Der laute und wütende Mensch

Kennzeichen

Laute Menschen haben in ihrer Kindheit (meist von den Eltern) gelernt, dass dies die übliche Methode des Umgangs ist. Sie verursachen (Schall-)Druck, wenn sie Angst und Wut haben, ihr Ziel möglicherweise nicht zu erreichen oder zu verlieren. Brüllen und Keifen sind Formen von akustischer Vergewaltigung und Umweltverschmutzung.

Es handelt sich um ein Machtspiel, bei dem die Lautstärke und Aufplustern ein naturgegebenes Mittel darstellen und die Qualität der Argumente ersetzen oder beweisen sollen. Verhaltensforscher nennen das Imponiergehabe. Wer am lautesten brüllt, dominiert und darf sich die Partnerin aussuchen. Der Platzhirsch und die Brüllaffen sind typische Beispiele.

Ein Chef, der den Posten des Vorgesetzten verdient, hat es nicht nötig zu brüllen. Ein Chef, der glaubt, es gehöre zu seinen amtsgegebenen Privilegien, andere mit Gebrüll niederzumachen, sitzt meiner Meinung nach auf dem falschen Sessel. Er wurde mindestens eine Stufe zu weit befördert. Vielleicht ist er ein guter Mediziner, sicher aber kein guter Arzt. Und das ist für mich ein großer Unterschied.

Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Mediziner und einem Arzt? Der Mediziner behandelt einen Knochenbruch. Der Arzt behandelt einen Menschen, der an einem Knochenbruch leidet.

Ich habe Chefs erlebt, richtige Professoren, die von den Untergebenen gefürchtet waren, weil sie im Operationssaal in der Wut mit dem Skalpell oder einem anderen Instrument herumwarfen. Einer bezeichnete seine Assistenten und seine Oberärzte regelmäßig als Arschlöcher und Idioten, auch wenn die gemeinten Kollegen anwesend waren. Und wenn etwas im Haus nicht so lief, wie der Herr Professor es wollte, brüllte er so lange, bis er seinen Willen durchgesetzt hatte. Und keiner tat etwas dagegen. Als ich meinen Chef, einen anderen Professor im selben Haus, fragte, warum denn nicht wenigstens einer der Chefärzte sich gegen dieses indiskutable Verhalten wehre, bekam ich zur Antwort: „Er bringt mit seinen aufwändigen Operationen und seinen vielen Privatpatienten den weitaus größten Umsatz im Haus. Da getraut sich keiner, etwas zu sagen.“ Ich war glücklicherweise nicht Assistent des Messerwerfers, mit mir ging er freundlich um.

Menschen, die zum Brüllen und Keifen neigen, haben ein sehr labiles inneres Gleichgewicht und kippen leicht in unbeherrschte Umgangsformen. Viele haben hysterische / histrionische oder cholerische Züge. Außerdem ist dieses Verhalten grob unhöflich und ungezogen. Sie erkennen meist erst in einer therapeutischen Phase, dass sie ein zutiefst unsicheres Selbstwertgefühl haben und sich und anderen mit Lautstärke Sicherheit vorgaukeln müssen. Dieses trügerische Sicherheitsgefühl verselbständigt sich und wird nicht mehr hinterfragt. Deshalb ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass sie je in eine Therapie gehen.

Wer laut wird, hat´s nötig und meistens nicht Recht. Wenn er Recht hat, braucht er nicht laut zu werden. Und Argumente werden nicht besser, wenn sie lauter werden. Wer mit Angst regiert, regiert meist nicht lang, allerdings mit großen Verlusten.

Was machen Sie mit einem lauten Menschen?

Sie müssen dem Lauten das Gefühl geben, dass Sie ihn ernst nehmen, denn er hat seit Kindheit das Gefühl, immer zu kurz zu kommen und nur wahrgenommen zu werden, wenn er laut wird.

Setzen Sie sich hin, und laden Sie Ihren Gesprächspartner dazu ein, am besten in einem geschlossenen Raum: „Lassen Sie uns das miteinander besprechen, setzen Sie sich doch.“ Im Sitzen kann man schlechter schreien und agieren, und im geschlossenen Raum nehmen Sie dem Schreier sein Publikum, vor dem er sich möglicherweise darstellen muss. Außerdem steckt er keine anderen Menschen mit dem Ärger-Virus an.

Sie können einen Versuch der Beruhigung machen, aber vermeiden Sie Provokationen. Nennen Sie den Namen Ihres Gesprächspartners. Das beruhigt ihn, weil er sich persönlich angesprochen fühlt:

„Herr Müller, ich verstehe Ihren Ärger / Ich verstehe, dass Sie sauer mit mir sind, ich möchte noch einmal wiederholen, was Sie mir gesagt haben.“

Dann wiederholen Sie seine Kritik in normalem und vernünftigem Ton. Damit bringen Sie das Gespräch auf eine konstruktive Ebene.

Lassen Sie sich von einem lauten Menschen nicht kleinschreien. Er aktiviert sonst in Ihnen Ihr eigenes Minderwertigkeitsgefühl, das Sie in ihm wie in einem Spiegel sehen. Er will sein Minderwertigkeitsgefühl mit Gebrüll loswerden, und sie spüren Ihres!

„Herr Müller, soll ich in gleichem Ton mit Ihnen reden?“

„Soll ich mir Ihr Verhalten zum Vorbild machen, Frau Schulze?“

„Herr Meier, sollen wir uns nicht lieber vernünftig unterhalten?“

Wenn Ihr Gesprächspartner laut wird, sollten Sie leiser werden. Im Allgemeinen sind brüllende Menschen in diesem Augenblick nicht mit vernünftigen und beruhigenden Worten beeinflussbar, weil sich -biologisch gesprochen- das Wutzentrum (der Mandelkern im Gehirn) verselbständigt hat und im Moment nicht willentlich beeinflussbar ist. Beim Computer würde man sagen, „er hat sich aufgehängt“ und kann deshalb nicht gesteuert werden. Manchmal provozieren Sie damit ein noch größeres Gebrüll, weil der Schreiende die Kontrolle verloren hat. Er hat gelernt, dass mehr vom selben (Gebrüll) mehr hilft. Zeigen Sie ihm, dass das bei Ihnen nicht wirkt.

Wenn gar nichts hilft, bitten Sie um eine Pause, schaffen Sie körperliche Distanz: „Ich denke, das Gespräch bringt uns so nicht weiter, lassen Sie uns eine Pause machen.“ Oder „Jetzt habe ich Ihnen zugehört, ich möchte darüber nachdenken.“ Dann verlassen Sie den Raum, und schließen Sie die Tür leise. Das hilft meistens, um das Geschrei zu stoppen.

Wenn Sie innerlich ruhig und stabil sind, können Sie den Brüllenden ausbrüllen lassen, bis sich sein Mandelkern beruhigt hat, dann haben Sie eher die Möglichkeit, das Gespräch langsam auf eine normale Gesprächsebene zu bringen. Meist tut es dem Schreier Leid, dass er sich daneben benommen hat. Unterlassen Sie es dann, Ihren Triumph zu zeigen! Sonst erniedrigen Sie ihn noch weiter, als er sich mit seinem Eingeständnis schon herabgesetzt hat.

