„Für mich gibt es keine schwierigen Patienten und keine schwierigen Angehörigen, es ist die Situation, die schwierig ist und gemeistert werden muss.“
Monika Scheyhing, Krankenschwester im ambulanten Pflegedienst
Stellen wir uns einmal vor, ein alter Mensch lebt in seinem Haus, wird von Angehörigen mitbetreut, und er braucht immer mehr Pflege, die auch von den Angehörigen nicht mehr oder nicht mehr vollständig geleistet werden kann.
Bereits bei dem ersten Besuch der Krankenschwester kann sich entscheiden, wie die Pflege vorläufig ablaufen wird: Vertrauensvoll, misstrauisch, distanziert, ablehnend. Ist der Patient auf den Besuch vorbereitet? Ist er der Pflege gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt? Will der Patient überhaupt die Leistung, die seine Angehörigen für ihn angefordert haben?
Deshalb ist es sinnvoll, wenn die zuständige Pflegedienstleiterin zuerst einen Besuch zum Kennenlernen und Besprechen der wichtigsten medizinischen und menschlichen Einzelheiten macht. Auch hier muss wie beim Arzt eine Vorgeschichte erhoben werden, damit die weitere Versorgung möglichst reibungslos und medizinisch korrekt ablaufen kann. Und die Vertrauensbrücke muss aufgebaut werden zwischen dem Patienten, den Angehörigen und dem Pflegepersonal. Denn die Angehörigen, die bis jetzt die Pflegenden waren, müssen den Patienten zumindest teilweise in fremde Hände geben. Das kostet Überwindung, und dazu ist sehr viel Vertrauen nötig, das im Laufe der Wochen heranwachsen muss.
Und der Patient, der in seiner gewohnten Umgebung lebt, muss sich unbekannten Personen gegenüber öffnen, und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes: Er muss sich nackt ausziehen, am ganzen Körper berühren, waschen, baden, auf die Toilette begleiten lassen. Er gibt seine Intimität preis. Auch um diese oft sehr peinlichen Situationen gut zu meistern, muss unbedingt von Anfang der ambulanten Pflege ein möglichst vertrauensvolles Verhältnis geschaffen werden. Manche Patienten haben Angst, wenn sie von Fremden gebadet werden. Hier ist es wichtig, dass sich die Pflegekraft möglichst an das Tempo des Patienten anpasst und nicht umgekehrt. Das ist meist für beide Teile schwierig.
Es muss in den ersten Tagen und Wochen abgeklärt werden, ob der Patient das Angebot in dem Umfang annehmen will, wie es ihm angeboten wurde oder wie es die Angehörigen vereinbart haben. Manchmal wollen die Patienten gar keine Hilfe haben, und der Hilfeschrei kommt von den Angehörigen, die sich überfordert fühlen mit der Betreuung oder erkennen, dass der Patient seine Lage gar nicht richtig einschätzen kann, z.B. bei einer zunehmenden Demenz. Die Überzeugungskraft der Schwester und ihre fachliche und menschliche Kompetenz sind hier sehr wichtig, um dem Patienten die Notwendigkeit der Pflege verstehbar zu machen. Sinnvoll ist es, bei anfänglichen Unstimmigkeiten einen Pflegeversuch über mehrere Tage anzubieten und dem Patient und der Schwester eine Chance zu geben, sich auf die neue Situation einzustellen. In jedem Fall ist es wichtig, den Patienten anzunehmen und mit ihm verständnisvoll umzugehen. Das gilt besonders für alle Situationen, in denen die Schwester und der Patient nicht miteinander zurechtkommen.
