Tomte Parker
Ich lieg dann mal los
Von der Sofakartoffel zum Liegeradsuperhelden
FjällBunny Verlag, ISBN 978-3-00-058264-6, 290 Seiten
Rezension
Ich bin ein bekennender Nichtsportler. Es ist Jahrzehnte her, dass ich auf einem Fahrrad gefahren bin. Schreibtischvorsitzender, meditativer Fotograf und Dauerleser würde besser zu mir passen.
Umso gewichtiger ist meine Begeisterung für dieses Buch. Es hat mich von Anfang bis Ende fasziniert.
Mein internistischer Kollege, der sich das Pseudonym Tomte Parker verliehen hat, wird durch das Geschenk eines Fahrrades, das er im hohen Fahrrad-Anfänger-Alter von 36 Jahren geschenkt bekommt, mit dem Zweiradvirus infiziert. Die „Bewegungskrankheit“ hat ihn total erwischt. Er fährt anfänglich (fast) untrainiert und mit einem City-Bike unter der Radhose bei Straßenradrennen mit und triumphiert als weit abgeschlagener Letzter. Jetzt erst recht, ist seine Devise. Er lässt sich nicht unterkriegen und absolviert eine Tour durch die Normandie. um seinen dort lebenden Bruder zu besuchen. Dann kommt der entscheidende Gedanke: Er kauft sich ein Liegenddreirad und beschließt, vom Wendland an das Nordkap zu fahren. Das sind von seinem Wohnort in Niedersachsen gerade mal 2800 km. Aus beruflichen Gründen plant er die Tour auf drei Abschnitte innerhalb eines Sommers. Zwischendurch ist er wieder ein paar Wochen in der Klinik tätig. Auf der letzten Etappe begleiten ihn seine Frau und der dreizehnjährige Sohn Moritz – beide ebenfalls auf Fahrrädern.
Die Geschichte ist nicht nur spannend, weil es zwischendurch trotz sorgfältigster Planung der Tagesetappen mit Nachtquartier und Anpassung des Streckenverlaufs an das Höhenprofil so aussieht, als würde die Mission scheitern. Entspannte Tage in der traumhaft schönen skandinavischer Landschaft wechseln ab mit golfballgroßen Hagelkörnern, endzeitähnlichen Wolkenbrüchen und lebensbedrohlichen LKW-Fahrern. Parker trotzt allen Widerständen. Ich gewann den Eindruck, dass ihn die völlige körperliche Erschöpfung, in die er sich mehr als einmal hineinfährt, am nächsten Tag wieder umso entschlossener seine Satteltaschen packen und in die Pedale treten lässt. Mit dem idealistischen Anspruch des Superhelden auf drei Rädern konfrontiert er sich mit der demütigenden Wirklichkeit von kräftezehrenden Witterungen und Bergsteigungen. Er kann über sich lachen mit realistischer Selbstkritik und Mut machender Hoffnung.
Drei Aspekte haben mich ganz besonders berührt in diesem Buch.
Da ist einerseits die enorme körperliche Leistung, eine solche Extremradwandertour durchzustehen. Das zwingt, glaube ich, auch einem leidenschaftlichen und hochtrainierten Radfahrer höchste Achtung ab! Und andererseits zeigt das Buch in nahezu jedem Satz eine ansteckend positive und überzeugende Grundhaltung, die Tomte Parker selbst aus der größten Wut und Erschöpfung heraus führt. Das erkennen wir besonders gut im letzten Teil der Extremtour, als es darum geht, das gemeinsame Ziel zu dritt zu erarbeiten. Wie diese Familie hier im Team die Schönheiten der Reise genießt und die unvermeidlichen Konflikte löst, erscheint mir vorbildlich. Und wie der dreizehnjährige Moritz die Strapazen wegsteckt und als ebenbürtiges Teammitglied handelt, darf als große Herausforderung und Beispiel gebende Haltung für viele junge Menschen gelten.
Drittens bietet die leicht lesbare und fantasievolle Sprache ein exquisites Vergnügen. Sie zaubert unmittelbar lebhafte Bilder in das Kopfkino des Lesers und verbindet diesen Film mit einem durchgängigen Sprachwitz und geistreichem Humor, wie ich ihn in den letzten Jahren in keinem Buch gefunden habe. Aber missverstehen Sie mich bitte nicht! Das Buch ist keine oberflächliche Sammlung von Tagesimpressionen. Wir lesen eine tagebuchähnliche Schilderung von Ereignissen, die mit sensibler Empfindung aufgenommen und durch virtuose Sprachkunst vor unseren Augen lebendig werden.
So stelle ich mir Unterhaltung auf bestem inhaltlichem und sprachlichem Niveau vor! Ich gratuliere zu diesem Erstlingswerk und freue mich auf das zweite Buch, das Tomte Parker gerade vorbereitet!