Silben – Wort –und Sprachspiele
in der Silbenschmiede
Im Alter lassen Gedächtnisleistungen nach, aber auch schon in jüngeren Jahren verlieren Nerven bei Monotonie und Nichtgebrauch ihre Plastizität und das Erinnerungsvermögen wird vermindert.
Bewusst erlebte Beobachtungen oder Erinnerungen in schriftlicher Form fördern die Nervenzell-Verbindungen im menschlichen Gehirn bei aktiven Denkprozesse wie z.B. Sprechen, Schreiben, Musizieren, künstlerischen Schaffen, Handwerken oder bei Muskel-Training.
Das „Denksport-Schreib-Training“ ist mit dem „Muskeltraining“ zu vergleichen. Nichtbenutzung führt zur Verminderung von Denkfähigkeit und der Erinnerungs-Leistungen.
Ältere Menschen können ebenso wie jüngere Menschen aus ihrem Langzeitgedächtnis Worte, Sätze, Begriffe und Zusammenhänge hervorholen und z. B. zu Silben-Reimen, Reim-Gedichten oder Prosa-Lyrik schriftlich verarbeiten. Durch regelmäßig durchgeführte schriftliche Formulierungen (z.B. bei Brief– oder Tagebuchschreiben) wird sogar das Kurzzeitgedächtnis wieder neu belebt.
Literatur:
Doidge, Norman, „Neustart im Kopf: wie sich unser Gehirn selbst repariert“
Campus-Verlag, Frankfurt a. M. & New York 2008
Ärztezeitung vom 20.11.2011: „Kognitives Training hilft“
In der „Literatur-Werkstatt „Die Silbenschmiede“ fanden sich Anfang des neuen Jahrtausends Senioren zusammen, um zunächst mit der Gestaltung aphoristischer „Haiku-artiger 5-7-5-Silben – Gestaltungen zu beginnen. Im Laufe der Zusammenarbeit wurden dann auch neue Formate nach eigenen Vorstellungen entwickelt (Kurze Reim-Gedichte oder Prosa-Lyriken aus eigener Schöpfung und „Umdichtungen“ kurzer Reim – und Prosa-Lyrik bekannter Autoren).
In früheren Zeiten haben Literaten mit Buchstaben, Silben oder Wörtern kunstvolle und abenteuerliche Formen und Gebilde gestaltet. Besonders im Dadaismus war das eine beliebte Spielerei.
(Literatur: „Poetische Sprachspiele – vom Mittelalter bis zur Gegenwart,“ Reclam, 2002).
2012 brachte die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an den schwedischen Senioren-Literaten Thomas Tranströmer für seine bildhaft-metaphorischen Silben-Verse im Stil japanischer Haikus eine Bestätigung für das Vorhaben.
In dem Buch „Imperial China“ wird beschrieben, dass der Kaiser Quianlong mehr als
40 000 Gedichte verfasst hat. In China mussten Staatsbeamte mit intensiven literarischen Prüfungen unter Beweis stellen, dass sie nicht nur des Lesens kundig waren und über einen durch Bücher gewonnenen Wissensschatz verfügten, sondern dass sie auch fähig waren, selber Gedichte und Erzählungen zu verfassen.
Vom derzeitigen Premierminister Wen Jiabao ist bekannt, dass er selber gern Gedichte verfasst
Die Beschäftigung mit der Selbst-Gestaltung literarischer Gebilde hat bei den Teilnehmenden sowohl das Kurzzeit – als auch vor allem das Langzeit – Gedächtnis angeregt..
Beispiele
Fenster
(Wörter oder Silben von links unten senkrecht hoch, waagerecht nach rechts,
senkrecht nach unten und waagerecht nach links)
Wenn wir jetzt ein Fenster konstruieren,
muss auf der ei-
nen Sei- te ein
Rahmen sein und
auf der and´ren
auch, sonst kann man
nicht durch das Glas
schauen, und das wäre nicht zweckmäßig. (D.W.)
nung sind Bau – stei – ne für
Hoff- ein
be, zu
Lie- frie
be, de-
Glau- / Welt der in Sein nes (G.N.)
Wortspiele
Als die Nachfahren bei den Vorfahren
mit dem Fahrzeug vorfahren wollten,
war ihr Fahrer nicht ganz fahrfähig,
weil er fahrlässig die Fahrerlaubnis
verfahrenshalber verloren hatte.
Ein anderer Fahrer musste fahren..
In dem fast abgefahrenen Gefährt
saßen die zwei Gefährten des Fahrers
und meinten, dass des Fahrers Fahrlehrer
ein abgefahrener Fahrkünstler gewesen sei. (H.H.)
Ich würde sagen, wir sollten –
Ich sollte meinen, wir hätten –
Ich möchte glauben, wir könnten –
Ich könnte schwören, wir möchten –
Ich möchte annehmen, wir müssten –
Ich dürfte glauben, wir würden –
(Aus „Poetische Sprachspiele“, (Reclam, 2002 :286, R.O.Wiemer)
Silbenkompositionen
1-2-1-er
Ich Von
habe Fall zu
’nichts Fall
2-4-2-er
Gerne Duldsam
würden wir erweisen sich
bleiben Diener
3 -5-3-er
Die Knechtschaft Kommodig
fordert Tribute liegt man gern auf dem
an Leben Chaiselongue
4-6-4-er
Bedachtsamkeit Klar blickende
weist auf phlegmatische Augen entzücken die
Menschen Typen. meisten Männer.
5-7-5-er
Exakte Fassung Auch gute Reime
der Silben-Folgen schaffen statt strenge Haiku – Formen
den rechten Haiku. regen den Geist an.