Bleiben Sie ruhig, reden Sie langsam, und holen Sie tief Luft. Das entspannt und hält die Gefahr gering, dass auch Ihr Mandelkern „sich aufhängt“. Vertrauen Sie auf Ihre freundliche Gesinnung und die Kraft der „Dopamin-Dusche“.

Von manchen Menschen werden Sie aber gar nicht wahrgenommen, wenn Sie nicht in gleicher Lautstärke antworten. Wenn dies nötig ist, sollten Sie Ihre Stimme sehr kontrolliert heben und langsam und sehr deutlich werden: „Halt, jetzt möchte ich auch mal was sagen!“ Dabei müssen Sie sich emotional strikt zurückhalten. Sie müssen laut sein, ohne wütend zu werden. Auch dann sollten Sie l-a-n-g-s-a-m r-e-d-e-n! Sie dürfen nicht die Kontrolle über sich verlieren, sonst eskaliert das Schreiduell wie auf dem Kampfplatz der rivalisierenden Hirsche. Es ist dann nur noch ein testosterongesteuertes Gebrüll und hat mit guter Erziehung und gepflegter Streitkultur nichts mehr zu tun. Sie begeben sich dann auf die Ebene des Schreiers. Und die lehnen Sie doch ab, oder nicht? Aber zeigen Sie dem Platzhirsch Ihre Grenze, die er einzuhalten hat.

Sie können das Gebrüll des Platzhirsches auch über sich ergehen lassen und abwarten, bis der Lärm vorbei ist. Dafür brauchen Sie eine Imprägnierung für Ihre Seele wie der Mantel gegen den Regen, damit Sie keinen Schaden nehmen durch die akustische Vergewaltigung. Dann sollten Sie eine günstige Gelegenheit unter vier Augen nützen, um bei einer nächsten Begegnung über die Schreiszene zu sprechen und Ihr Befremden darüber ausdrücken, wie er / sie sich Ihnen gegenüber verhalten hat. Auch Brüllaffen haben eine friedliche Ader und sind in Ruhe zugänglich für vernünftige Argumente. Das hindert sie aber wahrscheinlich nicht, bei der nächsten Gelegenheit wieder zu brüllen.

Hysteriker und Choleriker kann man meist nicht ändern. Deshalb müssen Sie für Ihr eigenes Seelenheil etwas anderes überlegen. Wenn Sie ein Problem wirklich nicht lösen können, sollten Sie sich möglichst von dem Problem lösen, bevor Sie daran zugrunde gehen.

Noch ein Gedanke, der mich selbst oft beruhigt: Manche Menschen kann man nur ertragen, wenn man sie als Patient betrachtet, auch wenn sie Nachbarn, Kollegen oder Vorgesetzte sind. Man hat dann mehr innere Distanz und mehr Verständnis für die Entwicklung von unangemessenen Verhaltensweisen und inadäquatem Benehmen. Aber wir müssen uns vor Überheblichkeit und Selbstherrlichkeit hüten! In der St. Paul´s Kathedrale in Baltimore steht in einem längeren Text von 1692 mit der Überschrift „Desiderata“: „Meide laute und aggressive Menschen, denn sie sind eine Plage für die Seele. Wenn du dich mit anderen vergleichst, magst du eitel und bitter werden, denn es gibt größere und geringere Menschen als du.“

 Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der fordernde Mensch

 

Kennzeichen

Diese Menschen wollen wenig Eigenaktivität zeigen und Ihnen den Hauptteil aufbürden. Sie zeigen viel Energie und Einfallsreichtum, um Sie zur Aktivität zu motivieren. Ein fordernder oder / und lauter Ton, der Schuldgefühle macht, beschleunigt häufig die Erfüllung der Wünsche. Fordernde Menschen haben ein großes Geschick, ihre Mitmenschen mit ihren Ansinnen zu überraschen und damit das Schuldgefühl auszulösen: „Warum habe ich das nicht schon längst gedacht / erledigt?“ Dadurch entsteht enormer Druck auf den, der handeln soll. Und deshalb verlieren die Geforderten rasch den Überblick und ihre notwendige Kritikfähigkeit, welche die Not wenden würde.

Die typische Situation in der Praxis: Der Patient fordert, dass Sie Medikamente oder andere Leistungen auf Kassenkosten verordnen, die mittlerweile privat bezahlt werden müssen. Die typische Rechtfertigung lautet: „Jetzt zahle ich schon zwanzig Jahre meine Beiträge, jetzt können die auch mal was für mich tun!“ – „Mein Nachbar war schon dreimal in der Kur und ich noch nie. Jetzt will ich auch mal in die Kur! Sie können das doch verordnen!“

Fordernde Menschen haben eine Begabung, sich eine Position anzumaßen, die sie gar nicht haben. Das haben sie mit den Distanzlosen und Pseudo-VIPs gemeinsam. Wenn Sie im Kontakt mit den Fordernden nicht aufpassen, befinden Sie sich sofort in der unterlegenen Position.

Besonders beliebt ist das Spiel „Sie müssen mir helfen, weil Sie dazu verpflichtet sind!“ Die Menschen wissen nämlich, dass Sie wahrscheinlich ein Helfer-Syndrom haben und mit schlechtem Gewissen motiviert werden können.

Was machen Sie mit fordernden Patienten?

Bleiben Sie sachlich und ruhig. Lassen Sie sich nicht in die Enge treiben und nicht zu
übereilten Handlungen anstiften.

Gehen Sie innerlich und äußerlich einen Schritt zurück, verschaffen Sie sich Luft, Distanz und eine Chance zum Denken: „Das kommt jetzt zu schnell für mich, ich möchte darüber zuerst einmal nachdenken. Ich melde mich nachher / morgen wieder bei Ihnen.“ – „Ich brauche dafür zuerst noch einige Informationen. Ich werde mich darum kümmern und mich dann dazu äußern.“ – „Es ist mir wichtig, die andere Seite der Angelegenheit / die Meinung der Mitbeteiligten anzuhören, bevor ich etwas unternehme.“

Unterstützen Sie Eigenaktivitäten des Patienten. Bitten Sie ihn, verschiedene Telefonate und Behördengänge selbst zu erledigen, z.B. um Informationen oder Formulare einzuholen.

Lassen Sie sich nicht alles aufladen. Weisen Sie auf Ihr Aufgabengebiet hin, übernehmen Sie nicht immer die Aufgaben des Anderen.

Lernen Sie, NEIN zu sagen, und bleiben Sie dabei. Befreien Sie sich von dem Zwang, jedes NEIN begründen zu müssen. Dadurch kommen Sie in eine Diskussion, die der Fordernde schon wegen seiner dominierenden Art sehr wahrscheinlich gewinnt, auch wenn er nicht im Recht ist. „Der Tag, an dem ich lernte, NEIN zu sagen, hat mein Leben grundlegend verändert.“ (Sophia Loren)

Erklären Sie die Rechtslage, wenn der Patient z.B. auf Kassenkosten etwas haben will, was er privat bezahlt werden muss. Sie haben keine Schuld, dass Gesetze so sind, wie sie sind.

Sagen Sie es dem Menschen, wenn Sie sich von seinen Forderungen ausgenützt fühlen. Nützen Sie dabei die Ich-Botschaft!

