Ein Kind – ein Wunder

Wenn ein Kind entsteht aus nur zwei Zellen,
gesund geboren wird wie in den meisten Fällen,
wenn es in den Elternarmen in den Schlummer sinkt
und selig an der Mutterbrust die Nahrung trinkt,
die zarten Wimpern, Fingernägel gut gedeihen,
und die Seele sich befreit mit lautem Schreien,
wenn die Windel schwerer wiegt,
der Schnuller auf dem Boden liegt,

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Lebenswege (Sonett)

Lebenswege sind an Schicksal stets gebunden,
auch wenn wir das Lästige vermeiden wollen.
Selbst wenn wir mit Angst und Seelengrollen
fliehen, werden wir vom Lernen nicht entbunden.

Der Weg, den wir beschließen, um ein Los zu meiden,
birgt ganz genau, was uns zum Wachstum bringt.
Wer mit dem Schicksal fliehend, hadernd ringt,
wird an dem Ungewollten länger, stärker leiden.

Wir müssen lernen, unsern Weg bewusst zu gehen,
und die Lehre rasch und gern zu akzeptieren.
Dann können wir die Lebensziele klarer sehen

und unsrem Herzen eine helle Botschaft senden,
die uns hilft, das Leben mit Erfolg zu zieren:
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …

 

Copyright Dr. Dietrich Weller

29.05.2009

Dieses Gedicht habe ich beim BDSÄ-Kongress 2010 in Schwerin vorgetragen und im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2011 veröffentlicht.

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Die Spinne

Die schwarze Spinne sitzt an einer schmalen Fensterritze
fühlt den Abgrund vor sich gähnen und den zarten Halm
am Ziel des kühnen Sprunges auf grüner Dornenspitze.
Sie fühlt bedrängt sich von des Lagerfeuers Qualm.

Konzentrierend nimmt sie ihre ganze Kraft zusammen,
lässt sich mit geübten Stoß ins dunkle Leere fallen,
schützt die feinen Glieder sicher vor den Flammen
und fühlt sich leise federnd auf die Blüte prallen.

Ihren dünnen Faden zieht sie straff, beginnt
mit sicherem Instinkt das Schicksalsnetz zu weben
um die Beute zu erhaschen, die ihr nie entrinnt.
Sie wird der Fliege keine zweite Chance geben.

Wenn das Netz mit seinen festen Todesseilen sitzt
zwischen sichern Ankerpunkten und der Tau es netzt,
harrt die Spinne im Versteck. – Der Faden blitzt
im fahlen Mondeslicht. Die Beutefliege ist verletzt

und spürt den Biss als kleinen Stoß in dem Genick.
Das helle Todeslicht bricht die Facettenaugen,
und während ihrem allerletzten Fliegenblick
erfühlt sie im Gedärm ein leichtes Spinnensaugen.

Copyright Dr. Dietrich Weller

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Farben und Formen auf der Stuttgarter Königstraße

Wenn auf Stuttgarts Königstraße viele Leute gehen,
kannst du Formen-Farbenvielfalt prächtig sehen.
Da rennen weiße Kinder zwischen schwarzen,
die ausgelassen wie Erwachsne heiter schwatzen.

Das graue Pflaster ist mit gelbem Sonnenschein bemalt,
ein Autohaus hat einen leuchtend grünen Schirm bezahlt,
wo schlanke blonde Damen in dem schwarzen Kleid
eifrig über Autos reden und mobilen Geist moderner Zeit.

Firmenschilder, Ladentüren zeichnen bunte Kerbung.
schreiend rote, blaue, braune und karierte Werbung
die beklebt die Pflastersteine und die Häuser grell,
die warme Sonne leuchtet über dieser Straße hell.

Herr Neureich protzt mit Glitzer-ROLEX-Armbanduhr,
die wasserstofferblondete Begleiterin belächelt nur
den Bettler, der versunken sitzt vor seinem leeren Teller.
Also gehen viele Leute ihn vermeidend schneller.

Die dralle Marktfrau preist die Spargel an und frische Beeren,
man kann sich dieses leckren Angebotes nicht erwehren.
Ein magerer Student mit wirren Haaren spielt heut Paganini,
und ein mundverschmiertes Kind kaut barfuß die Panini,

während kichernd, neckend, pubertierend kleine Gören
Gummi kauend ein paar unerfahr´ne Jungs betören.
Ein blauer Bote rennt mit grünem Postsack übers Pflaster,
die Raucher frönen gelb befingert süchtig ihrem Laster.

