Der gereizte Mensch

Kennzeichen

Ein gereizter Mensch ist wie ein verkehrt eingerollter Igel, der sich mit seinen eigenen Stacheln peinigt.

Der Patient reagiert verärgert, nörgelnd, murrend und schimpft im Wartezimmer und / oder an der Rezeption. Er nervt die Helferinnen / Schwestern und hält sie nicht nur von der Arbeit ab, sondern vergiftet die Stimmung in der Praxis / auf der Station und bei den anderen Patienten. Nur beim Arzt ist er meist lammfromm. Deshalb merkt der Arzt die Gereiztheit nicht, wenn die Helferin / Schwester dem Arzt keinen Hinweis gibt.

Der Patient ist gereizt, weil entweder etwas passiert ist oder unterlassen wurde, was er so nicht wollte. Oder er hat von den Mitarbeitern eine bestimmte Reaktion erwartet und sich darauf vorbereitet. Er ist also geladen und wartet darauf, die Munition abzuschießen, oder schießt sie ab, weil er sich nachträglich oder vorbeugend wehren will.

Was machen Sie mit dem gereizten Patienten?

Sie sollten beim Umgang mit gereizten Patienten folgende Ziele im Auge behalten:

  • Sie müssen rasch wieder eine positive Stimmung für alle Beteiligten schaffen und vermeiden, dass Zuhörer vom Ärgervirus angesteckt werden.
  • Der Patient soll beruhigt werden und wieder zu seinem Frieden finden.
  • Sie müssen die Ursachen der Gereiztheit herausfinden und beseitigen.
  • Der Patient soll lernen, in Zukunft mit seiner Gereiztheit besser umzugehen.

Isolieren Sie den Patienten in einen separaten Raum, damit er niemanden mit seinem Ärger ansteckt. Das ist zwar eine besondere Aufmerksamkeit und in gewissem Sinn eine Bevorzugung, vermeidet aber, dass andere Patienten aufgehetzt werden und der Praxis- oder Klinikablauf dann gesprengt wird.

Wenn Sie vor der Begegnung mit dem gereizten Patienten von seinem Unmut erfahren, ist es die eleganteste Methode, ihm sofort zu Beginn des Gespräches den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Gut, dass Sie da sind. Ich habe gehört, Sie sind verärgert. Das möchte ich gern mit Ihnen besprechen. Was war denn los?“

Hören Sie sich die kritisierte Sache ruhig und geduldig an. Oft steckt ein verständlicher Grund hinter der Kritik. Denken Sie auch darüber nach, wie Sie in der Lage des Patienten reagieren würden. Es relativiert wahrscheinlich Ihre Reaktion als Arzt, Therapeut oder Krankenschwester erheblich, wenn Sie sich selbst gegenüber ehrlich sind.

Bedanken Sie sich für die Information. Reagieren Sie freundlich und verständnisvoll. Das hat zur Folge, dass der Patient sich ernst genommen fühlt. Er ist verblüfft von der unerwarteten Reaktion und Freundlichkeit und kommt auf die sachliche Ebene.

Ihre Reaktion auf einen gereizten Patienten kann eine deutliche Verbesserung der Beziehung zu diesem Patienten bringen, weil der Patient sich Ihre Reaktion merkt und darüber redet. Wenn Sie diesen Patienten „umdrehen“ können, haben Sie einen hervorragenden Werbeträger gefunden.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der Dauerredner als Patient

Ursachen

Das Gefühl, nicht verstanden zu werden, ist der größte Anreiz weiterzureden. Der Dauerredner hat auch meistens Angst, nicht überzeugend zu sein, nicht ernst genommen zu werden oder etwas zu vergessen.

Er ist häufig unkonzentriert, gedanklich ungeordnet, sucht Aufmerksamkeit und hat meist hysterische Züge.

Dieser Patient hat vielleicht zu lange gewartet und steht unter Druck, jetzt alles in kurzer Zeit erzählen zu müssen. Er ist durch die Hektik des Personals oder durch Störungen des Gesprächs unsicher und unfähig, der Reihe nach und in Ruhe zu sagen, was er will.

Was machen Sie mit einem Dauerredner?

Zeigen Sie dem Patienten, dass Sie ihn verstanden haben und jetzt handeln werden. Benützen Sie seien Namen, das ist das wichtigste Wort in seinem Wortschatz:

„Ich habe genau verstanden, was Sie mir gesagt haben, Herr Müller.“

„Frau Huber, ich werde jetzt sofort …“

„Darf ich zusammenfassen, was für Sie am wichtigsten ist, Frau Schulze?“

„Ich möchte Ihnen vorlesen, was ich als Ihre wichtigsten Punkte notiert habe, Herr Maier.“

„Ich verspreche Ihnen, Herr Schmidt, dass ich … „

Wenn Sie Zeit haben, hören Sie aufmerksam und geduldig zu. Auch Dauerredner habe sehr interessante und für die Diagnostik und Therapie wichtige Informationen.

Geben Sie dem Patienten, was er braucht: Aufmerksamkeit, Hilfe, Freundlichkeit, Verständnis, Sicherheit. Achten Sie darauf, dass er diese Arten der Zuwendung so erhält, wie es für Ihre Praxis richtig und typisch ist. Die Praxis und die Klinik sind kein Selbstbedienungsladen!

Bitten Sie den Patienten, beim nächsten Besuch eine Liste mit Fragen mitzubringen, dann können Sie diese nach und nach abarbeiten. Dadurch strukturieren Sie das Gespräch. Lassen Sie sich nicht ausnützen, auch nicht in Bezug auf Ihre Zeit! Setzen Sie Grenzen.

Manchmal haben Sie mit einer Verblüffung einen guten Effekt: Nützen Sie die Sekunde, wenn der Dauerredner Luft holt, zu dem Satz: „Ich habe jetzt zugehört. Können Sie einen Moment Pause machen, damit ich darüber nachdenken kann?“ Es kann gut sein, dass der Gesprächspartner spontan sagt: „Ja, ich habe mal wieder zu viel geredet.“

Wie beenden Sie ein immer wieder neu beginnendes Gespräch?

Sprechen Sie klar darüber:

„Ich möchte mir genügend Zeit für Sie nehmen.“

„Ich habe den anderen Patienten auch versprochen, pünktlich zu sein.“

Wenn der Patient an der Tür wieder anfängt zu reden:

„Das Thema ist für Sie so wichtig, dass wir es unbedingt besprechen müssen. Dafür machen wir jetzt sofort einen Termin aus.“

Öffnen Sie die Tür, lassen Sie den Patienten vorausgehen. Wenn er nicht geht, gehen Sie zur Anmeldung, übergeben Sie den Patienten einer Mitarbeiterin:

„Bitte, vereinbaren Sie mit Frau X einen Termin für (Gespräch, Untersuchung…)“

Verabschieden Sie sich, und gehen Sie zum nächsten Patienten. Bleiben Sie nicht stehen, sonst geht das Gespräch weiter.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der chronisch eilige Mensch

 Kennzeichen

Alles muss immer sofort von anderen Menschen erledigt werden, während er sich selbst nicht drängen lässt. Die Frustrationstoleranz ist gering.

Dazu Originalzitate aus meiner Praxis:

„Ich habe zwar keinen Termin, aber mir geht´s schon zwei Tage lang so schlecht! Und im Wartezimmer kriege ich Platzangst. Ich möchte gleich ins Sprechzimmer gehen.“

„Ich muss gleich dran kommen, weil mein Auto im Halteverbot steht.“

„Kann ich gleich dran kommen, weil ich in einer halben Stunde beim Friseur einen Termin habe?“

„Ich habe schon seit zwei Wochen Schmerzen, und jetzt ist es besonders schlimm!“

Der Patient kommt ganz „zufällig“ immer zum Ende der Sprechstunde und möchte „ganz kurz noch einen richtigen Check-up“.

