Ich glaube, dass die schöne Welt regiere
ein hoher, weiser, nie begriff’ner Geist.
Ich glaube, dass Anbetung ihm gebühre,
doch weiß ich nicht, wie man ihn würdig preist.
Nicht glaub‘ ich, dass der Dogmen blinder Glaube
dem Hohen würdige Verehrung sei.
Er bildet uns ja, das Geschöpf vom Staube,
von Irrtum nicht und nicht von Fehlern frei.
Drum glaub‘ ich nicht, dass vor dem Geist der Welten
des Talmud und des Alkoran
Bekenner weniger als Christen gelten;
verschieden zwar, doch alle beten an.
Ich glaube nicht, wenn wir von Kanzeln hören,
der Christen Glaube mache nur allein uns selig,
wenn die Unduldsamen lehren:
„Verdammt muss jeder Andersdenker sein!“
Das hat der Meister, der einst seine Lehre
mit seinem Blut besiegelt, nie gelehrt.
Das hat fürwahr – dem Herrlichen sei Ehre! –
kein Jünger je aus seinem Mund gehört.
Er lehrte Schonung, lehrte Duldung üben,
Verfolgung war der hohen Lehre fern.
Er lehrt‘ ohn‘ Unterschied die Menschen lieben,
verzieh dem Schwachen, jedem Feinde gern.
Ich glaube an des Geistes Auferstehung,
dass, wenn im Tod das matte Auge bricht,
geläuterter wir uns dort wiedersehen.
Ich glaub‘ und hoff‘ es, doch ich weiß es nicht.
Dort, glaub‘ ich, werde sich die Sehnsucht stillen,
die hier das Herz oft foltert und verzehrt.
Die Wahrheit, glaub‘ ich, wird sich klar enthüllen
dem Blicke dort, dem hier ein Schleier wehrt.
Ich glaube, dass für dieses Erdenleben,
glaub’s zuversichtlich trotz der Deutler Zunft,
zwei schöne Güter mir der Herr gegeben.
Das eine Herz, das and’re heißt Vernunft.
Das letzt’re lehrt mich prüfen und entscheiden,
was ich für Pflicht und Recht erkennen soll.
Laut schlägt das erste bei des Bruders Freuden,
nicht minder, wenn er leidet, warm und voll.
So will ich denn mit regem Eifer üben,
was ich als Recht, was ich als Pflicht erkannt.
Will brüderlich die Menschen alle lieben am Belt,
am Hudson und am Ganges-Strand.
Ihr Leid zu mildem und ihr Wohl zu mehren,
sei stets mein heiligster Beruf.
Durch Taten glaub‘ ich würdig zu verehren
den Geist, der mich wie sie erschuf.
Und tret‘ ich einst dann aus des Grabes Tiefen
hin vor des Weltenrichters Angesicht,
so wird er meine Taten strenge prüfen,
doch meinen Glauben – nein, das glaub‘ ich nicht.
Ignatius Karl Freiherr von Wessenberg, Domkapitular zu Konstanz, gestorben 1796