Wann sollen wir Patienten informieren und ein ausführliches Gespräch führen?

Kommunikation ist miteinander leben.

Karl Jaspers (1883-1969), Psychologe und Philosoph

Man kann nicht nicht kommunizieren.

1. Gesetz der Kommunikation von Paul Watzlawick (*1921), amerikanischer Philosoph und Psychotherapeut, international bekannter Kommunikationswissenschaftler österreichischer Herkunft

Gute Kommunikation ist mehr als nur Informationen zu übermitteln.

unbekannt

Wie sprechen Menschen mit Menschen? Aneinander vorbei.

Kurt Tucholsky (1890-1935), Schriftsteller

9.1 Der richtige Moment

Ein ganz natürlicher Zeitpunkt zur Information ist gegeben, wenn der Arzt Ihnen eine schwerwiegende Diagnose eröffnen muss. Solch ein Gespräch sollte nach Möglichkeit nicht am Telefon stattfinden, weil der Arzt in diesem Falle kaum einen Einfluss auf Ihre Reaktionen hat und nicht eingreifen kann, wenn Sie eine Panik erleben. Deshalb bitte ich Patienten, denen ich eine ernste Diagnose eröffnen muss, zu dem Gespräch in die Praxis.

Der Patient sollte über die Grundideen der diagnostischen Schritte ruhig informiert werden, dann kann er besser mitarbeiten. Von Erkenntnis zu Erkenntnis ist es auch bei Bedarf richtig, ihm die Ergebnisse zu sagen, wenn er damit vernünftig umgehen kann. Unsicherheit und Angst sind normale Gefühle in diesem Stadium der Ungewissheit. Deshalb müssen auch in dieser Phase Hoffnung und ein Hinweis auf die noch unklare Diagnose ein entscheidender Faktor der Gesprächsführung sein.

Es ist sicherlich sinnvoll, dass der Arzt, der nach der Diagnosestellung auch die Therapie leitet, diese Aufklärungsgespräche führt. Leider ist das nicht immer möglich. Deshalb muss ein enger Kontakt zwischen den betreuenden Ärzten hergestellt und gepflegt werden. Wenn der Patient das erkennt und daran teilhaben kann, fühlt er sich sicherer und besser versorgt.

Es ist durchaus häufig, dass ein Patient jetzt in einem Gespräch verständnisvoll reagiert und scheinbar die Situation verstanden hat, aber beim nächsten Treffen vieles nicht mehr weiß. Dann hat vielleicht etwas verdrängt, was er für bedrohlich hielt, oder er hat die Zusammenhänge tatsächlich nicht verstanden und sich nicht getraut, das zuzugeben. Deshalb sind Fragen zum Verständnis immer wieder wichtig.

Manchmal ist es ratsam, den Ehepartner gleich dazu einzuladen. Damit werden Missverständnisse und Übertragungsfehler weitgehend ausgeschaltet, und der gesunde Partner kann in einer anderen Stimmung und damit in einer konzentrierteren Wahrnehmungsfähigkeit zuhören als der betroffene und emotional stark belastete Patient. Diese Gespräche sollten in einer ruhigen und störungsfreien Atmosphäre stattfinden. Wenn es von vornherein klar ist, dass sich ein längeres und kompliziertes Gespräch ergeben wird, lege ich diese Unterhaltungen entweder an das Ende der Sprechstunde oder mache in Ausnahmen dafür abends einen Hausbesuch. In beiden Fällen kann ich mir so viel Zeit nehmen, wie ich es für nötig halte. Wenn der Patient zu Hause ist, empfindet er das manchmal als einen Heimvorteil, ist weniger gehemmt und im Allgemeinen offener für das Gespräch. Wenn er durch die Unterredung sehr stark emotional durcheinander gebracht wird, ist es auch ein Vorteil, dass er nicht mehr Auto fahren muss.

Eine andere wichtige Gelegenheit für ein Gespräch oder eingehendere Beratungen tritt dann ein, wenn dem Patienten die tödliche Diagnose bewusst wird. In solchen Momenten muss der Arzt ansprechbar und bereit sein, auf die Angst und Sorge des Patienten und seiner Angehörigen einzugehen.

Ähnlich dringend ist es vor und nach einer schwierigen Operation, wenn es um ein weitreichendes Ergebnis mit wichtigen Konsequenzen geht. Das klassische Beispiel stellt die Aufklärungssituation dar, wenn die Patientin oder der Patient mit einem dringenden Verdacht auf einen bösartigen Tumor operiert werden soll. Üblicherweise wird während der Operation eine Gewebeprobe des Tumors ins Pathologische Institut geschickt und dort sofort untersucht. Die Diagnose wird telefonisch persönlich vom Pathologen an den Operateur in den Operationssaal gemeldet. Dann kann der Chirurg sofort in derselben Narkose weiteroperieren. Für alle dann möglichen Vorgehensweisen muss sich der Operateur vor der Operation die Genehmigung einholen. Dazu ist verständlicherweise ein sehr eingehendes Gespräch nötig.

