Neurophysiologische Forschungsergebnisse

Neurophysiologische Forschungsergebnisse zeigen, dass gute zwischenmenschliche Beziehungen nicht nur im Gehirn abgebildet und gespeichert werden, sondern auch die beste und wirksamste „Droge“ gegen seelischen und körperlichen Stress sind.

Unangenehme Reize und Erfahrungen werden im Nucleus amygdalae (= Mandelkern) verarbeitet und gespeichert. Sie bewirken Abwehr und Angst, sie aktivieren die Ausschüttung von Adrenalin und bewirken Pulsbeschleunigung und vermehrte Muskeldurchblutung, um den Kampf oder die Flucht zu ermöglichen. Dabei werden Denken, Schlagfertigkeit und Intelligenz gebremst, weil der Körper sich auf Flucht und Kampf und nicht auf Diskussion einstellt. Auch wenn wir in den Stress einer verbalen Kampfsituation z.B. mit schwierigen Mitmenschen geraten, wird unser Denk- und Reaktionsvermögen eingeschränkt. Erst viel später in Ruhe fällt uns ein, was wirklich eine gute und schlagfertige Antwort gewesen wäre.

Das Belohnungssystem registriert im Hippocampus (= Ammonshorn) positive Bewertungen, gute Erfahrungen, Begegnungen mit freundlichen Menschen und erfolgreiche Situationen. Der aktivierte Hippocampus schüttet Dopamin aus, entweder ins Frontalhirn, damit wir besser denken können, oder in den Nucleus accumbens, der das Dopamin-Signal in ein Opioid-Signal[1] umwandelt und uns mit dem „Glückshormon“ ein angenehmes Gefühl vermittelt.

Was diese Dopamin-Dusche uns beschert, kennen wir aus den Situationen, wenn wir erfolgreich sind, in und nach einer gut laufenden Prüfung, einem begeisternden Gespräch, einem genussreichen Essen oder anderen Momenten oder Stunden, in denen wir uns richtig wohl, geborgen, mit uns zufrieden, anerkannt und gelobt fühlen. Dopamin vermindert Hunger, Durst und Müdigkeit. „Liebende leben von Luft und Liebe.“ Die Dopamin-Dusche erleben wir auch in glücklichen, verliebten Situationen (die „Schmetterlinge im Bauch“), wenn wir nicht schlafen können vor glücklicher Erregung, angenehmer Wachheit, Ideenreichtum, wenn wir uns glockenhell wach fühlen und mit den beglückenden Erlebnissen beschäftigen, und wenn wir das Gefühl haben, mitten in der Nacht weitermachen zu wollen mit dem, was uns in diese Lage gebracht hat.

Wer von Frust geplagt wird oder sich plagen lässt, greift oft zu Schokolade oder anderen Süßigkeiten. Warum? Weil Schokolade die Dopamin-Ausschüttung fördert und auf diesem Weg ein gutes Gefühl vermittelt. Als Student erlebte ich eine bezeichnende Szene. Ein Freund schenkte seiner Freundin eine Schachtel Pralinen. Sie strahlte ihn an, breitet ihre Arme aus und sagte: „Ich will keine Schokolade, ich will Liebe!“ Sie bevorzugte das Original, nicht den Ersatz. Und Menschen, die Nächstenliebe und Hautkontakt pflegen, sind meist schlank, weil sie keine Essorgien zur Befriedigung brauchen. Der zwischenmenschliche positive Kontakt gehört zu den wichtigsten fördernden Einflüssen unseres täglichen Lebens.

Wer isst, um den Frust zu bannen, erinnert sich im Unterbewussten daran, dass er als Säugling beim Essen [2]sich gleichzeitig geborgen und geliebt fühlte. So entstand das Programm „Essen führt zu Geborenheit und Wohlgefühl“. Essen macht uns zufriedener, friedlicher, geruhsamer. Es gibt so viele Geschäftsessen vor schwierigen Verhandlungen, um die Bissigkeit der Teilnehmer auf einer angenehmen sozialen Ebene abzureagieren und den Beißdrang möglichst zu verstillen. Auch die Raubtiere werden kräftig gefüttert, bevor sie in die Zirkusarena gelassen werden, um dort wohl dressiert ihr Trainingsprogramm vorzuführen. Und mit Belohnungsessen erhöhen die Verhandlungsteilnehmer ihr Wohlgefühl nach der erfolgreichen Verhandlung. Auch die Tiere werden mit Leckereien belohnt, wenn sie machen, was wir wollen.