Was machen Sie mit dem chronisch eiligen Patienten?

Wenn der Patient hysterische oder hypochondrische Züge hat, können Sie entsprechend handeln.

Nehmen Sie sich Zeit, in einer günstigen Situation ruhig und sachlich mit dem Patienten über sein Verhalten und den Einfluss auf den Praxis- oder Stationsablauf zu sprechen.

Benützen Sie dabei Ich-Botschaften, um Angriffe zu vermeiden. Dann haben Sie wahrscheinlich eine Chance, sein Verhalten zu verändern, weil der Patient versteht, was sein Verhalten bewirkt. Er wird sich wahrscheinlich nicht ändern, wenn er das nicht verstanden hat und nur sein Verhalten ändern soll, weil Sie es so wollen.

Machen Sie konstruktive Verbesserungsvorschläge, wie Sie gemeinsam Zeiten finden können, die für alle Beteiligten günstig sind.

Appellieren Sie dabei an die partnerschaftliche Gesinnung des Patienten. Lassen Sie ihn Vorschläge machen, und akzeptieren Sie nicht, wenn er sich nur beklagt.

Halten auch Sie Ihre Termine ein. Sonst werden Sie erpressbar.

Wenn Sie chronisch eilige Patienten immer vorrangig behandeln, lernen diese, dass ihre Methode funktioniert. Dann sind Sie und Ihre Mitarbeiterinnen gut formbares Wachs in den Händen des Patienten.

Führen Sie klare und für alle ersichtliche Regeln der Organisation ein, und halten Sie sich dran.

Geben Sie klare Anweisungen an Ihre Mitarbeiterinnen zum Verhalten diesen Patienten gegenüber, und stehen Sie dazu vor den Patienten.

Lassen Sie sich nicht durch Kritik oder Intrigen ausspielen.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der schlecht mitarbeitende Patient

Ursachen der schlechten Mitarbeit

Der schlecht mitarbeitende Patient hat vielleicht die Situation und Anweisung trotz Aufklärung oder wegen schlechter Aufklärung nicht verstanden.

Möglicherweise konnte er nicht aufpassen, weil er sich während der Erklärungen des Arztes an- oder ausziehen musste, oder weil er durch ein Telefongespräch abgelenkt wurde, das Sie rasch zwischendurch geführt haben. Eine Helferin oder begleitende Familienmitglieder haben ihn vielleicht gestört.

Ein wichtiger und häufiger Grund für schlechte Mitarbeit ist Angst, zum Beispiel vor Krankheit, Leiden, Schmerzen, Nebenwirkungen bei Diagnostik und Therapie, Kritik, hohen Kosten, Allergien, Operation und Verlust des Arbeitsplatzes.

Die Dosierung der verordneten Medikamente spielt eine wichtige Rolle: Je häufiger der Patient das Medikament einnehmen soll, umso geringer ist die Zahl der Patienten, die es richtig machen. Bei einer einmaligen Medikamentengabe täglich nehmen 86% der Patienten zuverlässig ein, bei zwei Tabletten 60%, bei drei Tabletten 54% und bei vier Tabletten halten nur noch 26% die Therapie pünktlich ein.

Nur wenn ein Patient seine Medikamente sehr bewusst und überzeugt nimmt und die richtige Einstellung zu einer häufigen Dosierung hat wie zum Beispiel Patienten, die homöopathische Medikamente bevorzugen, können Sie mit einer besseren Einnahmeregelmäßigkeit rechnen.

Wenn die Einnahmeanweisung nicht klar ist oder vergessen wurde, wird der Patient verunsichert und nimmt vielleicht aus Angst vor einem Fehler lieber gar nichts. Oder er nimmt extra viel nach dem Motto „viel hilft viel“. Wenn er anruft, fühlen Sie sich gestört. Die Idee, den Beipackzettel zu lesen, haben nicht alle Patienten, und wenn sie ihn lesen, konzentrieren sie sich auf die Nebenwirkungen und sehen darin einen oder mehrere Gründe, nichts zu nehmen.

Vielleicht hat der Patient von anderer Seite Informationen, die Ihren Aussagen widersprechen. Die Laienpresse, der Nachbar und das Fernsehen versorgen die Menschen mit so vielen widersprüchlichen Nachrichten, dass der Patient sich nicht mehr entscheiden kann und dann lieber nichts nimmt.

Hat der Patient Angst, mit Ihnen über seine wirklichen Sorgen zu reden? Danach können Sie taktvoll fragen.

Haben Sie den Patienten bei der Festlegung des Vorgehens (Diagnostik oder Therapie) mit entscheiden lassen? Erfahrungsgemäß führen die Patienten eine Maßnahme nur dann konsequent durch, wenn sie entweder von Ihrem Vorschlag überzeugt sind oder sich mit Ihrer Meinung identifiziert haben.

Haben Sie den Patienten wirklich motiviert zur Mitarbeit? Haben Sie ihm die Vorteile der Therapie so geschildert, dass er sie voll annehmen konnte? Sind ihm die möglichen Nebenwirkungen bewusst, und ist er trotzdem überzeugt von der Therapie?

Fühlt sich der Patient in Ihrer Betreuung wohl? Hat er genügend Vertrauen in Ihr Wissen und Vorgehen? Haben Sie sich mit den negativen Gedanken des Patienten auseinandergesetzt und seine positiven gestärkt? Haben Sie seine soziale Lage berücksichtigt?

Folgen der schlechten Mitarbeit

Aus einem Artikel der New York Times vom 16.9.1992:

„Studien belegen, dass in den USA jedes Jahr 125.000 Menschen sterben, weil sie bei heilbaren Krankheiten die verordneten Mittel und Therapiemaßnahmen nicht richtig oder gar nicht angewandt haben. Mitte der 80-er Jahre hat die US-Handelskammer die durch Non-compliance [1] entstandenen Kosten auf ca. 15 Mrd. Dollar jährlich berechnet.

Die häufigsten Ausfälle sind bei den Patienten über 65 zu beobachten. 30 – 50% aller für diese Altersgruppe verschriebenen Mittel blieben unbeachtet. Jeder siebente Patient hörte vorzeitig auf, seine Medikamente wie vorgeschrieben einzunehmen, und etwa jeder dritte Patient lässt das Rezept nicht erneuern.

Manche Patienten hören mit der Medikation auf, um zu beobachten, ob die Krankheit verschwunden ist. Sie glauben, dass eine weitere Einnahme die Krankheit bestätigt. Chronisch Kranke möchten oft selbst Kontrolle über ihre Krankheit ausüben und die Medikation selbst steuern. Das wurde bei bis zu 42% der Epilepsie-Patienten beobachtet.

An der Universität Michigan wurde festgestellt, dass die Mitarbeit bei der Therapie der Hypercholesterinaemie [2] und des Hypertonus [3] bei Ärzten als Patienten noch schlechter war als bei allen anderen Patienten mit dem gleichen Krankheitsbild!“

Was machen Sie mit dem schlecht mitarbeitenden Patienten?

Sie können durch regelmäßige RR- und BZ- Kontrollen mit Ausweisen den Patienten anhalten, die Therapie und die Beobachtung regelmäßig zu gestalten. Auch Migränekalender, Tabellen, Notizen über den Verlauf und andere „Hausaufgaben“ sind sinnvoll. Sie vermitteln damit dem Patienten, dass Sie ihn ernst nehmen. Zeigen Sie Interesse an dem Patienten.

