Kennzeichen
Der Simulant schildert nicht vorhandene Symptome, um daraus Vorteile zu ziehen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Sport- oder Schulbefreiung, ein anderer Arbeitsplatz, Entschädigungen von Versicherungen sind oft begehrte Vorstufen zur Rente. Zuwendung von anderen Menschen und Schonung sind offensichtliche Krankheitsgewinne durch Simulation. Das begreifen schon die kleinsten Kinder und wenden es perfekt an. Jede Mutter kennt die Bauchschmerzen ihres Kindes, wenn es nicht in den Kindergarten will oder in der Schule eine Klassenarbeit bevorsteht.
Der Simulant ist bei guter Schauspielkunst und mangelnder Aufmerksamkeit des Arztes / Therapeuten nicht oder nur sehr schwer zu erkennen. Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen sind so schnell nicht zu widerlegen und reichen allemal für eine kleine Krankmeldung von ein paar Tagen, und mehr braucht der Simulant meistens nicht.
Was machen wir mit dem Simulanten?
Da wir Ärzte ja ganz überwiegend mit Patienten zu tun haben, die tatsächlich krank sind, ist es relativ wahrscheinlich, dass wir einen guten Simulanten übersehen. Deshalb möchte ich Ihnen einen Satz sagen, der in der ganzen Medizin gilt und so banal wie wahr und hilfreich ist. Ich habe ihn in der Vorlesung bei dem berühmten Internisten Prof. H. E. Bock in Tübingen gehört: „Eine Diagnose kann man nur stellen, wenn man an sie denkt!“ Also schärfen Sie Ihren diagnostischen Blick mit ein bisschen gesunder Skepsis und realistischer Erfahrung mit den weniger guten Eigenschaften in uns Menschen.
Sorgfältige Diagnostik ist nötig, weil auch Simulanten krank sein können. Vielleicht finden Sie etwas Pathologisches und Behandlungsbedürftiges, auch wenn es dem Simulanten gar nicht in seine Pläne passt.
Der Simulant verführt oft zu Überdiagnostik und Übertherapie wie der Hysteriker auch. Davor müssen wir uns und den Patienten schützen. Das gilt besonders, wenn der Simulant mehrmals mit der gleichen Masche ankommt.
Wenn wir den Verdacht auf Simulation haben, können wir mitspielen. Aber wir werden erpressbar und unglaubwürdig. Dadurch verspielen wir das Vertrauen des Patienten und die Achtung vor uns selbst. Denn was halten Sie von jemand, der etwas macht, wovon er nicht überzeugt ist und sogar betrügerische Machenschaften unterstützt? Und das ist so, wenn Sie eine Krankmeldung ausschreiben und wissen, dass der Arbeitgeber oder die Krankenkasse das Gehalt weiter bezahlen, ohne dass eine angemessene Leistung dem gegenüber stehen.
Oder wir beginnen eine detaillierte Suche. Das bringt erhöhte Kosten und alle Vor- und Nachteile, die der Patient durch die Zuwendung erhält. Hypochonder und Simulanten werden ermuntert, die Beschwerden größer werden zu lassen, um im Kampf mit dem Arzt zu siegen. Dadurch kommt der Arzt immer mehr in Zugzwang und wird hilflos gemacht. Außerdem sind wir Ärzte meiner Meinung nach in Zeiten der schwindenden Geldmittel im Gesundheitssystem sehr gefordert, die Ausgaben in einem für die Allgemeinheit vertretbaren Rahmen zu halten. Das gilt erst recht für Leistungen, die wir Simulanten zukommen lassen.
Selbst wenn der Arzt den Patienten überführen kann und dies deutlich zeigt, verliert er den Kampf menschlich und außerdem wahrscheinlich den Patienten, und dem Patienten ist nicht geholfen. Denn der Patient kennt keine für ihn gangbare Möglichkeit, sein Ziel ohne die Simulation zu erreichen. Er wird beim nächsten Arzt das gleiche Spiel versuchen.
Deshalb ist eine sorgfältige Sozialanamnese sinnvoll, um die Hintergründe aufklären und unterscheiden zu können zwischen Simulation, Aggravation (übertriebene Schilderung tatsächlich vorhandener Symptome), neurotischem Verhalten und einer Lüge. Ein Hausarzt ist hier im Vorteil gegenüber dem einmal aufgesuchten Facharzt, weil er seine Pappenheimer kennt.
Ein problemorientiertes Gespräch ist angezeigt, um mit dem Patienten eine Möglichkeit zu erarbeiten, die seine Situation ohne Simulation löst.
Wir sollten den Triumph, ihn überführt zu haben, nicht zeigen. Das entwertet und kränkt den Patienten. Wenn wir mit Simulanten gut umgehen, können sich daraus sehr gute Beziehungen entwickeln, weil der Patient das Gefühl bekommt, wirklich menschlich ernst genommen zu werden, auch wenn er mit unlauteren Mitteln vorgehen will.
Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.