Euphemismen

Im weitesten Sinn ist ein Mythos eine Sache oder Begebenheit, die aus irrationalen Gründen glorifiziert wird. In diesen Bereich passen auch die im deutschen Sprachgebrauch häufigen Euphemismen. Euphemia bedeutet im Griechischen Worte von guter Bedeutung. Damit werden Sachverhalte beschönigt, verhüllt, verbrämt, bagatellisiert oder banalisiert. Gefühle sollen geschont und unangenehme Gefühle möglichst nicht erweckt werden. Deshalb gehören diese sprachtaktischen Verrenkungen zum Handwerkszeug all derer, die etwas zu verbergen oder zu verkaufen haben, was im klaren Licht gesehen unangenehm, abstoßend oder gar kriminell ist. Die häufigsten Anwender von Euphemismen sind deshalb Politiker, Wirtschaftsbosse und Menschen, die zu ihren Taten nicht wirklich stehen wollen. Auch im Alltagsbereich finden wir Euphemismen im körperlichen, sexuellen, religiösen und sozialen Bereich.

Das Gegenstück ist der Dysphemismus. Dabei werden Begriffe abgewertet, mit negativem Beigeschmack versehen. Der Rechtsanwalt wird zum Rechtsverdreher oder Winkeladvokat. Die Stewardess wird zur Saftschubse.

Steven Pinker, ein amerikanischer Psychologie-Professor an der Harvard-University, prägte den Begriff Euphemismus-Tretmühle. Seine Hypothese geht davon aus, dass immer dann, wenn ein Wort eine beschönigende Bezeichnung erhält, also zu einem Euphemismus wird, und sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern, dieser Euphemismus nach einiger Zeit den gleichen negativen Beigeschmack wie sein Vorgängerausdruck erhält.

Ein Beispiel: Früher galt das Wort Krüppel als Schimpfwort und wurde daher durch Behinderter ersetzt. Heute wird aber oft das Wort behindert mit dem gleichen verächtlichen Beigeschmack gebraucht. Ebenso wird Menschen mit Migrationshintergrund statt Ausländer auffällig oft in negativem Zusammenhang verwendet.

Es gibt die Web-Site www.euphemismen.de, in der sehr viele Euphemismen gesammelt und nach Anfangsbuchstaben geordnet sind. Schon unter A stehen 250 Wörter!

In der Wirtschaft werden Menschen freigestellt, Arbeitskräfte abgebaut, human resources erweitert, die Besetzung der Stellen verschlankt und die Hierarchie vereinfacht. Keiner sagt, dass Menschen entlassen, gekündigt, rausgeworfen werden. Alles geschieht angeblich sozialverträglich. Man wird keinem Mitarbeiter zumuten, einfach mehr zu arbeiten! Nein! Die Arbeit wird verdichtet und auf die Belegschaft verteilt. Wer damit nicht zurechtkommt, wird vom Chef gebeten, zeitintensiver oder ökonomischer zu arbeiten.

Preise werden nicht erhöht! Preise werden korrigiert oder angepasst. Und es werden keine billigen Produkte verkauft, sondern preisgünstige, preiswerte, wertige. Und beim Schlussverkauf gibt es Sales und Preissensationen, Preisknaller.

Bei Gehaltskämpfen wird eine Nullrunde vereinbart. Wenn´s noch schlechter kommt, haben wir ein Negativwachstum. Es wäre ja wahltaktisch schlecht zuzugeben, dass man Verluste oder Abzüge vereinbart. Die Verhandlungspartner bestätigen einander stattdessen, dass sie eine verantwortbare und marktgerechte Vereinbarung getroffen haben. Jeder muss schließlich sein Gesicht wahren und will wieder gewählt werden. Also muss er einen Erfolg verkaufen, obwohl er möglicherweise nur für sich einen Erfolg oder gar eine Verhandlungsschlappe erreicht hat.

Die Allianz der Willigen waren für George W. Bush seine Befehlsempfänger. Damit war schon von vornherein klar, dass alle, die ihm nicht folgen, Unwillige und deshalb in seiner Wertvorstellung schlecht und disqualifiziert sind.