Fragen Sie den Patienten nach seinen Vorstellungen von Diagnostik und Therapie. Wenn Sie die Lösungsmöglichkeiten des Patienten individuell absprechen und seine Konfliktlösungen konstruktiv einbauen, haben Sie eine ganzheitliche Beratung erbracht, die mit dem vollen Vertrauen des Patienten belohnt wird. Denn er fühlt sich verstanden, hat an der Lösung aktiv mitgearbeitet und ist deshalb optimal motiviert, sein Rezept auch einzulösen.

Erklären Sie sachlich und anschaulich die Folgen seiner mangelhaften Mitarbeit und die möglichen Erfolge seiner guten Mitarbeit. Vermeiden Sie Schuldzuweisungen, und machen Sie dem Patienten kein schlechtes Gewissen, denn beides sind keine guten und anhaltenden Motive, etwas Positives zu unternehmen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Patienten oft sehr pfiffige Ideen haben, auf die ich nicht komme. Das erhöht den Spaß des Patienten, auch etwas zur Therapie beizutragen, denn er wird gefordert und damit gefördert.

Loben Sie die kleinste Verbesserung der Mitarbeit. Geben Sie dem Patienten das Gefühl, dass er es geschafft hat. Das können Sie auch vor den Verwandten tun. Zeigen Sie Ihre Freude. Das freut nicht nur den Patienten, sondern es gibt Ihnen selbst mehr Motivation für den Tag.

 

[1] Fehlende Mitarbeit

[2] Zu hoher Cholesterinspiegel im Blut

[3] Zu hoher Blutdruck

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der Besserwisser

Kennzeichen

Er hat die Diagnose und Therapie parat, bevor Sie eine Chance haben, seinen Schilderungen zuzuhören und eigene Gedanken zu entwickeln.

Der Patient schlägt Ihnen die Diagnostik vor und hat Einwände gegen Ihre Diagnostik, meistens bevor Sie etwas geäußert haben:

Wir müssen nicht schon wieder Blut abnehmen! Das haben wir doch erst vor einem halben Jahr gemacht!“

Er hat Einwände gegen Ihre Therapie, bevor Sie einen Vorschlag gemacht haben:

Aber bitte kein Penicillin und kein Kortison! Da gibt´s so schlimme Nebenwirkungen!“

Der Patient versorgt Sie mit den neuesten Erkenntnissen aus der Regenbogenpresse  und prüft Ihren Wissensstand an seinem eigenen. Dabei gerät er in große Schwierigkeiten, wenn Sie seine Vorschläge sachlich hinterfragen und zusätzliche Informationen haben wollen.

Den Besserwisser gibt es in verschiedenen Varianten: Der „Nörgler“ ist immer unzufrieden und hat an allem etwas auszusetzen. Der „Öko-Freak“ hat regelmäßig Bedenken wegen der Umweltschädigung. Und der „Medizin-Verbesserer“ hat scheinbar so gute Ideen, dass es sich anhört, als habe er den Nobelpreis verpasst. (Zugegeben, der letzte Satz ist ein bisschen übertrieben.)

Was machen Sie mit dem Besserwisser?

Bleiben Sie sachlich. Prüfen Sie die Ideen und Informationen des Patienten. Sie sind oft sehr hilfreich.

Wenn der Patient einen guten Vorschlag gemacht hat, bedanken Sie sich bei ihm, und bauen Sie die Idee in das Vorgehen ein.

Zeigen Sie dem Patienten, dass Sie sein Interesse an der Mitarbeit gut finden, und motivieren Sie ihn zu einem partnerschaftlichen Vorgehen.

Nützen Sie das Interesse des Patienten an seiner Gesundheit.

Wenn der Patient destruktive Kritik bringt, fragen Sie sachlich und ruhig nach seinen Vorschlägen und dem Grund seiner Ablehnung. Oft erhalten Sie wichtige Informationen zur Sozialanamnese, die Sie für Diagnostik und Therapie verwenden können.

Fragen Sie nach Gründen für Sorgen und Angst vor der Diagnostik und Therapie. Vielleicht hat der Patient schlechte Erfahrungen gemacht oder erschreckende Beispiele gehört. Bedenken Sie bitte, dass die Lebenserfahrungen und Wahrnehmungen des Patienten für ihn genauso wichtig sind wie Ihre Eindrücke für Sie. Nehmen Sie also den Patienten ernst, und gehen Sie partnerschaftlich mit ihm um.

Wenn Sie in einer Unterredung mit dem Patienten durch sachliche Information gemeinsam dazu gekommen sind, dass Ihre Vorschläge durchgeführt werden, geben Sie bitte dem Patienten nicht das Gefühl der Unterlegenheit.

Wenn der Patient das Gesicht verliert, verlieren Sie den Patienten.

Vergewissern Sie sich, dass der Patient wirklich mit der erarbeiteten Vorgehensweise einverstanden ist. Wenn er nur Ihnen zuliebe JA sagt und nicht anders aus dem Gespräch herauskommt, wird er wahrscheinlich die Diagnostik und Therapie nicht einhalten und/oder vermehrt Komplikationen haben.

Es ist in Ordnung, auf eigene Erfahrung und eigenes Fachwissen hinzuweisen, wenn Sie gleichzeitige Bereitschaft signalisieren, etwas dazuzulernen.

Arbeiten Sie mit Überweisung und regelmäßigen Kontakten mit Spezialisten zusammen. Informieren Sie den Kollegen so ausführlich, dass die Kosten gering gehalten werden können. Sie vermeiden damit, vom Patienten gegen den anderen Arzt oder Therapeuten ausgespielt zu werden.

Wenn der Patient ein Spezialisten-Saboteur oder Koryphäen-Killer ist, d.h. wenn er versucht, den Spezialisten zu entwerten, um sich selbst zu profilieren, klären Sie, ob der Patient hysterische oder hypochondrische Züge hat. Dieser Patient legt es darauf an, Ihre Unfähigkeit und seine Überlegenheit zu beweisen.

Er ködert Sie mit Vorschusslorbeeren: „Sie sind meine letzte Rettung!“ Die beste Reaktion darauf habe ich bei Rönsberg und Huhn gefunden: „Sicher nicht die letzte, vielleicht die vorletzte!“

Es hilft, wenn Sie die Allmacht bezweifeln, die Ihnen von dem Patienten attestiert wird.

Wenn Sie eine anfängliche Verschlechterung durch Ihre Therapie vorhersagen, können Sie skeptisch bleiben bezüglich eines anhaltenden Therapieerfolges. Sonst fordern Sie den Patienten heraus, Ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Ein Kampfspiel zu dem Thema „Wer hat Recht?“ werden Sie immer verlieren. Deshalb können Sie nur gewinnen, wenn Sie das Spiel nicht mitspielen, jedenfalls nicht nach den Regeln des Patienten.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Das Pseudo-VIP-Syndrom

Kennzeichen

Herr und Frau Besonders Wichtig dringen wie distanzlose Menschen in Ihren Bereich ein und begründen ihre Wichtigkeit nach außen mit Rechten, die sie zu haben glauben.

Oft ist der Pseudo-VIP ein hysterischer Mensch, manchmal ein hypochondrischer oder distanzloser. Er hat es nötig, seinen Mitmenschen zu zeigen, dass er besonders wichtig genommen werden will.

Er sucht Nähe im privaten Bereich, um daraus Vorteile für sich zu ziehen. Er ist oft in Clubs anzutreffen und nutzt solche Beziehungen als Begründung für Vorrechte aus, z.B. das vertraute DU.

Diese Menschen schieben oft private Beziehungen zum Arzt vor, die nicht wirklich so bestehen, um bei den Arzthelferinnen bessere Bedienung zu bekommen.

Plumpe Vertraulichkeit ist häufig. Der Pseudo-VIP will die Privattelefonnummer des Arztes oder der Therapeutin haben und nützt sie auch zur Unzeit über Gebühr aus (im wahrsten Sinn des Wortes).