Eine Hilfe zum Verständnis und zur Bewältigung der problematische Lage ist folgende Überlegung: Alte Menschen und manchmal auch jüngere Kranke (zum Beispiel beim Schlaganfall) verlieren meist ihre Eigenschaften in umgekehrter Reihenfolge wie sie diese in der Kindheit erworben haben. Zuerst lernt das Kind hören (bereits ab der 10. Schwangerschaftswoche!), dann saugen [1] und sich zu bewegen (bereits früh im Mutterleib), nach der Geburt braucht es eine Windel und kann sich außer durch Schreien nicht bemerkbar machen. Es ist zuerst einmal voll auf annehmende und vollständige Pflege angewiesen. Dann lernt es zu krabbeln und zu gehen, den Stuhlgang und den Urinabgang zu kontrollieren und zunehmend Laute zu produzieren und bildet daraus die Sprache seiner Umwelt. Im Alter lassen meist zuerst Stuhl- und Urinkontrolle nach, die Patienten brauchen wieder Windeln. Dann werden die geistigen Vorgänge schwächer, weniger konzentriert, und die körperlichen Fähigkeiten mit Gehen, Greifen, Feinmotorik lassen nach. Der Patient braucht zuerst einen Rollator (also ein Gerät, das ihn beim Gehen unterstützt wie die Mutter den Säugling), dann einen Rollstuhl (wie der Säugling den Kinderwagen), und schließlich ist er wieder ganz bettlägerig und voll auf Pflege und verständnisvolle Fürsorge angewiesen wie der Säugling. Parallel zu dem Verlust der Mobilität nimmt krankheitsbedingt meist auch die Fähigkeit wieder ab, sich selbst zu ernähren.
Die Angehörigen brauchen die Gewissheit, dass ihr Patient weiterhin gut oder sogar besser versorgt wird. Der Patient kann sich nur wirklich pflegen lassen, wenn er sich dabei als Mensch angenommen fühlt. Und die Krankenschwester kann nur entspannt und gern ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie dieses Vertrauen der Angehörigen und des Patienten spürt. Dabei gibt es verschiedene Menschen: Die einen wollen eher Distanz, die anderen eher Nähe. Die einen können Nähe nicht oder nur zu sehr wenigen Mitmenschen zulassen, die anderen haben Schwierigkeiten, auf Distanz zu bleiben. Hier ist es wichtig für das Pflegepersonal, ein Mittelmaß zu finden, das den Patienten und den Schwestern eine vertrauensvolle und professionelle Arbeit ermöglicht. Zu viel Nähe und zu viel Distanz sind hemmend für eine gute Pflege. Natürlich könnte die Schwester ihre Aufgabe als rein technische Handreichung absolvieren, aber das würde eher dem oft karikierten Zustand der Still-Satt-Sauber-Pflege entsprechen, der davon ausgeht, dass es sich nicht um Menschen mit Bedürfnissen, Sorgen, Freude und Mitteilungsbedürfnis und Streben nach Geborgenheit handelt, sondern um Menschen, die Essen brauchen und dies auch wieder ausscheiden und die möglichst still sein sollen, damit sie niemanden stören. Gerade aber die Bedürfnisse der Menschen muss eine gute Krankenschwester oder ein guter Krankenpfleger spüren und so weit wie möglich darauf eingehen. Dabei auch noch objektiv die richtige Pflege zu leisten, ist manchmal schwierig, weil die Patienten subjektiv zuweilen etwas anderes wollen oder die Pflege ganz ablehnen.
Es wird auch immer wieder Schwierigkeiten geben oder Anlaufprobleme, wenn neue Pflegekräfte ins Haus kommen, die der Patient noch nicht kennt. Diese Momente der Spannung können gemildert werden, wenn die Vertrauensperson des Patienten aus der Familie bei diesen Begegnungen einfach dabei bleibt und damit eine Vertrauensbrücke bildet.
In jedem Fall ist es wichtig und hilfreich, wenn die Angehörigen um den Patienten herum ein Team bilden, in dem jeder seinen Platz, seine Aufgaben und seine Verantwortung hat. Wie dies geschehen kann, habe ich ausführlich in meinem Buch „Wenn das Licht naht – Der würdevolle Umgang mit schwer kranken, genesenden und sterbenden Menschen“ beschrieben.
