Wie kritisieren Sie richtig?

Vorrangig erscheint mir wichtig, dass Sie überlegen, ob es sich überhaupt lohnt zu kritisieren. Deshalb vorweg ein paar sehr persönliche Fragen:

Wollen Sie kritisieren, um scheinbar Ihr eigenes Selbstwertgefühl zu heben, indem Sie den Gesprächspartner herabsetzen? Wollen Sie mit der Kritik Dominanz erreichen? Wollen Sie mit der Kritik zeigen, dass Sie der Bessere und Wertvollere sind? Oder gibt es einen objektiven Tatbestand, der unbedingt verändert werden muss, damit das Ergebnis einer Tätigkeit besser wird?

  • Kritisieren Sie nur die Sache und nicht die Person.

 Bitte vergleichen Sie diese beiden Sätze:

Maria, Sie machen diesen Verband immer falsch! Wie oft soll ich das noch sagen?“

Maria, dieser Verband muss so und so gemacht werden. Bitte ändern Sie es.“

Demonstrieren Sie, was Sie wollen, und sagen Sie nicht nur, was falsch ist.

  • Kritisieren Sie immer unter vier Augen, loben Sie vor anderen Menschen.

Damit vermeiden Sie, dass der Gesprächspartner sein Gesicht vor anderen verliert und deshalb Sie zu seiner Verteidigung angreifen muss. Mit dem Patienten sind Sie meistens allein im Zimmer, aber mit der Helferin / Schwester nicht, wenn Sie etwas kritisieren wollen. Dann können Sie bemerken:

„Dazu möchte ich nachher noch etwas sagen.“

Das sollte dann hinter geschlossenen Türen geschehen.

Für mich hat sich die alte Regel des Marc Aurel bewährt:

  • Stark in der Sache, freundlich im Ton. (Fortiter in re, suaviter in modo.)

Damit können Sie alles sagen, wenn Sie es nur freundlich und höflich tun. Und die Durch-setzungsmöglichkeiten sind erheblich besser, als wenn Sie sich „mit der Brechstange“ Ihr Recht verschaffen wollen.

  • Beginnen Sie ein Kritikgespräch mit einer positiven Bemerkung.

Sie machen damit eine Tür zum Partner auf. Und es gibt bei jedem Menschen Aspekte, die Sie loben können. Aber dieses Lob muss ehrlich sein.

  • Machen Sie den Fehler nicht größer als er ist.

Lassen Sie die Kirche im Dorf und die Mücke so groß wie sie ist. Je mehr Sie die Sache aufblasen, umso größer wird der Knall.

  • Machen Sie einen Verbesserungsvorschlag statt Kritik zu üben.

Das ist ein positiver Ansatz und führt entweder sofort zum Erfolg oder zu einer sachlichen Diskussion, die durchaus sehr Gewinn bringend und informativ für beide Seiten sein kann.

  • Geben Sie dem Kritisierten eine Chance.

Vernichtende Kritik ist nie hilfreich. Sie sagt auch mehr über den Kritisierenden aus als über den Kritisierten. Wenn Sie jemanden kritisieren und ihm keine Chance zur Verbesserung geben, schlagen Sie die Tür zu, durch die eben dieser Mensch zurückkommen kann, um sich bei Ihnen für einen guten Vorschlag zu bedanken. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie keine Chance mehr haben, etwas zu verbessern, was Sie falsch gemacht haben? Richtig! Ihnen fehlt die Motivation, den Fehler zu verbessern, weil Sie das Gefühl haben, ohnehin nicht mehr geachtet zu werden.

  • Fragen Sie, statt Behauptungen aufzustellen.

Gehen Sie davon aus, dass jeder versucht, eine Sache so gut wie im Moment für ihn möglich zu machen. Das gilt auch dann, wenn Sie es anders machen würden. Es gibt nur selten Situationen, in denen jemand etwas bewusst falsch macht. Auch dann ist es aus seiner Sicht richtig, denn sonst würde er es nicht absichtlich so machen. Er hat nur ein anderes Ziel als Sie. Also fragen Sie:

„Warum haben Sie das so gemacht?“

„Wie könnten Sie es besser machen?“

„Wie würden Sie die Sache beurteilen?“

„Wie würde das auf Sie wirken?“

„Wie würden Sie darauf reagieren?“

Alle diese Reaktionsmechanismen zielen darauf hin, dass sich die Gesprächspartner besser verstehen, und das kann nur geschehen, wenn Sie einen Gedankenaustausch anstreben.