Originalzitate aus meiner Praxis: Die Patienten sagten zur Arzthelferin:

„Ich kenne den Doktor gut. Ich brauche noch heute einen Termin.“

„Ich habe den Dietrich und seine Frau im Urlaub kennen gelernt. Ich will ihn sofort sprechen.“

„Der Doktor ist mein Nachbar. Er muss (!) mir auf dem Heimweg das Rezept in den Kasten werfen.“

Was machen Sie mit dem Pseudo-VIP?

Gehen Sie vor wie beim Distanzlosen. Trennen Sie private und berufliche Bereiche klar, und halten Sie die Grenzen immer ein. Bleiben Sie freundlich und sachlich.

Oder machen Sie durch eine paradoxe Reaktion deutlich, dass die Situation unpassend ist.

Dazu eine Anekdote:

Der berühmte Frauenarzt Prof. Bumm von der Berliner Charité war zu einem Festempfang eingeladen und saß beim Festessen neben einer exaltierten Dame der großen Gesellschaft, die die Nähe des Arztes für eine (natürlich kostenlose) Beratung nützen wollte. Nachdem Sie Ihre Frage leise geäußert hatte, antwortete der Professor mit betonter Höflichkeit und so laut, dass es alle hören konnten: „Gnädige Frau, selbstverständlich beantworte ich Ihre Frage gern. Ziehen Sie sich aus, damit ich Sie sofort untersuchen kann.“

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der weinende Mensch

 

Ein weinender Mensch ist ein Notfall und hat Vorrang. Taktvolles Verhalten ist immer angebracht. Beschwichtigungen werden oft als kränkend oder ablenkend empfunden und sollten deshalb unterlassen werden.

  •  Sie können immer anbieten: „Wollen Sie darüber sprechen?“

Dabei müssen wir zuerst überlegen, wie wir zu unseren eigenen Tränen stehen. Können wir unsere Tränen als Mittel des Ausdrucks annehmen, oder versuchen wir, sie zu unterdrücken? Davon hängt unser Verhalten den Patienten gegenüber ab.

  •  Wir sollten den Mensch ausweinen lassen und unser Mitgefühl durch Geduld und Ruhe signalisieren.

Lassen Sie ihn den erleichternden Effekt des Weinens erleben.

Wenn Sie sofort ein Taschentuch auf den Tisch legen oder gar aufdrängen, kann das als Aufforderung aufgefasst werden, mit dem Weinen aufzuhören. Deshalb ist es ratsam, das Taschentuch erst dann zu geben, wenn er darum bittet.

  • Wenn ein Mensch dem Weinen nahe ist und die Tränen nicht zulassen will, können Sie ihm Ihren Eindruck vermitteln: 2Ich finde es schade, dass Sie so streng mit sich sind und die Tränen nicht zulassen.“
  • Begrenzen Sie Krisengespräche zeitlich.

Auch ein trauernder und/oder depressiver Patient muss sich wieder an die Normalität der Zeitbegrenzung gewöhnen, die er in der Trauer und Depression verloren hat. Damit wird ein relativ kurzes Gespräch mit mehr Leben erfüllt. Sie erreichen dadurch, dass der Patient und Sie selbst sich konzentrieren auf das, was in der vorgegebenen Zeit besprochen werden kann. Es ist deshalb nötig, dem Patienten klar zu sagen, wie viel Zeit Sie für ihn jetzt haben. Diese Zeit sollten Sie unbedingt einhalten.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

 

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Der trauernde Mensch

Klären Sie möglichst rasch: Handelt es sich um Traurigkeit, Trauer- und Trennungsprobleme, Ausdruck einer reaktiven Depression oder/und eine andere Depressionsform?

Allen Situationen ist ein trennendes und schmerzvolles Moment eigen, mit dem sich die Patienten auseinandersetzen müssen.

Achten Sie auf Ihre eigenen Gefühle:

Sind Sie hilflos-traurig oder hilflos-ärgerlich oder hilflos-ängstlich?

Aus der Wucht Ihrer eigenen Gefühle können Sie gut auf die Intensität des Mitmenschen schließen und damit Zeit und Energie sparen und die Therapie und Ihr Verhalten in die richtige Richtung lenken.

Die Gefühle, die Sie im Umgang mit dem Patienten spüren, zeigen Ihre persönliche Begabung, eben diese Gefühle zu spüren. Das ist kein Hindernis, sondern eine Hilfe für die Therapierichtung. Ihre Therapie wird mit großer Wahrscheinlichkeit emotional gesteuert, auch wenn Sie rational reagieren wollen. Deshalb sollten Sie über Ihre eigenen Gefühle nachdenken, bevor Sie die Therapie festlegen wollen.

Wenn Sie hilflos-ärgerlich sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie unbewusst zum Angriff übergehen, z. B. mit einer Spritze oder einer anderen aggressiveren Therapiemethode. Sie müssen die Therapie finden, die zu Ihnen und dem Patienten passt.

Wenn Sie hilflos-ängstlich sind, könnte es sein, dass Sie zögerlich mit der Therapie sind und vielleicht zu wenig unternehmen oder zu unentschlossen entscheiden und handeln.

Wenn Sie hilflos-traurig sind, besteht die Gefahr, dass Sie sich mit dem Mitmenschen / Patienten identifizieren und nicht genügend Distanz haben, um eine sachlich gerechtfertigte Therapie / Verhaltensweise zu beschließen und durchzuhalten.

Wenn Sie im Umgang mit einem Menschen Aggression verspüren, weil er in seinem Gespräch oder Leben nicht vorwärts kommt, kann es sein, dass Sie seine verdrängte Aggression spüren, die sich bei ihm als Depression manifestiert. Dies ist ein wichtiges diagnostisches Merkmal, das im Gespräch rasch zur Diagnose führen kann! Sie können also ihre eigene Aggression als diagnostisches Kriterium nützen und gezielt weiter nach Zeichen einer Depression suchen.

Depression ist meist eine verdrängte Form der Aggression, die sich gegen den Menschen selbst richtet (= Autoaggression!). Die extreme Form der Aggression ist der Mord. Die extreme Form der Autoaggression / Depression stellt der Suizid [1] dar. Deshalb müssen wir uns bei einem Suizid immer fragen, wem die Tötung wirklich gegolten hat.

Stellen sie fest, wie viel Energie der Patient noch hat. Wenn er „am Ende“ ist, müssen Sie schneller handeln. Bauen Sie dann keine zusätzlichen Widerstände durch Fragen und Vorschriften auf, sondern handeln Sie konsequent.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass der Patient suizidal ist, handeln Sie entschlossen und ohne schlechtes Gewissen, ihn einweisen zu müssen.

Trauerarbeit ist Erinnerungsarbeit.

In jedem Fall ist es hilfreich, den trauernden Patienten dazu anzuhalten, über den „Verlorenen“ zu sprechen. Dieser muss sozusagen noch einmal „auferstehen“, um dann möglichst liebevoll losgelassen werden zu können.

Hören Sie zu! Und stoppen Sie den Trauernden nicht mit einer Geschichte, die Sie erlebt oder gehört haben und die noch schlimmer ist. Sie müssen sich nicht profilieren. Der Trauernde hat jetzt Vorrang.

Lassen Sie sich Bilder zeigen, sprechen Sie über den vermissten Partner auch dann, wenn zum Beispiel ein junges Mädchen schrecklich sauer ist, dass der Freund sie verlassen hat. Zeigen Sie Ihr Interesse an der Persönlichkeit des Freundes.

Ermuntern Sie die Patienten, sich intensiv mit dem Verlorenen zu beschäftigen und den Schmerz zu spüren. Dann kommen die Patienten leichter darüber weg, auch wenn sie im Moment mehr Schmerz fühlen und lieber alles verdrängen würden.