Und seit Englisch die Hauptsprache in der Wirtschaft ist, wird der Geschäftsführer zum Chief Executive Officer befördert. Insider sprechen nur vom CEO (natürlich englisch ausgesprochen: „Si-I-Ou“) – man ist ja unter sich und weiß, was gemeint ist! Der Verkaufsleiter ist der Sales Manager oder, wenn er die Großkunden betreut, der Key Account Manager. Der Kundenbetreuer, den wir früher Verkäufer nannten, wird zum Customer Service Representative. Solche Bezeichnungen bringen geradezu einen geldwerten Vorteil der Aufwertung am Namensschild vor dem Büro oder auf der Visitenkarte. …

Auch das Sterben und Morden wird tabuisiert und poetisch beschönigt!  In den Unterrichtsblättern der Bundeswehrverwaltung gibt es standesgemäße Todesarten: Der Palästinenser geht über den Jordan, Der Gärtner schaut die Radieschen von unten an oder beißt ins Gras. Der Schornsteinfeger kehrt nie wieder. Die Putzfrau macht einen sauberen Abgang. Der Fährmann fährt hinüber. Der Wanderer ist von uns gegangen. Der Bergmann fährt in die Grube. Für den Uhrmacher ist die Uhr abgelaufen. Der Schlossbesitzer gibt den Geist auf. Der Spanner ist weg vom Fenster. Der Atheist muss dran glauben. Der Mantafahrer wird tiefergelegt. Der Zahnarzt hinterlässt eine schmerzliche Lücke. Der Augenarzt hat seine Augen für immer geschlossen. Der Lungenarzt hat seinen letzten Atemzug gemacht. Der Kellner gibt den Löffel ab. Der Metzger springt über die Klinge. Der Hutmacher nimmt den Hut. Der Schaffner liegt in den letzten Zügen, dann im letzten Zug. Der Chemiker reagiert nicht mehr. Der Historiker ist Geschichte.

Oder ohne Berufsbezeichnung: Es ist ihm etwas zugestoßen, er ist abgelebt, er wurde abberufen, heimgeholt, er hat sich für immer abgemeldet, er ist abgetreten, er ist verschieden, er ist im Himmel. In der Todesanzeige steht nicht er ist gestorben, sondern er ist sanft entschlafen.

Wussten Sie, dass ein Sarg ein Erdmöbel ist?

Tiere darf man einschläfern oder erlösen, wenn sie schwer krank sind. Das ist menschlich geradezu geboten. Wer Menschen einschläfert oder erlöst, begibt sich auf strafrechtlich relevantes Gebiet, wenn er nicht nachweisen kann, dass es indirekte oder passive Sterbehilfe ist.

Die Jäger erschießen Tiere nicht, sondern geben dem Reh die Kugel, genicken oder knicken den Fasan ab, legen eine Hasenstrecke an und schicken das Wild in die ewigen Jagdgründe.

Wir kennen die Umschreibungen: Man hat ihn an die Wand gestellt, wenn er erschossen wurde. Ein echter Esoteriker, der einen Käfer zertritt oder eine Fliege an die Wand klatscht, verhilft ihnen zu einer neuen Reinkarnationschance. …

Die Nazis haben offiziell natürlich nie Juden ermordet, das wäre nicht so propagandawirksam gewesen. Auch während der Nazi-Herrschaft war Mord ein mit der Todesstrafe bedrohtes Kapitalverbrechen. Deshalb hat die Regierung Juden „nur“ abbefördert, abgefertigt, neutralisiert, der Endlösung zugeführt, abgeräumt, abgeschafft, aussortiert, abgespritzt, der Aktion T4 zugeführt, ausgeschaltet, das Reich gereinigt, die Juden ausgewählt, aus dem Verkehr gezogen, umgesiedelt, sie mit einem Einwegfahrschein verreisen lassen. Auch die Entsorgung von lebensunwertem Leben in der Nazi-Zeit ist ein an Zynismus kaum zu überbietender Euphemismus.