Männer mit dem braunen Poncho flöten Tänze aus Peru,
und buntberockte Frauen hören hüftenwiegend zu.
Ein rotbenaster Clown entzückt die Kleinen und die Großen
und will mit feinen Stäbchen bunte Bälle in die Lüfte stoßen.

Das helle Kinderlachen mischt sich in den Radioklang,
der Bässe hämmernd von der andren Straßenseite lang
den eilenden Passanten in gequälte Ohren dröhnt.
Der Papagei des Clowns mit Krächzen diesen Krach verhöhnt.

Ein paar Fette stehen in den Unterhemden, Burger kauend,
rülpsend Hofbräu trinkend, schmatzend, glasig schauend,
während aus dem Luxusladen eine wohlgeformte Dame tritt,
die gepflegt die Edelkleider zeigt bei jedem eleganten Schritt.

Frauen in den dunklen, langen Mänteln, Tücher auf den Köpfen,
gehen schwarzgelockte Kinder haltend heim zu heißen Töpfen,
folgen ihren Schnurrbart-Männern wie seit vielen Jahren,
als sie noch in ihrer Heimat abgesondert einsam waren.

Das Junkie-Pärchen mit der roten Hahnkammfrisur
trägt lange Ketten an den schwarzen Hosen nur
und geht auf Nagelstiefeletten klackend über den Beton,
die Ringe an den Nasen, Lippen, Ohren glitzern schon.

Skater kommen in den supergeilen Windelhosen angerast,
schlängeln sich durch Fußvolks Samstags-Päckchenlast,
einer kracht mit Scheppern an den grellen Wahlplakatepfahl
und springt noch ab mit Lachen, auf dem Kopfe kahl.

Zwei junge Leute – Nickelbrille, grün beschuht von Birkenstock,
er mit Pferdeschwanz und sie mit selbst gestricktem Rock-
reden lebhaft über Überweltschutz und gegen atomare Werke.
Sonne, Wasser, Wind besäßen gut vereint genügend Stärke.

Ohrverstöpselt, Händchen halten, Eiscreme leckend,
schlendert dort ein Pärchen zärtlich neckend
zu der nächsten Bank in warmer Sonne,
um zu genießen junger Liebe heitre Wonne.
Die Verliebten üben leises Lippenspiel
zärtlich, innig und mit Liebesziel,
augenblinzelnd, fingerkuschelnd,
nasereibend, leise nuschelnd,
Zungenspitzen tastend, Haare wuschelnd,
liebesdurstig, eng umschlungen,
wonnefühlig, lustdurchdrungen.

Ein Ehepaar gerät in Streit vor einem Laden,
denn sie will in teurem Schmucke baden.
Da schreit ihr kleines Kind: „Ich will ein Eis!“,
so dass die Mutter nicht mehr weiter weiß.

Sie schluchzt und zetert über ihren bösen Mann,
der ihr das bisschen Schmuck nicht kaufen kann.
Der Mann gerät in Wut und schreit vor lauter Frust:
„Der Einkauf macht mir keine große Lust!

Ich sage dir, was ich jetzt will und hier, –
da drüben gibt´s ein kühles Bier!“
„Dann geh doch endlich!“, keift sie weiter.
Der Fensterputzer fällt verdutzt von seiner Leiter.

Ein Rentnerpärchen sitzt gelassen im Café am Straßenrand,
er mit Bierbauch, Hosenträgern, die Zigarre glüht im Brand.
Die Frau ist gertenschlank, sie hat sich heute feingemacht
und den blauen Sonntagsrock mit weißer Bluse mitgebracht.

Sie betrachten eine Weile dieses laute Treiben
sehen wie auch andre Menschen stehen bleiben.
Dann nickt sie mit dem grau behaarten Kopf:
„Du siehst, es findet jeder Deckel seinen Topf!“

Copyright Dr. Dietrich Weller

 

Dieses Gedicht habe ich beim BDSÄ-Kongress 2010 in Schwerin zum Thema „Farben und Formen“ vorgetragen und im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2011 veröffentlicht.

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Meine Orchideen

Orchideen 1

Orchideen 1

 

Orchideen 5

Bunte Orchideen zieren meinen Schreibtisch
und betören mich in meinen Arbeitsstunden.
Sie umrahmen meinen Bildschirm mit den runden
violetten fein betupften Blüten immer frisch.

Die seidig dünnen Flügel sind ein Meisterstück,
sie strahlen Würde aus, und filigranes Blühen
zeigt das stete Wachstum ohne Mühen,
das mich jeden Tag erfüllt mit ruhigem Glück.