Trauer und Angst sind leichter zu überwinden, wenn wir uns damit konfrontieren statt sie zu verdrängen. Wir haben nur eine bestimmte Menge an „Trauer-Energie“. Wenn sie aufgebraucht ist, kann das normale Leben wieder Raum gewinnen.

Bei der Trauer haben wir nur die Wahl, sie jetzt seelisch zu spüren oder in geraumer Zeit in Form von psychosomatisch ausgelösten Beschwerden wie Schlafstörungen, Magenge-schwüren, Atemstörungen oder ähnlichen Symptomen, die schließlich eine Psychotherapie nötig machen.

Insofern ist es auch richtig, die Patienten zu ermuntern, die Trauerfeier nicht im Nebel eines Tranquilizers, sondern im vollen Wachbewusstsein zu erleben. Die Südländer können ihre Trauer ausleben und sind wesentlich schneller wieder frei für neue Gefühle und den normalen Fortgang des Lebens.

Wollen Sie sympathisch oder empathisch reagieren?

Sympathisch [2] reagieren bedeutet in diesem Zusammenhang, sich mit dem Trauernden zu identifizieren, das heißt, ich reagiere, als ob ich an seiner Stelle wäre. Ich lade mir sein Problem auf und leide daran. Sympathische Reaktionen vermitteln menschliche Nähe und verhindern therapeutische Distanz.

Empathisch [3] reagieren bedeutet, dass ich mich in den Trauernden hineinversetze und mir klar mache, warum er so empfindet und reagiert, und dabei mache ich mir gleichzeitig klar, dass seine Empfindung und Probleme nicht meine sind, ich sie also auch nicht lösen muss. Deshalb leide ich auch nicht daran. Damit kann ich eine diagnostische und therapeutische Distanz wahren und den Patienten verstehen und ihm das Gefühl geben, dass ich ihn verstehe. Empathische Reaktionen vermitteln menschliche Nähe und therapeutische Distanz.

Es ist eine sehr individuelle Entscheidung, ob Sie einen Menschen umarmen wollen, z. B. wenn er oder sie verzweifelt neben dem Bett eines soeben verstorbenen Angehörigen steht. Es ist in Ordnung, wenn Sie Ihre eigene Betroffenheit zeigen, aber dann sollten Sie unbedingt in die Distanz der empathischen Haltung zurückkehren.

Ein gezieltes empathisches Verhalten ist immer richtig. Ein sympathisches Verhalten (zum Beispiel mitzuweinen) ist sicherlich echt empfunden und insofern richtig. Allerdings können Sie das Problem bekommen, dass Sie nicht mehr objektiv handeln können, weil Sie die innere Distanz nicht mehr erreichen, die dazu nötig ist.

[1] Bitte benützen Sie nicht das Wort Selbstmord, weil Mord in unserem Sprachgebrauch vorsätzliche Tötung aus niedrigem Beweggrund bedeutet. Besser sind die Wörter Suizid oder Selbsttötung.

[2] wörtlich: Mitfühlend, mitleidend

[3] wörtlich: Hineinfühlend

 

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Der Simulant

Kennzeichen

Der Simulant schildert nicht vorhandene Symptome, um daraus Vorteile zu ziehen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Sport- oder Schulbefreiung, ein anderer Arbeitsplatz, Entschädigungen von Versicherungen sind oft begehrte Vorstufen zur Rente. Zuwendung von anderen Menschen und Schonung sind offensichtliche Krankheitsgewinne durch Simulation. Das begreifen schon die kleinsten Kinder und wenden es perfekt an. Jede Mutter kennt die Bauchschmerzen ihres Kindes, wenn es nicht in den Kindergarten will oder in der Schule eine Klassenarbeit bevorsteht.

Der Simulant ist bei guter Schauspielkunst und mangelnder Aufmerksamkeit des Arztes / Therapeuten nicht oder nur sehr schwer zu erkennen. Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen sind so schnell nicht zu widerlegen und reichen allemal für eine kleine Krankmeldung von ein paar Tagen, und mehr braucht der Simulant meistens nicht.

Was machen wir mit dem Simulanten?

Da wir Ärzte ja ganz überwiegend mit Patienten zu tun haben, die tatsächlich krank sind, ist es relativ wahrscheinlich, dass wir einen guten Simulanten übersehen. Deshalb möchte ich Ihnen einen Satz sagen, der in der ganzen Medizin gilt und so banal wie wahr und hilfreich ist. Ich habe ihn in der Vorlesung bei dem berühmten Internisten Prof. H. E. Bock in Tübingen gehört: „Eine Diagnose kann man nur stellen, wenn man an sie denkt!“ Also schärfen Sie Ihren diagnostischen Blick mit ein bisschen gesunder Skepsis und realistischer Erfahrung mit den weniger guten Eigenschaften in uns Menschen.

Sorgfältige Diagnostik ist nötig, weil auch Simulanten krank sein können. Vielleicht finden Sie etwas Pathologisches und Behandlungsbedürftiges, auch wenn es dem Simulanten gar nicht in seine Pläne passt.

Der Simulant verführt oft zu Überdiagnostik und Übertherapie wie der Hysteriker auch. Davor müssen wir uns und den Patienten schützen. Das gilt besonders, wenn der Simulant mehrmals mit der gleichen Masche ankommt.

Wenn wir den Verdacht auf Simulation haben, können wir mitspielen. Aber wir werden erpressbar und unglaubwürdig. Dadurch verspielen wir das Vertrauen des Patienten und die Achtung vor uns selbst. Denn was halten Sie von jemand, der etwas macht, wovon er nicht überzeugt ist und sogar betrügerische Machenschaften unterstützt? Und das ist so, wenn Sie eine Krankmeldung ausschreiben und wissen, dass der Arbeitgeber oder die Krankenkasse das Gehalt weiter bezahlen, ohne dass eine angemessene Leistung dem gegenüber stehen.

Oder wir beginnen eine detaillierte Suche. Das bringt erhöhte Kosten und alle Vor- und Nachteile, die der Patient durch die Zuwendung erhält. Hypochonder und Simulanten werden ermuntert, die Beschwerden größer werden zu lassen, um im Kampf mit dem Arzt zu siegen. Dadurch kommt der Arzt immer mehr in Zugzwang und wird hilflos gemacht. Außerdem sind wir Ärzte meiner Meinung nach in Zeiten der schwindenden Geldmittel im Gesundheitssystem sehr gefordert, die Ausgaben in einem für die Allgemeinheit vertretbaren Rahmen zu halten. Das gilt erst recht für Leistungen, die wir Simulanten zukommen lassen.

Selbst wenn der Arzt den Patienten überführen kann und dies deutlich zeigt, verliert er den Kampf menschlich und außerdem wahrscheinlich den Patienten, und dem Patienten ist nicht geholfen. Denn der Patient kennt keine für ihn gangbare Möglichkeit, sein Ziel ohne die Simulation zu erreichen. Er wird beim nächsten Arzt das gleiche Spiel versuchen.

Deshalb ist eine sorgfältige Sozialanamnese sinnvoll, um die Hintergründe aufklären und unterscheiden zu können zwischen Simulation, Aggravation (übertriebene Schilderung tatsächlich vorhandener Symptome), neurotischem Verhalten und einer Lüge. Ein Hausarzt ist hier im Vorteil gegenüber dem einmal aufgesuchten Facharzt, weil er seine Pappenheimer kennt.

Ein problemorientiertes Gespräch ist angezeigt, um mit dem Patienten eine Möglichkeit zu erarbeiten, die seine Situation ohne Simulation löst.