Für die Pflegenden ist es wichtig, sich auch in der Umgebung, in der sie arbeiten, wohl und anerkannt zu fühlen. Deshalb sollten die Angehörigen und wenn möglich der Patient ihren Teil dazu beitragen, dass die Pflegekräfte gern kommen. Ein gutes Wort, eine ehrliches Danke, ein freundliches Lächeln sind eine wertvolle (und kostenlose!) Anerkennung an die Pflegepersonen. Sie können sich als Angehörige natürlich auf den Standpunkt stellen, dass Sie nicht danke sagen müssen für einen Dienst, der bezahlt wird. Aber wie würde es Ihnen gehen an Stelle der Schwester? Ich habe jedenfalls gelernt, dass der Beruf der pflegenden Schwester einer der schwierigsten und sozial am geringsten geschätzten ist.
Konflikte in der ambulanten Pflege können mannigfaltig auftreten. Schauen wir einige davon an.
Finanzielle Probleme
Da die Krankenkassen immer weniger Geld haben und die stationäre Pflege in Krankenhaus und Pflegeheim immer teurer wird, nimmt die Zahl der zuhause gepflegten Menschen stetig zu. Und es ist gesetzlich geregelt, dass die Angehörigen und Pflegeheime, die diese Pflege übernehmen, dafür Pflegegeld erhalten. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) legt die Pflegestufe fest, nach der diese Beträge bemessen werden.
Der Patient oder seine Angehörigen können bei dem örtlichen Pflegedienst entsprechende Besuche für die Pflege anfordern, und die zuständige Pflegedienstleitung bespricht den Leistungsumfang, der nötig ist. Dabei kann der Hausarzt die so genannte Behandlungspflege, z. B. Spritzen, Medikamente und Verbandswechsel, Kompressionsstrümpfe anziehen auf Rezept verordnen, das von der Krankenkasse genehmigt werden muss, und dann erst wird diese Leistung des Pflegedienstes von der Kasse bezahlt. Schon hier tauchen die Schwierigkeiten auf, weil die Formulare manchmal nicht richtig ausgefüllt sind und der Pflegedienst den Papieren hinterher laufen muss.
Von der Pflegedienstleitung wird mit den Angehörigen des Patienten oder mit dem Patienten selbst vereinbart, welche Leistungen die Pflege erbringen soll. Und dieser Pflegeumfang sollte möglichst durch den Pflegebetrag gedeckt sein, der von der Pflegeversicherung bezahlt wird.
Nehmen wir ein paar typische Leistungen: In der Pflegesprache bedeutet eine „große Toilette“ ausziehen, Ganzkörperwäsche, rasieren, kämmen, Mund- und Zahnpflege, Atemübungen, Mobilisation der Gelenke, bei Bedarf Windelwechsel, eincremen am ganzen Köper, Transfer aus dem Bett und ins Bett zurück, Bett machen. Das darf etwa zusammen 30 Minuten in Anspruch nehmen. Wenn man überlegt, dass es schon sehr zeitaufwändig ist, einen pflegebedürftigen Menschen auszuziehen, besonders wenn er einseitig gelähmt ist (Schlaganfallpatienten zum Beispiel) und noch dazu übergewichtig und nicht oder nur sehr eingeschränkt mithelfen kann, dann ist leicht verstehbar, dass die Schwester schnell sein muss, um ihre Zeitvorgabe bei dem großen Pensum einzuhalten.
Die „kleine Toilette“ umfasst das übliche Abendprogramm: Gesicht und Hände waschen, Mund- und Intimpflege. Dafür sind 15 – 20 Minuten veranschlagt. Dann kommen noch die Mobilisation (10 Minuten) und die Lagerung (10 Minuten) bei bewegungsunfähigen und hautempfindlichen Patienten zum Schutz vor Aufliegen dazu, außerdem Transfer aus dem Bett und ins Bett zurück, Bett machen.
Nehmen wir ein Beispiel: Wenn eine Frau oder ein Mann von dem MDK Pflegestufe 2[2] erhalten hat, reicht das Pflegegeld schon nicht mehr aus, wenn sie täglich einmal eine „große Toilette“ und einmal täglich eine „kleine Toilette“ erhält. Sie muss also zuzahlen. Wenn die Patientin das kann, ist es ja noch akzeptabel. Andernfalls müssen Angehörige einspringen. Oder der Leistungsumfang muss so reduziert werden, wie es eben noch verantwortbar ist. Manche Leistungen können vielleicht teilweise von Angehörigen übernommen werden wie zum Beispiel das Richten der Medikamente, oder die Leistungen werden eben nicht täglich, sondern nur zwei- oder dreimal wöchentlich ausgeführt.
