Kinder in der Arztpraxis und Klinik
Als Kinderarzt liegt mir dieses Thema sehr am Herzen. Nicht nur, weil ich Kinder mag und sie in der Praxis und Klinik auch gut versorgt werden sollen, sondern weil der Umgang mit Kindern die Kinder und ihr künftiges Verhalten dem Arzt gegenüber entscheidend prägt.
Auch wenn Sie nicht Kinderarzt sind, werden Sie als Hausarzt doch häufiger Kinder in der Praxis haben, und im Sonntagsdienst werden Sie nicht daran vorbeikommen, sich mit Kindern auseinanderzusetzen. Deshalb möchte ich ein paar grundlegende Gedanken vortragen.
Begrüßen Sie das Kind genauso freundlich und offen mit Namen wie einen Erwachsenen.
So wie Sie beim Erwachsenen die Namen der Angehörigen und deren Telefonnummern bei Bedarf auf die Karteikarte notieren, können Sie bei Kindern die Namen der Lieblingspuppe oder des Lieblingstieres aufschreiben. Ich weiß noch ganz genau, wie das kleine Mädchen sich gefreut hat, als ich beim nächsten Besuch nach Monika, dem Lieblingsbär, gefragt habe. Damit haben Sie hervorragende Anknüpfungspunkte, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Und Sie gewinnen Sympathie wie bei den Erwachsenen auch, wenn Sie den Gesprächspartner nach seinen Interessen fragen.
Lassen Sie sich auf ein Gespräch mit dem Kind ein, und vermitteln Sie dem Kind, dass Sie es ernst nehmen. Fragen Sie nach seinen Beschwerden, auch wenn vielleicht die Angaben nicht so exakt sind wie die der Mutter.
Gehen Sie bei der Begrüßung und bei dem Gespräch auf Augenhöhe mit dem Kind! Reden Sie nicht „von oben herab“.
Lachen Sie mit den Kindern in der Praxis und bei einem Hausbesuch, wenn es einen netten Anlass dafür gibt. Das entspannt nämlich nicht nur das Kind, sondern auch Sie selbst. Sie haben genügend mit ernsten und schwierigen Dingen zu tun. Da können Sie allen Beteiligten ein herzhaftes Lachen gönnen.
Ihr Umgang mit dem Kind zeigt dem Kind, wie es ihm in Krisensituationen ergehen kann: Wirken Sie dann wie ein vertrauensvoller Helfer oder eher wie eine Bedrohung für das Kind? Sie können in dieser Situation das Vertrauen der Begleitperson und des Kindes gewinnen oder verlieren. Ihr Verhalten entscheidet über Ihr Ansehen als Arzt und über die Art der Werbung, die Kind und Eltern anschließend für oder gegen Sie machen.
Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis. Die Dreijährige sagt zu Hause zu ihrem Papa, nach-dem ich ihr einen Abszess eröffnet und sie sich schreiend gewehrt hatte:
„Der Onkel Doktor ist lieb. Er hat `Schätzle´ zu mir gesagt!“
Da die Kinder noch weit gehend unverbildet sind, spüren sie sofort, ob das Verhalten des Arztes echt ist. Deshalb sollten Sie sich echt verhalten. Denn Kinder zeigen noch unver-brämt, was sie von jemandem halten, der unehrlich ist.
Wenn ein Eingriff weh tut, sagen Sie es vorher! Wenn Sie lügen, haben Sie Ihr Vertrauen auf lange Zeit verspielt. Ein Kind, das Ehrlichkeit erlebt, lernt den Wert der Ehrlichkeit kennen und lernt Vertrauen.
Erklären Sie vorher in Ruhe, was Sie tun wollen, auch wenn Sie „nur“ in die Nase oder in den Mund schauen wollen. Kinder wollen genauso informiert werden wie Sie als Erwachsener. Auch bei Kindern gilt der Satz:
Nur ein informierter Patient kann kooperativ sein!
Beantworten Sie Fragen klar und verständlich. Zeigen Sie Ihre Gefühle. Kinder können das noch besser verstehen als Erwachsene.