Wir sollten den Triumph, ihn überführt zu haben, nicht zeigen. Das entwertet und kränkt den Patienten. Wenn wir mit Simulanten gut umgehen, können sich daraus sehr gute Beziehungen entwickeln, weil der Patient das Gefühl bekommt, wirklich menschlich ernst genommen zu werden, auch wenn er mit unlauteren Mitteln vorgehen will.

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Der hypochondrische Mensch

Der Hypochonder

 Hypochonder heißt im griechischen wörtlich „unter dem Knorpel“. Gemeint ist der untere Rippenbogen, denn unsere Vorfahren beobachteten dort die meisten funktionellen Störungen. Auch bei Kindern, die ihren Körper noch nicht genau kennen, zeigen fast immer auf ihren Bauch, wenn man sie fragt, wo es weh tut.

Die Hypochondrie ist ein eigenständiges Krankheitsbild, das zu den Zwangsstörungen gehört und behandlungsbedürftig ist. Etwas 5-10% der Patienten in einer Hausarztpraxis leiden an ihrer extremen Selbstbeobachtung.

Kennzeichen

Der Hypochonder hat die Vorstellung, schwer krank zu sein, und er lässt sich auch von sorgfältig erhobenen und normalen Untersuchungsbefunden nicht vom Gegenteil überzeugen. Jeder gesunde Befund zwingt ihn dazu, eine neue Symptomatik zu entwickeln und eine zusätzliche diagnostische Maßnahme zu fordern. Und er hat eine zwanghafte Neigung, sein Befinden ständig zu beobachten und zu beschreiben in der Angst, etwas zu finden, was in ihm krank ist. Hypochondrie ist eine Gesundheitsangst. Freud stellte sich vor, dass die Hypochondrie eine narzisstische Neurose darstellt: „Der Hypochondrische zieht Interesse wie Libido von den Objekten der Außenwelt zurück und konzentriert beides auf das beschäftigende Organ.“

Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Ängste auf ein Organ (z. B. Leber oder Herz oder Lunge) oder ein Körperteil (z. B. Bauch oder Kopf) oder ein bestimmtes Symptom (z. B. Ziehen, Schmerzen) oder eine bestimmte Diagnose (z. B. Krebs oder Alzheimer-Erkrankung) begrenzt sein können. Das Hauptproblem der Hypochonder ist nicht der Schmerz, sondern die falsche Deutung der Schmerzen. Bei Brustschmerzen ängstigen sie sich vor einem lebensbedrohlichen Herzinfarkt, bei Kopfschmerzen sind sie sicher, einen unheilbaren Hirntumor zu haben.

Die Hypochondrie kann als schwere seelische Erkrankung die Betroffenen in ihrer Lebensfreude und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen und bis zur Arbeitsunfähigkeit und stationären psychiatrischen Behandlungsbedürftigkeit führen.

Bis heute ist noch keine körperliche Ursache der Hypochondrie gefunden worden, die Angst des Hypochonders ist sehr wahrscheinlich nicht durch organische Veränderungen ausgelöst. Es gibt insbesondere noch keine bekannte Störung des zentralen Nervensystems, die man als Ursache oder Steuerungsmechanismus der Hypochondrie verantwortlich machen könnte.

Der Hypochonder wendet sich in dem Maß von der Außenwelt ab, in dem er sich auf seine Beschwerden und Befürchtungen konzentriert. Dadurch entwickelt sich die zwischenmenschliche Beziehung zurück, und die Umwelt wird mehr und mehr benützt, um die Hypochondrie zu stützen. Artikel, die er liest, oder Bericht über Krankheiten, die ihm erzählt werden, verstärken seine Angst oder schaffen neue Vorstellungen von krankhaften Symptomen. Denn die Logik des Hypochonders ist zwingend: Was muss das für eine schreckliche Krankheit sein, die nicht einmal von den Spezialisten gefunden oder erklärt werden kann! – Tatsächlich ist der Hypochonder Opfer einer schweren Krankheit, er hat nämlich mindestens eine Hypochondrie, wenn keine andere Krankheit gefunden wird. Aber genau diese Diagnose lehnt der Hypochonder als Zumutung, Fehldiagnose oder persönliche Unverschämtheit des Arztes ab.

Dabei entwickelt sich der Hypochonder zu einem Fachmann auf seinem Gebiet, er liest alles, besonders Laienliteratur und neuerdings alles, was er im Internet finden kann. Und das ist so viel, dass es Hypochonder erst recht auf schlimme Gedanken bringt! Da er überzeugt ist, dass die Ärzte auch nicht alles wissen können, versorgt er sie hilfsbereit mit seiner Spezialliteratur, um ihnen den richtigen Tipp zu Diagnose und Therapie zu geben. Und er ist sehr aktiv, den Ärzten neue Vorschläge zur Interpretation der Symptome zu geben. Ein typisch ausgeprägter Hypochonder kann sich auf diese Weise zu einem Koryphäen-Killer oder Spezialisten-Saboteur entwickeln, der von Fachmann zu Fachmann rennt und jedem beweist, dass auch er nicht auf die richtige Diagnose kommt. Dadurch betreibt er das, was die Krankenkassen inzwischen als Praxis-Hopping bezeichnen, gemeint ist das Springen von Praxis zu Praxis.

Ich erinnere mich an einen meiner Hypochonder in der Praxis, der mich regelmäßig mit den neuesten Anzeigen aus einer bekannten deutschen Tageszeitung versorgte (ich meine die mit den ganz großen Buchstaben) und anderen Produkten aus der Regenbogenpresse und mir gleichzeitig erzählte, dass er auch dieses Medikament schon erfolglos ausprobiert habe. Der Arzt Gerhard Uhlenbruck, auch ein brillanter Aphoristiker, sagt: „Ein richtiger Hypochonder begleitet seinen Arzt in den Urlaub. Manche Menschen bringen es vom Hypochonder zum Fachpatienten.“

Beim Hypochonder stehen die körperlichen Zeichen im Vordergrund und werden oft übertrieben und äußerst detailliert geschildert. Hier ist das Detail des Berichts wichtig, weniger die Art der Darstellung. Beim Hysteriker imponieren besonders die Inszenierung des Geschehens, das große Theater, die eindrucksvolle, meist laute Schilderung der Symptomatik, weniger der Inhalt des Gesagten. Psychosomatisch kranke Patienten tragen psychische Probleme über den Körper aus, oft sind es Hilfeschreie, weil sie überfordert sind. Sie wollen erreichen, dass sich jemand um sie kümmert so wie die Eltern damals, als die Patienten noch klein waren. Diese Unterschiede sind wichtig, weil sie Konsequenzen haben für den Umgang mit dem Patienten.

Hypochonder glauben, dass sie eine Sache kontrollieren könne, wenn sie sich darüber Sorgen machen. Sie sind beispielsweise ständig mit den Menschen beschäftigt, die sie lieben, und machen sich Angst, es könnte etwas mit ihnen geschehen, wenn sie fort sind oder auf dem Weg mit dem Auto oder dem Flugzeug. Diese Angst geht weit über die üblichen Gedanken für eine gute Reise hinaus, die man normalerweise hat, wenn jemand verreist. Der Hypochonder kann seine angstvollen Gedanken nicht loslassen, weil er kein Vertrauen hat, dass auch etwas gut gehen könnte.

Es ist sinnvoll und eine gesunde Reaktion, einem Kind oder einem Partner zu sagen, sie sollten einen Schutzhelm auf dem Fahrrad tragen. Krank wäre es, sich Sorgen zu machen über etwas, was man nicht kontrollieren kann, eine Autofahrt, ein Flug oder irgendeine Situation, die man nicht beeinflussen kann. Dabei ist die Bedeutung des Wortes „kontrollieren“ wichtig. Im Englischen bedeutet „to control“ nicht nur „überprüfen“, sondern auch „steuern“, „beeinflussen“.

