er im Moment die Dring-lichkeit der Therapie oder einer bestimmten Handlung gar nicht einsieht. Also macht er es auch nicht. Vielleicht müsste er selbst etwas bezahlen, was er nicht kann oder nicht will. Häufig bestehen Widerstände innerhalb der Familie, die den Patienten abhalten, seine Therapie einzuhalten.

Bei manchen Menschen freuen wir uns schon, dass sie so gut mitarbeiten. Aber nach kurzer Zeit lässt die Mitarbeit nach. Bei der Nachforschung entdecken wir vielleicht, dass wir den Patienten nicht sorgfältig genug aufgeklärt oder nicht beachtet haben, dass seine Körpersprache während des Gesprächs eindeutig ablehnend war. Deshalb behält er die Therapie nicht bei, wie es eigentlich nötig wäre.

Der grundlegende Denkfehler heißt: „Ich denke, der andere denkt wie ich denke.“

Das zeigt sich an folgenden Beispielen:

  • Wir glauben, der Patient weiß, was wir wollen, ohne dass wir es ihm gesagt haben.

(„Es ist doch klar, dass ich Mittelstrahlurin / Nüchternblut zur Untersuchung brauche.“)

  • Wir benützen gleiche Wörter und meinen verschiedene Dinge und Sachverhalte, er-warten aber, dass der Andere unsere Definition kennt und anwendet. („Die Blutuntersuchung war negativ!“ – „Das ist ja schlimm!“ oder „Der HIV-Test war positiv!“ – „Da bin ich aber erleichtert!“)
  • Wir gehen davon aus, dass der Andere sich auf der gleichen Ebene (Gefühl oder Ver-nunft) befindet und reagiert. („Ich habe Angst vor der Operation!“ – „Das ist unnötig, weil bei dieser Operation praktisch nie Komplikationen auftreten.“)
  • Wir gehen davon aus, dass der Andere jetzt auch wirklich zuhört und offen ist für meine Aussage. Wahrscheinlich ist er aber mit seinen Gedanken, Ängsten und Erwartungen so beschäftigt, dass er entweder nicht oder nur teilweise und selektiv zuhört.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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