Häufig taucht die Frage auf: Will der Patient die Leistung noch, wenn er weiß, was sie kostet? Früher war die Pflege kostenlos, oder die Patienten waren in einem Pflegeverein, über den die Pflege gesichert war. So kommt es, dass manche Patienten bestimmte Leistungen gar nicht haben wollen, die von den Angehörigen mit der Pflegedienstleitung vereinbart wurden. Hier muss Überzeugungsarbeit geleistet werden, und die Verhandlungen der Angehörigen und des Patienten mit der Pflegedienstleitung sind manchmal schwierig. Hier kann die betreuende Schwester eine überzeugende Vermittlerfunktion übernehmen. Letzten Endes entscheidet aber der Patient, wenn er noch voll geschäftsfähig ist, was er an Leistungen erhält. Man kann ja einen Patienten nicht gegen seinen erklärten Willen pflegen.
Durch die meist engen finanziellen Grenzen folgt das nächste Problem.
Es gibt (zu) wenig Zeit für Zuwendung und Gespräche.
Natürlich sollte die Schwester die Zeit der Pflege nützen, um nebenher mit dem Patienten zu sprechen. Aber ein ruhiges Gespräch ohne gleichzeitige pflegerische Handlungen ist praktisch nicht möglich, weil dies im Leistungskatalog der Pflege nicht vorgesehen ist. Wenn man bedenkt, dass es viele allein lebende Menschen gibt, die kaum Zuwendung erhalten und für die der Besuch der Schwester der einzige menschliche Kontakt am Tag ist, hat die so programmierte Pflege nicht mehr sehr viel mit der Form von Zuwendung zu tun, die wir uns alle wünschen, wenn wir alt und hilfsbedürftig sind.
Abgesehen von den Erwartungen und dem Anspruchsdenken, die der Patient an die Schwester hat, stellen die Angehörigen oft zeitliche und pflegerische Forderungen, die bei dem vorgegebenen Finanz-Zeit-Korsett einfach nicht erfüllbar sind.
Die Pflegenden müssen sorgfältig darauf achten, dass ihre Gutmütigkeit, kleine Handreichungen zu erledigen, die nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören („Könnten Sie kurz in den Briefkasten schauen? Und würden sie meine Blumen gießen?“), nicht ausgenützt wird. Auch hier können ältere Menschen wie Kinder reagieren: Sie probieren aus, wo die Grenzen sind. Aufklärende Gespräche und klare Vereinbarungen über die finanziellen und zeitlichen Vorgaben sind unerlässlich. Die meisten Menschen reagieren darauf mit Verständnis. Wichtig ist dann, dass der Pflegedienst diese Abmachungen konsequent einhält, auch wenn beim nächsten Besuch eine andere Schwester kommt, bei der die Patienten versuchen, die Vereinbarung zu unterwandern. Sorgfältige Informationsübergaben im Pflegeteam sind nötig und Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf.
Erschwert wird die Situation, wenn z. B. die Patientin von mehreren Diensten betreut wird: Zivildienstleistende fahren sie zum Arzt, eine Hilfe sorgt für den Haushalt, eine privat bezahlte Nachtwache und die Krankenschwestern, die mehrfach täglich kommen, bilden zusammen ein Netz. Darin kann sich die Patientin geborgen fühlen oder -um im Bild zu bleiben- alle zappeln lassen wie die Spinne, die mit ihren feinen Fühlern kleinste Unsicherheiten und Bewegungen rundherum spürt und sofort nützt.
Die zur Verfügung stehende Zeit muss gut und sinnvoll genützt werden. Umso wichtiger ist es, dass die Schwester ihr wichtigstes Kapital, nämlich ihre Hände, einsetzt, um dem Patienten das Gefühl zu geben, dass er im ursprünglichen Sinne be-hand-elt wird. Der Patient soll spüren, dass er in guten Händen ist. Hautkontakt ist ein wichtiges seelisches Heilmittel.