Denken Sie beim Stichwort Zynismus auch an die Inschriften über den Konzentrationslagern: Arbeit macht frei! und Jedem das Seine!

Die Gleichschaltung der Medien zur Meinungslenkung und umfassenden Information klingt wunderbar friedlich und meint doch nichts anderes als staatlich gelenkten Meinungsterror.

Die Tyrannen aller Zeiten haben „nur“ die Bevölkerung vor gemeinen Terroristen geschützt, bedrohliche Kräfte eliminiert, die angeblich von außen in das Land infiltriert waren. Wenn wir das Beispiel Syrien nehmen, müsste nach Assads Worten das ganze Volk aus Terroristen bestehen – ausgenommen die wenigen Guten, die auf seiner Seite stehen und die Terroristen ausschalten. Dass dabei ganz zufällig und natürlich völlig unbeabsichtigt zahllose Kinder sterben und reihenweise Frauen vergewaltigt und dann ermordet werden, ganze Städte durch Bomben- und Raketenangriffe dem Erdboden gleichgemacht, ist „nur“ ein leider sehr bedauerlicher Kollateralschaden. Immerhin wurde das Wort Kollateralschaden wegen seines Zynismus 1999 zum Unwort des Jahres erklärt.

Wir haben bei dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan erlebt, wie lange sich unserer Regierung um die Bezeichnung des Vorgehens gedrückt hat. Man sprach von außergewöhnlicher Auseinandersetzung, einer verteidigungswerten Lage, kriegsähnlichen Schutzmaßnahme oder bewaffneten Friedensmission. Bis ausgerechnet der Verteidigungsminister Baron von und zu Guttenberg das Unwort Krieg in den Mund genommen hat und für seine Direktheit heftig gescholten wurde.

Die Kriegsrhetorik ist voll von Euphemismen, sonst könnten die Grausamkeiten und Verluste nicht gerechtfertigt werden: Es klingt doch großartig, wenn die Soldaten in den rückwärtigen Raum vorstoßen! Das suggeriert Erfolg, Mut, Aktivität, kurz bevorstehendem Sieg. Da muss man schon nicht zugeben, das die Truppe auf dem kläglichen Rückzug ist. Und erst recht bei der Vorwärtsverteidigung! „Wir verteidigen uns, weil wir Armen die Opfer sind und (natürlich ungerechtfertigt) angegriffen wurden!“

Erinnern Sie sich, wie das war und was draus wurde, als Hitler nach dem perfide vorgetäuschten Angriff der Polen auf deutsche Grenzsoldaten die Vorwärtsverteidigung ausrief und damit den Krieg rechtfertigte?

Wissen Sie noch, wie George Bush angeblich den Irak überfallen musste, weil Saddam Hussein bewiesenermaßen Massenvernichtungswaffen hatte! Als diese Waffen, die vorher im Fernsehen an vielen (gezeichneten und nicht fotografierten!) Bildern gezeigt wurden, nicht gefunden wurden, wollte  er nichts mehr davon wissen, wie er absichtlich die Welt angelogen hatte, um an die Ölreserven zu kommen.

In einer Zeit der Globalisierung und rascher Berichterstattung über Terrorregime und deren grausame Politik gibt es keine Flüchtlinge mehr, und es wundert mich, dass es immer noch den Begriff Flüchtlingshilfswerk der UN gibt und dieses Wort nicht längst umformuliert wurde. Jetzt gibt es Migranten, und wir haben keine Nachkommen von Flüchtlingen, sondern Menschen mit Migrationshintergrund.

Das Wort Atom schafft immer noch eine sehr negative Assoziation zu den Atombomben des 2. Weltkriegs. Deshalb sprechen wir heute von Kernenergie. Kerntechnik und Nuklearwaffen. Das klingt viel ungefährlicher.

Einige Wörter erfahren im Lauf der Jahre auch einen Bedeutungswandel: In meiner Jugend war geil ein Unwort, das eindeutig sexuelle und damit unerlaubte Erregung und Lust bedeutete und niemals aus dem Mund eines wohlerzogenen Menschen entfleuchen durfte!