Wir können in den Gesprächen überprüfen, ob die Angst des Hypochonders einfühlbar ist. Meist ist sie es nicht, wenn bei allen Abklärungen normale Befunde erhoben worden sind und der Patient immer noch und immer mehr Angst bekommt und zunehmend unter seiner Vorstellung krank zu sein leidet.

Hypochondrische Zeichen können zu einer Psychose und einer körperlich betonten Form der Depression passen. Eine differentialdiagnostische Abklärung ist notwendig. Hypochonder geraten manchmal in diese Angstzustände, weil sie Angst vor etwas anderem haben, was sie entweder nicht bewusst erkennen oder nicht darstellen wollen.

Ungelöste Familienkonflikte sind häufige Ursachen einer Hypochondrie. Ich kenne eine Studentin, die große Krankheitsängste entwickelte, die in hypochondrischer Weise vorgetragen wurden. Alle diagnostischen Maßnahmen erbrachten normale Befunde. Erst im Rahmen einer Psychotherapie zeigte sich, dass sie große Angst hatte, sich von ihrer Familie abzulösen, in der Krankheit der Eltern eine wichtige Rolle spielte. Und ihre eigene (eingebildete) Krankheit bot ihr die Möglichkeit, in der Sorge ihrer Familie präsent zu sein und zu bleiben. Als sie die Hintergründe dieser Ängste erkannte hatte, konnte sie die zwanghafte Beziehung lösen, liebevoll ihre Familie loslassen und in Ruhe weiter studieren und eine normale Beziehung zu ihrer Familie aufbauen.

Es gibt viele Hypochonder unter den Ärzten, wahrscheinlich begünstigt durch die ständige berufliche Fixierung auf körperliche Symptome. Ich glaube, jeder Medizinstudent kennt das Gefühl, dass er eine Krankheit hat, die er gerade im Buch lernt oder im Hörsaal an einem Patienten sieht. Während ich im Hygienebuch die Parasiten studierte, die unter der Haut Gänge graben und einen entsetzlichen Juckreiz verursachen, z. B. bei der Krätze, habe ich mich ertappt, dass ich mich ständig kratzte. Erst als ich mir klar machte, was da in meiner Vorstellung ablief und dass meine Haut nicht befallen war, hörte der Juckreiz auf.

Ein befreundeter Kollege entdeckte plötzlich einen „auffälligen“ Lymphknoten in der Achselhöhle, als wir im Studium dabei waren, Lymphknotenkrebserkrankungen zu lernen. Er schlief nicht mehr und steigerte sich so weit in die Angst hinein, jetzt unheilbar krank zu sein, dass er sich schließlich den Lymphknoten entfernen ließ. Glücklicherweise überzeugte ihn das normale Ergebnis, und er fühlte sich von da an wieder gesund.

Da die einmalige Erkenntnis und Diagnose das Symptom zum Verschwinden brachten und wir dadurch beruhigt waren, spricht unser Verhalten gegen die Diagnose Hypochondrie. Ein echter Hypochonder wäre durch den normalen Befund besorgt gewesen und hätte entweder stärkere oder andere Symptome entwickelt. Der Entertainer Harald Schmidt ist seit Jahren ein bekennender Hypochonder und berichtet in seinen Kolumnen, dass er mindestens einmal wöchentlich seine Lymphknoten abtastet und Stammgast bei Ärzten ist. [1]

Der Hypochonder pflegt seinen Krankheitsgewinn und hat drei mögliche Entwicklungswege.

  • Der „Tyrann“ unterjocht seine Umwelt und sein ganzes eigenes Leben dem Gedanken, krank zu sein, die Krankheit zu diagnostizieren und zu behandeln. Er verlangt Verständnis, Anpassung und unterdrückt alle, die mit ihm zu tun haben. Er ist extrovertiert und lässt jeden an seinem vermeintlichen Leiden nicht nur teilhaben, sondern er drückt es jedem auf, der es gar nicht wissen will. Daraus kann ein hysterisches / histrionisches Verhalten entstehen, oder der Hysteriker wird zum Tyrann, wenn er sich krank fühlt. Dieses Verhalten hat Krankheitswert, der hypochondrische Tyrann ist in seinem sozialen Verhalten krank, ein so genannter Soziopath, weil nicht nur er an seiner Situation leidet, sondern die Umwelt auch. Sein Krankheitsgewinn heißt vorrangig Macht.

Der berühmte Wissenschaftler Charles Darwin glaubte zwar an die Macht des Stärkeren, aber er terrorisierte seine Familie so sehr mit seinen ständigen Schwächeanfällen, dass seine sechs Kinder ebenfalls ausgeprägte Hypochonder wurden.

  • Der „Märtyrer“ kann still leiden oder sehr demonstrativ, laut oder sehr leise und trotzdem sehr auffällig. Er fühlt sich als Opfer seines Leidens, das ihm seiner Vorstellung nach entweder als verdiente Strafe für ein Fehlverhalten oder als Prüfung oder als völlig ungerechtfertigte Bürde auferlegt wurde. Es hängt auch von der Umwelt ab, ob sie den Märtyrer anerkennt und in seinem Dasein bestätigt. Klar ist, dass der Märtyrer alles daransetzen wird, dem Bild eines unschuldig Leidenden alle Ehre zu machen. Wer daran zweifelt, wird noch mehr Symptome und stärkere zu sehen bekommen. Denn wenn der Märtyrer gesund wird, fehlen ihm die sekundären Krankheitsgewinne der Schonung, Zuwendung, Macht und möglicherweise auch das Geld der Krankenkasse oder des Arbeitgebers ohne Arbeit. Man muss schon sehr gesund sein, um darauf verzichten zu können.
  • Der „Nutzlose“ sieht in seinem von der Umwelt nicht erkannten und nicht respektierten Leid die Bestätigung für seine Minderwertigkeit. Vielleicht hat der Nutzlose große Ideen und Pläne für sein Leben gehabt, die durch die vermeintliche Krankheit zerstört wurden. Hier bietet sich ein weites Feld für unrealistische Phantasien, die angeblich durch die Krankheit zerstört wurden. Der Krankheitsvorteil des „Nutzlosen“ kann darin bestehen, dass seine Umwelt mit viel Aufwand und Zuneigung versucht, ihn von seinem Wert zu überzeugen. Der „Nutzlose“ schwebt von allen drei Typen des Hypochonders am gefährlichsten in der Nähe des Suizids, denn wer nutzlos ist, so glaubt er, ist auch nicht wert zu leben.

Es gibt berühmte Hypochonder. Thomas Mann beschreibt in seinen Tagebüchern seitenweise und sehr detailliert seine „Dichterschmerzen“ und seine Angst, an einem Stück Fleisch zu ersticken oder gefährliche Übertemperatur zu bekommen. Er wurde 80 Jahre alt. Charlie Chaplin bekam bei dem geringsten Luftzug Panikattacken und erlaubte sich auch bei größter Hitze keine Luftzufuhr. Gegen sein chronisches Sodbrennen nahm er täglich Alka-Selzer ein. Er starb mit 88 Jahren. Sir Winston Churchill hasste Sport, liebte Whiskey und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er wurde 90 Jahre alt, hatte aber eine riesige Angst vor jedem Schnupfen, vor Bahnsteigkanten, der Reling eines Schiffes und vor dem Fliegen. Auch Franz Kafka, Andy Warhol und Woody Allen gehören zu den bekennenden Hypochondern. [2]

Was machen Sie mit dem Hypochonder?