Dabei sind die inzwischen festgeschriebenen Standards der Hygiene in der Pflege manchmal hinderlich: Es ist für viele Schwestern inzwischen Routine, sofort bei ihrem Eintritt in die Wohnung Handschuhe und Schürze anzuziehen. Wer will schon mit Handschuhen angefasst werden, wenn es um eine zwischenmenschliche Begegnung geht? Im häuslichen Bereich ist die Ansteckungsgefahr wesentlich geringer als im stationären.
Und die Schwester sollte immer mit dem Patienten sprechen, auch wenn sie nicht alles versteht, was der Patient sagt, z. B. bei Aphasikern, Parkinson- oder Multiple-Sklerose-Patienten. Das ist besonders wichtig, wenn der Patient selbst nicht mehr antworten kann. Die Berührungen beim Waschen und Eincremen, beim Umsetzen in den Rollstuhl, bei der Lagerungsbehandlung und Mobilisation müssen angekündigt werden. Ich erlebe regelmäßig auf der Frührehabilitationsstation, dass die Pfleger und die Schwestern gerade bei den bewusstseinsgestörten Patienten immer alles ankündigen, was sie jetzt gleich machen werden. Auch bei einem Wachkoma sagen sie: „Jetzt nehme ich ihren linken Arm und wasche ihn.“ – „Jetzt werde ich die Decke hochziehen.“ Und ich habe mir schon lange angewöhnt, auch bei diesen Patienten „Guten Morgen“ zu sagen und „Ich möchte Ihnen Blut abnehmen.“ Wir gehen davon aus, dass auch Wachkoma-Patienten ihre Umwelt wahrnehmen, zumindest die Stimmung. Eine stumme Pflege ist neutral und entspricht nicht einer wünschenswerten Zuwendung.
Sexualität in der Pflege
Es sollte berücksichtigt werden, ob sich ein Mann lieber von einem Mann oder einer Frau pflegen lässt, und ob eine Frau sich lieber einem männlichen Pfleger oder einer Krankenschwester anvertraut. Immer wieder ist es so, dass sich ältere Frauen schwer tun, sich von männlichen Pflegekräften betreuen zu lassen, besonders wenn es sich um die Intimpflege handelt. Dass das Berufsbild der Krankenschwester auch von einem Mann kompetent ausgeübt werden kann, ist in der älteren Generation noch nicht verwurzelt. Älteren Männern fällt es oft leichter, sich von Frauen betreuen zu lassen, weil es als normal empfunden wird, dass dies die Aufgabe einer Krankenschwester ist.
Die Ablehnung der Patienten, sich im Intimbereich waschen zu lassen, kann manchmal dadurch umgangen werden, dass die Schwester die Patienten dazu anhält, ihren Intimbereich selbst zu waschen, solange die Patienten dazu noch in der Lage sind.
Es gibt immer wieder Berichte über sexuelle Belästigung der Krankenschwestern durch männliche Patienten. Nach Angaben von erfahrenen Krankenschwestern sind die Annäherungsversuche direkt abhängig von der Unerfahrenheit und Unsicherheit der Schwestern im Auftreten dem Patienten gegenüber. Dafür haben Patienten ein feines Gespür. Deshalb ist das sichere und klar distanzierte Auftreten der Schwester unbedingt nötig, um Versuche einer Annäherung von vornherein zu unterbinden. Auch Männer, die z. B. bei einem Frontalhirnsyndrom sexuell enthemmt sind, können im Allgemeinen durch klare Abmachungen und strikte Verhaltensregeln freundlich und wirksam in ihre Schranken gewiesen werden. Auch hier macht der Ton die Musik.
Die Angehörigen oder der Patient sind mit der Pflege nicht zufrieden.
Wenn sie dies in angemessenem Ton äußern, kann die Schwester sachlich darauf eingehen, und der Konflikt kann meist im gegenseitigen Einvernehmen gelöst werden. Ich verweise auf das Kapitel über den richtigen Umgang mit Kritik.
