Der schlecht mitarbeitende Patient

Ursachen der schlechten Mitarbeit

Der schlecht mitarbeitende Patient hat vielleicht die Situation und Anweisung trotz Aufklärung oder wegen schlechter Aufklärung nicht verstanden.

Möglicherweise konnte er nicht aufpassen, weil er sich während der Erklärungen des Arztes an- oder ausziehen musste, oder weil er durch ein Telefongespräch abgelenkt wurde, das Sie rasch zwischendurch geführt haben. Eine Helferin oder begleitende Familienmitglieder haben ihn vielleicht gestört.

Ein wichtiger und häufiger Grund für schlechte Mitarbeit ist Angst, zum Beispiel vor Krankheit, Leiden, Schmerzen, Nebenwirkungen bei Diagnostik und Therapie, Kritik, hohen Kosten, Allergien, Operation und Verlust des Arbeitsplatzes.

Die Dosierung der verordneten Medikamente spielt eine wichtige Rolle: Je häufiger der Patient das Medikament einnehmen soll, umso geringer ist die Zahl der Patienten, die es richtig machen. Bei einer einmaligen Medikamentengabe täglich nehmen 86% der Patienten zuverlässig ein, bei zwei Tabletten 60%, bei drei Tabletten 54% und bei vier Tabletten halten nur noch 26% die Therapie pünktlich ein.

Nur wenn ein Patient seine Medikamente sehr bewusst und überzeugt nimmt und die richtige Einstellung zu einer häufigen Dosierung hat wie zum Beispiel Patienten, die homöopathische Medikamente bevorzugen, können Sie mit einer besseren Einnahmeregelmäßigkeit rechnen.

Wenn die Einnahmeanweisung nicht klar ist oder vergessen wurde, wird der Patient verunsichert und nimmt vielleicht aus Angst vor einem Fehler lieber gar nichts. Oder er nimmt extra viel nach dem Motto „viel hilft viel“. Wenn er anruft, fühlen Sie sich gestört. Die Idee, den Beipackzettel zu lesen, haben nicht alle Patienten, und wenn sie ihn lesen, konzentrieren sie sich auf die Nebenwirkungen und sehen darin einen oder mehrere Gründe, nichts zu nehmen.

Vielleicht hat der Patient von anderer Seite Informationen, die Ihren Aussagen widersprechen. Die Laienpresse, der Nachbar und das Fernsehen versorgen die Menschen mit so vielen widersprüchlichen Nachrichten, dass der Patient sich nicht mehr entscheiden kann und dann lieber nichts nimmt.

Hat der Patient Angst, mit Ihnen über seine wirklichen Sorgen zu reden? Danach können Sie taktvoll fragen.

Haben Sie den Patienten bei der Festlegung des Vorgehens (Diagnostik oder Therapie) mit entscheiden lassen? Erfahrungsgemäß führen die Patienten eine Maßnahme nur dann konsequent durch, wenn sie entweder von Ihrem Vorschlag überzeugt sind oder sich mit Ihrer Meinung identifiziert haben.

Haben Sie den Patienten wirklich motiviert zur Mitarbeit? Haben Sie ihm die Vorteile der Therapie so geschildert, dass er sie voll annehmen konnte? Sind ihm die möglichen Nebenwirkungen bewusst, und ist er trotzdem überzeugt von der Therapie?

Fühlt sich der Patient in Ihrer Betreuung wohl? Hat er genügend Vertrauen in Ihr Wissen und Vorgehen? Haben Sie sich mit den negativen Gedanken des Patienten auseinandergesetzt und seine positiven gestärkt? Haben Sie seine soziale Lage berücksichtigt?

Folgen der schlechten Mitarbeit

Aus einem Artikel der New York Times vom 16.9.1992:

„Studien belegen, dass in den USA jedes Jahr 125.000 Menschen sterben, weil sie bei heilbaren Krankheiten die verordneten Mittel und Therapiemaßnahmen nicht richtig oder gar nicht angewandt haben. Mitte der 80-er Jahre hat die US-Handelskammer die durch Non-compliance [1] entstandenen Kosten auf ca. 15 Mrd. Dollar jährlich berechnet.

Die häufigsten Ausfälle sind bei den Patienten über 65 zu beobachten. 30 – 50% aller für diese Altersgruppe verschriebenen Mittel blieben unbeachtet. Jeder siebente Patient hörte vorzeitig auf, seine Medikamente wie vorgeschrieben einzunehmen, und etwa jeder dritte Patient lässt das Rezept nicht erneuern.

Manche Patienten hören mit der Medikation auf, um zu beobachten, ob die Krankheit verschwunden ist. Sie glauben, dass eine weitere Einnahme die Krankheit bestätigt. Chronisch Kranke möchten oft selbst Kontrolle über ihre Krankheit ausüben und die Medikation selbst steuern. Das wurde bei bis zu 42% der Epilepsie-Patienten beobachtet.

An der Universität Michigan wurde festgestellt, dass die Mitarbeit bei der Therapie der Hypercholesterinaemie [2] und des Hypertonus [3] bei Ärzten als Patienten noch schlechter war als bei allen anderen Patienten mit dem gleichen Krankheitsbild!“

Was machen Sie mit dem schlecht mitarbeitenden Patienten?

Sie können durch regelmäßige RR- und BZ- Kontrollen mit Ausweisen den Patienten anhalten, die Therapie und die Beobachtung regelmäßig zu gestalten. Auch Migränekalender, Tabellen, Notizen über den Verlauf und andere „Hausaufgaben“ sind sinnvoll. Sie vermitteln damit dem Patienten, dass Sie ihn ernst nehmen. Zeigen Sie Interesse an dem Patienten.

Fragen Sie den Patienten nach seinen Vorstellungen von Diagnostik und Therapie. Wenn Sie die Lösungsmöglichkeiten des Patienten individuell absprechen und seine Konfliktlösungen konstruktiv einbauen, haben Sie eine ganzheitliche Beratung erbracht, die mit dem vollen Vertrauen des Patienten belohnt wird. Denn er fühlt sich verstanden, hat an der Lösung aktiv mitgearbeitet und ist deshalb optimal motiviert, sein Rezept auch einzulösen.

Erklären Sie sachlich und anschaulich die Folgen seiner mangelhaften Mitarbeit und die möglichen Erfolge seiner guten Mitarbeit. Vermeiden Sie Schuldzuweisungen, und machen Sie dem Patienten kein schlechtes Gewissen, denn beides sind keine guten und anhaltenden Motive, etwas Positives zu unternehmen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Patienten oft sehr pfiffige Ideen haben, auf die ich nicht komme. Das erhöht den Spaß des Patienten, auch etwas zur Therapie beizutragen, denn er wird gefordert und damit gefördert.

Loben Sie die kleinste Verbesserung der Mitarbeit. Geben Sie dem Patienten das Gefühl, dass er es geschafft hat. Das können Sie auch vor den Verwandten tun. Zeigen Sie Ihre Freude. Das freut nicht nur den Patienten, sondern es gibt Ihnen selbst mehr Motivation für den Tag.

 

[1] Fehlende Mitarbeit

[2] Zu hoher Cholesterinspiegel im Blut

[3] Zu hoher Blutdruck

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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