„Ich empfinde Ihre Forderung / Ihren Wunsch als unangemessen.“

„Ich denke, Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus!“

Bieten Sie Alternativen zu den Forderungen an.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der narzisstische Mensch

In der griechischen Sage hat der Jüngling Narkissos (lat. Narzissus) die Liebe der Nymphe Echo verschmäht und wurde deshalb damit bestraft, sich in sein Spiegelbild im Wasser zu verlieben. Dabei hat er sich so in dieser Selbstliebe verzehrt, dass er sich schließlich selbst tötete. Aus seinem Blut wuchs eine Narzisse, die seither das Symbol für Vergänglichkeit und Tod bekannt ist.

Kennzeichen

Der narzisstische Mensch ist fest von seiner großen Wichtigkeit überzeugt. Er badet sich in Phantasien seiner Großartigkeit und enormen Leistungen und will dafür entsprechend große Bewunderung für seine Schönheit, Macht, Fähigkeiten, Leistungen, Anziehungskraft oder Berühmtheit erhalten.

Er nimmt wenig oder keine Rücksicht auf andere, weil er verlangt, dass sich alle Menschen seinen großartigen Ideen unterwerfen und dafür einsetzen. Deshalb redet er viel und nur von seinen Plänen, Taten und Erfolgen und provoziert den Beifall. Er kommt nicht auf die Idee, dass andere auch etwas Eigenes beizutragen haben.

Da Narzissten sich nie genug geliebt fühlen, tun sie alles, um sich selbst zu lieben und großartig zu finden und können nicht verstehen, dass die Mitmenschen das nicht genau so sehen. Ihr Lieblingswort heißt „ich“. Deshalb wirkt der Narzisst oft arrogant und überheblich.

Wenn Sie in einem Raum, einem Auto, einem Zugabteil das Gefühl haben, neben einem Menschen keinen Platz zu haben, weil er so „groß“ ist, handelt es sich wahrscheinlich um einen Narzissten. Der Narzisst füllt jeden Raum aus, auch einen Ballsaal, und alle spüren es.

Die Erwartungen an besondere Behandlung und Bevorzugung durch die Mitmenschen ist ein Grund für häufige Enttäuschungen, wenn die Erwartung nicht erfüllt wird. Und ein Lob kann den Narzisst nie voll befriedigen, weil er immer noch größere Erwartungen hegt. Damit ist ein Teufelskreis zwischen leistungs- und loborientierter Aktivität und regelmäßiger Frustration vorprogrammiert.

Die Idee der Großartigkeit als Basis des Lebenskonzepts ist aber kein Ausdruck tatsächlich gesunden Selbstwertgefühls, sondern stellt die erlernte Kompensation eines tief sitzenden, verdrängten oder abgespaltenen Minderwertigkeitsgefühls dar. Deshalb ist der Narzisst auch tief gekränkt und verletzt, wenn die dargestellte Großartigkeit bezweifelt oder gar abgelehnt wird. Die Psychotherapie nennt das eine „narzisstische Kränkung“.

Da der Narzisst sich im Gegensatz zum Hysteriker / Histrioniker meist sehr angepasst in der Gesellschaft einen geschätzten Platz erarbeitet hat, ist er nicht so auffällig. Denn er inszeniert sein Leben um der Leistung willen, für die er gelobt werden will, und nicht (wie der Hysteriker) um des dramatischen Schauspiels willen, in dem er agiert. Narzissten sind Meister der Selbstinszenierung.

Ihre größte Angst ist es, zu versagen. Diese Angst müssen sie unbedingt verdrängen, weil mit dem Scheitern die Grundlage wegfällt, geliebt zu werden. Schlimmer noch ist, dass der Narzisst als Kind gelernt hat, dass Versager verachtenswert sind. Davor hat er wirklich Angst.

Der Narzisst reagiert bei Enttäuschung oft heftig und entwertet auch frühere Vorbilder oder Verbündete stärker als es andere Menschen in einer vergleichbaren Situation machen würden. Dabei kann der Narzisst sehr nachtragend und wenig versöhnlich sein.

Der Narzisst kümmert sich selten oder nicht um die Zukunft, denn er ist mit dem Jetzt beschäftigt und völlig ausgelastet. Deshalb ist der Narzissmus als Charakterstruktur typisch für eine Gesellschaft, die jedes Interesse an der Zukunft verloren hat.

Narzisstische Persönlichkeiten gibt es unter Frauen und Männern gleichermaßen, wobei Frauen ihrer gesellschaftlichen Rolle entsprechend weniger zur Ausbeutung anderer neigen als männliche Narzissten.

Die Theorien zur Entwicklung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind von Freud bis heute sehr widersprüchlich. Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass die Störung das Resultat eines elterlichen Erziehungsstils ist, bei dem narzisstische Einstellungen und Verhaltensmuster gefördert werden. Diese Eltern suggerieren ihren Kindern, etwas Besseres und Besonderes zu sein und ohne große Anstrengungen alles nur Wünschenswerte erreichen zu können. Die Kinder werden zu „Ellbogen-Verhalten“, Arroganz, Intoleranz, Neid und Anspruchsdenken erzogen.

Die Kinder lernen, für ihre Leistung mit Liebe belohnt zu werden. Dem Narzisst fehlt die Erfahrung, um seiner selbst willen geliebt zu werden. Deshalb ist er auch abhängig vom Lob der Mitmenschen und genügt sich nicht selbst.

Narzissten haben Schwierigkeiten, Ihre Gefühle und besonders deren Schwankung richtig zu empfinden, weil sie in ihrer Erziehung auf Leistung und auf Unterdrückung von Empfindungen (auch ein Zeichen der Leistung!) trainiert wurden. Deshalb schätzen Narzissten oft ihr Gefühlsleben falsch ein, wenn sie sich überhaupt Gedanken darüber machen.

Wie gehen Sie mit einem Narzissten richtig um?

Das Wesentliche ist, dass Sie ihn als Narzissten erkennen, dann können Sie sein Anspruchsdenken und ich-bezogenes Verhalten besser einschätzen, realistischer damit umgehen und sich besser gegen Übergriffe oder Ausnutzung wehren.

Ändern werden Sie die narzisstische Persönlichkeit im Alltag sicherlich nicht. Als Angehöriger sind Sie auch der falsche Therapeut.

Auseinandersetzungen und Kritik sollten Sie nur unter vier Augen wagen, weil der Narzisst mit allen Mitteln versuchen wird, durch gewohnte Aktionen sein zerbrechliches Ego vor den Blicken der Mitmenschen zu schützen. Greifen Sie nicht seine Persönlichkeit an, sondern bestimmte Verhaltensweisen: „Haben Sie das alles wirklich alleine geschaffen, oder verdanken Sie den Erfolg auch anderen?“ oder „Ich habe den Eindruck, dass Sie sehr gern über sich reden, sehen Sie das auch so?“

Mit Humor können Sie die hoch fliegenden Pläne und intoleranten Äußerungen des Narzissten in Frage stellen, ohne sich seinen Zorn zuzuziehen. Aber vermeiden Sie es, ihn zu belächeln, denn dann wird er sich anstrengen, noch größer zu sein. Er hat ja Angst, gering geschätzt zu werden.