Wenn sich ein dauerndes Misstrauen einschleicht, wird die Situation für alle Beteiligten schwierig. Als Angehörige und Patient sollten Sie sich fragen, ob Sie wirklich fachlich so gut sind wie die Schwester, die ihren Beruf professionell ausübt, dafür eine Ausbildung und genügend Erfahrung hat, um selbständig arbeiten zu können. Sie sollten sich auch fragen, wie es Ihnen gehen würde, wenn Ihnen ständig jemand in Ihre Berufsausübung hineinredet. Können Sie Ihren Angehörigen wenigstens für die Zeit der Pflege loslassen, oder müssen Sie ihn festhalten? Bitte machen Sie sich auch bewusst, dass eine professionell arbeitende Schwester empathische Distanz wahrt, d.h. sie fühlt sich in den Patienten hinein und macht sich gleichzeitig klar, dass sie selbst das Problem des Patienten nicht hat und deshalb nicht lösen muss. Sie als Angehöriger oder Patient sind wahrscheinlich sind viel zu sehr emotional beteiligt, um objektiv richtig handeln zu können. Bitte lesen Sie noch einmal das Kapitel über Empathie.
Grundsätzlich muss man sich bei einer Therapie immer fragen: Soll der Patient bekommen, was er braucht oder was er will? Erst bei genauerem Hinsehen wird der wichtige Unterschied klar. Ein Suchtkranker braucht den Entzug, will aber, wenn er uneinsichtig ist, seinen Suchtstoff, zum Beispiel Bier und Zigaretten weiter haben. Ein Diabeteskranker braucht vernünftige Kost und seine Medikamente in einer angemessenen Dosis, er will vielleicht aber das Stück Torte essen, weil es ihm schmeckt, und er will seinen Blutzucker nicht kontrollieren, weil er sonst deutlich gezeigt bekommen würde, dass er falsch gegessen hat. Ein Patient mit dem so genannten metabolischen Syndrom (Bluthochdruck + Übergewicht + hohe Cholesterinwerte + Zuckerkrankheit) braucht Gewichtsabnahme, Bewegung, Medikamente und vernünftige Ernährung, um seine Gefäße zu schonen und dem enorm hohen Schlaganfallrisiko vorzubeugen, aber er will „ein richtiges Essen und wenigstens ein Bier dazu“, weil er das so gewohnt ist.
Solange ein Patient klare Entscheidungen fällen kann und ausführlich aufgeklärt wurde über die Risiken seines Handelns, müssen wir seinen Willen respektieren, weil es seine von ihm gewählte Lebensqualität darstellt, auch wenn diese möglicherweise für den Patienten schlechte Konsequenzen erbringt. Dies gilt auch für wirklich lebensgefährliche Entscheidungen, z.B. nötige Medikamente nicht zu nehmen, nicht Gewicht abzunehmen, weiter zu rauchen. Wichtig ist, inwieweit wir ihn bei seinem unvernünftigen Verhalten unterstützen. Kaufen wir ihm das Bier, das er unbedingt trinken will? Kaufen wir seine Zigaretten und bringen sie ihm nach Hause?
Und so ist es gut verstehbar, wenn eine Krankenschwester wirklich nur das tut, was sie mit ihrem Gewissen und medizinischen Wissen verantworten kann. Wenn sie sich wehrt, sich von dem Patienten oder den Angehörigen als Instrument auf dem unvernünftigen Weg einsetzen zu lassen, sollten Sie als Angehörige sich darüber bewusst werden und Respekt vor der Haltung der Schwester haben.
Gleichzeitig ist es für die Schwester oder den Pfleger wichtig, ihre Arbeit sachlich richtig und konsequent fortzuführen und dies mit dem betreuenden Hausarzt abzustimmen. Bei Unstimmigkeiten, die eine Schwester nicht allein mit den Angehörigen oder dem Patienten befriedigend klären kann, schlage ich vor, den Hausarzt als Mittelsperson und fachkompetenten Vertrauten der Familie zuzuziehen.