Heute ist geil das allumfassende In-Wort der Jugend für alles, was gut, spannend, prima, toll, begeisternd, faszinierend ist. Selbst Erwachsene, die nicht gerade bildungsfern sind, benutzen es, ohne rot zu werden sogar vor der laufenden Kamera mit strahlendem Lachen, wenn sie sich über ein Pop-Konzert oder ein anderes schönes Erlebnis begeistern und ihnen der Wortschatz fehlt, um etwas Differenziertes zu sagen.

Vor ein paar Monaten habe ich überrascht in einem Werbebrief einer Weinhandlung gelesen, die mir schon immer durch sprachlich brillante Beschreibungen der Weine aufgefallen ist, dass es einen geilen Veltliner gibt. Darunter kann ich mir wirklich nichts vorstellen.

Das Ethymologie-Lexikon erklärt, dass geil aus dem Mittelhochdeutschen kommt und dort die Bedeutung kraftvoll, üppig, lustig hatte. Außerdem bedeutet es auch versessen sein auf etwas. Deshalb gibt es die Verbindung karrieregeil, mediengeil, sensationsgeil.

Ich erinnere mich, vor vielen Jahren im SPIEGEL einmal einen Artikel gelesen zu haben mit einem Kasten, in dem über 150 Wörter allein den Begriff Penis umschrieben.  Auf der Homepage www.eupohemismen.de stehen so viele Wörter, die in der sexuell geprägten Sprache Dinge, Handlungen und Körperteile verniedlichen, vergröbern, ordinär oder überhöht darstellen, dass man daraus einen im wörtlichsten Sinn pervertierten (verdrehten) Wortschatz gestalten kann. Das ist eine Fundgrube für Sprachwissenschaftler!  Um zart besaitete Leserinnen und Leser nicht zu verärgern, will ich keine Beispiel anfügen.

Von meiner Schwester, die Hauptschullehrerin ist, habe ich gelernt, dass man nicht mehr sagen darf, Kinder seien schlecht erzogen, störend, unverschämt, frech, flegelhaft oder gar verhaltensgestört! Das sind jetzt offiziell verhaltensoriginelle Schüler. Da bekommt das Adjektiv originell einen seltsamen Beigeschmack!

Ein Dysphemismus sagt: Die Leute kommen aus der unteren sozialen Schublade.

Der Euphemismus sagt: Manche Schüler stammen aus bildungsfernen Schichten.

Im Klartext kann das auch heißen: Manche Schüler stammen aus Familien, in denen unerzogene Eltern die Erziehung ihrer Kinder als Pflicht der Lehrer anmahnen und das rüpelhafte und provozierende Verhalten der Schüler als Folge der schlechten Lehrerarbeit kritisieren. Da wieder ist ein wunderbares Beispiel für eine Projektion des eigenen Versagens und Unvermögens auf andere Menschen.

Es kann aber auch bedeuten, dass Menschen in Bereichen aufgewachsen sind, wo aufgrund der sozialen Gegebenheiten eine Schulbesuch gar nicht möglich war. Ich denke an entlegene Regionen, die nicht an die Zivilisation angeschlossen sind wie im Himalaya oder im Dschungel des Amazonas, um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen.

Früher sprachen wir von Flüchtlingen. Das klingt schlimm, man hört das Schicksal, die Vertreibung, die Bedrohung. die schwere Lebenslast. Das wird deutlich abgemildert, wenn wir über Migranten reden, die „wandern“ nur. Und wir müssen uns nicht bewusst machen, dass sie auf die Wanderschaft gehen (wie wir es von Handwerksgesellen gewohnt sind), weil sie vertrieben, verjagt, mit dem Tod bedroht oder von der Klimakatastrophe ausgehungert werden.

Schüler sind auch nicht schlecht in der Schule, sie haben große Verbesserungsmöglichkeiten oder erhebliches Potenzial, ihre Ressourcen zu aktiveren. Oder sie sind (zu) stark kognitiv herausgefordert.