Die Farbentöne leuchten rot und gelb und weiß
mit reichen Varianten in den sanften Tönen
glätten hektische Gedanken und verwöhnen

mich mit Ruhe, wenn ich nicht mehr weiter weiß.
Dann schenken sie mir wieder rasch Ideen.
Deshalb liebe ich und hege meine edlen Orchideen.

 

Orchideen 10

 

Orchideen 6

Copyright Dr. Dietrich Weller

 

 

 

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Wenn die Alten ihre Melodien träumen

 

Wenn die Alten ihre Melodien träumen
und die Engel schon auf Erden hören,
ist´s wie wenn in großen Himmelsräumen
segensvolle Sonnenlieder uns betören.

Wir ahnen nur die ew´gen Weiten,
die in weichem Licht erheiternd glänzen
und neue Räume ohne enge Seiten
mit Sonnengold sehr zart begrenzen.

 

Copyright Dr. Dietrich Weller

 

 

 

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Mein hoffnungsvoller Abschied von Alfred Brendel

Zuerst möchte ich über den Abschied sprechen, dann über die Hoffnung, die ich damit verbinde.

Den Liebhabern der klassischen Musik ist er bekannt, die Klaviermusikkenner verehren ihn als einen der ganz großen Pianisten der letzten hundert Jahre: Alfred Brendel wurde am 5. Januar 1931 in Mähren geboren und gab am 18. Dezember 2008 in Wien sein letztes Konzert, also unmittelbar vor seinem 78. Geburtstag. Er hatte lange bekannt gegeben, wann er aufhören würde mit Konzerten, und so stand das Jahr 2008 unter dem Zeichen seines Abschieds. Am 30. Juli spielte er in Baden-Baden im Festspielhaus noch einen Klavierabend und am 6. Dezember sein zweitletztes Konzert überhaupt – auch in Baden-Baden.

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Eine Kollegin hat den Suizid gewählt

Wenn ein Mensch sein Leben nicht erträgt
und alle Liebe ihn nicht halten kann,
wenn jeder Tag die Seele tief verwundend schlägt
und Dunkelheit den Geist in einen Bann
der Selbstzerstörung zieht,

erflehen Hilfe wir, die Tragik zu ertragen
und an dem Verlust nicht zu zerbrechen.
Wir müssen lernen loszulassen und zu fragen:
Wie können über diesen Schmerz wir sprechen,
der auch uns in Seelentiefen zieht?

Das Leben müssen wir nach vorne leben
und können es im Rückblick erst verstehen.
Wie sollen wir mit Ziel nach vorne streben,
wenn auf dem Umweg wir das Leben sehen,
auf dem man vor dem Schicksal flieht?

Trösten können wir -wenn überhaupt- uns nur
durch diesen festen Glauben an den Sinn,
der jedes Menschen vorgeplante Spur
auch führt zu seinem richt´gen Ziele hin,
vor dem man ohne ew´ges Wissen flieht.

Wir dürfen auch getrost darauf vertrauen,
dass dieser Tod uns nicht mit Schuld zerquält,
denn diese schwere Krankheit Seelengrauen
hat den Mensch mit einer großen Kraft gestählt,
mit der er aus dem Leben flieht.

Er kann ihn nicht für seinen Weg nach außen nützen,
richtete die Lebensenergie nach innen gegen sich.
So können wir den Kranken nur bisweilen schützen,
häufig nicht verhindern einen letzten Seelenstich,
der den Depressiven in sein Schicksal zieht.

Copyright Dr. Dietrich Weller

Dieses Gedicht habe ich im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2011 veröffentlicht.

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Wasser, Feuer, Licht, Luft und Erde (Sonette)

Wasser, Feuer, Licht und Luft und Erde

5 Sonette

Wasser ist der Quell des Lebens, ohne Wasser dörrt ein Wesen aus.
Wir lechzen nach dem Nass so wie wir Luft zum Atmen brauchen.
Wenn wir in bizarren Riffen nach den bunten Fischen tauchen,
öffnet sich des Lebens prächt´ge Fülle vor uns wie ein Sommerstrauß.

Wer an die Quelle seines Lebens will, muss gegen alle Ströme schwimmen.
Und doch ist uns´res Lebens Fluss nach vorn gerichtet, nicht bekannt.
Erst rückwärts sehen wir, wie uns das Leben auf den festen Weg gebannt.
In Verzweiflung hilft uns die Gewissheit stets: Am Ende wird mein Leben stimmen.