Auch im Umgang mit schwierigen Patienten, insbesondere alten Menschen empfinde ich eine Parallele zu dem richtigen Umgang mit Kindern: Liebevoll und konsequent sollte die Betreuung sein, und das schließt auch manchmal unbequeme oder ungewohnte Handlungen für den Patienten ein. Der Patient muss spüren, dass die pflegenden Menschen ihn ernst nehmen, in seinem Interesse fürsorglich sind und Grundlagen der guten Pflege nicht verhandelt werden, wenn es um das Wohl des Patienten geht.
Es sollte auch klar werden, dass dem Patienten durchaus einiges an Eigenaktivität und Mitarbeit beispielsweise bei der Körperpflege und beim Essen abgefordert werden kann, soweit es körperlich und geistig zumutbar ist. Der Grundsatz Hilfe zur Selbsthilfe gilt auch hier. Insofern halte ich es für unabdingbar, dass eine verantwortungsvolle Schwester dem Patienten und den Angehörigen gegenüber ihre Meinung freundlich und klar vertritt. Ihre Professionalität zeichnet sich wie bei einem guten Arzt gerade in schwierigen Situationen durch Eindeutigkeit, Verständnis und soziale und fachliche Kompetenz aus. Was ich darunter verstehe, habe ich in den vorangegangenen Kapiteln des Buches in vielen Beispielen deutlich zu machen versucht.
Abschied von einem Patienten
Dies ist eines der wichtigsten Kapitel im häuslichen Pflegebereich, da überwiegend alte und schwer kranke Menschen bis zum Tode gepflegt werden. Die wesentlichen Grundgedanken zum Umgang mit diesen Patienten habe ich ausführlich in meinem Buch „Wenn das Licht naht“ dargelegt. Dort stehen auch die Prinzipien der Hospizarbeit.
Im ambulanten Pflegebereich bildet sich im Laufe der Pflege ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient, seiner Familie und den Pflegekräften aus. Und so gehört es zu den natürlichen Aufgaben der Pflegekräfte, auch den letzten Weg der Patienten zu begleiten. Einfühlungskraft, menschliche Nähe und emotionale therapeutische Distanz sind in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Je nach dem Verhältnis der Pflegekraft zu dem Sterbenden wird die Trauer intensiver oder weniger stark sein. Klar ist, dass die Krankenschwester oder der Pfleger sich bei allem Verständnis für die Trauer empathisch distanziert verhalten müssen, um ihre Arbeit unbehindert fortführen zu können. Andererseits ist es für die Familie des Sterbenden enorm wichtig, in der Zeit des Abschieds von dem Team begleitet und gestützt zu werden, das sich zu Beginn der Pflege um den Patienten herum gebildet hat. Die Pflegekräfte sind eine wichtige Stütze des Teams.
Wenn Angehörige sich von dem unabwendbaren Sterben eines Patienten überfordert fühlen, weil sie diese Entwicklung nicht annehmen können, neigen sie möglicherweise zu Vorwürfen und anderen aggressiven Mechanismen denjenigen gegenüber, von denen sie eine Verbesserung der Situation erwarten, und das sind die Krankenschwester, der Hausarzt und vielleicht der eine oder andere Klinikarzt, von dem behauptet wird, er habe etwas falsch gemacht oder versäumt.
Hier ist es wichtig, dass die Krankenschwester erkennt, dass die aggressive Haltung einen Ausdruck der Hilflosigkeit und Angst der Angehörigen darstellt und mit großer Wahrscheinlichkeit nichts mit der angeblichen fehlerhaften Pflege zu tun hat. Dann kann sie ruhiger auf die Anklagen reagieren, weil sie erkannt hat, dass die Angehörigen im Grunde im wörtlichen Sinne des Wortes Patienten -also Leidende- sind, die mit einem seelischen Problem zu kämpfen haben. Mit dem Schutz der empathischen Distanz lernt die Krankenschwester sicher und menschlich korrekt zu handeln und -so weit das in der emotional belasteten Situation überhaupt möglich ist- zu argumentieren.
Wenn die Vertrauensgrundlage zwischen Pflegepersonal und den Angehörigen nicht reparabel ist, muss über eine Ablösung durch ein anderes Pflegeteam nachgedacht werden.
