Die Ratgeber sollen Hoffnung vermitteln

 

Die Hoffnungen guter Menschen sind Prophezeihungen, die Besorgnisse schlechter sind es auch.

Ludwig Börne (1786-1837), deutscher Publizist, Fragmente und Aphorismen

Man darf das Schiff nicht an einen einzigen Anker  und das Leben nicht an eine einzige Hoffnung binden.

Epiktet (50-138 n. Chr.), griechischer Philosoph

Man lebt nicht, wenn man nicht für etwas lebt.

Robert Walser (1878-1956), schweizerischer Schriftsteller

21.1 Die Hoffnung und ihre Grenzen in uns 

Kranke und deren Angehörige brauchen Menschen, von denen sie sich beraten lassen und auf deren Sachverstand und menschliches Einfühlungsvermögen sie sich verlassen können. Von diesen Ratgebern hängt sehr viel ab: nicht nur die sachliche Information, son-dern auch die richtige und situationsgerechte Verarbeitung der Botschaften. Die Art und Weise, wie die Ratgeber Informationen mitteilen, ist oft viel wichtiger und folgenschwerer als die reine Information.

Suchen Sie sich deshalb zuversichtliche und hoffnungsvolle Ratgeber, und vertrauen Sie dann auf den Therapeuten und die Ratgeber, die Sie gewählt haben. Ein guter Therapeut ist ein Mensch, der dem Patienten und den Teammitgliedern auch bei einer tödlichen Diagnose noch Hoffnung aufzeigen kann. Das kann er nur, wenn er selbst diese Hoffnung hat!

Wer ganz hoffnungslos ist, sollte zu einem Therapeuten gehen, schon allein, um mit sich und dem Patienten wieder hoffnungsvoller umgehen zu können. Der Patient merkt es, wenn die Teammitglieder keine Hoffnung mehr haben, und das entmutigt ihn nur noch mehr.

Außerdem ist Hoffnungslosigkeit auch für die Angehörigen eine kaum zu ertragende Last, durch welche der oft schon schwierige körperliche Zustand für den Kranken noch erheblich erschwert wird. Das Risiko des totalen Zusammenbruches eines Helfers wird durch Hoffnungslosigkeit und das Gefühl des Sinnlosigkeit und des Ausgebranntseins erheblich gesteigert. Dann müssen die Teammitglieder noch einen Patienten mehr versorgen. Das muss durch kluge Einsicht in die Kraft und die Grenzen der einzelnen Personen vermieden werden.

Ein Mensch kann nicht über längere Zeit völlig ohne Hoffnung leben. Jemand, der dem Patienten jede Hoffnung nimmt, entzieht ihm die seelische Grundlage zum Leben und beschleunigt damit die Resignation des Kranken und die negative Entwicklung des Krankeitsverlaufs.

21.2 Ein Beispiel erlebter Hoffnung 

Bei dem 46-jährigen Herrn Fahrer wurde ein nicht operierbarer Hirntumor festgestellt. Er bekam schwere Schwindelanfälle und Orientierungsstörungen sogar im eigenen Haus und konnte sich weder in der vertrauten Stadt noch zu Hause zurechtfinden. Dann wurde er in den nächsten Monaten blind, da der Tumor auf den Sehnerv drückte. Seine Frau musste ihn ständig begleiten. Das Ehepaar hatte ein behindertes Kind in der Pubertät, ein gesundes zehnjähriges Mädchen und einen kleinen Säugling. Diese kurze Schilderung zeigt schon die erdrückende Problematik und Tragik der Familie.

Nachdem ein besonders „einfühlsamer“ Oberarzt in der Klinik beim Betrachten des Computertomogramms jede Hoffnung auf Genesung zerstört hatte mit dem Satz „Da können Sie gleich wieder nach Hause gehen, Sie sind nicht zu retten!“ versuchten wir, Herrn Fahrer zu Hause so weit wieder aufzubauen, dass er in den nächsten Monaten noch bewusst seine Familie erleben und sich daran freuen konnte, wie der kleine Säugling heranwuchs und von der mittleren Tochter und der Mutter betreut wurde. Er sah hoffnungsvoll, dass sich die Familie nach seinem Tod weiter gut versorgen könnte.

Er schaffte es auf meine Anregung hin, wesentliche Gespräche mit den Familienmitgliedern zu erledigen und sein Leben aufzuräumen. Dann führte er ein entscheidendes und klärendes Gespräch mit seinem Chef, der ihn schwer gekränkt hatte. Diese Unterredung hat den Patienten sehr erleichtert. Da kam Hoffnung auf ein Abschiednehmen vom Arbeitsplatz und von der Familie auf, erfüllt von innerem Frieden.

Schließlich ließen seine Kräfte nach, und Herr Fahrer konnte nicht mehr aufstehen. Er sagte zu mir: „Ich hoffe, dass ich in Frieden zu Hause sterben darf.“ Auch da war die Hoffnung. Eine Klinikeinweisung kam nicht in Frage. Alle Beteiligten waren bereit, Herrn Fahrer zu Hause zu betreuen, und hofften, dass der Übergang gnädig sein möge. Ich besuchte ihn am Schluss dreimal täglich, einfach, um ihm zeigen, dass ich für ihn da war. Seine Frau war sehr dankbar dafür, dass sie von den Geschwistern des Mannes viel Hilfe bekam.

Eines Nachmittags war es so weit. Alle seine Geschwister waren im Zimmer. Seine Ehefrau saß am Sofa, auf das er sich gelegt hatte. Der Pfarrer und ich saßen daneben. Ich werde den Frieden und die Ruhe nie in meinem Leben vergessen, die ich in diesen Stunden spürte. Es wurde über ein oder zwei Stunden überhaupt nichts gesprochen. Außer der liebevoll streichelnden Bewegung der Ehefrau über den Kopf ihres Mannes bewegte sich nichts im Zimmer. Alles war gesagt. Jetzt galt es, ganz bewusst und wach diesen Moment zu leben und zuzulassen, ihn auszuhalten und die geradezu unheimliche Größe des Au-genblicks und die Freude zu fühlen, dass ER es gut mit ihm gemeint hatte. Ich beobachtete, wie die Atemzüge Herrn Fahrers in den Armen seiner Frau langsamer und langsamer wurden. Dann war ganz sacht einfach kein nächster Atemzug mehr da. Das war für mich erfüllte Hoffnung.

Copyright Dr. Dietrich Weller

Der Artikel steht in meinem Buch „Wenn das Licht naht“

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