Wenn auf Stuttgarts Königstraße viele Leute gehen,
kannst du Formen-Farbenvielfalt prächtig sehen.
Da rennen weiße Kinder zwischen schwarzen,
die ausgelassen wie Erwachsne heiter schwatzen.
Das graue Pflaster ist mit gelbem Sonnenschein bemalt,
ein Autohaus hat einen leuchtend grünen Schirm bezahlt,
wo schlanke blonde Damen in dem schwarzen Kleid
eifrig über Autos reden und mobilen Geist moderner Zeit.
Firmenschilder, Ladentüren zeichnen bunte Kerbung.
schreiend rote, blaue, braune und karierte Werbung
die beklebt die Pflastersteine und die Häuser grell,
die warme Sonne leuchtet über dieser Straße hell.
Herr Neureich protzt mit Glitzer-ROLEX-Armbanduhr,
die wasserstofferblondete Begleiterin belächelt nur
den Bettler, der versunken sitzt vor seinem leeren Teller.
Also gehen viele Leute ihn vermeidend schneller.
Die dralle Marktfrau preist die Spargel an und frische Beeren,
man kann sich dieses leckren Angebotes nicht erwehren.
Ein magerer Student mit wirren Haaren spielt heut Paganini,
und ein mundverschmiertes Kind kaut barfuß die Panini,
während kichernd, neckend, pubertierend kleine Gören
Gummi kauend ein paar unerfahr´ne Jungs betören.
Ein blauer Bote rennt mit grünem Postsack übers Pflaster,
die Raucher frönen gelb befingert süchtig ihrem Laster.
Männer mit dem braunen Poncho flöten Tänze aus Peru,
und buntberockte Frauen hören hüftenwiegend zu.
Ein rotbenaster Clown entzückt die Kleinen und die Großen
und will mit feinen Stäbchen bunte Bälle in die Lüfte stoßen.
Das helle Kinderlachen mischt sich in den Radioklang,
der Bässe hämmernd von der andren Straßenseite lang
den eilenden Passanten in gequälte Ohren dröhnt.
Der Papagei des Clowns mit Krächzen diesen Krach verhöhnt.
Ein paar Fette stehen in den Unterhemden, Burger kauend,
rülpsend Hofbräu trinkend, schmatzend, glasig schauend,
während aus dem Luxusladen eine wohlgeformte Dame tritt,
die gepflegt die Edelkleider zeigt bei jedem eleganten Schritt.
Frauen in den dunklen, langen Mänteln, Tücher auf den Köpfen,
gehen schwarzgelockte Kinder haltend heim zu heißen Töpfen,
folgen ihren Schnurrbart-Männern wie seit vielen Jahren,
als sie noch in ihrer Heimat abgesondert einsam waren.
Das Junkie-Pärchen mit der roten Hahnkammfrisur
trägt lange Ketten an den schwarzen Hosen nur
und geht auf Nagelstiefeletten klackend über den Beton,
die Ringe an den Nasen, Lippen, Ohren glitzern schon.
Skater kommen in den supergeilen Windelhosen angerast,
schlängeln sich durch Fußvolks Samstags-Päckchenlast,
einer kracht mit Scheppern an den grellen Wahlplakatepfahl
und springt noch ab mit Lachen, auf dem Kopfe kahl.
Zwei junge Leute – Nickelbrille, grün beschuht von Birkenstock,
er mit Pferdeschwanz und sie mit selbst gestricktem Rock-
reden lebhaft über Überweltschutz und gegen atomare Werke.
Sonne, Wasser, Wind besäßen gut vereint genügend Stärke.
Ohrverstöpselt, Händchen halten, Eiscreme leckend,
schlendert dort ein Pärchen zärtlich neckend
zu der nächsten Bank in warmer Sonne,
um zu genießen junger Liebe heitre Wonne.
Die Verliebten üben leises Lippenspiel
zärtlich, innig und mit Liebesziel,
augenblinzelnd, fingerkuschelnd,
nasereibend, leise nuschelnd,
Zungenspitzen tastend, Haare wuschelnd,
liebesdurstig, eng umschlungen,
wonnefühlig, lustdurchdrungen.
Ein Ehepaar gerät in Streit vor einem Laden,
denn sie will in teurem Schmucke baden.
Da schreit ihr kleines Kind: „Ich will ein Eis!“,
so dass die Mutter nicht mehr weiter weiß.
Sie schluchzt und zetert über ihren bösen Mann,
der ihr das bisschen Schmuck nicht kaufen kann.
Der Mann gerät in Wut und schreit vor lauter Frust:
„Der Einkauf macht mir keine große Lust!
Ich sage dir, was ich jetzt will und hier, –
da drüben gibt´s ein kühles Bier!“
„Dann geh doch endlich!“, keift sie weiter.
Der Fensterputzer fällt verdutzt von seiner Leiter.
Ein Rentnerpärchen sitzt gelassen im Café am Straßenrand,
er mit Bierbauch, Hosenträgern, die Zigarre glüht im Brand.
Die Frau ist gertenschlank, sie hat sich heute feingemacht
und den blauen Sonntagsrock mit weißer Bluse mitgebracht.
Sie betrachten eine Weile dieses laute Treiben
sehen wie auch andre Menschen stehen bleiben.
Dann nickt sie mit dem grau behaarten Kopf:
„Du siehst, es findet jeder Deckel seinen Topf!“
Copyright Dr. Dietrich Weller
Dieses Gedicht habe ich beim BDSÄ-Kongress 2010 in Schwerin zum Thema „Farben und Formen“ vorgetragen und im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2011 veröffentlicht.