Und wer viel isst, erhält symbolisch eine ordentliche Schicht isolierendes Fett gegen die Kälte des Lebens und einen gewichtigen Panzer, damit er die Schläge des Schicksals besser abwehren kann. Diese Abwehrmauer trägt er ständig mit sich herum, und sie macht ihn auch geistig träge, ruhiger und weniger gefährlich für Angreifer.

Schwierige Menschen brauchen offensichtlich in ihrem antrainierten Belohnungssystem den Effekt, andere unter Stress zu setzen. Deshalb suchen und fördern sie stressige Situationen.

Unser Belohnungssystem wird immer dann aktiv, wenn wir kooperativ sind. Hierin liegt der große Reiz, sich mit schwierigen Menschen zu beschäftigen und den guten Umgang mit ihnen zu trainieren wie unsere Muskeln zum Gehen. Die Verhaltensforschung zeigt, dass wir bei einem Verzicht auf kurzfristige Vorteile mit einer „Dopamin-Dusche“, also einem wohligen Gefühl belohnt werden.

Der positive Kontakt mit Menschen fördert Kreativität, Witz, Hilfsbereitschaft und Lernfähigkeit. Wir machen es uns also viel leichter, wenn wir Wert legen auf gute zwischenmenschliche Beziehungen. Auch deshalb stellt es eine lohnende Chance dar, den Umgang mit schwierigen und anspruchsvollen Menschen für unsere eigene Persönlichkeitsentwicklung und Lebensfreude zu nützen.

Sehr wichtig ist auch die durch neueste Forschungsergebnisse bestätigte Erkenntnis, dass Erfahrungen und neue Lerninhalte dort gespeichert werden, wo die während des Lernens entstehenden Gefühle im Gehirn verankert sind. Wenn wir unter Stress, Angst, Ärger und mit innerer Abwehr etwas lernen oder erleben, wird das damit verbundene Wissen im Mandelkern gespeichert. Und wenn wir dieselben Sachverhalte mit Freude und entspannt in angenehmer Umgebung lernen, werden Sie im Hippocampus (Ammonshorn) gespeichert.

Das hat wesentliche Konsequenzen für das weitere Leben: Wenn diese Lerninhalte später abgerufen bzw. gebraucht werden, wird auch das damit gespeicherte Gefühl wieder wach. Deshalb sind mit bestimmten Situationen die wir heute erleben, früher programmierte Gefühle verbunden, die jetzt automatisch auftreten. Mathematik, die von vielen Schülern in der Schule widerstrebend gepaukt werden musste und oft mit schlechten Noten verbunden war, wird später keine Freude sondern Ärger machen und wird deshalb oft im weiteren Leben abgelehnt. Von mir selbst weiß ich, dass mir Latein in der Schule wegen des sehr guten Lehrers viel Freude gemacht hat, und ich freue mich heute noch daran, wenn ich etwas Lateinisches herleiten oder übersetzen kann. – Diese neurophysiologischen Zusammenhänge sollten auch den Pädagogen zu denken geben. Das Schulsystem muss so geändert werden, dass Lernen in entspannter Umgebung stattfindet und Freude macht. Es ist mittlerweile erwiesen, dass die Schüler dann viel erfolgreicher und kreativer mit dem Erlernten umgehen können und insgesamt ein positiveres Lebensgefühl haben und erfolgreicher sind. [3]

Die Professionalität eines Menschen in seinem Beruf zeigt sich auch im erfolgreichen Umgang mit schwierigen Menschen. Das gilt besonders, wenn diese schwierigen Menschen in schwierigen Lebenssituationen sind. Der erfolgreiche Umgang mit schwierigen Menschen ist eine lebenslange Aufgabe, bei der wir lernen können, uns selbst durch unsere Mitmenschen kennen zu lernen. Wir sollten ihnen dankbar sein dafür, dass sie sich als unsere Sparringspartner im Kampf des Lebens zur Verfügung stellen.

 


[1]  Opioide sind opiumähnliche Stoffe, die ein Hochgefühl verursachen können wie z.B. bei dem „runner´s high“, dem Hochgefühl des Langstreckenläufers, bei dem auch Schmerzen nicht oder nur stark abgeschwächt wahrgenommen werden.

[2] Gestilltwerden bedeutet still werden durch Sättigung! Und der Schnuller heißt im Englischen pacifier, das ist der „Friedensmacher“.

[3]  http://www.swr.de/swr2/sendungen/wissen-aula/archiv/2005/08/27/index.html (Vortrag von Reinhart Kahl, Treibhäuser des Wissens, Sendung am 27.08.2005) und Manfred Spitzer, Lernen, Akademischer Verlag Heidelberg, 2002…. )

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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