Deshalb können Sie ganz ruhig sagen: „Das sieht ja alles prima aus, aber wie geht es Ihnen wirklich?“

Beim nicht enden wollenden Selbstlob können Sie ruhig eingreifen: „Darf ich auch mal was sagen?“

Wenn Ihnen der Narzisst auf die Nerven geht, können Sie direkter werden: „Ich sehe, Sie sind der Einzige, der was kann.“ – „Glauben Sie wirklich, Sie sind der einzige Große auf der Welt?“

Die Abwehr des Narzissten müssen Sie aushalten oder mit dem Narzissten immer wieder besprechen, wenn Ihnen etwas an der Beziehung liegt und wenn er Sie zu Wort kommen lässt. Es gibt Partner, die es schaffen, den Narzissten diskret zu steuern, ohne ihn allzu sehr zu kränken.

Bis ein Narzisst zu einer Therapie bereit ist, muss viel geschehen, denn wer sich für so großartig hält, kommt natürlich nicht auf die Idee, Hilfe zu brauchen. Und er sieht es als Zeichen der Schwäche an, wenn er Hilfe in Anspruch nehmen soll. Im Rahmen einer Therapie kann der Narzisst lernen, seine Einstellung anderen Menschen und deren Werte gegenüber zu hinterfragen. Bei der Therapie müssen Phantasien der Großartigkeit und Macht und Schönheit ersetzt werden durch Ideen real erreichbarer Werte, Leistungen und Ziele.

Man kann den Narzissten in der Therapie dazu bringen, über die Rückmeldungen zu sprechen, die er von Mitmenschen über sein Verhalten erbittet und bekommt, und an diesen Aus­sagen und Reaktionen akzeptable Einstellungen und Handlungsmodelle erarbeiten. Man kann ihn dazu bringen, Mitmenschen im Verborgenen zu helfen, ohne die Umwelt mit großer Inszenierung an den Hilfsprojekten teilhaben zu lassen. Damit lernt der Narzisst Empathie und sein egozentrisches, manchmal sogar egomanisches Weltbild zu relativieren und altruistischer zu gestalten. Er versetzt sich dann in seine Mitmenschen und deren Gefühle besser hinein, auch und gerade, wenn sie einem Narzissten gegenüberstehen.

Meist wird der Narzisst durch die wirksamste aller Therapien, nämlich das alltägliche Leben, im Laufe der Jahre von den vielen Einflüssen, Reaktionen und Ereignissen, die er hervorruft, auf den Platz gesetzt, wo er hingehört. Diese Prozesse können sehr schmerzhaft sein und wesentliche Einschnitte in seinem Leben bedeuten. Seine Größenphantasien werden auf das wirkliche, wirkende Maß reduziert.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Der distanzlose Mensch

Kennzeichen

Oft versuchen die Distanzlosen mit plumper Vertraulichkeit, in Ihre Privatsphäre einzudringen und stellen beispielsweise vertrauliche Fragen mit einer Selbstverständlichkeit und Vertraulichkeit, über die Sie so verblüfft sind, dass Sie die Antwort gegeben haben, bevor Sie merken, dass Sie ausgehorcht werden.

Die Distanzlosen nehmen sich Rechte heraus, die sie nicht haben, zum Beispiel überall herumzulaufen und Schränke aufzumachen. In der Praxis habe ich es erlebt, dass Patienten während sie im Sprechzimmer auf mich gewartet haben, ein Buch aus meinem Schrank genommen haben und lesend dasaßen, als ich hereinkam. Das empfinde ich als übergriffiges Verhalten. Erwarten würde ich, dass sie mich danach fragen, ob sie dieses Buch anschauen oder ausleihen dürfen, bevor sie in meine Privatsphäre (in diesem Fall in meinen Bücherschrank) eindringen und es selbst herausnehmen.

Sie rufen zur Unzeit bei Ihnen privat wegen irgendeiner harmlosen Sache an, die jetzt „ganz dringend“ erledigt werden muss.

Die Distanzlosen konfrontieren Sie mit Forderungen, die unangemessen sind und versuchen, das als lustig, locker oder harmlos darzustellen, wenn Sie sich wehren. Meist haben die Distanzlosen gar nicht das Gefühl distanzlos zu sein und sind verblüfft, wenn man sie darauf anspricht.

Was machen Sie mit dem distanzlosen Menschen?

Setzen Sie klare räumliche, zeitliche und persönliche Grenzen, und halten Sie sich daran. Trennen Sie den privaten vom beruflichen Bereich. Bleiben Sie freundlich, sachlich und eindeutig in Ihrem Verhalten.

Sagen Sie ihm, wie Sie sich bei seinem Verhalten fühlen, und nützen Sie auch hier die Ich-Botschaft:

„Ich fühle mich von Ihnen überrollt.“

„Ich empfinde Ihr Verhalten distanzlos, unhöflich…“

„Ich bitte Sie, sich zurückzunehmen.“

Erkennen und verhindern Sie zweideutige Annäherungsversuche mit klaren Reaktionen.

Ein klares NEIN klärt die Lage. Das ist bei vielen plumpen Annäherungen die beste Lösung. Dieses NEIN müssen Sie nicht begründen.

Lassen Sie sich nicht mit Schuldgefühlen motivieren. Überlegen Sie, wie bei Ihnen Schuldgefühle ausgelöst werden.

Machen Sie sich nicht erpressbar. Bewahren Sie Ihre Unabhängigkeit.

Lassen Sie Ihre private Zufriedenheit durchblicken. Wenn Sie über Ihre privaten Schwierigkeiten sprechen, ermuntern Sie den Distanzlosen, Ihnen ganz aktiv zu „helfen“. Dann haben Sie wirklich Probleme. Denn jemand, der so viel Energie aufbringt, in die privaten Grenzen des Mitmenschen einzudringen, wird schwierig wieder auszuweisen sein. Und wenn Sie es dann doch versuchen, weil Ihnen die Nähe oder die Fremdbestimmung zu groß wird, müssen Sie mit Vorwürfen rechnen.

Bei hartnäckigen und unverschämten Menschen können Sie Ihre Unabhängigkeit nur mit einem freundlichen, klaren und irreversiblen Rausschmiss bewahren.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Die ungeduldigen, unangemeldeten und unpünktlichen Menschen

 

Gemeinsame Kennzeichen

Sie zeigen viel Konsequenz und Beharrlichkeit, ihr Verhalten regelmäßig zu gestalten, indem sie „ganz zufällig“ immer gerade am Ende der Sprechstunde oder unpünktlich kommen, ganz schnell noch eine ausführliche Untersuchung, eine Beratung oder ein Rezept haben wollen. Dann haben sie keine Geduld zu warten und entladen ihre mangelhafte Frustrationstoleranz oft in irgendeiner Form der Aggression.

Sie haben Angst, Fehler zu machen. Deshalb können sie keine Fehler zugeben.

Sie haben eine schlechte Selbstorganisation, weil sie in sich unharmonisch, unzufrieden, unruhig und unstetig sind. Deshalb kritisieren sie häufig andere, um ihr schlechtes Selbstwertgefühl scheinbar zu verbessern. Wenn man andere erniedrigt, erscheint man selbst höher. Das ist eine beliebte Methode, um den eigenen „Wert“ zu verbessern, ohne sich verändern zu müssen.

Sie missachten die Interessen anderer Menschen, indem sie ihre eigenen Interessen nach außen demonstrieren. Denn im Innersten halten sie diese Interessen nicht für gerechtfertigt.