Fließend weist uns Wasser die Gesetze uns´res Lebens:
Wenn es verweilt, verfault es, trägt der Keime böse Kraft,
die Stillstand, Krankheit, Hass, Zerstörung schafft.

Drum sei das Ziel, das Wesen uns´res steten Strebens,
dem Werden seinen Fluss und Weg getrost zu lassen,
dann dürfen wir am Ende dankbar Seelenreichtum fassen.

 

Feuer einst aus den Vulkanen glutvoll und verderbend schoss.
Im Wasser ist die Lava bald erloschen und verdichtet
und hat grüne Wiesen, Tiere, Menschen rasch vernichtet
und das Land bedeckt, versiegelt wie ein ew´ges Schloss.

Doch das Leben drängt durch jede Sperre kraftvoll, unbeirrt
und schickt das zarte Grün durch aschegrauen Spalt ans Licht,
Feuerenergie in feinen Adern langsam durch die Lava bricht,
bevor die Rebe trägt und Feuer in den Trauben Labsal wird.

Feuer schenkt die Kraft uns und die Pflicht, sie so zu nützen,
dass die Energie zum Segen dieser ganzen Erde dient,
sonst werden Boden, Weltall, Wasser mit dem Tod vermint.

Lasst uns des Feuers Zauber mit vereintem Willen schützen,
mit ihm Häuser heizen, Wasser kochen, Strom erzeugen,
denn vor Naturgewalten müssen wir uns ehrvoll beugen.

Es werde Licht! – So fing einst dieses Weltall an,
nachdem das Feuer glühend dieses Kind entließ
und kraftvoll seine Flammen in die Lüfte stieß.
Das Licht entströmt und zieht uns in den Bann.

Vom Frühjahr in den Winter, vom Morgen in die Nacht,
vom ersten Augenschlag bis zu dem letzten Blick
durchdringt die Menschen Licht als ihr Geschick
und zeigt im Sonnenglanz und Kerker seine Macht.

Licht ist Leben! Niemals dürfen wir den Wert negieren.
Selbst bizarre Lebewesen in dem dunklen Meer
locken mit Photonen sich den richt´gen Partner her.

Wo viel Schatten uns bedrückt, muss viel Licht regieren.
Das ist der Trost im Dunkel, auch an meines Lebens Ende,
wenn ich im Übergang den Blick zum ew´gen Lichte wende.

 

Luft zum Atmen, Hören, Schweigen, Fliegen –
wir brauchen sie, auch ohne uns bewusst zu sein.
Die Kälte peinigt meine Haut oder kühlt den Wein.
Luft muss sauber sein, sonst kann kein Leben siegen.

Luft am See und im Gebirge, über Wäldern, Wiesen,
fegt die Seele rein und lässt uns rasch gesunden,
heilt von innen, schafft uns angenehme Stunden
und lässt uns voll Genuss die Augen schließen.

Wenn ich einen Menschen nicht mehr riechen kann,
ist zwischen ihm und mir die Luft vergiftet,
weil gemeinsam Atmen nicht mehr Frieden stiftet.

Was mir die Luft zum Atmen, Reden, Leben nimmt,
bedroht die Seele und den Körper mit Gefahr.
Wohl dem, der sorglos atmen kann das ganze Jahr!

 

Erde ist die Basis für die Menschen, viele Wesen,
bietet Stütze, Reichtum, Hölle, Paradies und Leben.
Je nach dem, wem wir den geist´gen Vorrang geben,
können alle hier in Frieden wohnen und genesen.

Erde in der Hand ist Heimat vielen, Schmutz für and´re.
Kultiviert birgt sie uns Nahrungsfülle, Lebensraum
für Rosen, Schlangen, Füchse und den Tannenbaum.
Wichtig ist, dass ganz bewusst ich auf der Erde wand´re.

Lasst uns diese Erde schützen, denn wir haben keine zweite!
Frieden dringend schaffen ist das Mittel zu dem hohen Ziel,
Natur und Menschen achten, pflegen wäre da schon viel.

Feuer, Wasser, Licht und Luft und Erde sind in Weltallweite
eine Lebenseinheit schon seit vielen Jahren.
Helft, dass wir dereinst zu ihrer Rettung waren.

