Die Haie und das Essen

Da die Essensreste einfach über Bord gekippt wurden, konnten wir jeden Tag beobachten, wie die Haie heran schossen, sich ihren Teil schnappten und in der Tiefe verschwanden. Diese gefürchteten Seeräuber zu fangen, war in der Freizeit eine Lieblingsbeschäftigung de Besatzung. Deshalb standen die Männer oft mit der Angel an der Reling, und die gefräßige Beute war häufig sehr schwer.

Ein besonders grausames Vergnügen machte es einigen Matrosen, mit dem großen Fleischerhaken zu angeln, an den sie ein dickes Stück Schinken gehängt hatten. Zweimal durchschaute der Hai das Spiel, schnappte sich geschickt den frischen Schinken und biss nicht in den Haken. Das erhöhte natürlich die Wut der Jäger auf dem Schiff. Beim dritten Versuch -oder war es ein anderer Hai?- rammte sich der Haken tief in den Gaumen des Räubers, und der Hai wollte davonschießen.

Der brutale Kampf begann. Der etwa vier Meter lange Riese tobte mit seiner ganzen Kraft an der Stahlleine, die sehr kurz an der Reling festgezurrt war, sonst hätte sie keiner von uns halten können. Ganz langsam zogen die Matrosen mit vereinten Kräften den rasenden Hai immer näher an das Schiff. Das klare blau-grüne Wasser hatte sich blutrot gefärbt und wurde von den heftigen Schwanzschlägen aufgewühlt und regelrecht schaumig umgerührt. Erst als der verwundete Fisch die Bordwand blutig schlug und in ganzer Länge im Freien zappelte, befestigten die Matrosen das Seil so, daß das Raubtier auf halber Höhe des Schiffes in der prallen Sonne hing. Dann holten sie sich ein Bier für die Wartezeit. Es dauerte lange, bis die Kräfte des Riesen erlahmten und er mit deutlich nachlassender Wucht um sein Leben kämpfte.

Während dieser Wartezeit stand ich einigermaßen fassungslos bei diesem tierquälerischen Unternehmen und fragte die Seeleute, warum sie denn so grausam seien. Einer der Matrosen grinste zurück: „Klar, Doc, wenn Sie ins Wasser fallen, geht der auch nicht zimperlich mit Ihnen um. Wir Seeleute hassen den Hai, das ist unser größter Feind. Wir schaden ihm, wo wir können.“ Damit war die Frage beantwortet, und er wandte sich mit breitem Gelächter und gehässigen Bemerkungen wieder dem zappelnden Tier zu.

Nachdem der Hai ermattet war und nur noch schwach zuckte, holten die Matrosen ihn mit gebührendem Abstand und sichtlichem Respekt vor dem tödlichen und immer noch lebendigen Maul über die Reling. Einer der Seeleute nahm eine etwa zehn Zentimeter dicke Holzstange in der Hand und rammte sie in das offene Maul des Haies, um es zu blockieren. Ich konnte die rasiermesserscharfen und in mehreren Reihen unregelmäßig verteilten großen Zahnmonster erkennen, die einem Menschen mit einem Biß den Oberschenkel abtrennen können.

Ich bewunderte die glatte Haut, die dem Hai die herrliche Stromlinienform verkleidete, und die großen klaren Augen. Die winzigen Nasenlöcher ließen nicht ahnen, dass dahinter eines der besten Riechorgane der Entwicklungsgeschichte verborgen war, das über viele Kilometer Sexualduftstoffe und Blut orten kann. Ein gruseliges Wunder der Natur!

Ein anderer Matrose schlug dem Hai mit einer Stahlstange so lange auf den Kopf, bis ich das Krachen der Schädelknochen hören konnte, das Zucken der Schwanzflosse aufhörte und wir die gebrochenen Fischaugen sahen. Wu hatte von der Aktion gehört und war – ungewöhnlich für die Tageszeit! – aus seiner Wäscherei an die Sonne gekommen. Er brachte ein großes Messer mit und schnitt mit gezielter und kraftvoller Bewegung die Rückenflosse ab. Er befestigte sie an einer Schnur zum Trocknen und machte uns grinsend darauf aufmerksam, dass er dafür viel Geld bekommen würde, weil die getrocknete und pulverisierte Flosse „starke Männer“ mache. Er bedachte aber nicht, daß er die Flosse direkt neben eines der Lüftungsrohre für die Mannschaftskabinen hängte, wo in den nächsten Tagen der Verwesungsgestank in die Kajüten zog und die Mannschaft ärgerte. Und deshalb entdeckte Wu eines Morgens, dass die Flosse „ganz zufällig“ fehlte und angeblich keiner Bescheid wusste, wo sie geblieben war. Alle wussten es, und ich denke, Wu ahnte es, dass einer von der Besatzung sie ins Meer geworfen hatte.

Der Hai hatte sein Leben verloren, und ich meine, wir Menschen haben die Würde eingebüßt, die wir uns so oft anmaßen und vielleicht nie hatten: von allen Kreaturen am höchsten entwickelt zu sein. Hier erlebte ich bei den Matrosen den blanken Hass. Das war bestialisches Töten ohne Not, nur aus Zeitvertreib und angestauter Wut. Soweit ich weiß, tötet kein Tier ohne das Gefühl des Hungers oder der existentiellen Notwendigkeit. Die Menschheit hat sich ganz sicher nur weiter entwickelt in der Raffinesse, Brutalität, Anonymität und der technischen Perfektion des Tötens.

Am drastischsten sah ich diese hasserfüllte Barbarei bei einer anderen Gelegenheit, als die Matrosen einen Hai lebend an Bord zogen, ihm mit dem großen Schlachtermesser in einem gewaltigen Zug den Bauch aufschlitzten und ihn blutspritzend sofort wieder ins Wasser warfen. Als ich angewidert fragte, was das denn bedeuten solle, schnappte der Matrose gehässig zurück: „Jetzt wird er bei lebendigem Leib von seinen eigenen Artgenossen gefressen. Das ist das Schlimmste, was ihm passieren kann. Ich hasse Haie!“

Jetzt aber lag der Ozeanriese tot auf den Planken, und der Koch kam und verarbeitete das große Fleischpaket. Der größte Teil wanderte ins Gefrierhaus, und zum Abendessen eine Stunde später gab es unter großem Hallo der Besatzung frische Haifischsteaks. Da spürte ich ein kräftiges Rumoren im Bauch und fühlte mich sehr unwohl. Also war ich mit der Kartoffelsuppe zufrieden, die auf dem Tisch stand, und ging in meine Kajüte.

Eine willkommene Abwechslung an Bord war das Essen tatsächlich, auch wenn die Nahrungsmittelgewinnung selten so dramatisch und spektakulär ablief. Einem schwäbischen Koch hatten wir die ausgezeichnete Qualität der vielseitigen Verpflegung zu verdanken. Samstags gab es meistens eine große indonesische Reisplatte mit allen Leckereien, die das Meer und ein einfallsreicher Koch zu bieten haben. Eine wahrhaft internationale Küche fuhr der Chef der Kombüse auf, und einmal bekam ich in der Nordsee im November sogar meine Lieblingsspeise: Linsen und handgeschabte Spätzle. Er backte hervorragende und sehr leckere Brotsorten, und sonntags genossen wir vorzüglichen frischen Kuchen oder feines Gebäck zum Kaffee.

 

Diese Geschichte habe ich in dem Buch Als Schiffsarzt unterwegs – und andere ärztliche Kurzgeschichten veröffentlicht.

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