Die Polizei – mein Freund und Helfer

Eigentlich hatte ich eine geruhsame Mittagspause meines Praktikums erwartet, als ich an diesem heißen Sommertag die Klinik verließ, um in die Frankfurter Innenstadt zu fahren und mir bei einem Stadtbummel den Römer und die Hauptwache anzuschauen. So schlenderte ich gemütlich durch das Zentrum, besichtigte, was ich mir vorgenommen hatte, und setzte mich dann gemütlich in ein Straßencafé und genoss einen Eisbecher unter einem Schatten spendenden Sonnenschirm.

Ein Blick auf die Uhr alarmierte mich plötzlich, denn ich war sehr spät dran. Ich musste mich beeilen, um rechtzeitig zur Nachmittagsschicht in der Klinik zu sein. Also bezahlte ich rasch, rannte zum Parkhaus, um mein Auto zu holen, und fuhr auf der breiten Ausfahrtsstraße nach Seckbach viel schneller als erlaubt. Die Straße war frei, und ich hoffte, noch rechtzeitig mein Ziel zu erreichen.

Da hörte ich plötzlich eine Sirene und entdeckte beim Blick in den Rückspiegel einen Polizisten auf seinem rasch aufholenden Motorrad. Er raste an mir vorbei, bremste knapp vor mir ab und zwang mich, langsamer zu fahren. Ich bekam einen Schweißausbrauch und fühlte mich total ertappt. Oje, auch das noch! Der Polizist zog die Kelle und winkte mich an den Straßenrand. Das konnte ja teuer werden! Und wie viele Punkte gibt das in Flensburg? Ein rascher Griff zum Geldbeutel bestätigte mir, dass ich die Wagenpapiere und den Führerschein dabei hatte. Mit einem sehr schlechten Gewissen hielt ich den Wagen auf der Parkspur hinter dem Polizisten an.

Ich holte tief Luft und überlegte, was ich jetzt sinnvollerweise tun könnte, um den Schaden so gering wie möglich zu halten. Dann stieg ich entschlossen aus und ging auf den Polizisten zu. Er fragte sofort mit finsterem Gesicht: „Wo wollen Sie denn so schnell hin?“ Ich antwortete wahrheitsgemäß: „Ich muss schnell ins Katharinenhospital nach Seckbach!“

In diesem Moment blickte er mich von oben nach unten an, sein Gesicht hellte sich plötzlich auf, er strahlte mich an und sagte: „Da bring ich Sie hin, Herr Doktor, los, hinter mir her!“ Er drehte sich um, ließ mich verblüfft stehen, schwang sich auf seine Maschine, schneller als ich verstehen konnte, was geschehen war, schaltete sein Blaulicht ein, gab donnernd Gas und raste los.

Ich war so perplex, dass ich eine Sekunde lang brauchte, um zu begreifen. Ja, richtig, ich hatte ein weißes Hemd, eine weiße Hose und weiße Schuhe an! Klar, dass er mich für einen richtigen Arzt hält und denkt, ich sei in einem Noteinsatz! Ich schmunzelte vor mich hin: Es stimmt ja, ich bin in Zeit-Not und muss sehr dringend in die Klinik, weil es dort gleich Kaffee gibt. So bereitete es mir ein erlesenes Vergnügen, hinter dem hilfsbereiten Polizisten die Landstraße entlang zu rauschen und noch schneller zu fahren als vorhin und das mit Blaulicht und Polizeischutz! Das hatte ich noch nie erlebt.

Nach einer kurzweiligen Rennstrecke bog mein rasender Führer in die Klinikeinfahrt, winkte mich auf den Ärzteparkplatz und grüßte salopp, indem er militärisch mit dem Zeigefinger an den Helm tippte. Ich grüßte dankbar zurück, und er fuhr davon. Geschafft! Ich war fünf Minuten vor dem Nachmittagskaffee auf der Station.

Ich hatte beim Fahren eine Er-Fahrung gemacht, die mir viele Jahre später im richtigen Moment einfiel. Wieder war es in der Mittagspause, als ich eilig von meiner Wohnung in die Klinik fuhr, da ich getrödelt hatte und zu spät weggekommen war. Da blitzte im Rückspiegel das Licht einer Radarfalle auf, die mich beziehungsweise mein Auto von hinten erwischt hatte. Die Polizisten hatten sie geschickt hinter einer Hecke versteckt und so an diesem Nachmittag bestimmt viele Opfer gefangen, die an der ansteigenden und geraden Strecke vor der Hecke richtig Gas gaben. Rasch überlegte ich, wo ich heraus gewunken werden könnte. Ja, da oben am Friedhof würden sie an der Einfahrt stehen, war ich mir sicher. Langsam fuhr ich weiter und überlegte, wie ich mit dem Polizisten dort reden könnte, um möglichst glimpflich davon zu kommen.

Tatsächlich wurde ich schon von einem winkenden Hüter der Ordnung erwartet, als ich zu der Stelle kam, die ich vermutet hatte. Ich hatte ja schon etwas gelernt. Also stieg ich entschlossen und zielsicher aus, ging freundlich auf den Mann zu, stellte mich vor und sagte: „Ich bin dort unten zu schnell gefahren. Ich muss dringend ins Olgahospital. Ich arbeite dort. Ich gebe Ihnen jetzt alle Papiere, die Sie haben wollen, und ich verspreche Ihnen, dass ich heute Abend nach dem Dienst auf die Wache komme, um die Sache zu regeln. Aber bitte, lassen Sie mich jetzt sofort weiterfahren!“ Der Polizist war offensichtlich verblüfft über mein uneingefordertes Geständnis, überlegte kurz, bat mich um einen Moment Geduld und ging zu seinem Kollegen, der ein paar Meter entfernt im parkenden Polizeiauto saß. Sie besprachen die Angelegenheit kurz, dann kam „mein“ Polizist zurück, gab mir die Hand und sagte freundlich lachend: „In Ordnung, Herr Doktor, Sie brauchen heute Abend nicht zu kommen! Gute Fahrt, passen Sie auf die Blitze auf!“

 

Copyright Dr. Dietrich Weller

Diese Geschichte habe ich in meinem Buch Als Schiffsarzt unterwegs – und andere ärztliche Kurzgeschichten veröffentlicht

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