 

Copyright Dr. Dietrich Weller

Ein Beitrag zum Thema „Die Elemente“ beim BDSÄ-Kongress 2009 in Mosbach

 

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Kinder in der Praxis und der Klinik

Kinder in der Arztpraxis und Klinik

 Als Kinderarzt liegt mir dieses Thema sehr am Herzen. Nicht nur, weil ich Kinder mag und sie in der Praxis und Klinik auch gut versorgt werden sollen, sondern weil der Umgang mit Kindern die Kinder und ihr künftiges Verhalten dem Arzt gegenüber entscheidend prägt.

Auch wenn Sie nicht Kinderarzt sind, werden Sie als Hausarzt doch häufiger Kinder in der Praxis haben, und im Sonntagsdienst werden Sie nicht daran vorbeikommen, sich mit Kindern auseinanderzusetzen. Deshalb möchte ich ein paar grundlegende Gedanken vortragen.

Begrüßen Sie das Kind genauso freundlich und offen mit Namen wie einen Erwachsenen.

So wie Sie beim Erwachsenen die Namen der Angehörigen und deren Telefonnummern bei Bedarf auf die Karteikarte notieren, können Sie bei Kindern die Namen der Lieblingspuppe oder des Lieblingstieres aufschreiben. Ich weiß noch ganz genau, wie das kleine Mädchen sich gefreut hat, als ich beim nächsten Besuch nach Monika, dem Lieblingsbär, gefragt habe. Damit haben Sie hervorragende Anknüpfungspunkte, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Und Sie gewinnen Sympathie wie bei den Erwachsenen auch, wenn Sie den Gesprächspartner nach seinen Interessen fragen.

Lassen Sie sich auf ein Gespräch mit dem Kind ein, und vermitteln Sie dem Kind, dass Sie es ernst nehmen. Fragen Sie nach seinen Beschwerden, auch wenn vielleicht die Angaben nicht so exakt sind wie die der Mutter.

Gehen Sie bei der Begrüßung und bei dem Gespräch auf Augenhöhe mit dem Kind! Reden Sie nicht „von oben herab“.

Lachen Sie mit den Kindern in der Praxis und bei einem Hausbesuch, wenn es einen netten Anlass dafür gibt. Das entspannt nämlich nicht nur das Kind, sondern auch Sie selbst. Sie haben genügend mit ernsten und schwierigen Dingen zu tun. Da können Sie allen Beteiligten ein herzhaftes Lachen gönnen.

Ihr Umgang mit dem Kind zeigt dem Kind, wie es ihm in Krisensituationen ergehen kann: Wirken Sie dann wie ein vertrauensvoller Helfer oder eher wie eine Bedrohung für das Kind? Sie können in dieser Situation das Vertrauen der Begleitperson und des Kindes gewinnen oder verlieren. Ihr Verhalten entscheidet über Ihr Ansehen als Arzt und über die Art der Werbung, die Kind und Eltern anschließend für oder gegen Sie machen.

Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis. Die Dreijährige sagt zu Hause zu ihrem Papa, nach-dem ich ihr einen Abszess eröffnet und sie sich schreiend gewehrt hatte:

„Der Onkel Doktor ist lieb. Er hat `Schätzle´ zu mir gesagt!“

Da die Kinder noch weit gehend unverbildet sind, spüren sie sofort, ob das Verhalten des Arztes echt ist. Deshalb sollten Sie sich echt verhalten. Denn Kinder zeigen noch unver-brämt, was sie von jemandem halten, der unehrlich ist.

Wenn ein Eingriff weh tut, sagen Sie es vorher! Wenn Sie lügen, haben Sie Ihr Vertrauen auf lange Zeit verspielt. Ein Kind, das Ehrlichkeit erlebt, lernt den Wert der Ehrlichkeit kennen und lernt Vertrauen.

Erklären Sie vorher in Ruhe, was Sie tun wollen, auch wenn Sie „nur“ in die Nase oder in den Mund schauen wollen. Kinder wollen genauso informiert werden wie Sie als Erwachsener. Auch bei Kindern gilt der Satz:

Nur ein informierter Patient kann kooperativ sein!

Beantworten Sie Fragen klar und verständlich. Zeigen Sie Ihre Gefühle. Kinder können das noch besser verstehen als Erwachsene.

