Ich- und Du-Botschaft

 

In unserem Alltag ist es sehr wichtig, möglichst authentisch zu reagieren, damit wir unsere wirkliche Meinung vertreten können, uns selbst treu bleiben und der Gesprächspartner genau weiß, wie es uns geht. Nur so kann er auf unsere Wünsche und Vorstellungen angemessen reagieren. Das gilt ganz besonders für Krisensituationen. Wenn wir nicht authentisch reagieren, gilt der Satz:

Jede emotionale Lüge vermindert das Selbstwertgefühl. (Frederich)

Wenn wir JA sagen und NEIN meinen oder NEIN sagen und JA meinen, stehen wir nicht zu uns selbst, und was halten wir von jemandem, der nicht ehrlich ist? – Eben!

Eine einfache und sehr wirksame Formulierung, um authentisch zu reagieren, ist die

ICH – Botschaft.

Sie sagt, was ich denke und fühle. Sie erfordert und ermöglicht Selbstbeobachtung, damit wir erkennen, was in uns wirklich vorgeht. Sie fördert dadurch das Selbstbewusstsein und deshalb das Selbstwertgefühl, wenn wir uns entschließen können, unsere Gefühle und Ge-danken auch echt weiterzugeben. Wir übernehmen damit unsere Verantwortung für das eigene Fühlen und Denken, indem wir uns selbst als die Produzenten unser Gefühle und Gedanken annehmen. Wir lassen dem Partner die Wahl, ob er sich für unsere Lage und Gefühle verantwortlich fühlen will oder nicht. Dadurch vermeiden wir Angriffe und neutralisieren gespannte Situationen. Wir verbessern die Qualität der Kommunikation, weil uns der Partner besser verstehen kann.

Genau der Gegensatz ist die

DU – Botschaft.

Sie behauptet, was du meiner Meinung nach machst, denkst oder fühlst, ob das nun stimmt oder nicht. Dadurch verhindert die Du-Botschaft die Selbstbeobachtung, indem sie sich auf das Du konzentriert. Sie greift meistens an und verallgemeinert oft:

„Du machst immer, schon wieder, nie … !“

Sie ist damit oft ungerecht und überschießend. Dadurch wird der Partner aggressiv oder regressiv. Die Du-Botschaft zwingt dem Partner Verantwortung für meine Reaktionen auf und verhindert damit die empathische Kommunikation. Sie verschlechtert also eine Gesprächssituation und fördert eine Eskalation.

„Du arbeitest zu viel.“ (Du-Botschaft)

Das ist meine Meinung, aber ich deklariere Sie nicht als meine Meinung, sondern behaupte es und mache damit den anderen dafür verantwortlich. Dabei kann es sein, dass der Partner sich wohl dabei fühlt und nicht überfordert. Und woher wissen wir schon, warum er so viel arbeitet und was für ihn gut ist? Wir tun so, als ob wir es besser wüssten. Dabei fühlt sich der Angesprochene meist angegriffen und reagiert entsprechend.

Besser wäre eine Ich-Botschaft:

Ich denke, du solltest weniger arbeiten.“

Damit sage ich klar meine eigene Meinung und übernehme die Verantwortung dafür. Er hat jetzt erkannt, was ich denke, also eine authentische Meinung gehört. Dann können wir auf einer gleichberechtigten Ebene weiterreden, und er kann für sich entscheiden, was er tun will.

„Du lügst.“

Damit stelle ich eine Behauptung auf, die möglicherweise sogar falsch ist. Sie greift an und provoziert ein dem Gesprächspartner entsprechendes Verhalten. Sicherlich wird die Stimmung im Gespräch dadurch schlechter. Wenn ich das als Ich-Botschaft sage, kann es so klingen:

„Es fällt mit schwer, dir zu glauben.“

Damit sage ich nur, dass es mir schwer fällt, etwas zu glauben. Es ist mein persönlicher Eindruck. Die Ich-Botschaft greift nicht an, und wenn der Andere sich trotzdem angegriffen fühlt, ist es seine Sache, und vielleicht habe ich dann doch eine Unwahrheit entdeckt. Selbst wenn er sagt:

„Du willst doch nicht etwa behaupten, dass ich lüge?“,

können wir ganz einfach sagen:

„Nein, das will und kann ich nicht behaupten, weil ich es nicht weiß. Ich kann es nur nicht glauben, was Du sagst.“

Dieser Sachverhalt hat auch eine wichtige juristische Seite. Eine Ich-Botschaft kann nie eine Beleidigung im juristischen Sinne sein. Denn ich habe nur meine Meinung gesagt, und die kann auch falsch sein, weil ich mich einfach geirrt habe. Wenn ich aber sage:

„Du bist ein Dieb!“,

und es stellt sich heraus, dass der andere nicht gestohlen hat, habe ich im juristischen Sinne eine Beleidigung ausgesprochen – mit allen Konsequenzen.

„Du greifst mich an!“

Hier spüren wir die Attacke der Verallgemeinerung. Außerdem kann es auch durchaus sein, dass der Partner gar nicht angreifen will. Der Angegriffenen hat es vielleicht nur so aufgefasst und auf den Angreifer projiziert, weil der Angegriffene sensibilisiert ist auf Angriffe oder darauf, eben immer angegriffen zu werden, weil sein Selbstwertgefühl so schwach ist und Angst hat, dass seine Fehler entdeckt werden. Besser wäre der Sachverhalt als Ich-Botschaft formuliert:

„Ich fühle mich angegriffen von dir.“

Wenn der Gesprächspartner jetzt sagt: „Aber ich greife Dich doch gar nicht an!“ kann ich sagen, dass ich das so nicht gesagt habe, sondern lediglich meinen Eindruck wiedergeben wollte. Dann können wir über meine Eindrücke und seine Aktionen reden und das Missverständnis ausräumen.

Ähnlich ist es im folgenden Satzpaar:

„Herr Müller, warum hören Sie mir denn schon wieder nicht zu?“

„Herr Müller, ich habe den Eindruck, Sie hören mir nicht zu.“

Beim zweiten Satz könnte es ja sein, dass Herr Müller ganz ehrlich antwortet:

„Ich höre schon zu, aber ich habe eben zum Fenster hinausgeschaut, weil ich so betroffen bin von Ihrer Diagnose.“

Noch ein häufiger Satz aus dem Familiendrama:

„Du verstehst mich nicht.“

Welch ein Angriff! Diese Situation kann nur eskalieren. Wie viel besser wäre es, den Partner anzuschauen und klar und freundlich oder weinend und betroffen zu sagen:

„Ich fühle mich von dir nicht verstanden.“

Damit ist der Weg offen für ein Gespräch über wechselseitige Kommunikation und die Gründe, warum diese Eindrücke zustande kamen.

Zugegeben: Es ist für den Anfang etwas schwierig, sich in diese Gedankengänge einzu-arbeiten und immer so bewusst zu reagieren und zu formulieren. Und aus der eigenen Er-fahrung mit Patienten und meinem Privatleben kann ich berichten, dass es sich wirklich lohnt, so bewusst mit unseren Gedanken und Gefühlen und unserer Sprache umzugehen. Es ist eine echte Bereicherung für alle Beteiligten und eine hervorragende Möglichkeit für Patienten, die Konflikte mit ihren Gesprächspartnern zu klären.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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