Vorrangig erscheint mir wichtig, dass Sie überlegen, ob es sich überhaupt lohnt zu kritisieren. Deshalb vorweg ein paar sehr persönliche Fragen:
Wollen Sie kritisieren, um scheinbar Ihr eigenes Selbstwertgefühl zu heben, indem Sie den Gesprächspartner herabsetzen? Wollen Sie mit der Kritik Dominanz erreichen? Wollen Sie mit der Kritik zeigen, dass Sie der Bessere und Wertvollere sind? Oder gibt es einen objektiven Tatbestand, der unbedingt verändert werden muss, damit das Ergebnis einer Tätigkeit besser wird?
- Kritisieren Sie nur die Sache und nicht die Person.
Bitte vergleichen Sie diese beiden Sätze:
„Maria, Sie machen diesen Verband immer falsch! Wie oft soll ich das noch sagen?“
„Maria, dieser Verband muss so und so gemacht werden. Bitte ändern Sie es.“
Demonstrieren Sie, was Sie wollen, und sagen Sie nicht nur, was falsch ist.
- Kritisieren Sie immer unter vier Augen, loben Sie vor anderen Menschen.
Damit vermeiden Sie, dass der Gesprächspartner sein Gesicht vor anderen verliert und deshalb Sie zu seiner Verteidigung angreifen muss. Mit dem Patienten sind Sie meistens allein im Zimmer, aber mit der Helferin / Schwester nicht, wenn Sie etwas kritisieren wollen. Dann können Sie bemerken:
„Dazu möchte ich nachher noch etwas sagen.“
Das sollte dann hinter geschlossenen Türen geschehen.
Für mich hat sich die alte Regel des Marc Aurel bewährt:
- Stark in der Sache, freundlich im Ton. (Fortiter in re, suaviter in modo.)
Damit können Sie alles sagen, wenn Sie es nur freundlich und höflich tun. Und die Durch-setzungsmöglichkeiten sind erheblich besser, als wenn Sie sich „mit der Brechstange“ Ihr Recht verschaffen wollen.
- Beginnen Sie ein Kritikgespräch mit einer positiven Bemerkung.
Sie machen damit eine Tür zum Partner auf. Und es gibt bei jedem Menschen Aspekte, die Sie loben können. Aber dieses Lob muss ehrlich sein.
- Machen Sie den Fehler nicht größer als er ist.
Lassen Sie die Kirche im Dorf und die Mücke so groß wie sie ist. Je mehr Sie die Sache aufblasen, umso größer wird der Knall.
- Machen Sie einen Verbesserungsvorschlag statt Kritik zu üben.
Das ist ein positiver Ansatz und führt entweder sofort zum Erfolg oder zu einer sachlichen Diskussion, die durchaus sehr Gewinn bringend und informativ für beide Seiten sein kann.
- Geben Sie dem Kritisierten eine Chance.
Vernichtende Kritik ist nie hilfreich. Sie sagt auch mehr über den Kritisierenden aus als über den Kritisierten. Wenn Sie jemanden kritisieren und ihm keine Chance zur Verbesserung geben, schlagen Sie die Tür zu, durch die eben dieser Mensch zurückkommen kann, um sich bei Ihnen für einen guten Vorschlag zu bedanken. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie keine Chance mehr haben, etwas zu verbessern, was Sie falsch gemacht haben? Richtig! Ihnen fehlt die Motivation, den Fehler zu verbessern, weil Sie das Gefühl haben, ohnehin nicht mehr geachtet zu werden.
- Fragen Sie, statt Behauptungen aufzustellen.
Gehen Sie davon aus, dass jeder versucht, eine Sache so gut wie im Moment für ihn möglich zu machen. Das gilt auch dann, wenn Sie es anders machen würden. Es gibt nur selten Situationen, in denen jemand etwas bewusst falsch macht. Auch dann ist es aus seiner Sicht richtig, denn sonst würde er es nicht absichtlich so machen. Er hat nur ein anderes Ziel als Sie. Also fragen Sie:
„Warum haben Sie das so gemacht?“
„Wie könnten Sie es besser machen?“
„Wie würden Sie die Sache beurteilen?“
„Wie würde das auf Sie wirken?“
„Wie würden Sie darauf reagieren?“
Alle diese Reaktionsmechanismen zielen darauf hin, dass sich die Gesprächspartner besser verstehen, und das kann nur geschehen, wenn Sie einen Gedankenaustausch anstreben.
- Versuchen Sie, die Handlung des Anderen zu verstehen.
Im Allgemeinen ist es wirklich so, dass auch die Patienten und die Helferinnen sich etwas bei ihrem Tun gedacht haben, auch wenn es etwas ganz anderes ist als Sie erwarten. Kaum jemand macht absichtlich oder vorsätzlich Fehler. Sie wissen ja:
- Der grundlegende Denkfehler heißt: Ich denke, der Andere denkt, wie ich denke.
Wenn Sie nachfragen und eine Antwort zulassen, bevor Sie kritisieren, haben Sie eine Chance für eine Verbesserung der Kommunikation.
Und zum Schluss wieder eine ganz persönliche Frage:
- Wie groß ist Ihre eigene Motivation, es immer selbständig, vollständig und richtig zu machen?
Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.