Glaube, Liebe, Hoffnung

 

Glauben heißt wissen, dass es ein Meer geben muss, wenn man einen Bach sieht.

unbekannt

Es gibt doch nichts anderes, wofür es sich lohnt zu leben, als die Liebe.

Wim Wenders (*1945), deutscher Filmemacher

Wir hoffen immer auf den nächsten Tag. Wahrscheinlich erhofft er sich einiges von uns.

Ernst R. Hauschka (*1926), deutscher Aphoristiker

Im Laufe der Jahre, die ich als Arzt gearbeitet und mich mit Kranken und Gesunden beschäftigt habe, traf ich immer wieder auf drei wichtige Begriffe und Sätze, die für mich hilfreich und bedeutungsvoll sind. Diese drei Begriffe sind in dem bekannten Zitat aus dem 1. Apostelbrief von Paulus an die Korinther zusammengefasst:

„Nun aber bleibet Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

20.1. Nach eurem Glauben wir euch geschehen!“ (Matth. 9, 29) 
Die wichtigste Voraussetzung zur Gesundung ist der Glaube, dass eine Gesundung überhaupt möglich ist. Der Glaube an eine übergeordnete Kraft, wie sie in unserer christlich orientierten westlichen Welt zum Beispiel Gott darstellt, ist die stärkste Hilfe, um diese Heilung zu bewerkstelligen. Deshalb ist sicherlich das Gebet die effektivste seelische Heilungsmethode, wenn sie von vollständigem Vertrauen getragen wird.

Wir müssen unbedingt die religiöse Überzeugung eines Patienten respektieren, auch wenn wir selbst vielleicht eine andere oder keine religiöse Bindung haben. Wenn der Patient sich in seiner Glaubensausübung bestärkt und geborgen fühlt, stellt diese Haltung eine außergewöhnliche Unterstützung zu seiner Heilung dar, die wir nützen sollten.

Wenn Sie mit einem Kranken beten wollen, dann fragen Sie zuerst, ob er das möchte. Drängen Sie Ihr Angebot nicht auf, wenn Sie spüren, dass der Patient zögert, auf Ihren Wunsch einzugehen. Wenn der Patient Sie um ein gemeinsames Gebet bittet, gehen Sie darauf ein, wenn es Ihrer Überzeugung entspricht. Heucheln Sie keine Zustimmung. Ein unehrliches Gebet ist ein schlechtes Gebet.

Wenn Sie für einen anderen Menschen oder sich selbst in der Stille beten wollen, möchte ich Ihnen einen Gedanken nahelegen, der mich in solchen Situationen leitet, und von dem ich glaube, dass er jeder auch noch so verzweifelten Lage gerecht wird: Es ist richtig, die eigene Hilflosigkeit und auch Wut auf eine bestimmte bedrohliche Krankheit oder Lebenssituation in diesem Gebet zum Ausdruck zu bringen. Wir brauchen dafür kein schlechtes Gewissen zu haben.

Andererseits ist es richtig, ein klares Wunschbild zu formulieren, das wir erleben und verwirklicht haben wollen. Unser Unterbewusstsein braucht eindeutige Zielvorstellungen, um uns auf den Weg zu bringen, den wir wirklich (im wahrsten Sinne des Wortes!) haben wollen. Dann allerdings ist es nötig, von unserer inneren Verkrampfung und Fixierung auf dieses Bild loszulassen, damit unser Unterbewusstsein arbeiten und es erfüllen kann. Und wir sollten uns bewusst sein, dass es über uns einen viel größeren Willen gibt, dem wir uns unterordnen müssen und dürfen, weil ER den besseren Überblick hat und den Plan kennt, nach dem wir angetreten sind. Das entspricht dem bekannten Satz:

„Ich habe einen Wunsch, und DEIN Wille geschehe!“

Dies ist eine Form von Loslassen, die auf einem unbegrenzten Vertrauen beruht, dass wir und andere das bekommen, was richtig ist. Auch wenn wir im Moment überhaupt nicht einsehen oder akzeptieren können, dass gerade das gut sein soll, was in uns so große Not verursacht. In diesen Fällen bedeutet loslassen, unseren Wunsch, unseren Konflikt oder einen kranken Menschen dem zu übergeben, der allein in der Lage ist, etwas Grundlegendes zu ändern. Wer so loslassen kann, trägt keine Last mehr auf den Schultern und hält nichts fest. Er hat beide Hände frei, um eine Gnade zu empfangen. Wer verzweifelt klammert, hat keine Hand frei, um ein Geschenk entgegen zu nehmen.