Die Halbwertzeiten Halbedelsteine
medizinischen Wissens kosten wegen Seltenheit
werden stets kürzer oft große Summen
Doppel-6-7-5-er
einen Cent beim „Aufrunden“
an der Kasse gibt,
dann kommen täglich
achthunderttausend Euro
in Spendenkassen.
Am Beginn steht man
wie ein Rätselratender
vor einer Denkwand.
Lange Überlegungen
erfordert erster „Tanka“.
Dann aber geht’s los!
Elfchen
Achtsamkeit
ist ruhevolles,
wertfreies, geduldiges Betrachten
des momentanen Geschehens in
mir.
Elfer
Als Dichter erscheinst du illuster-famos,
als Mensch hast du meistens eine Schraube los!
Es ist besser, ein kleines Licht anzünden
als über Dunkelheit dauernd zu schimpfen.
Raute (1-2-3-4-5-5-4-3-2-1)
Der
Affe
wäscht die Nuss
im Meerwasser.
Sie schmeckt ihm sehr gut.
Er kreischt vor Freude.
Alle Affen
machen es ihm
alsbald
nach.
Was
kann das
bedeuten?
Affendenken
verbreitet sich rasch
rund um den Globus.
Ohne Google!
Präzise,
weit und
breit.
Hexa über 3 oder 4 Zeilen je 3-3 Silben
Anlage in Häuser
lohnt sich nur, wenn Mieten
höher sind als Kaufpreis.
Zufälle – Sie spinnen
wie ein Netz Bindungen
mit langen Haftfäden
oft lange im Voraus
Limerick
Manche Denker schöpfen
aus uralten Töpfen
Gedanken von Männern
und großen Kennern
und deren genialen Köpfen.
Statt nur träge rumzusitzen,‘
sollten Dicke besser flitzen;
schwimmen, joggen, rennen,
Kalo-Joule verbrennen
und dabei kräftig schwitzen.
Dreieck (Pyramide, 1-10 Silben)
Weil
dicke
Elefanten
starke Muskeln
haben, werden sie
gern als Arbeitstiere
für Schwerarbeiten gebraucht
und erhalten deswegen auch
gute Verpflegung und Betreuung
durch Elefantenpflege-Mahouts.
Viereck (Quadrat, 10 x 10 Silben)
Am Anbeginn jeglicher Anfänge
war die Leere des Namenlosen.
In namenloser Leere war das Sein.
Aus leerem Sein entstand Materie.
Aus formlosen Dingen entstand Leben.
Geistige Kräfte formten die Körper.
Geist-Materien formen im Leben
die sich verwandelnden Daseinsformen
in ewig kreisend’ Werden und Vergeh’n
Ohne Anfang und auch ohne Ende
Prosa-Lyrik
Es entgleitet meinen Händen,
je mehr ich es zu ergreifen und festzuhalten versuche.
Erst wenn es mir nicht mehr wichtig erscheint,
fällt es mir zu wie ein Geschenk.
Sommer und Winter kommen und gehen
und die Natur wandelt ihr Gesicht,
ganz ohne Mühe und Anstrengung
Alles hat seine Zeit und geht seinen Weg
und findet seine Vollendung.
Werde auch ich einst vollendet sein?
Reim-Lyrik
Es schwang sich ein Gedankenbild
aus weiter Ferne in mich ein.
Mein Geist, er wurde ganz erfüllt
von einem völlig Anderssein.
Ich stand in einem fremden Garten
in Blütenpracht und Sonnenschein.
Ich braucht’ nicht lange warten,
das trat die schöne Frau herein.
Sie lächelte und sprach zu mir
mit seltsam fremden Worten.
Mit Klarverstehen folgt’ ich ihr
zu fremdlich – unbekannten Orten.
Doch schon nach kurzem Warten
setzte das Erleben aus.
Befand mich wieder in dem Garten –
und gleich darauf bei mir zu Haus.
Beispiel für „Umdichtung“
Geh’ aus mein Herz
Version: Paul Gerhard Version: Günter Neumeyer
Geh’ aus mein Herz und suche Freud Geh aus mein Herr und sieh das Leid
in dieser schönen Sommerzeit in dieser Schöpfung weit und breit,
an deines Gottes Gaben! das wir geschaffen haben.
Schau an der schönen Gärten Zier Schau an die Welt in ihrer Not, vom
und siehe, wie sie mir und dir Wärmetod ist sie bedroht,
sich ausgeschmücket haben. verbrannt sind ihre Gaben.
Die Bäume stehen voller Laub, Den Bäumen fehlet bald ihr Laub,
das Erdreich decket seinen Staub das Erdreich decket seinen Staub.
mit einem grünen Kleide. Der Wald, der ist bald umgebracht
Narzissen und die Tulipan die Luft vergiftet Tag und Nacht
die ziehen sich viel schöner an, das Wasser kann’s nicht fassen.
als Salomonis Seiden.
Die Lerche schwingt sich in die Luft. Motorenlärm durchdringt die Luft.
Das Täublein fliegt aus seiner Kluft Raketen lauern in der Gruft,
und macht sich in die Wälder. bedrohen alles Leben.
Die hochbegabte Nachtigall Schreckenswaffen ohne Zahl
ergötzt und füllt mit ihrem Schall versteckt in Hügel, Berg und Tal;
Berg, Hügel, Tal und Felder. und Kriege wird’s bald geben.
Die Glucke führt ihr Völklein an. Das Huhn legt in der Batterie
Der Storch baut und bewohnt sein Haus-. die kleinen Kücken sieht es nie.
Der schnelle Hirsch, das leichte Reh Der Storch kommt nicht zurück zum Haus,
ist froh und kommt aus seiner Höh’ die Frösch’ und Kröten sterben aus,
ins tiefe Gras gesprungen. der Vogelsang verklungen.
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