Der zweite Aufenthalt in Dakar

Nach etwa vier Wochen brachen wir wieder auf, um in Dakar zu bunkern. Dort hatte die Meteorologische Gesellschaft der UNO während des Experimentes eine Zentrale eingerichtet. Ich hörte von unserem Funker, daß ein Treffen der Ärzte und Forschungsleiter anberaumt war. Also fuhren wir hin und trafen die Kollegen aus den teilnehmenden Ländern. Rasch standen die Ärzte beieinander, und wie meistens bei solchen internationalen Treffen war Englisch die verbindende Sprache.

Ich lernte meine französischen, russischen, englischen und amerikanischen Kolleginnen und Kollegen kennen. Das brasilianische Schiff war schon von der Ankerstelle auf die andere Seite des Atlantiks nach Hause gefahren. Leider wurde die kleine Runde rasch unterbrochen, weil das allgemeine Programm des Nachmittags begann und wir unseren Plausch nicht fortsetzen konnten. Deshalb schlug ich vor, dass wir uns am nächsten Nachmittag auf der Meteor zu einer Ärzterunde und Absprache weiterer Aktivitäten treffen sollten. Diese Einladung nahmen alle gerne an, und so konnten wir uns auf die wissenschaftlichen Details dieser Nachmittagsvorträge konzentrieren.

Am nächsten Tag waren die Kolleginnen und Kollegen pünktlich und vollzählig in meiner Kajüte versammelt. Zuerst zeigte ich ihnen mein Appartement und löste damit allgemeine Bewunderung und wahrscheinlich auch einen gewissen Neid aus. Das konnte ich zwar im Moment nicht verstehen, aber als ich später einige andere Schiffe besuchte, wurde mir klar, wie luxuriös und gediegen die Ausstattung der Meteor im Vergleich dazu war.

Wir saßen sehr eng, weil mehr als zehn Menschen in der kleinen Eckbank und daneben Platz finden mussten. Aber das tat unserer guten Laune keinen Abbruch. Meine Frage „Kaffee oder Bier?“ wurde einstimmig zugunsten des Bieres entschieden, und so kredenzte der Steward Becks und Jever Pils. Meine Gäste waren sofort von der hervorragenden Qualität der Biere begeistert und griffen zu.

Die nächsten Stunden verbrachten wir in gemütlicher Runde mit einem Fachgespräch, das natürlich mit vielen persönlichen Bemerkungen gemischt war. Der russische Kollege von der Professor Wiese stellte sich als erfahrener Chirurg aus Leningrad vor. Von ihm hatte ja Heinz schon berichtet. Außerdem waren zwei Ärztinnen aus der Sowjetunion dabei, eine Internistin und eine Frau, die wir bei uns als Allgemeinärztin bezeichnen würden. Der Franzose war Anästhesist, und auf den amerikanischen Schiffen fuhren hochqualifizierte Operationsschwestern anstelle eines Arztes mit. Jeder stellte kurz sein Schiff vor, und dabei erfuhr ich, dass eine der Frauen auf der Vanguard ihren Dienst verrichtete, also dem NASA-Schiff, das ich unbedingt besuchen wollte.

Im Laufe des Nachmittags wurde ich von allen anwesenden Kollegen auf ihre Schiffe eingeladen, ich solle mich kurz anmelden oder gleich einen Termin vereinbaren, wir hatten ja nur drei Tage Zeit im Hafen. Also verabredete ich mich: Morgen sollte ich zu Vladimir, dem Chirurgen, auf die Professor Wiese, kommen. Das war auch insofern interessant, als ich erfahren hatte, dass unsere Besatzung mit ihren sowjetischen Kollegen ein Tischtennisturnier auf diesem Schiff verabredet hatte.

In einigen Gesprächen mit unserer Besatzung hatte ich erfahren, daß sie viel lieber mit russischen Seeleuten Kontakt hatten als mit amerikanischen, da man mit den Russen emotional viel besser auskommen könne, und die Amerikaner unserer deutschen Mentalität fremder seien. Ich beschloss, mich unserer Gruppe anschließen und Vladimir so treffen.

Für den nächsten Vormittag freute ich mich auf den Besuch der Vanguard. Und die Schwester, die dort den ärztlichen Dienst versah, stellte mir rasch einen Passierschein für die Wachen aus und schrieb ihre Telefonnummer an Bord auf, so daß ich ohne Schwierigkeiten durch die Kontrollen kommen würde.

Wir besprachen auf der Meteor jetzt einen Einsatzplan, wer welche Spezialitäten an Wissen, Apparaten und Instrumenten hatte. Es stellte sich schnell heraus, dass wir auf der Vanguard und der Meteor die besten Operationsmöglichkeiten hatten. Aber wir brauchten für größere Eingriffe den französischen Anästhesisten und notfalls, meinte Vladimir, sei er auch ganz erfahren mit Narkosen, und mit meinem Lachgasgerät könne er umgehen, er habe es daraufhin angeschaut.

Also mussten bei operationsbedürftigen Patienten nur noch die Transportwege geklärt werden, da keines der Schiffe die Ankerstelle verlassen durfte. Aber jedes Schiff hatte schnelle Motorboote an Bord, mit der Patient und Arzt an den Behandlungsort gebracht werden konnten. Wir rechneten aus, dass die Einsatzzeit vom Alarm bis zum möglichen Operationsbeginn etwa drei bis vier Stunden betragen würde, wenn wir eine volle Mannschaft mit Chirurg, Anästhesist und Operationsschwester zusammenstellen müssten. Aber jeder von uns war in der Lage, kleinere Eingriffe mit Bordmitteln und eigenem Personal vorzunehmen. Diese Aufstellung der Möglichkeiten erschien mir ganz beruhigend, und ich freute mich über die unkomplizierte internationale Begegnung und Kooperationsbereitschaft.

Die Stunden flogen rasch vorüber, und die Kollegen wollten zum Abendessen auf ihrem Schiff sein, obwohl ich sie gerne bei mir eingeladen hätte. Da sie so begeistert von den Bieren waren, die ich ihnen angeboten hatte, rief ich den Steward an, der Becks und Jever Pils brachte. Ich wollte die Flaschen verteilen, und so ergab sich das lustige Bild, dass eine Amerikanerin und Vladimir jeweils mit einem vollen Bierkasten auf der Schulter das Fallreep hinunterstiegen. Sie hatten mit ihren Kolleginnen und Kollegen vereinbart, die Geschenke dann an Bord zu teilen. Für den Transport waren die Kisten am geeignetsten.

Ich habe diese Geschichte in dem Buch Als Schiffsarzt unterwegs – und andere ärztliche Kurzgeschichten veröffentlicht

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