Mitleid
Wenn es irgendeine Pforte gibt, durch die wir ins Innere des Menschen eingehen können, so heißt diese Pforte: Mitleid.
Im Mitleid eröffnet sich uns die Seele unseres Nächsten wie eine Knospe in der Sonne. Mitleiden schafft einen unsichtbaren Leitungsdraht, der die Erlebnisse unseres Mitmenschen unmittelbar zu uns herüberleitet.
Mitleid ist von Rührseligkeit und Wehleidigkeit zu unterscheiden. Der Wehleidige wird beim Anblick von Wunden und Blut ohnmächtig. Der Mitleidende beugt sich über den Kranken und pflegt ihn.
Der Rührselige weint in einem Rembrandt-Film, in dem die Lebenstragödie des Meisters zur Unterhaltung herabgewürdigt wird. Nach Hause zurückgekehrt, verschließt er die Türe seines Hauses und Herzens, auf dass der hungrige Wanderer seinen reich gedeckten Tisch nicht sehe und seine Behaglichkeit nicht störe.
Zenta Maurina, aus „Mosaik des Herzens“, Maximilian Dietrich Verlag, Memmingen