Wir benutzen Euphemismen auch, um sozial unliebsame Details zu beschönigen: Er trinkt, da gibt es OH-Gruppen in der Anamnese, er schaut gern ins Glas, er hängt an der Flasche. Das klingt besser als Säufer, vom Quartalsäufer ganz abgesehen.

Er hat eine konsumierende Erkrankung hört sich unverständlicher an als Krebs oder Tuberkulose.

Die Ärzte alter Schule benutzen auch heute noch einfach die lateinische oder griechische Sprache, um sich für die Patienten unverständlich und besonders gelehrt auszudrücken. Prof. Bock, der berühmte Ordinarius in der Medizinischen Klinik Tübingen, stellte einmal einen Mann in der Vorlesung vor, der ein dreckiges Bein mit einer Venenentzündung zeigte. Prof. Bock sagte zu den Studenten: „Achten sie auf das exogene Pigment!“

Der frühere Ärztekammerpräsident Vilmar wurde für den Begriff sozialverträgliches Frühableben nicht nur mit viel Kritik, sondern auch mit der Verleihung des Unworts des Jahres bestraft.

Die Verwaltungsleute, die sich in der Medizin breit machen und unseren ärztlichen Alltag mit sinnfreier und sinnentleerter Bürokratie überfrachten, denken jetzt offiziell über Sterbemanagement nach! Das ist mein Vorschlag für das Unwort des Jahres – ein echter Zynismus, wenn wir jetzt das Sterben unserer Patienten managen sollen.

Die Bürokraten schaffen mit ihrer ach so wichtigen Tätigkeit sogenannte ABM, das sind Arbeits-Behinderungs-Maßnahmen für Ärzte und Schwestern und sichern sich selbst einen wunderbar wachsenden Markt an Human Resources. Man muss nur daran denken, wie der Medizinische Dienst der Krankenversicherer viele neue Stellen schuf und den Verwaltungsapparat aufblähte, um die ärztliche Arbeit wirtschaftlicher zu machen, indem die Einsparreserven evaluiert werden. Wie viele Stellen in den Pflegeheimen und in den Krankenhäusern dabei abgebaut werden, spüren die Betroffenen nur zu schmerzhaft.

Ich denke mit Schrecken daran, dass ich jahrelang in der Rehaklinik Arztbriefe für die Deutsche Rentenversicherung diktieren und korrigieren musste, die meines Erachtens an institutionalisiertem Schwachsinn kaum zu überbieten waren.. Dadurch dass in bestimmten Kapiteln Wiederholungen von Wiederholungen wiederholt werden mussten, wurden die Briefe selten unter neuen Seiten lang. Dabei könnte man ganz einfach die Briefe ohne Informationsverlust(!) auf die halbe Länge bringen.

Wer liest diese überlange Briefe? Ein Hausarzt sicher nicht. Aber die Kontrolleure der Briefe in der DRV sind gut beschäftigt. Das ist eine echte ABM (Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme)!

Und das Grotekse daran: Die Deutsche Rentenversicherung schließt aus der Qualität dieser von ihr vorgeschriebenen Wiederkäuerbrief auf die Qualität der medizinischen Versorgung. Je mehr Wiederholungen, desto besser sei die medizinische Versorgung. Und nur die guten Kliniken werden belegt!

Damit ist auch klar, warum unsere Klinik-Geschäftsführung der genauen Befolgung der Briefvorschriften so großes Gewicht beimaß und sogar einen der Chefärzte für ein einwöchiges Trainingsseminar der DRV abstellte, wo er lernen sollte, wie einen Arztbrief schreibt und wie er dann seine Ärzte in der Klinik auf Linie bringt! Man muss sich mal vorstellen, was der Mann in dieser Zeit Sinnvolles hätte arbeiten können!

Wenn ich daran denke, das ich gezwungenermaßen bis zu 60% meiner Arbeitszeit in diese Briefe steckte, ist leicht zu entscheiden, ob es besser gewesen wäre, diese Zeit den Patienten statt den Briefen über sie zuzuwenden und tatsächlich etwas für die gute ärztliche Versorgung zu tun.