Und nach der Operation, wenn die Patientin oder der Patient ganz wach und aufnahmefähig ist, muss wieder ein gründliches Gespräch erfolgen, wenn klar ist, was der Befund erbracht hat und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Solche Gespräche müssen vom Arzt schon aus juristischen Gründen angeboten, durchgeführt und dokumentiert werden. Sie sollten von der Hoffnung geprägt werden, dass Arzt und Patient etwas tun können, um den Zustand des Patienten zu verbessern. Auch bei sehr ungünstigen Diagnosen und Vorhersagen gibt es vieles, worauf wir Hoffnung vermitteln können.

Richtig sind Gespräche immer, wenn der Patient die Bereitschaft dazu hat und zeigt. Auch wenn er diese nicht zeigt, kann er sie dennoch haben. Wir müssen also sehr aufmerksam sein, die geringsten Anzeichen zu erkennen und angemessen darauf eingehen. Dann ist es unsere Sache, ihm unsere Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Wir müssen allerdings auch respektieren, wenn er gar nicht reden oder nicht mit einer bestimmten Person sprechen will.

9.2 Das richtige Wort 

Die wahre Kunst der Kommunikation besteht darin, nicht nur das Richtige im richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sagen, sondern das Falsche im verlockenden Moment ungesagt zu lassen.

Dorothy Nevel

Zu einer guten Kommunikation ist es auch nötig, dass wir Andeutungen des Gesprächspartners erkennen und richtig bewerten. Es erleichtert das wechselseitige Ver-stehen, wenn der Patient und die Angehörigen klare und echt empfundene Botschaften senden. Wenn sie uns nicht eindeutige Informationen geben, müssen wir danach fragen. Selbst wenn uns die Botschaft klar erscheint, kann der Gesprächspartner es ganz anders gemeint haben.

Zu einer guten Information gehört auch, das Verständnis zu überprüfen. Das lässt sich am besten mit Gegenfragen erzielen. Es genügt nicht, einfach zu fragen: „Hast du das verstanden?“ Das haben Sie am Beispiel von Frau Lehmann erlebt, die ich gefragt habe, ob sie meine Erklärungen zu der Magentherapie verstanden hat. Ich habe ihr „ja“ fälschlicherweise geglaubt.

Selbst wenn der Partner wirklich meint, die Botschaft verstanden zu haben, wird er möglicherweise seinen Irrtum sofort bemerken, wenn er nach seinen Konsequenzen aus der Botschaft gefragt wird. Wenn wir also wirklich wissen wollen, ob der Patient die Informationen verstanden hat, müssen wir oder Sie als Angehöriger eine Frage stellen, die ihn zur Stellungnahme zwingt. Zum Beispiel: „Was wird die nächste Konsequenz sein, die du aus deinem Wissen jetzt ziehst?“ Einfacher: „Was machst du jetzt?“ Und: „Warum?“

Dabei ist es wichtig, die geistige und gefühlsmäßige Dynamik des Patienten zu berücksichtigen. Manche Menschen reagieren mehr mit dem Kopf, andere mehr mit dem Bauch, also mehr verstandesmäßig oder mehr gefühlsmäßig. Die einen sind schneller und spontaner, die anderen langsamer und bedächtiger. Bei den einen braucht es länger, bis die Botschaft mit allen Konsequenzen „angekommen“ ist, bei anderen funktioniert die Umsetzung sehr rasch.

Auf jeden Fall müssen wir dem Patienten vermitteln, dass wir bereit sind zu Gesprächen, die dem Ernst der Situation entsprechen. Es ist eine bekannte, wenn auch oft übersehene Tatsache, dass die Kommunikation zwischen dem Patienten einerseits und Angehörigen und Arzt andererseits um so stärker eingeschränkt wird, je ernster die Diagnose und die Prognose einer Erkrankung sind.

Untersuchungen haben ergeben, dass ab dem Moment, wo eine hoffnungslos erscheinende Diagnose gestellt wird, die Anzahl der Wörter, die mit dem Patienten gesprochen werden, auf ein Drittel sinkt! Die Visiten in den Kliniken werden im allgemeinen kürzer und die besprochenen Themen immer belangloser und ober-flächlicher diskutiert.

Copyright Dr. Dietrich Weller

Aus meinem Buch „Wenn das Licht naht“

 

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