Sie verhalten sich nicht partnerschaftlich, weil sie sich selbst für einen schlechten Partner halten.

Sie missachten die Zeit anderer Menschen, weil sie sich die Zeit und Aufmerksamkeit selbst geben wollen, die sie sich von anderen ersehnen.

Diese Patienten haben durch Erfahrung gelernt, dass sie mit ihrem Verhalten ihre Interessen am besten durchsetzen und Aufmerksamkeit erhalten können. Warum sollten sie es also ändern?

Was machen Sie mit den chronisch unpünktlichen, ungeduldigen und unangemeldeten Patienten?

ACHTUNG! Der unpünktliche Patient konfrontiert Sie mit Ihrer eigenen Unpünktlichkeit.

  • Geben Sie dem Patienten, was er am meisten braucht: Zuwendung.
  • Halten Sie Vereinbarungen zur Zeitgestaltung ein.
  • Sprechen Sie in Ruhe über seine Verhaltensweise.
  • Bitten Sie den Patienten um Mithilfe.

Wenn Sie an seine Mitarbeit und seine eigene Entscheidungskraft appellieren, wird er im Allgemeinen kooperativ:

„Frau Müller, wir können uns Ihnen nur ausführlich zuwenden, wenn wir die Patienten in Ruhe und der Reihe nach behandeln können. Deshalb bitten wir Sie, die Zeit genau einzuhalten, damit alle Patienten gut versorgt werden können. Das möchten Sie doch sicher auch, oder nicht?“

Im verschärften Gespräch:

Bitte, Frau Müller, verstehen Sie, dass alle Patienten das Recht haben, gut und in Ruhe versorgt zu werden. Und jeder Patient hält sich beim Arzt für den wichtigsten Patienten.“

Konsequentes und pünktliches Verhalten des gesamten Personals ist die einzige Möglichkeit, Disziplin in die Therapieplanung und in den Tagesablauf zu bringen.

Pünktlichkeit zeigt, wie sehr wir andere Menschen und ihre Zeit achten. Pünktlichkeit ist eine Form der Höflichkeit. Nicht ohne Grund gibt es das Sprichwort: Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.

Der Arzt / der Therapeut zeigt dem Patienten, was er selbst von Pünktlichkeit hält. Entsprechend verhält sich der Patient. Häufig ist die Unpünktlichkeit des Arztes größer als die des Patienten! In Bestellpraxen ist meist der Arzt und nicht der Patient die Ursache für grobe Verschiebungen im Terminplan!

Da der Mensch am schnellsten und dauerhaftesten durch eigene Erfahrung lernt, muss der unangemeldete und unpünktliche Patient lernen, dass seine Methode nicht funktioniert, oder wir lernen, dass seine Methode bei uns funktioniert.

Unpünktliche und unangemeldete Patienten sollten nie sofort drankommen, denn das würde ihnen bestätigen, wie hervorragend es ist, immer unpünktlich zu erscheinen!

Bieten Sie einen alternativen Termin an. Kann der Patient in der Zwischenzeit noch etwas erledigen?

Ungeduldige Patienten werden freundlich und bestimmt auf die Reihenfolge aufmerksam gemacht und auf die Notwendigkeit, echte Notfälle vorrangig zu behandeln.

Und wenn Sie einen Notfall behandeln, sollten Sie sich darauf beschränken und nicht nebenbei oder anschließend („Herr Doktor, wenn wir schon da sind!“) das begleitende Kind untersuchen oder ein zusätzliches Rezept für die Oma zuhause ausstellen oder gar die Vorsorge machen, die eigentlich fällig ist.

 

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Sekundärer Krankheitsgewinn

Der Patient kann mit seiner Krankheit Vorteile erreichen, die er oft nicht zugeben möchte und bewusst oder unbewusst anfordert. Solange er die Krankheit schürt, um die Krankheitsgewinne zu erhalten, kann er nicht gesund werden oder sucht sich neue Krankheitsgewinne.

Jede Erkrankung gibt die Möglichkeit für vier Arten von Krankheitsgewinn.

  • Macht: Der Patient kann das Verhalten der Mitmenschen steuern, indem er sie zu einem bestimmtem Verhalten zwingt oder ihnen eine schlechtes Gewissen macht, wenn sie seine Wünsche nicht erfüllen, die er „ja nur wegen der Krankheit“ hat oder sich nicht selbst erfüllen kann. Die Mitmenschen müssen  z.B. für ihn einkaufen, ein bestimmtes Verhalten zeigen, ihm Gesellschaft leisten, können nicht ihrem eigenen Tagesplan nachgehen. Die Kranken empfinden es manchmal gar nicht als Machtspiel oder wollen es nicht zugeben, dass sie ihre Umwelt mit ihrer Krankheit steuern.
  • Zuwendung: Kranke erhalten mehr Zuwendung, Besuch, Zärtlichkeiten, Entgegenkommen, Geschenke, Aufmerksamkeit als Gesunde. In der Klinik und in der Praxis beobachten wir oft Patienten, die ihre Krankheitssymptome pflegen, weil sie sonst auch auf die erhöhte Zuwendung verzichten müssten.
  • Schonung: Kranke werden z.B. im Alltag geschont, müssen weniger oder nicht arbeiten, weniger im Haushalt helfen, nicht in die Schule gehen, bestimmte Aufgaben nicht erledigen, erhalten einen anderen Arbeitsplatz oder Verbesserungen am Arbeitsplatz. Krankheitssymptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen sind hervorragende weil meist nicht widerlegbare Ausreden, um etwas nicht tun zu müssen oder etwas machen zu können, was man nicht machen könnte, wenn man das Symptom nicht hätte. Deshalb sind Krankheitszeichen auch so häufig.
  • Geld: Kranke erhalten Geld von Versicherungen, Gehalt ohne Arbeit, Rente, einen Schwerbehindertenausweis und geldwerte Vergünstigungen, z. B. Ermäßigung bei Bahn- und Busgebühren, Radio- und Fernsehgebühr, kostenloser oder ermäßigter Eintritt für Veranstaltungen.

Leider richten manche Menschen ihre ganze Energie darauf aus, ihren Lebensunterhalt mit der Krankheit zu verdienen. Und es gibt Menschen, die jahrelang mit schwersten Symptomen um Ihre Rente kämpfen und schlagartig gesund sind, wenn Sie Ihren Rentenbescheid endlich in Händen halten.

Es ist interessant, sich bewusst zu machen, dass eine riesige und wachsende Industrie nur davon lebt, Geschäfte aus diesem Krankheitsgewinn zu machen. Ich meine die Versicherungen. Und jede Klinik beschäftigt mehrere Sozialdienstmitarbeiter, die nichts anderes tun, als den Kranken zu ihren sekundären Geldzuwendungen zu verhelfen, indem sie Anträge ausfüllen, Telefonate führen und möglicherweise sogar noch Hausbesuche machen. Und die Krankenversicherungen blähen ihren bürokratischen Apparat immer mehr auf, um die Zuwendungen zu kontrollieren und in bezahlbaren Grenzen zu halten. Dadurch wird den Ärzten regelmäßig eine Vielzahl von fachfremden (!) Arbeitsstunden zusätzlich aufgebrummt, weil sie gezwungen werden, noch mehr Anträge auszufüllen, Briefe an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zu diktieren und Fragebogen zu beantworten. Diese Zeit geht im schlimmsten Fall den Patienten an ärztlicher Zuwendung und Sorgfalt verloren. Im Durchschnitt wendet ein Assistenzarzt in der Klinik etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit für Verwaltungstätigkeiten auf. Ich habe deshalb schon angeregt, einen „Facharzt für Verwaltung“ zu schaffen. Man könnte den Titel bequem während der üblichen Facharztweiterbildung zusätzlich erwerben.

