Wir haben zwei Ohren und einen Mund, damit wir mehr zuhören als reden.
Zenon
Wir kennen drei Arten des Zuhörens:
1. Passives Zuhören: Das ist totales Schweigen. Der Partner kann sich durch das passive Verhalten des Zuhörers unbeeinflusst aussprechen. Dabei sind Blickkontakt und eine zuge-wandte Körpersprache wichtig, um dem Gesprächspartner die Aufmerksamkeit zu signa-lisieren.
2. Zuhören mit „Aufmunterung“: Kurze Signale wie „mhm“ oder „wirklich?“ oder inter-essierte Mimik stellen einen geringen und doch gesprächsfördernden und ermunternden Kontakt dar.
3. Aktives Zuhören: Hier fördern Antworten mit empathischer Reaktion oder Fragen das Gespräch aktiv.
Die ideale Form des Zuhörens schildert Michael Ende in seinem Roman MOMO:
„Wie Momo zuhörte
Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie sich Momo aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.
Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den Anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffen-de fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten.
Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich ganz frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt wer-den kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründ-lich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.
So konnte Momo zuhören!“
(aus Michael Ende: MOMO. dtv. TB 10958 mit freundlicher Genehmigung des Verlags)
Wenn wir wirklich konstruktiv zuhören und den Patienten ausreden lassen, spricht er im Allgemeinen nicht länger als zwei Minuten, bis er eine Pause macht, in der wir „einhaken“ können, ohne ihm das Gefühl der Unterbrechung zu geben. Das wurde in intensiven Versuchs-reihen als durchschnittliche maximale Redezeit herausgefunden. Der Patient erzählt in dieser Zeit meist die Ursachen seiner Beschwerden, seine Therapievorstellungen, die Folgen, die er für sich erwartet und seine Wünsche an die Therapie.
Deshalb wirkt Zuhören meistens zeitsparend und informativ; es beruhigt den Patienten, wenn der Arzt mit einer offenen Einstellung zuhört. Dadurch wirkt die Situation Vertrauen erweckend und stellt eine Grundlage der empathischen Reaktion dar. Zuhören ist Energie sparend für Arzt und Patient. Der Arzt kann die Zeit als Beobachtungspause nützen und sich Gedanken über Inhalt und Art der Schilderung machen. Dabei entsteht für den Geübten ein wesentlicher Teil der Diagnose und der folgenden Therapie.
Wenn wir wegen der Alltagshektik den Patienten häufig in seiner Schilderung unterbrechen, um schneller zu unserem Ziele der möglichst vollständigen Information zu kommen, damit wir rasch das Rezept schreiben und den nächsten Patienten versorgen können, entsteht sehr viel Unruhe und Unsicherheit im Patienten. Die Spirale der Frage-Antwort-Hektik beginnt zu eskalieren. Wir neigen dazu, Doppel- oder Dreifachfragen zu stellen, was den Patienten noch mehr verwirrt. Und es ist leider auch oft der Fall, dass wir die Antwort nicht abwarten und dem Patienten keine Zeit zum Nachdenken geben. Das veranlasst die Patienten im Allgemeinen, unkonzentrierter und ratloser zu werden und mehr zu vergessen von dem, was sie eigentlich sagen wollten.
Deshalb stellen Sie bitte nur 1 Frage und warten dann auf die Antwort.
Untersuchungen zufolge wissen die Patienten im Durchschnitt noch etwa 10% von dem Inhalt des Gesprächs beim Arzt, wenn sie zu Hause angekommen sind. Wir müssen also darauf achten, dass es wenigstens die wichtigsten 10% sind, und vielleicht schaffen wir es ja auch, den Prozentsatz zu erhöhen.
Das erinnert mich an einen Cartoon, in dem der große Boss am überdimensionalen Schreibtisch sitzt und in das Telefon redet und redet und redet, ohne dabei zu bemerken, dass eine Maus das Telefonkabel durchgenagt hat. Darunter stand: Wer viel redet, erfährt wenig.
