Das Beipackzettel-Syndrom

 

Kennzeichen

Der Patient äußert seine Bedenken meist schon beim Ausstellen des Rezepts. Er ruft an, wenn er den Beipackzettel gelesen hat, und vergewissert sich, ob Sie das wirklich so gemeint haben mit dem Medikament und der Dosis. Er äußert Bedenken wegen der Nebenwirkungen. Er nimmt das Medikament und bekommt schon während des Schluckens mindestens eine der erwähnten Nebenwirkungen, spätestens aber wenige Stunden nach Einnahme. Das bestätigt seine Befürchtungen. Er setzt das Medikament eigenmächtig oder nach Rücksprache ab: „Können Sie mir nicht etwas ohne Nebenwirkungen aufschreiben?“

Er erwartet genaueste Aufklärung, und wenn er hysterische oder hypochondrische Züge hat, wird er Ihnen wieder beweisen, dass es das falsche Medikament war.

Was machen Sie mit dem Beipackzettel-Syndrom-Patienten?

Fragen Sie sich: Würden Sie an der Stelle des Patienten mit Ihrem Wissen dieses Medikament so nehmen, wie Sie es jetzt verordnen wollen?

Wenn Sie „JA“ sagen, verordnen Sie es. Wenn Sie „NEIN“ sagen, fragen Sie sich, was Sie sich und dem Patienten antun.

Wie gut müssen Sie den Patienten aufklären? Wir Ärzte müssen uns darüber immer genauer und besonders unter juristischen Gesichtspunkten immer sorgfältiger Gedanken machen. Dabei dürfen wir die Dokumentationspflicht nicht vernachlässigen.

Nehmen Sie die Zweifel des Patienten ernst, und denken Sie über Alternativen nach.

Klären Sie den Patienten empathisch auf.

Wenn der Patient Angst vor dem Medikament hat, nimmt er es sehr wahrscheinlich nicht. Sie werden es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht schaffen, ihn mit viel Argumentation und Aufklärung zur regelmäßigen Einnahme zu bringen. Denken Sie über andere Therapiemöglichkeiten nach.

Bitte unterlassen Sie Bemerkungen wie:

„Das Medikament wirkt hervorragend und hat keine Nebenwirkungen.“

„Stellen Sie sich nicht so an!“

„Bei allen anderen Patienten wirkt es ohne Nebenwirkungen!“ (Das ist eine Herausforderung für den hysterischen Patienten, Ihnen das Gegenteil zu beweisen!)

Wenn Sie und der Patient guter Laune sind und beide Spaß verstehen, können Sie sich an einen Cartoon erinnern, den ich neulich gesehen habe:

Der Arzt sitzt dem Patienten gegenüber und sagt: „Nebenwirkungen? – Ja, Sie müssen damit rechnen, dass Sie wieder arbeitsfähig werden.“

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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