Heiner Wenk: Von der Bremer Straße nach Bremen. Eine Rezension

Heiner Wenk: Über die Bremer Straße nach Bremen,
Seemann Publishing, ISBN 9798374049800, erhältlich über Amazon

Lesen macht vielseitig, verhandeln geistesgegenwärtig, schreiben genau.
(Sir Francis Bacon)

Was ist der Unterschied zwischen einem Mediziner und einem Arzt?
Der Mediziner behandelt einen Krebs; der Arzt behandelt einen Menschen, der an einem Krebs leidet.
Das ist ein prinzipieller Unterschied in der Lebens- und Arbeitseinstellung, kein gradueller! 

Ein Chirurg ist gewohnt, knappe und eindeutige Anweisungen zu geben, seine Sprache wird auf das Wesentliche reduziert und charakterisiert dadurch auch sein Wesen. Wenn dieser Mensch Schreiben als ein wichtiges Ausdrucksmittel seiner Gedanken und Emotionen benutzt, wird er genau. Wenn er dazu noch Arzt ist und kein Mediziner, schwingen die Gefühle mit und erzeugen im empfänglichen Leser resonante Schwingungen. Dieses Buch ist ein Musterbeispiel dafür.

Der begeisterte Gefäßchirurg Heiner Wenk erzählt in diesem Buch seinen Lebensweg und die damit verbundenen Entwicklungen in sich, seiner Familie und der Medizin. Wir nehmen bildhaft Anteil an einem Weg aus schwierigen sozialen Verhältnissen, in denen es verpönt war, eine höhere Schule zu besuchen und in denen väterliche Macht wichtiger war als Herzensbildung und Wissenserwerb. Heiner Wenk wird durch Lehrer gefördert, kann sich mit viel Einsatz und wachsendem Weitblick nach dem Abitur zum Medizinstudium anmelden und wohnt im Studentenheim in Kiel in der Bremer Straße. Der Berufsweg führt ihn über Lübeck, wo er habilitierter Gefäßchirurg und Professor wird, nach Bremen. Dort baut er als Ärztlicher Direktor ein großes Gefäßchirurgisches Zentrum auf und leitet es bis kurz vor seinem Eintritt ins Rentenalter. Heiner Wenk erarbeitet auch in seinen Ehrenämtern in gefäßchirurgischen und krebsbezogenen Gesellschaften Grundlagen für eine moderne Gefäßchirurgie. Sein ganzes Bestreben besteht darin, seine ärztlichen Ideale mit patientengerechten Entscheidungen gegen die rein materiellen und gewinnbezogenen Finanzdiktate der Verwaltung durchzusetzen. Und er entschließt sich am Ende doch zur Kündigung, weil er nicht mehr so als Arzt arbeiten kann, wie er es für verantwortbar und aushaltbar hält.

Deshalb ist es ganz logisch, dass im Zentrum des Buchs das Hauptkapitel steht: ein brillanter Aufsatz über Ökonomie und Medizin. Das ist Wenks Glaubensbekenntnis, seine Lebens- und Arbeitseinstellung. Dieser Text ist eine Pflichtlektüre für alle Verwaltungsleute, die glauben, in der Gesundheitslandschaft mitreden und entscheiden zu wollen. Sie sollten endlich erkennen, dass ein Gesundheitswesen für den Menschen geschaffen sein muss, nicht gegen ihn. Nur dann kann es erfolgreich und ein gesunder Anteil der Sozialpolitik eines Landes sein. 

Wir beobachten aber seit vielen Jahren, ganz besonders seit Einführung der unsäglichen Fallpauschalen: Die technischen Fortschritte in der Medizin werden immer größer und besser, und die menschliche Versorgung wird immer schlechter. Grund ist die gewinnmaximierende und von Bürokratie dominierte Gesundheits- und Verwaltungspolitik.

Früher hieß der Grundsatz:
Der Mensch ist Mittelpunkt.
Heute ist der Satz nur minimal, aber grundsätzlich verändert:
Der Mensch ist Mittel. Punkt.

Dieses Buch ist aus verschiedenen Sichtweisen eine ungewöhnliche Biografie. Der Lebensweg fließt als roter Faden durch das Buch, aber die kurzen Kapitel bestehen teilweise aus Lyrik, Essays und Texten mit erzählendem Charakter. Der Leser erfährt, wie Wenk als vielseitig gebildeter Literaturliebhaber seine Gedanken kreativ mit verschiedenen sprachlichen Stilmitteln verarbeitet. Wir lesen auch von Wenks Begeisterung für Leichtathletik, Rudern, Wandern und die Natur. Das ist so spannend wie bildreich, so emotional unterhaltsam wie sachlich distanziert geschildert. Die Mitglieder des Bundesverbands Deutscher Schriftstellerärzte BDSÄ, deren Mitglied Wenk seit vielen Jahren ist, schätzen seine Beiträge schon lange als präzise geschliffene Wortschmuckstücke, zwischen denen immer wieder erfrischender Humor durchblitzt.

Das Buch ist für eine Biografie mit 141 Seiten verhältnismäßig kurz, aber es ist – und damit sind wir wieder am Anfang der Rezension – auf das Wesentliche reduziert, präzise und aussagestark. Ein vielseitiger Gewinn für aufmerksame Leser.

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