„He, Manny, was machen wir mit dem angebrochenen Abend?“, grölt Harry, trinkt den letzten Schluck aus seiner Flasche und knallt sie auf die Theke. Plötzlich verstummt die lärmende Männerrunde, die von reichlich Alkohol aufgeheizt ist.
„Ich hätt´ nicht übel Lust, mal wieder richtig drauf zu hauen!“, prahlt er. „Assis abklatschen, die unser Land versauen! Das Pack sollen bleiben, wo es herkommt und dort verrecken!“
Er stampft seine Springerstiefel auf den Steinboden der Kneipe und streicht sich über den blanken Schädel. Dann steht er auf, zieht seine Jacke mit einem Ratsch zu und baut sich breitbeinig in der Mitte des Raums auf: „Also, wer geht mit?“
Manny klettert von dem Barhocker und stellt sich demonstrativ neben Harry. Als sich niemand zu Wort meldet, feixt er: „Na, wollt ihr das Spiel uns allein überlassen? Keine Lust, einem Nigger oder Kanaken die Fresse zu polieren! Wir müssen unser Vaterland sauber halten!“
„Okay, ich bin dabei!“ – Freddy erhebt sich aus dem zerschlissenen Sofa und schwankt leicht.
„Ich auch!“, ruft Teddy aus der Ecke.
Rasch sind die Schlagringe aufgesetzt, die Baseballschläger verteilt und die Messer griffbereit verstaut. Die Kneipentür fliegt auf, und die Vierergruppe marschiert mit der Entschlossenheit einer abgefeuerten Maschinengewehrsalve in die vollmondhelle Nacht.
Ein paar Querstraßen weiter sehen sie Owambo an der Bushaltestelle stehen, der vor ein paar Wochen ins Asylantenheim eingezogen war. Der Stadtanzeiger hatte sein Bild veröffentlicht und seine Geschichte erzählt: Mit zweiundzwanzig war Ovambo aus Nigeria geflohen, weil die Islamisten ihn, den Pfarrersohn, verfolgt hatten. Mehrfach konnte er ihren Todesdrohungen und Angriffen in letzter Minute entfliehen, aber seine Eltern und Geschwister hatten sie gefoltert und dann erschossen. Auf der Überfahrt war er im Sturm beim Kentern des überfüllten Boots fast ertrunken. Jetzt war er glücklich, endlich in Sicherheit in einem zivilisierten Land zu sein.
In seinen Träumen sah er immer wieder, wie die Schlächter, die sein Dorf überfallen hatten, einer Schwangeren bei lebendigem Leib das Kind aus dem Bauch geschnitten und dann Mutter und Kind geköpft hatten. Er wachte oft schreiend auf, weil ihn im Alptraum bewaffnete Banden über die Steppe jagten und den Gefangenen mit Macheten Glieder abhackten.
Der Schlägertrupp hat jetzt sein Opfer schneller umzingelt, als Owambo fliehen kann. Sofort pöbeln sie ihn an.
„He, was willst du bei uns? Nigger brauchen wir nicht, die fressen zu viel und stinken!“ –
Owambo erschrickt und geht voll Panik einen Schritt rückwärts.
„Du wirst ja nicht mal blass, nicht ein mal das kannst du, Nigger!“, höhnt Harry.
„Da kriegst du eins auf die Schnauze, damit du das kapierst!“, schrei Teddy. Der Schlagring trifft Owambo mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Das Nasenbein kracht. Er torkelt, kann sich aber gerade noch auf den Beinen halten. Blut tropft aus seiner Nase. Er sieht eine Lücke zwischen Harry und Manny. Geschmeidig setzt er zum Sprung an und rennt los. Die wütenden Männer hetzen ihm nach. Die Springerstiefel knattern wie Pistolenschüsse über das Kopfsteinpflaster und hallen an den Hauswänden wider.
Owambos Vorsprung wird größer. Er biegt in einen Weg der Schrebergartensiedlung. Erst neulich hatte er bei einem Spaziergang das freie Leben zwischen den Sommerblumen, dem duftenden Gras und den großen Bäumen genossen.
Jetzt spürt er die tödliche Hatz der geifernden Meute hinter sich.
Er flüchtet um eine Hecke, versteckt sich mit einem Sprung hinter der Krone eines umgefallenen Baums und bemüht sich, so leise wie möglich zu atmen. Die Viererbande rennt fluchend an seinem Versteck vorbei.
