Es ist unbestritten, dass alles in dieser Welt wenigstens zwei Seiten hat und es viele Zwischenstufen gibt: Tag und Nacht, Winter und Sommer, heiß und kalt, Liebe und Hass – und Frieden und Krieg.
Wir können auch etwas dafür tun, dass das Eine in das Andere übergeht: Wir können ein Licht in der Finsternis anzünden, das Eis zu Trinkwasser aufwärmen und Frieden schließen, wenn es gekracht hat. Aber so wie wir Energie zufügen oder wegnehmen, bleibt die Summe der Energie gleich. Wir schaffen nur eine Verschiebung. Das ist physikalisch richtig.
Jeder von uns hat Liebe und Feindseligkeit in sich. Je nach Wesen verschiebt sich die Darstellung nach außen, aber die Feindseligkeit fehlt dem Liebenden nie, und die Liebe ist auch dem Feindseligsten eigen, nur eben mehr oder weniger verdrängt. Wenn wir eine Münze nehmen, haben wir immer beide Seiten in der Hand, auch wenn wir im Moment nur eine betrachten.
Unsere Reaktion hängt davon ab, wie wir angesprochen werden. Und je nach dem, wie wir reagieren, bewirken wir eine entsprechende Reaktion im Anderen. Der Erfolgreiche ruft regelmäßig Neid hervor, denn die Kehrseite des Erfolgs heißt Neid. Und Frieden zieht Aggression auf sich wie das Licht die Motten.
Nichts ist für Fanatiker so schwer zu ertragen wie ein friedliebender Politiker, der seinen Frieden mit-teilen und verbreiten will. Deshalb sind charismatische Menschen in der Politik so gefährdet, wenn sie gesellschaftliche Veränderungen bewirken wollen. Die Liste der Ermordeten unter ihnen ist lang: Ich will nur einige der bekanntesten nennen: Jesus, Mahatma Ghandi, Martin Luther King, die Kennedy-Brüder, Izhak Rabin, Anwar el Sadat, Olof Palme und viele andere. Und deshalb ist auch Barrack Obama der bestbewachte Mensch auf dieser Welt. Hoffentlich bekommt er genügend Zeit, seine Ziele umzusetzen! Und dass Nelson Mandela bis heute überlebt hat, ist für mich ein Wunder.
Ich habe ein trauriges Bild und einen guten Gedanken erlebt. Vor vielen Jahren ging ich in Paris an einem Sommertag eine Ladenstraße entlang. Vor jedem Geschäft stand ein großer Betonkübel mit einem Baum darin. Alle Bäume waren verdorrt. Ein Kind sagte: „Es ist doch ganz einfach. Wenn jeder nur den Baum vor seinem Geschäft gießt, blühen alle Bäume!“
Wenden wir den Gedanken auf die Verbreitung von Frieden an: Selbst wenn jeder von uns es schaffen würde, immer friedlich zu sein –und das halte ich für eine sehr unwahrscheinliche Hypothese!-, was geschieht dann mit der Aggression? Wohin wird sie verdrängt? Ich denke, wir können sie gar nicht weit genug verdrängen, denn sie wohnt angeboren in uns. Wir nehmen sie wie alle Eigenschaften und Probleme mit, wohin wir auch gehen.
Klar ist: Bevor nicht jeder in sich Frieden hat, kann es auch außerhalb von uns keinen Frieden geben. Denn wir sind miteinander verbunden und reagieren aufeinander, selbst wenn wir das nicht wollen.
Deshalb meine Frage:
Können wir tatsächlich Frieden verbreiten, oder streben wir neurotisch einem Ziel hinterher, das wir definitionsgemäß und unserer Art entsprechend gar nicht erreichen können?
Copyright Dr. Dietrich Weller
Diesen Text habe ich im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2012 veröffentlicht.