Gefahren im Gesprächsverhalten

Richtige Grundverhaltensmuster des Arztes können eine verdeckte Form einer kommuni-kationsfeindlichen Verhaltensweise sein. Das müssen wir bedenken, um nicht in die bereit stehenden Fettnäpfchen zu treten. Wenn wir an der Reaktion des Gesprächspartners erkennen, dass etwas anders verstanden und aufgefasst wurde als wir es gemeint haben, sollten wir wenigstens überlegen können, woher das Missverständnis kommt. Dazu ein paar Beispiele.

Wenn wir Fragen stellen, kann das in Einzelfällen ein Ablenkungsmanöver sein oder als Verhör aufgefasst werden. Es gehört also viel Feingefühl dazu, Fragen so zu stellen, dass der Patient die Frage als Möglichkeit der wechselseitigen Verständigung zu empfinden und als Ausdruck ihres Bemühens, ihn ernst zu nehmen. Hier macht auch der Ton die Musik. Sie können dieselbe Frage interessiert oder mit dem Ton des Verhörs stellen. Versuchen Sie es einmal mit diesen einfachen Fragen: „Was haben Sie gegessen?“ – „Wo waren Sie gestern?“ – „Haben Sie Bauchschmerzen, Fieber, Schwindel?“- Die letzte Frage ist besonders problematisch, weil sie drei Fragen enthält. Der Patient kann wahrscheinlich nicht einfach mit ja oder nein antworten, oder er beantwortet nur eine Teilfrage. Dann wissen Sie wieder nicht, was Sie interessiert. Mehrfachfragen verbreiten Hektik und Unsicherheit. Gewöhnen Sie sich Einfachfragen, und warten Sie auf die Antwort, bevor Sie die nächste Frage stellen..

Durch Beraten können wir den Patienten auch in seiner Eigeninitiative hemmen und handlungsunfähig machen. Das schlimmste Beispiel ist das Klischee von dem Versicherungsmakler, der seine Kunden erschlägt mit seinen ach so wohlgemeinten Ratschlägen. Die Vielfalt der Einzelheiten und Möglichkeiten ist verwirrend, verunsichernd und macht Angst. Natürlich will der Versicherungsvertreter nur unser Bestes! (Unser Geld!) Und so wollen wir doch nicht sein, oder?

Unser Interpretieren einer berichteten Handlung oder Situation kann der Patient als Abwertung und Bloßstellung auffassen. Der Patient berichtet, seine Frau habe gestern das und jenes erzählt. Sie reagieren: „Das hat sie gemacht, weil ….“ Woher wissen Sie das? Könnte es nicht auch ganz anders sein? Ich möchte vor vorschnellen Deutungen von Aussagen und Hintergründen warnen.

Mit dauerndem Argumentieren können wir abwehren und Vorhaltungen machen. Es ist vielleicht schwierig, die Meinung eines Patient einfach so stehen zulassen, weil wir selbst einen anderen Standpunkt haben. Aber ist es wirklich notwendig (die Not wendend!), daran herum zu argumentieren?

Wenn wir Kinder und Erwachsene ständig ermahnen, empfinden sie das vielleicht als War-nung und Drohung, und wir machen sie unsicher und unselbständig. Der mahnende Zeigefinger gehört zum Klischee des Oberlehrers und zu der Mutter, die ihre Kinder nicht loslassen kann. Ein Arzt oder Therapeut, der so re(a)giert, verprellt seine Patienten, denn sie wollen angenommen und nicht erzogen werden.

Eine gut gemeinte Anleitung kann als Befehl und Kommandieren aufgefasst werden. Achten Sie auf den Ton, mit dem Sie die Sätze aussprechen würden, und versuchen Sie Alternativen: „Nehmen sie die Tabletten immer vor dem Frühstück!“ – „Sie sollten abnehmen!“ – „Nächsten Mittwoch möchte ich noch einmal das Cholesterin kontrollieren.“ – „Warum kommen Sie mit dieser Wunde erst jetzt?“ – Welchen Ton möchten Sie als Patient hören? Welchen Gesichtsausdruck möchte Sie bei Ihrem Arzt sehen, wenn er Ihnen diese Fragen stellt?

Durch Aufmuntern können wir ablenken, zurückweisen und bagatellisieren. „Es wird schon wieder gut werden!“ – „Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich darum!“ – Spüren Sie die möglichen Untertöne oder / und Missverständnisse, die in diesem Satz enthalten sind? Die Schwierigkeit besteht darin, dass der Patient meist versteht, was er empfindet oder befürchtet oder hören will, und nicht, was Sie gemeint haben. Er unterstellt Ihnen aber, dass Sie genau das gesagt und gemeint haben, was bei ihm angekommen ist.

Trösten kann nicht nur beruhigen, sondern auch ruhig stellen und lähmen. Zu viel Reden und zu viel Nähe in der Trauer lassen dem Trauernden keine Möglichkeit, sich auf seine Gefühle und deren Verarbeitung zu konzentrieren. Trauerarbeit ist eine aktive und anstrengende Seelenleistung, für die man trotz der schmerzenden Gefühle aktiv sein und genügend Ruhe und Zeit haben muss.

Zureden kann als Predigt und Moralisieren verstanden werden. Wir kennen diese Sätze: „Du musst das so machen; ich zeige dir, wie es geht; ich weiß doch, dass du es kannst; nun mach es doch endlich.“ Spüren Sie wie auch gut gemeinte Ratschläge eher als Schlag denn als Rat aufgefasst werden? Und der Beratschlagte, der Geschlagene schlägt zurück! „Nein, ,jetzt lass mich doch endlich einmal tun, was ich für richtig halte!“ Das wäre ja noch eine gesunde Reaktion, weil sie auf Eigenständigkeit und damit auch auf Eigenverantwortung pocht. Aber viele Menschen lassen sich überreden statt überzeugen und spüren oft nicht einmal mehr die Aggression, die der Beratende in ihnen auslöst. Und wenn sie die aufkommende Wut spüren, lassen sie den Ärger nicht zu.

Durch Korrigieren können wir beschuldigen und verurteilen. Auch gut gemeinte Verbesserungsvorschläge können als Schuldzuweisung und negatives Urteil aufgefasst werden. Das wird besonders von den Menschen so empfunden, die ein geringes Selbstwertgefühl haben und unsicher sind, wenn sie irgendetwas entscheiden oder unternehmen.

Das Belächeln kann abwertend und kränkend verstanden werden. Das gilt auch dann, wenn es gar kein Belächeln, sondern ein freundliche gemeintes Lächeln war, das der Auslöser für das Missverständnis war. Das eigene negative Urteil, die eigene Unsicherheit lassen das Lächeln als Belächeln empfinden – mit allen Konsequenzen eines Missverständnisses.

Mit Loben können wir abhängig machen und manipulieren. Jeder Mensch möchte gern gelobt werden, und viele sind abhängig davon, verhalten sich also so, dass sie möglichst viel Lob bekommen. Wer machtbewusst ist und Menschen manipulieren will, kann auf diese Weise seine Angestellten oder Mitarbeiter mit Lob und Schmeichelei gefügig, abhängig und unselbständig machen. Wer gelobt wird, traut sich beispielsweise nicht mehr oder nur noch sehr gehemmt, dem Lobenden zu widersprechen.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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