Wenn die Patienten ihren Krankheitsgewinn bewusst oder unbewusst einfordern, sollten Sie darauf achten, dass Sie das erkennen, um bewusst darauf reagieren können. Denn wenn der Patient Macht ausübt, werden Ihr Wille zu gehorchen, Ihre Eigenständigkeit und Ihre Standfestigkeit geprüft, und bei der Anforderung von Schonung und Zuwendung Ihr Helfer-Syndrom![1] Wenn Sie auch zuständig sind oder sich zuständig fühlen, dem Patienten Geld oder geldwerte Vorteile zu gewähren, sollten Sie auf Ihren Geldbeutel achten und Ihre Großzügigkeit ständig überprüfen. Lassen Sie sich nicht ausnützen, denn das werden Sie bereuen. – Und das Schlimmste an allem ist: Sie nützen dem Patienten durch Willfährigkeit höchstens kurzfristig. Denn er lernt für seine gesunde(!) Krankheitsverarbeitung nichts dazu. Er erlebt nur, wie er auf Kosten seiner Mitmenschen Vorteile aus seiner Krankheit ziehen, nicht aber, wie er selbst konstruktiv damit umgehen kann. Schaffen Sie empathische Distanz, dann können Sie Ihre Energie konstruktiv und schonend einsetzen und Ihre Seele vor größerem Schaden bewahren.

Was würde geschehen, wenn der Kranke die Energie, die er aufbringt, um den sekundären Krankheitsgewinn anzufordern (und das ist oft überraschend viel!), nützen würde, um zur Genesung beizutragen?

Ein gutes Gespräch mit dem Patienten kann uns Hinweise auf seinen sekundären Krankheitsgewinn geben. Damit erweitern sich die therapeutischen Gesichtspunkte. Denn der Patient kann nur wirklich gesund werden, wenn er auf den Krankheitsgewinn verzichtet oder ihn auf gesunde Art und Weise zu erreichen lernt.

 


[1] Das Helfer-Syndrom habe ich ausführlich in meinem Buch „Wenn das Licht naht – Der würdige Umgang mit schwer kranken, genesenden und sterbenden Menschen“ besprochen, das auch bei der Weinmann Verlagsgesellschaft erschienen ist.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Was charakterisiert schwierige Menschen?

 

  • Sie reagieren anders, als wir es erwarten.
  • Sie fordern von uns mehr Zeit, Aufmerksamkeit, Fachwissen und soziale Kompetenz als bei der Routinearbeit.
  • Sie konfrontieren uns mit Situationen, mit denen wir uns ungern konfrontieren.
  • Sie stören den Routineablauf.
  • Sie konfrontieren uns mit Ansprüchen, die wir oft für ungerechtfertigt halten.

Wir müssen uns dabei unangenehme Fragen stellen:

Welche Ansprüche haben wir? Wovon leiten wir die Rechte für diese Ansprüche ab? Warum haben wir mehr oder weniger Ansprüche?

Da diese Fragen oft sehr unangenehm sind, weil sie uns auf persönliche Konflikte des Selbstwertgefühls führen, neigen manche Menschen zur Ablehnung des schwierigen Patienten als Zeichen einer Projektion der eigenen Konflikte auf den Patienten.

  • Die schwierigen und anspruchsvollen Menschen konfrontieren uns mit der Frage nach Normen, Rechten und sozialen Schranken.

Woher nehmen wir unsere Normen, Rechte und unser soziales Selbstverständnis?

Inwieweit wollen / dürfen wir diese Maßstäbe auf die Patienten übertragen?

  • Sie konfrontieren uns mit dem Anspruch auf Hilfe.

Woher wissen wir, was ihnen hilft? Gibt uns ein Medizinstudium oder eine andere Ausbildung das Recht zu behaupten, wir würden den Weg kennen, den der Patient zu gehen hat?

  • Sie konfrontieren uns mit Lebenslagen, die uns selbst schwierig erscheinen.

Was sagt das über unsere eigene Lebenserfahrung und Lebenstüchtigkeit aus?

Wie können wir dann verständnisvoll und situationsgerecht beraten und helfen?

Wie vermeiden wir es, unsere eigenen Konflikte auf den Patienten zu übertragen?

  • Sie konfrontieren uns mit Situationen und Dingen, die wir ablehnen.

Warum lehnen wir sie ab? Wahrscheinlich, weil wir sie nicht kennen oder sie uns verunsichern und Angst einflößen. Es könnte sein, dass sie unser Weltbild in Frage stellen, und zu seinem Schutz bauen wir eine Ablehnung auf. Vielleicht erinnern sie uns an Unangenehmes. Oder sie fordern uns zu einer Stellungnahme heraus, die wir lieber vermeiden möchten.

  • Sie konfrontieren uns mit Gefühlen, die wir verdrängen oder heimlich hegen.

Angst, Lust, Gier, Panik, Unsicherheit, Neid, Trauer, Sehnsucht, Freude, Hass, Liebe, Harmonie sind nur einige Beispiele.

Konsequenz:

Wenn wir diese Fragen ehrlich beantworten, haben wir dadurch einen wirksamen Weg, uns selbst besser zu erkennen und mit uns selbst reifend umzugehen.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Warum empfinden wir Menschen als schwierig oder anspruchsvoll?

 „Wenn du einen Würdigen siehst, trachte ihm nachzueifern.
Wenn du einen Unwürdigen siehst, prüfe dich in deinem Inneren.“

Konfuzius

„Alles was Du sagst, spricht von dir. Besonders wenn du über andere redest.“

Paul Valery

„Wenn wir überrascht sind, stehen wir vor der Wirklichkeit.“

Paul Valery

„Feindbilder sind Negative von uns selbst.“

Gerhard Uhlenbruck

Ich fragte eine Psychotherapeutin:
Wie gehen Sie mit einem Patienten um,
der Ihnen auf den ersten Blick unsympathisch ist?“

Sie antwortete:
“Ich bin fest überzeugt davon, dass in jedem Mensch ein Diamant steckt, auch wenn er noch so verschmutzt daherkommt. Und ich suche während des Gesprächs den Diamanten.
Bis jetzt habe ich ihn immer gefunden. Dann habe ich kein Problem mehr.“

 

Warum empfinden wir Menschen als schwierig und anspruchsvoll? 

Der folgende Text bezieht sich nicht nur auf den Umgang mit Patienten oder Angehörigen, sondern auf den Umgang mit allen Menschen, die wir als schwierig empfinden. Wir sollten uns immer überlegen, wie wir selbst als unser Gegenüber reagieren würden, wenn wir in der Rolle des Patienten, Angehörigen oder Kollegen sind. Werden wir von den anderen Menschen auch als schwierig empfunden?

