Das alte und das neue Jahr (Spiegelsonett)

Die Form des Spiegelsonetts habe ich entwickelt. Das dachte ich, bis ich entdeckte, dass es lang vor mir schon einigen anderen Menschen eingefallen war, nicht nur Endreime an einander anzupassen, sondern auch die Reime zu spiegeln.  Sie werden an der Spiegelachse gespiegelt, und inhaltlich ist das erste Sonett das Spiegelbild es zweiten Sonetts. Im folgenden Gedicht stehen  das alte Jahr 1009 und das neue Jahr 2012 einander gegenüber.

Das Jahr verflog viel rascher als wir dachten,
brachte Bürden, Wunder und Routine.
Wir erlebten, wie mit sorgenvoller Miene
Politiker den Klimaschutz zunichte machten.

Menschen manches Dankgebet erbrachten,
weil sie wie auf einer Einbahnschiene
in Gedanken an die Alltagsflugroutine
nicht an Landeglück im Hudson dachten.

Ein Jahr mit großem Schicksalsschwanken
endet, lässt uns nachdenklich zurück:
Was folgt weiter: Sorgen oder Glück?

Ob wir hoffend oder grübelnd wanken,
können wir in jedem Falle dankbar sagen:
zuverlässig werden wir erneut getragen.

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Auch zur Jahreswende stehen Fragen
vor uns, die für alle un´sre Lebenslagen
prägen schicksalswirkende Gedanken.

Wir sollen das gewährte Zukunftsglück
nicht erstreben mit dem Blick zurück,
sondern ruhig, ohne Zögern, ohne Zanken

nach Erfüllung unsrer Tage trachten.
Dann kann die vergiftete Gedankenmine
nicht zerfetzen eine sorgenlose Miene,
mit der wir morgens noch erwachten.

Wir sollen nicht auf Illusionen achten,
sondern lieber strebsam wie die Biene
ganz geduldig auf der Lebensschiene
selbst die Lebensgnade wach beachten.

Copyright Dr. Dietrich Weller

Dieses Gedicht habe ich im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2011 veröffentlicht.

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