Es ist dringend abzuklären, ob die körperlichen Befunde normal sind. Ein Hypochonder kann tatsächlich krank sein. Bedenken Sie bitte, dass negative Gedanken sich verwirklichen, so wie es positive auch tun. Jemand, der sich ständig einredet, krank zu sein und davon wirklich (das heißt wirkend!) überzeugt ist, schadet seiner Gesundheit massiv. Angst ist eine sehr gut wirksame Suggestion, dass genau das geschieht, was wir nicht wollen. Insofern haben Hypochonder tatsächlich ein erhöhtes Risiko, krank zu werden.

Schützen Sie dabei den Patienten vor unnötigen Geldausgaben und Diagnostik- und Therapieversuchen. Es ist nicht nur so, dass gewissenlose Quacksalber, Ärzte und Heilpraktiker und selbst ernannte Gesundheitsapostel und Pharmafirmen sich eine goldene Nase mit der Angst und Gutgläubigkeit von Hypochondern verdienen. Sondern auch seriöse Ärzte und Heilpraktiker stehen ständig in der Versuchung, sich von dem Drängen eines Hypochonders zu immer mehr Untersuchungen treiben zu lassen. Es ist schon schlimm genug, wenn die Hypochonder ihr ganzes Vermögen dafür opfern, aber wir sollten auch die Gemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen vor diesen unnötigen Ausgaben schützen, denn dort wird unser Geld ausgegeben.

Eine mögliche und empfehlenswerte Reaktion des Arztes bei einem hypochondrischen Patienten besteht darin, von vorn herein eine Liste von sinnvollen diagnostischen Prozeduren festzulegen. Wenn diese normale Ergebnisse erbringen, sollte der Arzt mit dem Patienten offen darüber sprechen, dass keine weiteren kostenpflichtigen Untersuchungen mehr erbracht werden. Der Hypochonder wird dies wahrscheinlich mit zusätzlichen oder stärkeren Symptomen und zusätzlichem Drängen auf weitere Abklärung beantworten.

Deshalb ist eine empathische Reaktion auch im Umgang mit dem Hypochonder wichtig, um das Vertrauen für die Absprache von Diagnostik- und Therapiemaßnahmen zu gewinnen. Vernunftargumente gegen die Hypochondrie und der statistische Hinweis, wie selten eine Krankheit ist, helfen wenig und provozieren Abwehr beim Patienten, weil er sich unverstanden fühlt.

Die Aktivität und das Denken des Patienten müssen in „gesunde Bahnen“ und auf gesunde Eigenschaften und Gedanken gelenkt werden, die bei jedem Patienten vorhanden sind. Es lohnt sich deshalb, gerade bei Hypochondern, auf gesunde Äußerungen und Lebensweisen zu achten und diese zu verstärken und zu bestätigen. Damit kann der Patient lernen, den Krankheitsgewinn auf gesunde Art zu erhalten, ohne dass die Umwelt beeinträchtigt wird. Dadurch kann der Hypochonder auch gute Erfahrungen mit positiven Erlebnissen machen, wenn man sein Denken und Empfinden darauf lenkt.

Schützen Sie sich und Ihre Mitarbeiter vor übermäßiger Aktivität und Ausnutzung! Je mehr Sie agieren, umso deutlicher unterstützen Sie das Gefühl des Hypochonders, krank zu sein. Damit kann er sich auch immer schlechter von seiner übertriebenen Selbstbeobachtung lösen. Es gehört viel Erfahrung und innere Ruhe dazu, dem Drängen eines Hypochonders entgegenzutreten und keine neue Untersuchung anzuordnen. Wenn Sie überzeugt sind davon, dass Sie alles abgeklärt haben, bleiben Sie fest und nutzen Sie den Bonus des Vertrauens, das sie mit dem Patienten aufgebaut haben. Wenn Sie wissen, dass der Patient zu einem anderen Kollegen geht, um noch eine Untersuchungsserie machen zu lassen, fragen Sie den Patient, ob Sie dem Kollegen Ihre Untersuchungsergebnisse geben dürfen. So können Sie vielleicht Mehrfachuntersuchungen und hohe Kosten vermeiden. Wenn Sie ungefragt Ergebnisse weitergeben, verletzen Sie ihre Schweigepflicht und geben dem Patienten, wenn er es erfährt, das Gefühl, dass Sie ihn hintergangen haben. Das zerstört sein Vertrauen, das er noch in Sie hatte.

Achten Sie auf Ihren eigenen Zeithaushalt! Deshalb sollten Sie die Zeit, die Sie einem Hypochonder für Gespräche geben, von vornherein begrenzen und einhalten. Sonst sind Sie rasch Wachs in der Hand des Hysterikers und des Hypochonders, die immer noch eine Idee haben, die sie unbedingt und jetzt sofort berichten müssen. Lassen Sie sich nicht auf ein Gespräch mit dem Hypochonder auf dem Flur der Klinik oder Praxis ein! Sie kommen nicht mehr weg! Lassen Sie den Patienten einen Termin vereinbaren, und geben Sie Ihrer Sekretärin klare Zeitvorgaben dafür.

Bevorzugen Sie preiswerte Lösungen und Eigenaktivitäten des Hypochonders. Besprechen Sie Vorteile sportlicher Betätigung, und verstärken Sie das Erleben von gesunden Erfolgserlebnissen. Wenn Sie den Hypochonder dazu bringen können, Erfahrungen des Gesundseins und der selbst bestimmten Leistungsfähigkeit zu erleben, haben Sie und der Hypochonder gewonnen.

Es gibt seit zehn Jahren in Bergen (Norwegen) die einzige Spezialklinik der Welt für Hypochonder. [3] Der Leiter Ingvard Wilhelmsen war Professor für Innere Medizin in Bergen, als er auf die Idee kam, eine Spezialabteilung für Hypochonder zu gründen. Er braucht meist nur zwischen fünf und zehn Sitzungen mit einem Hypochonder, um ihm die Denkfehler (ihren „Gedankenkrebs“, wie Wilhelmsen sagt) so begreiflich zu machen, dass danach etwa achtzig Prozent der Patienten ihre Zwangsgedanken loslassen können. Das ist verwunderlich, weil man meist emotionale Fixierungen nicht vernunftgesteuert lösen kann.

Wichtige Fragen von Wilhelmsen an seine Fragen sind z.B. sind zum Beispiel: Warum hat man den Krebs, den Sie angeblich haben, ausgerechnet bei Ihnen nicht gefunden? – Wer hat die Diagnose gestellt, dass es kein Krebs ist? – Warum trauen Sie dem Arzt weniger als sich selbst? – Wenn Sie sicher sind, dass der Experte irrt, warum sind Sie dann sicher, dass Sie nicht irren? –- So bohrt er an der Gedankenwand, die den Hypochonder wie eine Gefängnismauer umgeben.

Er macht mit seinen Patienten immer eine Überprüfung der Realität: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau das eintritt, wovor Sie Angst haben? Er rechnet ihnen vor, dass zum Beispiel achtzig Prozent der Herzinfarktpatienten Brustschmerzen haben, aber nur 20 Prozent der Patienten mit Brustschmerzen haben einen Herzinfarkt. – Oder bei dem Patienten, der Angst vor einem Unfall auf einer bestimmten Strecke hat, rechnet er nach, wie viele Autos hier täglich fahren, wie viele Unfälle in einem Monat geschehen, und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Patient tatsächlich hier verunglückt.

„Der Patient muss erkennen, dass das Sorgendenken Unfug und eine Verschwendung des Lebens ist.“ Wilhelmsen ist aus seiner langjährigen Erfahrung überzeugt, dass es tatsächlich binnen kurzer Zeit möglich ist, den „Hebel im Kopf“ bewusst umzulegen, um die Katastrophengedanken abzustellen.

 

[1] http://www.abendblatt.de/daten/2005/03/22/412823.html

[2] http://www.abendblatt.de/daten/2005/03/22/412823.html

[3] Süddeutsche Zeitung Nr. 220, 23. September 2005,

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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