Wir können Eigenschaften und Gefühle an anderen Menschen nur erkennen, weil wir in uns ein entsprechendes Gefühl tragen, das im Kontakt mit den anderen Menschen Resonanz entwickelt. In der Physik wird eine Welle verstärkt, wenn sie auf eine andere Welle stößt. Nur wenn die zweite Welle genau phasenversetzt verläuft, löschen sich die Wellen wechselseitig aus. In jedem Fall beeinflussen sie einander.

Auch Schauspieler können ihre Rollen nur spielen, weil sie wissen, dass alle Eigenschaften in ihnen vorhanden sind. Und sie sind bereit, auch ihre unangenehmen Seiten vor der Kamera oder auf der Bühne voll auszuleben.

Die schwierigen Menschen zeigen uns wie in einem Spiegel, welche Eigenschaften bei uns selbst vorliegen. Wir können die vermeintlich fremde Eigenschaft nur erkennen, weil sie auch in uns existiert. Wenn wir sie als negativ empfinden, können wir den Umgang mit diesen Menschen als diagnostische Möglichkeit für uns selbst ansehen. Und niemand ist immer schwierig oder unerträglich, niemand ist immer einfach. Aber bei schwierigen Menschen hat sich dieses Verhaltensmuster verfestigt, weil es sich für diese Menschen bewährt hat. Wir (auch die Schwierigen) lernen im Umgang mit anderen Menschen nichts dazu, solange wir unser Verhalten nicht hinterfragen.

 Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Reaktionsfehler in Krisensituationen

Was Menschen tun, um ein Problem zu lösen, ist oft genau das, was das Problem hervorruft. (Paul Watzlawick)

Dazu ein Beispiel: Ein Arzt sieht in einem bestimmten Verhalten seiner Patientin etwas, das der Beziehung abträglich ist. Er versucht deshalb ganz vorsichtig, dieses Verhalten zu korrigieren, wann immer es auftritt. Die Frau sieht aber in diesem Korrekturverhalten etwas, was ihrer Meinung nach besser vermieden werden sollte, da auch sie die Beziehung erhalten will. Sie beginnt deshalb auch ganz vorsichtig mit ihrem Korrekturverhalten. Damit beginnt die Eskalation.

Ein klassisches Beispiel lässt sich anhand von Suchterkrankungen aufzeigen. Jemand, der unter Stress ein bisschen Alkohol zur Entspannung trinkt, kann dazu neigen, immer mehr und häufiger zu konsumieren, um den Effekt zu erhöhen. Er wird süchtig. Und seine Ehefrau könnte die drohenden Konsequenzen am Arbeitsplatz des Ehemannes verhindern wollen. Deshalb deckt sie den Mann, wenn er morgens betrunken ist und nicht zur Arbeit gehen kann. Sie entschuldigt ihn in der Firma wegen Krankheit, verleugnet ihn am Telefon, bringt ihm möglicherweise sogar noch den Alkohol ans Bett. Sie sieht ihre Aufgabe darin, den Mann zu schützen und erreicht damit genau das Gegenteil: Er wird in seiner Sucht bestätigt und unterstützt, und sie wird zur typischen Co-Alkoholikerin.

Typische Reaktionsfehler

Belehrungen erinnern, wie schon früher gesagt, an den alten Oberlehrer in der Schule und verschlechtern die Kommunikation, weil der Angesprochene sich entwertet und gekränkt fühlt. Das gilt besonders für moralisierende Belehrungen.

Unhöflichkeit war noch nie ein Mittel, um echten Erfolg zu haben. Schon kleine Unhöf-lichkeiten sind ein sehr zuverlässiges Mittel, die Patientenzahl und das Ansehen einer Praxis und Klinik rasch zu reduzieren. Es werden wesentlich mehr Patienten wegbleiben, als Sie beleidigt haben. Daran merken Sie, wie wirkungsvoll der Außendienst Ihrer Patienten arbeitet.

Verallgemeinerungen widersprechen jeder individuellen Behandlung. Die individuelle Betreuung ist der allerwichtigste Wunsch des Patienten an das ganze Praxis / Klinikteam. In einer Zeit der wieder zunehmenden Rassendiskriminierung und nationalistischen Gesinnungsäußerungen sind ethnische und andere völkerbezogene verallgemeinernde Bemerkungen besonders gefährlich und schädlich für das Ansehen der Praxis / Klinik. Auch Verallgemeinerungen in Bezug auf Krankheitsbilder, Beschwerden und Verhaltensweisen verraten viel über Ihre Meinung.

Abwertende Vergleiche über Kollegen sind eine Form von Unhöflichkeit: Es macht ein sehr schlechtes Bild, wenn Sie versuchen, mit schlechten Äußerungen über Ihre Kollegen sich in irgendeiner Situation zu profilieren. Die Patienten sind häufig offen für solche Bemerkungen, können Sie weiter tragen (natürlich ein bisschen verschärft!), und schon haben Sie den Prozess oder zumindest einen erheblichen Ärger am Hals. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Diffamierungen oder geringfügige schlechte Äußerungen letztlich nur dem Angegriffenen helfen.

Es macht einen ausgeprägt schlechten Eindruck auf die Patienten, wenn sie erleben, wie Sie einen Kollegen, Ihre Helferin oder gar Ihre eigene Ehefrau abkanzeln. Das können Sie nur noch steigern, indem Sie vor dem Patienten über Ihre Ehefrau in deren Abwesenheit herziehen. (Das gibt es!) Diese Eindrücke haften sehr gut und werden oft als besondere Erlebnisse weitererzählt mit allen Ausschmückungen, die eines Stammtisches würdig sind.

Lassen Sie es nicht zu, dass Patienten bei Ihnen über einen Kollegen schimpfen. Sie wissen nicht, ob Sie selbst bald Zielscheibe des Unmuts sind. Wenn Sie dem Patienten auch noch beipflichten und abfällige Bemerkungen über den anderen Arzt machen, kann sich der Patient zwar im Moment bestätigt fühlen, er weiß aber auch, dass Sie indiskret sind und vielleicht bald auch über ihn selbst bei anderen Mitmenschen reden. Diese Blöße sollten sie sich nicht geben. Ich habe mir angewöhnt, negative Bemerkungen von Patienten über meine Kollegen lächelnd zu unterbrechen mit dem Satz: „Da bin ich gespannt, ob Sie mit meiner Betreuung zufrieden sein können.“ Dann lenke ich das Gespräch sofort auf die im Moment anstehende medizinische Frage und arbeite dort sachlich weiter.

Wenn Sie mit dem Verhalten des Kollegen nicht einig oder persönlich betroffen sind und die Angelegenheit wirklich wichtig ist, rufen Sie ihn an, bitten Sie ihn um ein Gespräch, und klären Sie die Angelegenheit unter vier Augen.

Auch bei abwertenden Vergleichen in Bezug auf Medikamente, die von Kollegen verordnet worden sind, sollten wir sehr zurückhaltend sein, denn manche Patienten identifizieren sich mit „ihren“ Heilmitteln und fühlen sich persönlich angegriffen, wenn ihr Kräutlein und ihr Arzt herabgesetzt werden. Ich denke, der Paracelsus-Satz „Wer heilt, hat Recht“ stimmt immer noch.

Gegenbeschuldigungen dienen nicht der Überzeugung des Gesprächspartners, sondern allenfalls der Eskalation. Besonders wenn Sie dem Anderen alle Schuld aufbürden und sich selbst die weiße Weste anziehen wollen. Damit erreichen Sie dieselbe emotionale Situation wie bei einer Scheidung, bei der die schmutzige Wäsche gewaschen wird.