„Der verdirbt uns glatt den Spaß!“ Manny bleibt stehen und schreit in die Nacht: „Nigger, wo hast du dich versteckt? Wir wollen nur mit dir spielen! Komm raus, du Feigling! Wir machen dich alle!“
Owambo kann die Bande auf der anderen Straßenseite sehen. Er bleibt ruhig und fühlt den Schweiß über den Rücken rinnen. Sein Herz klopft so laut, dass er Panik hat, die Männer könnten es hören. Er hält dämpfend seine Hände über den Brustkorb.
Die Sekunden dehnen sich zu Stunden. In der Ferne bellt ein Hund. Der Wind raschelt durch das Laub neben Owambos Ohr. Die Männer unterhalten sich leise, sodass Owambo nichts versteht.
Harry lässt den Lichtkegel seiner Taschenlampe suchend über den Weg, die Gärten und die Hecke gleiten. Owambo schließt die Augen bis auf einen schmalen Spalt. Er weiß, dass sie im Licht einer Lampe wie bei einer Katze funkeln. Er sieht den Lichtstrahl über das Laub vor seinem Gesicht gleiten – und vorbei fliegen und verlöschen. Es bleibt ruhig. Sie hatten ihn nicht entdeckt.
„So eine Scheiße, jetzt sind wir umsonst gerannt! Aber den kriegen wir noch! Geh´n wir!“ Harry steckt die Lampe ein. Die Männer machen sich frustriert auf den Heimweg. In diesem Moment kracht in der Baumkrone ein Ast, auf den sich Owambo gestützt hatte. Die Bande bleibt sofort stehen.
„Was war das denn?“, fragt Teddy und schaut zurück. Da sieht er, wie Owambo aus seinem Versteck springt und flüchtet.
Ein Wutschrei durchreißt die Stille: „Los, hinterher!“ – Die Jagd ist wieder eröffnet.
Die Meute verfolgt Owambo. Er entdeckt eine Gartenhütte mit einer angelehnten Tür, flieht hinein und schiebt den Riegel vor. Durch das kleine Fenster zeigt ihm das Mondlicht einen Gartenstuhl. Er rückt ihn rasch unter die Türklinke. Da weiß er, dass er in der Falle sitzt. Das Bild seiner Dorfkirche blitzt in der Erinnerung auf: Die Bande hatte Frauen und Kinder hinein getrieben und dann die Kirche angezündet. Er hört jetzt plötzlich ihre Schreie, die sich mit den Rufen seiner Verfolger mischen. Während sie an der Tür rütteln, brüllt einer: „He, du dreckiger Nigger, mach sofort die Tür auf, sonst schlagen wir sie ein!“
Harry lässt das Licht der Taschenlampe durch die Scheibe blinken. Nackte Todesangst schießt ihm aus Owambos Augen entgegen, der zurück weicht, aber sofort an die Wand hinter sich stößt.
„Ich hab einen Türöffner!“, feixt Manny und zieht eine Handgranate aus der Hosentasche.
„Dem machen wir Feuer unterm Arsch!“
Nach hartem Wurf splittert das Glas. Ein Blitz taucht die Hütte in grelles Licht. Die Flammenzungen schießen eine fauchende Feuerfackel in die Sommernacht. Ein Panikschrei übertönt den Knall, bevor Ovambo erstickt und in brennenden Kleidern zu Boden sinkt. Dann knattert nur noch der Mordbrand.
Die Bande hört eine Minute später auf der Flucht eine Explosion. Beim Blick zurück sehen sie, wie die haushohe Stichflamme den Himmel mit flackerndem Feuer bespeit und Bretter und Dachziegel in die Luft schleudert.
„Da hat einer Diesel für den Rasenmäher gehortet, wie praktisch!“, lacht Teddy hämisch und rennt weiter.
Die Täter wurden nie gefasst.
Bemerkung:
Diese Geschichte entstand in der Schreibwerkstatt als Hausaufgabe zu dem Thema „Verbotene Spiele“.
Die Idee zu dieser Geschichte stammt aus einer Zeitungsnotiz vor einigen Jahren: Ein farbiger Migrant wurde von unbekannten Tätern in einer Gartenhütte verbrannt. Die Täter wurden nicht gefasst, man vermutet sie in der rechtsradikalen Szene. Der geschilderte Tathergang ist erfunden.