Aber im Allgemeinen leben die Angehörigen langsam auf den Tod des Patienten zu, sehen und empfinden die Unabwendbarkeit und können den Tod als natürlichen Teil des Lebens und oft auch dankbar als Erlösung für den Sterbenden annehmen. Die erfahrene Schwester und der Hausarzt können durch einfühlsames Verhalten ein Übriges dazu beitragen, dass sich die Familie in dieser schwierigen Zeit betreut und gestützt fühlt. Dann ist es nur folgerichtig, dass die Schwester den Verstorbenen eventuell sogar mit den Angehörigen zusammen ein letztes Mal wäscht, ankleidet und zur letzten Ruhe bettet.
Wichtig ist es meines Erachtens, die Angehörigen darauf hinzuweisen, dass der Verstorbene grundsätzlich bis zur Beerdigung in seiner Wohnung bleiben darf. Ob dies tatsächlich so umzusetzen ist, hängt auch vom Klima ab. Aber für viele Familien ist es hilfreich, über einen
oder zwei Tage zuhause ein Sterbezimmer einzurichten und sich, anderen Familienmitgliedern, Nachbarn und Freunden die Möglichkeit eines Abschiedes in gewohnter Umgebung zu schaffen. Dabei ist es hilfreich, möglichst mit dem Sterbenden noch rechtzeitig zu besprechen, wie er es gern haben möchte: Wer soll sich von ihm nach dem Tod noch zuhause verabschieden dürfen? Möchte er nach dem Eintritt des Todes noch länger zuhause bleiben?
Auch der Abschied von sterbenden Kindern und jungen Erwachsenen ist für die Pflegenden und natürlich für die Angehörigen ein großes emotionales Problem, weil das Unverständnis für den Zeitpunkt des Todes hier viel mehr als bei alten Menschen der Annahme des Schicksals entgegensteht. Wir können es eher akzeptieren, dass ein alter Mensch stirbt, weil uns das natürlicher erscheint, als wenn ein Mensch bereits am Anfang seines Lebens mit dem Ende zu kämpfen hat.
Supervision für die Pflegenden
In allen Konfliktfällen wäre es sehr hilfreich, für das Pflegepersonal eine psychische Hilfe zum Beispiel eine Supervisionsgruppe oder stützende Gespräche anzubieten, wie es für Ärzte zum Beispiel Balint-Gruppen gibt. Auch Feuerwehrleute, Polizisten, Pfarrer, Sozialdienstmitarbeiter, Angehörige der Telefonseelsorge, Rettungssanitäter würden Supervision oft dringend benötigen. Dabei können Unsicherheiten, Schwierigkeiten und Reaktionen von Betroffenen in einem ruhigen und geschützten Rahmen mit professioneller Hilfe bearbeitet werden, um eigene Fehler von fremden Reaktionsweisen zu trennen und neue, bessere Handlungsformen zu diskutieren. Aber ich weiß, dass Supervision für alle Sozialberufe eine Rarität darstellt. Einige Angehörige dieser Gruppen erhalten gar keine Supervision, andere nur bei spezieller Anfrage. Die knappen Finanzmittel werden oft als Grund angeführt.
Ein wesentliches Problem für die Teilnehmer an den Gruppen besteht oft darin, dass sie sich fürchten, in einem Kreis von Kollegen eigene Unsicherheiten oder Schwächen zu besprechen, weil sie sich dabei ihren Kollegen unterlegen fühlen und Angst haben, dass dies bei nächster Gelegenheit ausgenützt wird.
[1] Ein Frühzeichen für eine Speiseröhrenmissbildung des Kindes ist die unverhältnismäßige Zunahme des Fruchtwassers, weil das Kind dies nicht schlucken kann!
[2] Pflegestufe 2 erhalten Menschen, die schwer pflegebedürftig sind. Hier sind mindestens drei Verrichtungen pro Tag zu verschiedenen Tageszeiten und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nötig. Der Zeitaufwand für diese Hilfe muss dabei mindestens drei Stunden täglich betragen.
Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.