„Ja, und …“ ist besser alsJa, aber …“. Darüber haben wir schon geredet. Nützen Sie die
Ideen und Energie des Partners für ein gemeinsames Projekt.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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Wie reagieren Sie richtig auf Kritik?

 

  • Erkennen Sie eigene Fehler, und geben Sie diese zu.

Wenn Sie kritisiert werden, sollten Sie ehrlich mit sich sein. Viele Menschen haben ausge-prägte Angst, Fehler zu machen, weil sie gelernt haben, dadurch die Aufmerksamkeit und Liebe zu verlieren. Deshalb versuchen sie oft, Fehler zu vertuschen. Dadurch bekommen diese Menschen große Probleme mit der Wahrheit. Diese Entwicklung ist vermeidbar durch ein sofortiges Eingeständnis und Übernahme der Verantwortung. Dieser Schritt ist schmerzvoll und mittel- und langfristig die bessere Methode.

Wenn Sie die Tagespolitik verfolgen, erleben Sie beispielsweise bei Korruptionsvorwürfen, politischen Mauscheleien oder anderen mehr oder weniger kriminellen Machenschaften was geschieht, wenn Fehler über lange Zeit mit großem Aufwand vertuscht und dann doch aufgedeckt werden. Wie wirkt das auf Sie?

  • Denken Sie daran, dass ungerechte Kritik oft verkapptes Lob ist.

Neid und Eifersucht blühen überall als Gegenpole des Erfolgs. An Neid muss man oft sehr lange arbeiten! Das ist genau so unbequem wie natürlich. Wenn Sie etwas schaffen, was andere gerne erreichen wollen, liegt es nur allzu nahe, Sie anzugreifen.

  • Wer kritisiert, sagt mindestens so viel über sich aus wie über den Kritisierten.

Das Wissen um diesen Satz lässt Sie ruhiger werden und gelassener reagieren.

  • Bleiben Sie sachlich.

„Das ist interessant für mich! Bitte erklären Sie mir das genauer.“

Dann erhalten Sie wichtige Informationen, die durchaus richtig sein können und von Ihnen bis jetzt nicht beachtet worden sind. Diese sollten Sie nützen.

Wenn Ihnen jemand eine Zitrone ins Gesicht wirft, machen Sie eine Limonade daraus.

(Dale Carnegie)

  • Bitten Sie um einen Verbesserungsvorschlag:

„Wie würden Sie an meiner Stelle die Situation lösen?“

In meiner Praxis galt immer die Devise: Kritik ist stets willkommen, wenn ein Verbesserungsvorschlag gleich mitgeliefert wird. Wenn dieser Vorschlag gut ist, führen Sie ihn sofort aus, und lassen Sie dem Urheber das Lob für seine Idee. Dadurch gewinnen Sie den Kritiker als Helfer, weil Sie sein Selbstwertgefühl verbessern.

Partnerschaftliche Menschen haben oft sehr konstruktive Gedanken. Nörgelnde Menschen werden bei sachlichen Gegenfragen oft nachdenklich, verlieren Ihre Aggression und haben eine Chance, auf Kooperation umzuschalten.

  • Bedanken Sie sich immer für die konstruktive Kritik.

Schließlich hat der Gesprächspartner Ihnen geholfen, etwas zu verbessern, das Ihnen und Ihren Patienten in Zukunft nützt.

„Welche Erwartungen haben Sie an mich?“ – „Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“

Wenn jemand Sie kritisiert und Sie diese Kritik nicht verstehen, können Sie diese Frage stellen, um Missverständnisse klarer abzugrenzen.

Viele Menschen wissen nicht, was sie wollen, erwarten aber, dass der Andere es genau weiß. Diese Menschen erwarten, dass ihre Wünsche erfüllt werden, obwohl die Wünsche für sie selbst und den Anderen unklar sind. Solche Menschen wissen meistens nur, was sie nicht wollen und geraten in große Schwierigkeiten, wenn Sie aufgefordert werden, genau zu erklären, was sie wollen.

Wir sind nicht auf dieser Welt, um die Erwartung der Anderen zu erfüllen. Allerdings sind diese auch nicht verpflichtet, unsere Erwartungen zu erfüllen. Diese Sätze werden meist mit dem Auslösen von Schuldgefühlen umgangen. Diese Zusammenhänge müssen wir erkennen, um uns aus den Verstrickungen zu lösen. Sie können dem Kritiker sagen:

„Wenn Sie mir klar sagen, was Sie wollen, kann ich Ihnen sagen, ob ich das erfüllen will oder nicht.“

Das bringt Klarheit in die Situation und verlagert die Diskussion auf eine sachliche Ebene.

Geben Sie sich nicht zufrieden, wenn jemand nur sagt, was er nicht will.

  • Rechtfertigen Sie sich nicht! Geben Sie Informationen!

Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis. Der Patient sagte nach einer 20-minütigen Impfbe-ratung für eine Fernreise:

„Danke für die Beratung, aber Sie haben ja jetzt auch wieder 50 Mark verdient.“

Meine Antwort:

Ich habe den Eindruck, Ihnen fehlen ein paar wichtige Informationen. Ich zeige Ihnen mal die Gebührenordnung.“

Nach einer sachlichen Aufklärung, dass die Beratung für Impfungen bei Fernreisen privat bezahlt werden muss und ich sie ihm kostenlos gewährt hatte, bekam der Patient ein verlegenes Gesicht und entschuldigte sich für seine vorlaute Bemerkung.

Sie können auch anbieten: „Darf ich Ihnen die Situation aus meiner Sicht erklären?“

  • Lassen Sie sich nicht mit Schuldgefühlen motivieren!

Sich zu entschuldigen bedeutet meistens, für eine Tat mit dem Eingeständnis der Schuld zu bezahlen und dann so weiterzumachen wie bisher.

  • Übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Tun und Ihre Gedanken und nicht für die Taten und die Gedanken der Anderen. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun und für das, was wir nicht tun.
  •  Die eleganteste Methode, mit Kritik umzugehen:

Nehmen Sie dem Kritisierenden den Wind aus den Segeln, bevor er kritisiert.

Beispiele aus meiner Praxis:

„Danke, dass Sie auf mich gewartet haben. Ich war bei einem Patienten mit einem Asthmaanfall.“ –  „Ich bedauere, dass ich Sie erst jetzt dran nehmen kann. Ich musste noch einen Notfallpatienten versorgen.“

Damit signalisieren Sie dem Patienten, dass Sie sein Problem oder seinen Ärger erkannt haben, bevor er ihn zum Ausdruck bringt. Sie lassen seinen Dampf ab, bevor Ihnen der Dampfkessel um die Ohren fliegt. Damit können Sie den Ärger weitgehend steuern und minimieren. Viele Patienten reagieren mit Verständnis und sagen: „Es war ja gar nicht so schlimm.“

Bitten Sie Ihre Mitarbeiterinnen, Ihnen Zeichen des Unmuts im Lesezimmer oder an der Rezeption zu berichten, damit Sie präventiv darauf eingehen können. Sie haben dann auch Bedenkzeit und werden nicht vom Zorn des Patienten überfallen.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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