Dies ist eine der wichtigsten Fragen, die wir uns ehrlich und ganz grundsätzlich im Umgang mit schwierigen Menschen oder / und schwierigen Situationen stellen und beantworten müssen. Wenn wir uns auf das zurückziehen oder darauf beharren wollen, was wir für unser Recht halten und verlangen, dass unser Gesprächspartner sich uns unterordnet, wird es meistens sehr problematisch, denn der Andere glaubt im Allgemeinen ja auch, Recht zu haben und wird sein Recht verteidigen. Juristen leben von diesem Kampf. Und wer vor Gericht oder in einer Diskussion Recht bekommt, hat noch lange nicht den Kampf wirklich gewonnen. Menschlich geht viel dabei verloren, meist zerstreiten wir die Chance auf eine gute Beziehung, und oft kostet der Streit viel Geld, unsere Nerven, den Nachtschlaf und schädigt unsere Gesundheit. In den wenigen Fällen, in denen ich den Kampf mithilfe eines Rechtsanwaltes gekämpft und gewonnen habe, verlor ich außerdem den Patienten.
Ich ziehe es vor, mit diplomatischen Mitteln Frieden zu suchen und die Meinung des Gesprächspartners zu verstehen und zumindest ernst zu nehmen und zu überlegen, wie weit ich ihm entgegen gehen kann, ohne meine Position aufzugeben. Und die Möglichkeit, meine Meinung zu ändern, möchte ich mir gern offen halten. Die empathische Distanz ist im Konflikt eine Rettungsmöglichkeit für mich, auf die ich nicht mehr verzichten möchte, seit ich ihren Wert erkannt habe. Ich habe es erlebt, dass Gespräche mich von einer anderen Meinung überzeugt haben, oder dass wir gemeinsam einen neuen Standpunkt fanden. Das sind wichtige und bleibende Begegnungen, die zeigen, wie erstrebenswert ein guter Dialog ist. Und ich bemühe mich, dies im Gespräch auch klar zu machen, besonders wenn ich ganz anderer Meinung bin. Das bedeutet nicht, dass man sich alles gefallen lassen darf. Aber ich bitte zu bedenken, dass der Kampf um das, was wir für unser Recht halten, Grenzen hat, an denen wir uns aufreiben und vielleicht einen scheinbaren Sieg einhandeln, der in Wirklichkeit zu teuer ist oder schwere emotionale Wunden hinterlässt.
Im Umgang mit Patienten sollten wir uns immer überlegen, ob wir sie mit unserem Verhalten wirklich verändern können. Selbst wenn wir das könnten, sollten wir überlegen, ob es den Aufwand lohnt, andere zu erziehen. Dafür haben wir keine Ausbildung, keinen Auftrag und erhalten auch kein Honorar. Können wir uns diesen Luxus leisten?
Halten Sie bitte einen Moment inne. Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass jemand versucht, Sie zu erziehen? Wahrscheinlich doch am ehesten mit Skepsis, wenn nicht gleich mit klarer Abwehr. Was fällt diesem Menschen ein? Was erdreistet der sich? Das sind doch Gedanken, die uns unwillkürlich durch den Kopf schießen. Wir wissen, dass die wirklich lebensprägenden Erziehungsmaßnahmen vor der Pubertät ablaufen. Alles, was danach kommt, ändert vielleicht momentane Reaktionen, aber unsere Verhaltensgrundlagen sicher nicht.
Wenn wir also in einer schwierigen Situation mit schwierigen Menschen stecken, sollten wir meiner Meinung nach einen Weg suchen, der nicht auf Konfrontation, Beharren oder gar Kampf um Sieg und Niederlage aus ist. Sondern wir sollten eine Basis anstreben, wie alle Beteiligten wechselseitiges Verstehen erreichen, Frieden schaffen oder erhalten können und dabei ihre Würde und Persönlichkeit, ihr Gesicht und ihre Haltung wahren können. Es geht darum, mit den Schwierigen zu leben und nicht gegen sie. Auch wenn wir versuchen, ohne sie zu leben, werden wir bald erkennen, dass dies ein unmögliches Unterfangen ist, weil der Schwierige (auch) durch uns zum Schwierigen wird. Er ist unser Spiegel, vor dem wir nie weglaufen können, weil wir uns selbst immer mitnehmen. Und mit dem, der uns in diesem Spiegel begegnet und ärgert, müssen wir Frieden schließen! Nur so kann Frieden in uns und um uns herum entstehen.