In Wirklichkeit handelt es sich um eine Jobverschiebung und wird den Wählern verkauft als Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme: Das Geld für die Stellen, die im Krankenhaus bei den Ärzten und Pflegepersonal freigesetzt werden, müssen für die neuen Stellen in der Verwaltung erwirtschaftet werden. Wenn die Verwalter der Kassen das erreichen, werden sie doppelt gelobt, weil sie die Krankenhausarbeit angeblich wirtschaftlicher gemacht und (an einer anderen Stelle) Arbeitsplätze geschaffen haben.

Wie es den Menschen dabei geht, ist sekundär. Für mich legte es immer den Verdacht nahe, dass es politisch gewollt ist, auch auf dieses Weise eine Bevölkerungskontrolle zu erreichen. Im Klartext: Durch die Rationalisierungsmaßnahmen sterben mehr Menschen „ein bisschen früher“ als bei einer besseren (teureren!) medizinischen und pflegerischen Versorgung. Das ist auch ein Form von finanzieller Ersparnis.  – Das wird natürlich niemand offiziell zugeben.

Personen, die arm sind, werden besser – politisch korrekt – als soziale Randgruppe und sozial schwach bezeichnet, oder sie leben unter dem Existenzminimum.

Berufsbezeichnungen haben sich verändert. Die Putzfrau von früher heißt heute – je nach Achtung, die wir vor der Person und ihrer Aufgabe haben – Reinemachefrau, Parkettkosmetikerin, Besenakrobatin, Raumpflegerin, Mitglied des Reinigungsdienstes. Die Klofrau wurde zur Toilettenfrau und Abortprinzessin. Der Hausmeister ist heute Haustechniker.

Das Alten- oder Pflegeheim wird zur Seniorenresidenz. Das klingt richtig vornehm nach Schloss und Luxus, selbst wenn die inkontinenten Gäste oder Bewohner erwiesenermaßen in einigen Häusern aus Rationalisierungsgründen in 24 Stunden nur eine einzige(!) Windel bekommen und pro Nacht für das ganze Heim nur eine einzige Altenpflegerin zuständig ist.

Wenn die Stirn bis zum Nacken reicht, hat der Frisör nicht so viel zu tun. Der Mann mit der Glatze braucht viel Platz für sein schönes Gesicht. Wenn die Frauen ihre Augenweide oder ihren Vorbau und das Holz vor der Hütte zur Schau stellen oder die Armatur verbergen, bringt das manche Männer auf Touren.

Um das ungeliebte Wort alt bei Personen – besonders bei Frauen – zu vermeiden, sprechen wir von älteren und betagten Menschen. Dabei ist klar, dass eine ältere Frau immer jünger ist als eine alte Frau. Man nennt das einen absoluten Komparativ.

Frauen sind nie dick, und das Adjektiv fett für eine weibliche Figur ist verboten. Diese Frauen sind vollschlank, rund, kräftig gebaut, allenfalls üppig. Der Kunstliebhaber spricht von einer Frau, an der Rubens seine Freude gehabt hätte. Der statistisch orientierte Arzt spricht von einer Frau, die nicht groß genug ist für ihr Gewicht oder sie hat einen hohen BMI (Body-Mass-Index). Die eleganteste Bezeichnung ist die barocke Frau. Das setzt wenigstens ein bisschen Kunstverstand beim Zuhörer voraus.

Copyright Dr. Dietrich Weller

Diesen Essay habe ich beim BDSÄ-Kongress 2012 in Freiberg vorgetragen und später erweitert.

Nachtrag vom 09.04.2018

Ich habe gerade ein vorzügliches und sehr engagiertes Buch gelesen, das in hoch aktueller Weise zeigt, wie Euphemismen in der alltäglichen Politik und in der Werbung gebraucht und missbraucht werden, um Sachverhalte zu verschleiern oder/und  die eigene Meinung zu kaschieren.

Lesen Sie bitte von Peter Hahne: Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen! Lübbe-Verlag, ISBN 978-3-7857-2621-1

Hier zeigt Hahne klar an unzähligen Beispielen, was ein Euphemismus ist: eine Mogelpackung!

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Eine Antwort zu Euphemismen

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