Gehören wir unserer Angst?

Liebe Josephine,

es ist ein großes Geheimnis, dass, wenn wir selber verzagt sind, oft Menschen da sind, die einen stabileren Grund unter den Füßen haben oder eine Kern in sich, dem sie trauen. Die Menschen, denen ich nachlebe, hatten ihn aus ihrem Glauben. Sie vertrauen darauf, dass dieses Bibelwort stimmt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Der Prophet Jesaja hat diese Worte seinen Zeitgenossen als Worte Gottes gesagt.

Zu hören, zu glauben, sich darauf zu verlassen, dass wir ganz zuletzt, vielleicht ganz am Ende (oder auch ganz plötzlich) nicht mehr unserer Angst gehören, sondern Gott, dass eine stärkere Liebe existiert als die, die wir Menschen zustanden bringen, das, Josephine, lässt manche Menschen Hoffnung finden, wenn andere aufgeben. Es lässt sie Schritte machen, wenn andere schon liegen geblieben sind. Wir können Angst nicht aus der Welt vertreiben. Aber Gott und Menschen sei Dank – sie bleibt nicht unsere Herrin. Das wollte ich Dir heute sagen, liebe Josephine. Und wahrscheinlich sage ich es auch mir selber noch einmal. Weit wird das Land, wenn Menschen das glauben, und ruhig unser ängstliches Herz.

Das meint, darauf hofft und das glaubt

Dein Großvater

PS: Ich danke Petra und Hans Georg Koch, die mir diesen Text von Joachim Gauck an seine Enkelin aus einem Kalenderblatt zu Weihnachten geschickt haben.

Dieser Beitrag wurde unter Prosa abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.