Je mehr wir uns in eine Sache oder ein Ziel verbeißen und fixieren, um so weniger hat es eine Chance, Gestalt anzunehmen und Wirklichkeit zu werden. Oder, um es anders zu formulieren: Die Energie, die wir verbissen einsetzen auf dem Weg zu einem Ziel, ist das Hindernis auf diesem Weg.

Die religiöse und geistig orientierte Literatur aller Kulturen der letzten Jahrtausende ist voll von Beispielen, Bildern, Geschichten und Gleichnissen zu diesem Thema.

20.2 Ein Mensch braucht Liebe, um Mensch zu werden.“
(Bernie Siegel, Prognose Hoffnung, ECON-Verlag)

Die Liebe führt uns dazu, den Weg eines geliebten Menschen anzunehmen als seine Entscheidung, auch wenn sich unsere Wege in diesem Leben trennen. Das ist die Liebe, die alles hofft, alles glaubt, alles trägt. Die wahre Liebe lässt einen geliebten Menschen los, wenn er wirklich gehen will, sei es im Rahmen einer partnerschaftlichen Entwicklung oder bei einer todbringenden Krankheit. Und sie fühlt sich dennoch verbunden mit diesem Menschen! Echte Liebe ermöglicht uns, andere Menschen und Lebewesen zu begleiten. Wir sind dann dankbar für den gemeinsamen Teil des Weges und helfen einander.

Über die Liebe will ich Ihnen noch die beiden besten Bücher empfehlen, die ich zu diesem Thema kenne: von Erich Fromm „Die Kunst des Liebens“ und von Peter Lauster „Die Liebe“.

20.3 „Im Zweifelsfall ist Hoffnung immer richtig.“
(Bernie Siegel, Prognose Hoffnung, ECON-VErlag)

Die Hoffnung versichert uns, gerade in den schwierigsten Momenten des Lebens zu wissen, dass die Morgendämmerung unmittelbar nach dem dunkelsten Teil der Nacht folgt. In diesen dunklen Stunden ist die Hoffnung eine Erleichterung und eine Erleuchtung.

Auch wenn es keine Hoffnung mehr auf Heilung gibt, so können wir immer noch auf einen milden Verlauf oder einen Stillstand der Krankheit hoffen, auf Schmerzfreiheit, gute Pflege, liebevolle Betreuung, fachlich kompetente Versorgung, Zuverlässigkeit des Pflegeteams, Zuwendung und Anwesenheit von nahen Angehörigen und Freunden.

Selbst wenn wir wissen, dass der Patient sterben wird, können wir Hoffnung vermitteln auf einen Übergang in der vom Patienten gewünschten Umgebung und in der Anwesenheit von geliebten Menschen, auf die Liebe seiner Mitmenschen, auf ein Gebet, eine Aussegnung, einen geistigen und geistlichen Beistand, auf Frieden mit sich und der Umwelt, auf ein Leben nach dem Sterben entsprechend dem Glauben des Patienten. Und für fast alle Menschen ist es wichtig, dass sie wissen, dass ihre Schulden getilgt werden und ihr begonnenes Lebenswerk Bestand hat.