Gewöhnen Sie sich kindgerechte Erklärungen an für Ihre Handlungen:
„Ich möchte jetzt hören, ob Dein Herz richtig klopft.“
„Ich möchte mal fühlen, was in Deinem Bauch los ist, warum Du so Durchfall hast.“
„Bei Deiner Ohrentzündung müssen die Nasentropfen richtig in den Hals hinten rein laufen, dann kann der Schleim aus dem Ohr in den Hals laufen. Wenn die Nasentropfen ein bisschen im Hals kitzeln, ist das richtig so.“
„Ich male Dir eine Sonne auf das Pflaster, die Dich immer anlacht.“
Lassen Sie die Kinder Ihre Instrumente in die Hand nehmen und damit spielen. Erklären Sie die Funktionen. Dann verlieren die Kleinen die Angst davor. Ich lasse die Kinder manchmal auch an meinem Herz horchen. Das schenkt Vertrauen und zeigt den Kindern im eigenen Erleben, worum es mir eigentlich beim Abhören geht. Wärmen Sie das Stethoskop an, wenn es kalt ist, damit sie das Kind nicht erschrecken. Sie wollen auch keine kalte Ärztehand auf Ihrem Bauch.
Lassen Sie sich den Spielzeug-Arztkoffer des Kindes zeigen oder mitbringen. Wenn Sie von „Kollege zu Kollege“ reden, entspannt sich die Situation. Schenken Sie dem Kind vielleicht eine Spritze (ohne Nadel natürlich!), die in seinem Koffer noch fehlt, ein Kinderpflaster oder einen Mundspatel.
Sie können mit den Instrumenten auch ein paar kleine Zaubertricks einbauen. Wenn ich zum Beispiel auf meinen Ohrspiegel puste, geht mit einem Zauberspruch immer das Licht an. Das Kind sieht meist nicht, dass ich gleichzeitig das Licht eingeschaltet habe. Dann lasse ich das Kind eine Weile selbst probieren. Und wenn es nicht auf den Trick kommt, verrate ich den Zaubertrick, aber „natürlich nur unter uns beiden!“
Sie können ein Kind fragen, ob es den Mund ganz weit aufmachen will, damit Sie kein „Stäbchen“ (Mundspatel) brauchen, um die Zunge herunterzudrücken. Meistens klappt das ganz gut.
Wenn Sie ein Rezept schreiben, können Sie es dem kleinen Patienten auch freistellen, ob er lieber Saft, Tabletten, Tropfen oder ein Zäpfchen haben will. Dadurch steigt die Mitarbeit.
Probieren Sie mal die Säfte, die Sie aufschreiben! Dann wissen Sie, welche Sie in Zukunft bevorzugt rezeptieren. Verschiedene Darreichungsformen derselben chemischen Substanz schmecken ganz verschieden.
Bedanken Sie sich bei dem Kind, wenn es sich hat untersuchen lassen, auch wenn es geweint hat. Haben Sie Verständnis für Tränen, und lesen Sie bitte meine Artikel über den Umgang mit trauernden und weinenden Patienten.
Halten Sie eine kleine Belohnung für die Kinder bereit, die nicht klebt und nicht bröselt. Das „Markenzeichen“ meines Vaters in seiner Kinderarztpraxis waren die Langenburger Wibele, von denen die Patienten heute noch schwärmen. In meiner Praxis gab es die bunt eingepackten Traubenzuckerstückchen, weil ich die hervorragende Idee meines Vaters nicht nachahmen wollte. Ich sah deshalb manches enttäuschte Gesicht von Kindern aus der Praxis meines Vaters, die er nach dem 16. Lebensjahr zu mir zur Weiterbetreuung geschickt hat.
Diese Traubenzuckerstückchen habe ich immer benützt, um z. B. bei der U8 einen Farbtest zu machen und ein Gespräch über die Verkehrsampel zu führen. Ich lasse die Farben der Ampel erklären, eine Ampel bauen und die Funktionen beschreiben. Dabei prüfe ich gleich die Sprache mit. Und wenn das Kind dann zum hintersten Eck der Untersuchungsliege hochsteigen, die drei Stückchen alleine holen und wieder herunterklettern kann, sehe ich die motorische Geschicklichkeit des Kindes. Dann hat das Kind den „ganz großen Kindergartentest“ bestanden und darf die Traubenzucker behalten. Die cleveren Kinder kommen dann beim nächsten Mal wieder und wollen „noch eine Ampel bauen“.
Ich habe bei Kindern, die ich impfen oder aus einem anderen Grund mit einem Verband oder einem Pflaster versorgen musste, oft Erfolg gehabt mit einer aufgemalten Sonne, die lacht. Dann schmerzt es gleich nur noch halb so stark oder gar nicht mehr. Wichtig ist, dass sie die Sonne so malen, dass sie das Kind anlacht, wenn es auf das Bild schaut.
Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.