Gewöhnen Sie sich kindgerechte Erklärungen an für Ihre Handlungen:

„Ich möchte jetzt hören, ob Dein Herz richtig klopft.“

„Ich möchte mal fühlen, was in Deinem Bauch los ist, warum Du so Durchfall hast.“

„Bei Deiner Ohrentzündung müssen die Nasentropfen richtig in den Hals hinten rein laufen, dann kann der Schleim aus dem Ohr in den Hals laufen. Wenn die Nasentropfen ein bisschen im Hals kitzeln, ist das richtig so.“

„Ich male Dir eine Sonne auf das Pflaster, die Dich immer anlacht.“

Lassen Sie die Kinder Ihre Instrumente in die Hand nehmen und damit spielen. Erklären Sie die Funktionen. Dann verlieren die Kleinen die Angst davor. Ich lasse die Kinder manchmal auch an meinem Herz horchen. Das schenkt Vertrauen und zeigt den Kindern im eigenen Erleben, worum es mir eigentlich beim Abhören geht. Wärmen Sie das Stethoskop an, wenn es kalt ist, damit sie das Kind nicht erschrecken. Sie wollen auch keine kalte Ärztehand auf Ihrem Bauch.

Lassen Sie sich den Spielzeug-Arztkoffer des Kindes zeigen oder mitbringen. Wenn Sie von „Kollege zu Kollege“ reden, entspannt sich die Situation. Schenken Sie dem Kind vielleicht eine Spritze (ohne Nadel natürlich!), die in seinem Koffer noch fehlt, ein Kinderpflaster oder einen Mundspatel.

Sie können mit den Instrumenten auch ein paar kleine Zaubertricks einbauen. Wenn ich zum Beispiel auf meinen Ohrspiegel puste, geht mit einem Zauberspruch immer das Licht an. Das Kind sieht meist nicht, dass ich gleichzeitig das Licht eingeschaltet habe. Dann lasse ich das Kind eine Weile selbst probieren. Und wenn es nicht auf den Trick kommt, verrate ich den Zaubertrick, aber „natürlich nur unter uns beiden!“

Sie können ein Kind fragen, ob es den Mund ganz weit aufmachen will, damit Sie kein „Stäbchen“ (Mundspatel) brauchen, um die Zunge herunterzudrücken. Meistens klappt das ganz gut.

Wenn Sie ein Rezept schreiben, können Sie es dem kleinen Patienten auch freistellen, ob er lieber Saft, Tabletten, Tropfen oder ein Zäpfchen haben will. Dadurch steigt die Mitarbeit.

Probieren Sie mal die Säfte, die Sie aufschreiben! Dann wissen Sie, welche Sie in Zukunft bevorzugt rezeptieren. Verschiedene Darreichungsformen derselben chemischen Substanz schmecken ganz verschieden.

Bedanken Sie sich bei dem Kind, wenn es sich hat untersuchen lassen, auch wenn es geweint hat. Haben Sie Verständnis für Tränen, und lesen Sie bitte meine Artikel über den Umgang mit trauernden und weinenden Patienten.

Halten Sie eine kleine Belohnung für die Kinder bereit, die nicht klebt und nicht bröselt. Das „Markenzeichen“ meines Vaters in seiner Kinderarztpraxis waren die Langenburger Wibele, von denen die Patienten heute noch schwärmen. In meiner Praxis gab es die bunt eingepackten Traubenzuckerstückchen, weil ich die hervorragende Idee meines Vaters nicht nachahmen wollte. Ich sah deshalb manches enttäuschte Gesicht von Kindern aus der Praxis meines Vaters, die er nach dem 16. Lebensjahr zu mir zur Weiterbetreuung geschickt hat.

Diese Traubenzuckerstückchen habe ich immer benützt, um z. B. bei der U8 einen Farbtest zu machen und ein Gespräch über die Verkehrsampel zu führen. Ich lasse die Farben der Ampel erklären, eine Ampel bauen und die Funktionen beschreiben. Dabei prüfe ich gleich die Sprache mit. Und wenn das Kind dann zum hintersten Eck der Untersuchungsliege hochsteigen, die drei Stückchen alleine holen und wieder herunterklettern kann, sehe ich die motorische Geschicklichkeit des Kindes. Dann hat das Kind den „ganz großen Kindergartentest“ bestanden und darf die Traubenzucker behalten. Die cleveren Kinder kommen dann beim nächsten Mal wieder und wollen „noch eine Ampel bauen“.

Ich habe bei Kindern, die ich impfen oder aus einem anderen Grund mit einem Verband oder einem Pflaster versorgen musste, oft Erfolg gehabt mit einer aufgemalten Sonne, die lacht. Dann schmerzt es gleich nur noch halb so stark oder gar nicht mehr. Wichtig ist, dass sie die Sonne so malen, dass sie das Kind anlacht, wenn es auf das Bild schaut.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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