20.4 Gelebte Beispiele 

Meine von mir sehr hoch geschätzte ehemalige Deutsch- und Klassenlehrerin, Frau Schwarze, erkrankte an einem Krebsleiden. Ich traf sie kurze Zeit vor ihrem Tod in dem Seniorenstift, in dem sie ihre letzten Wochen verbrachte. Sie erzählte mir ganz offen ihre Geschichte und ihre Diagnose. Bei einem meiner nächsten Besuche zwei Tage vor ihrem Tod schenkte sie mir ein letztes sehr intensives und prägendes Gespräch. Ich war tief beeindruckt von ihrer Ruhe und Gelassenheit. Als ich sie nach dem Grund dafür fragte, antwortete sie ganz präzise: „Mich stützen fünf Dinge: mein Glaube, mein erfülltes Leben, die Liebe, die ich jetzt empfange, die Tatsache, dass mein Buch gerade noch gedruckt worden ist, und dass ich mich ganz bewusst auf meinen Weg vorbereiten kann.“

Bei meinem nächsten Besuch zwei Tage später war sie schon mit ihrem Bewusstsein fast völlig eingetrübt. Für kurze helle Momente leuchteten ihre Augen mich freundlich und erkennend an, und ein paar verstümmelte Wortfetzen kamen wie Boten aus dem Jenseits zu mir herüber. Ich verabschiedete mich mit einem Händedruck und einem „Danke für alles!“ Sie erwiderte den Blick, bevor sie die Augen schloss. Nach einer ganzen Weile verließ ich auf Zehenspitzen das Zimmer, um ihren Weg nicht zu stören. Ich war mir dankbar klar darüber, dass ich wieder einen der großen Momente meines Lebens erlebt hatte.

Eine andere Begebenheit mag zeigen, wie Nähe trösten kann. Frau Münchinger, eine ältere Dame, die ich über längere Jahre als Hausarzt betreut hatte, entwickelte alle Zeichen eines Bauchspeicheldrüsenkrebses. Als sie sich nicht mehr selbst zu Hause versorgen konnte, veranlasste eine Freundin von ihr, dass Frau Münchinger ein Zimmer im Seniorenstift bekam. Die beiden Frauen hatten über viele Jahre in einem Freun-deskreis ihre Freizeit unter der Woche und im Urlaub damit verbracht, gemeinsam zu zeichnen und zu malen und waren eng freundschaftlich verbunden. Innerhalb von kurzer Zeit war das neue Zimmer mit Gegenständen aus der ehemaligen Wohnung möbliert, und die vertrauten Bilder hingen an der Wand.

Über die liebevolle Pflege und die vielen kurzen Besuche von Freunden sagte Frau Münchinger einmal bei meinem Besuch zu mir: „Jetzt weiß ich, was auf mich zukommt, und ich bin glücklich, dass ich jetzt endlich mir erlauben kann, all die Liebe anzunehmen, die ich erfahren darf. Schauen Sie, hier hat die Schwester mir frische Milch gebracht. Das ist ein wunderbares Geschenk. Und meine Freundinnen haben mein Zimmer hier im Pflegeheim mit ihren und meinen Bildern geschmückt und meine Lieblingsmöbel herein gestellt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass ich alles dankbar annehmen darf, was mein Leben mir gibt, auch diese letzten Tage sind ein Geschenk der Liebe. Wenn Sie mich noch einmal besuchen wollen, müssen Sie bald kommen. Ich darf bald gehen.“

Nebenbei bemerkt: Frau Münchinger war ein lebhaftes Beispiel dafür, welche wohltuende Veränderung in einem sterbenden Patienten vor sich geht, wenn die ursprünglich eher spröde und nach außen kühl wirkende Wesensart sich in echte Herzlichkeit und für Mitmenschen fühlbare Wärme wandelt.

Am Tag ihres Todes lag sie in einem Dämmerschlaf, eine Freundin saß an ihrem Bett und wartete darauf, dass die Patientin ihren letzten Atemzug machen würde. Die andere Freundin, die ihr das Zimmer in dem Heim vermittelt hatte, war zu diesem Zeitpunkt außer Haus unterwegs, und erst als sie ans Bett kam mit den Worten „Jetzt bin ich da!“ und Frau Münchingers Hand nahm, seufzte Frau Münchinger erleichtert und hörte auf zu atmen.

Copyright Dr. Dietrich Weller
Der Artikel steht in meinem Buch „Wenn das Licht naht“

 

Dieser Beitrag wurde unter Prosa abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.