Wie können wir trösten?

 

Hebe deine Augen auf, und du wirst die Sterne sehen.

Sprichwort von den Philippinen

Bei großen Schmerzen wirken Worte wie Fliegen auf Wunden.

Sprichwort aus Frankreich

Trost gibt der Himmel, von den Menschen erwartet man Beistand.

Ludwig Börne (1786-183 7), deutscher Publizist, Ankündigung der Zeitschwingen

Einem Schwerkranken und Sterbenden Trost zu geben, ist immer etwas sehr Subjektives. Für den einen bedeutet eine Umarmung Trost, für den anderen ein beziehungsvolles Geschenk, für den dritten ein gemeinsames Essen oder ein gutes Gespräch, miteinander zu weinen und zu lachen. Es sind die kleinen Gesten, die trösten.

„Sie geben das Gefühl, angenommen zu sein trotz der Gebrechlichkeit der Körperfunktionen; geliebt zu werden auch mit den unangenehmen Gerüchen, die der Kranke nicht mehr verbergen kann; geachtet zu werden trotz einer schweren Krankheit und in die menschliche Gemeinschaft eingeschlossen zu werden trotz der Ausgrenzung, die jede schwere Erkrankung mit sich bringt.“51

Ein guter Trost gibt dem Menschen das Gefühl, immer noch als Mensch in seiner Ganzheit gesehen und behandelt zu werden, obwohl der Betroffene sich schon nicht mehr als ganz und schon gar nicht als heil erlebt. Vielleicht schaffen wir Begleitpersonen es, dem Pa-tienten einen neuen und weiterführenden Dialog mit sich selbst zu ermöglichen. Dazu müssen wir unsere eigenen emotionalen Schwingungen verfeinern und andererseits ertragen, dass wir auch in vielen Bereichen unwissend und deshalb unsicher sind.

Auf jeden Fall müssen wir im Dialog bleiben. Das setzt voraus, dass wir hören, zuhören, ausreden lassen und bewusst reden und im richtigen Moment mit dem Patienten zusammen schweigen. Die meisten Menschen schweigen aneinander vorbei, so wie sie aneinander vorbeireden.

Leider haben viele Menschen die Eigenart, ihre Ratlosigkeit, Betroffenheit und Sprachlosigkeit mit einer Flut von Wörtern zuzudecken, weil sie ihre eigene Spannung nicht anders bewältigen können, als mehr oder weniger Belangloses oder Unpassendes zu sagen, obwohl oder gerade weil ihnen die Lage des Patienten und ihre eigene so unwohle Gefühle vermittelt.

Besser, hilfreicher und ehrlicher wären eine kleine Karte, eine Blume und der Satz: „Auch ich bin sprachlos, ratlos und weiß nicht, wie ich trösten kann. Aber vielleicht hilft dir dieser Satz, meine Verbundenheit zu spüren.“ Schwerkranke und Sterbende können ruhi-ger und friedvoller sein, wenn sie sich geliebt fühlen.

In südlichen Ländern gibt es die Sitte, einen Ehepartner nicht allein zu lassen, wenn er oder sie um den Verstorbenen trauert. Ein Freund oder ein Nachbar bleiben einfach im Haus des Trauernden und vermitteln ein Gefühl der unaufdringlichen Gegenwart und Nähe. Es geht dann nicht um dauerndes Reden, sondern einfach um die Anwesenheit eines Mitmenschen und die Möglichkeit, einen Gesprächspartner zu haben, wenn der oder die Trauernde es wünscht. Dabei hat der Trauernde immer die Möglichkeit, sich zurückzuziehen oder die Nähe zu suchen.

 

51 Ruth Morlok, Krankenschwester, ehemalige Pflegedienstleiterin eines Seniorenstiftes, jetzt Leiterin einer Schule für Altenpflege.

Copyright Dr. Dietrich Weller

Der Artikel steht in meinem Buch „Wenn das Licht naht“

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