Luban-Plozza hat das als Zahnarzt-Phänomen der Gesprächsführung beschrieben:
Beim Bohren kann der Patient nicht sprechen.
Wenn wir ständig bohrende Fragen stellen, erfahren wir nichts, wenig oder das Falsche.
Das ist genauso, als ob wir keine Fragen stellten und uns beeilten, den Patienten schnell wieder loszuwerden. Dazu ein Beispiel.
Die Harvard Medical School hat einmal eine Versuchsreihe mit erfahrenen Ärzten gemacht. Dabei sollten vorher ausgesuchte Patienten in der Sprechstunde über drei verschiedene Krankheiten berichten: die leichteste (zum Beispiel eine grippale Infektion) zuerst, dann eine etwas schwerere wie zum Beispiel Gallensteine mit gelegentlichen Koliken und erst zum Schluss Symptome einer lebensbedrohenden wie zum Beispiel Krebs. Ahnen Sie das Ergebnis?
Nur 30% der Patienten bekamen die Möglichkeit, über die zweite Krankheit zu sprechen, nur 10% kamen dazu, über ihre lebensbedrohliche Krankheit zu berichten, weil sie schon viel früher wieder „draußen“ waren. Halten Sie kurz inne, und überlegen Sie bitte, wie Sie die Zahlen in Ihrer eigenen Praxis, auf Ihrer Station einschätzen.
Es ist also wichtig, dem Patienten die Gelegenheit zu geben, zuerst Vertrauen zu fassen, um dann das eigentliche Anliegen zu besprechen. Sie haben doch bestimmt schon oft erlebt, dass Ihre Patienten erst mit einer „Testkrankheit“ oder einer „Testfrage“ beginnen. Wenn Sie das gut gelöst haben, kam der Satz:
„Ja eigentlich wollte ich da etwas Schwieriges mit Ihnen besprechen, das ich schon lange mit mir herumtrage!“
Wenn Sie das noch nicht erlebt haben, waren Sie zu schnell mit der Abfertigung.
Ich habe mir zur Regel gemacht, am Ende eines Gespräches immer die Frage zu stellen:
„Kann ich noch etwas für Sie tun?“
Es liegt an mir, wie ich auf das reagiere, was dann noch kommt. Ich versuchen den Eindruck zu vermitteln, dass ich bereit bin, den Patienten das Gesprächsende mitbestimmen zu lassen und dass ich offen bin für eine weitere Frage oder Bemerkung.
Bei diesen Gesprächen zeigt sich auch, dass die wirkliche Aufgabe eines Therapeuten darin besteht, die Patienten so zu führen, dass sie die bereits in ihnen liegenden Erkenntnisse in Bezug auf die Ursache der Krankheit oder Lebenssituation und den therapeutischen Weg bewusst wahrnehmen und überzeugt gehen können. Der Arzt kann nur ein Wegweiser sein, der Wege aufzeigt und den Wanderer entscheiden lässt, welchen Weg er gehen will.
Die meisten Patienten wissen ganz genau, was ihnen fehlt, warum sie krank sind und was sie tun müssen, um wieder gesund zu werden. Wenn wir geschickt fragen und dann zuhören, erfahren wir meist genau das, was wir dem Patienten auch sagen würden. Oder wir erfahren etwas, das wir dringend wissen müssen und nicht in unsere Therapie eingebaut hätten, wenn wir nicht zugehört hätten. Es liegt an uns, ihnen das bewusst zu machen und sie zu bestärken, das gesunde Element in sich zu stützen und zu entwickeln.
Die Aufgabe des Arztes liegt in der richtigen und umfassenden Information, damit der Pa-tient seinen Entschluss selbstverantwortlich fassen kann. Deshalb kann der Arzt auch nur Vorschläge zur Therapie und dem Verhalten des Patienten machen und eine eigene Mei-nung äußern, die aber als solche für den Patienten klar erkennbar sein muss. Nur so kann einigermaßen gewährleistet werden, dass der Patient den selbst gefassten Entschluss auch ausführt und dazu steht.
Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.