  • Versuchen Sie, die Handlung des Anderen zu verstehen.

Im Allgemeinen ist es wirklich so, dass auch die Patienten und die Helferinnen sich etwas bei ihrem Tun gedacht haben, auch wenn es etwas ganz anderes ist als Sie erwarten. Kaum jemand macht absichtlich oder vorsätzlich Fehler. Sie wissen ja:

  • Der grundlegende Denkfehler heißt: Ich denke, der Andere denkt, wie ich denke.

Wenn Sie nachfragen und eine Antwort zulassen, bevor Sie kritisieren, haben Sie eine Chance für eine Verbesserung der Kommunikation.

Und zum Schluss wieder eine ganz persönliche Frage:

  • Wie groß ist Ihre eigene Motivation, es immer selbständig, vollständig und richtig zu machen?

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Gefahren im Gesprächsverhalten

Richtige Grundverhaltensmuster des Arztes können eine verdeckte Form einer kommuni-kationsfeindlichen Verhaltensweise sein. Das müssen wir bedenken, um nicht in die bereit stehenden Fettnäpfchen zu treten. Wenn wir an der Reaktion des Gesprächspartners erkennen, dass etwas anders verstanden und aufgefasst wurde als wir es gemeint haben, sollten wir wenigstens überlegen können, woher das Missverständnis kommt. Dazu ein paar Beispiele.

Wenn wir Fragen stellen, kann das in Einzelfällen ein Ablenkungsmanöver sein oder als Verhör aufgefasst werden. Es gehört also viel Feingefühl dazu, Fragen so zu stellen, dass der Patient die Frage als Möglichkeit der wechselseitigen Verständigung zu empfinden und als Ausdruck ihres Bemühens, ihn ernst zu nehmen. Hier macht auch der Ton die Musik. Sie können dieselbe Frage interessiert oder mit dem Ton des Verhörs stellen. Versuchen Sie es einmal mit diesen einfachen Fragen: „Was haben Sie gegessen?“ – „Wo waren Sie gestern?“ – „Haben Sie Bauchschmerzen, Fieber, Schwindel?“- Die letzte Frage ist besonders problematisch, weil sie drei Fragen enthält. Der Patient kann wahrscheinlich nicht einfach mit ja oder nein antworten, oder er beantwortet nur eine Teilfrage. Dann wissen Sie wieder nicht, was Sie interessiert. Mehrfachfragen verbreiten Hektik und Unsicherheit. Gewöhnen Sie sich Einfachfragen, und warten Sie auf die Antwort, bevor Sie die nächste Frage stellen..

Durch Beraten können wir den Patienten auch in seiner Eigeninitiative hemmen und handlungsunfähig machen. Das schlimmste Beispiel ist das Klischee von dem Versicherungsmakler, der seine Kunden erschlägt mit seinen ach so wohlgemeinten Ratschlägen. Die Vielfalt der Einzelheiten und Möglichkeiten ist verwirrend, verunsichernd und macht Angst. Natürlich will der Versicherungsvertreter nur unser Bestes! (Unser Geld!) Und so wollen wir doch nicht sein, oder?

Unser Interpretieren einer berichteten Handlung oder Situation kann der Patient als Abwertung und Bloßstellung auffassen. Der Patient berichtet, seine Frau habe gestern das und jenes erzählt. Sie reagieren: „Das hat sie gemacht, weil ….“ Woher wissen Sie das? Könnte es nicht auch ganz anders sein? Ich möchte vor vorschnellen Deutungen von Aussagen und Hintergründen warnen.

Mit dauerndem Argumentieren können wir abwehren und Vorhaltungen machen. Es ist vielleicht schwierig, die Meinung eines Patient einfach so stehen zulassen, weil wir selbst einen anderen Standpunkt haben. Aber ist es wirklich notwendig (die Not wendend!), daran herum zu argumentieren?

Wenn wir Kinder und Erwachsene ständig ermahnen, empfinden sie das vielleicht als War-nung und Drohung, und wir machen sie unsicher und unselbständig. Der mahnende Zeigefinger gehört zum Klischee des Oberlehrers und zu der Mutter, die ihre Kinder nicht loslassen kann. Ein Arzt oder Therapeut, der so re(a)giert, verprellt seine Patienten, denn sie wollen angenommen und nicht erzogen werden.

Eine gut gemeinte Anleitung kann als Befehl und Kommandieren aufgefasst werden. Achten Sie auf den Ton, mit dem Sie die Sätze aussprechen würden, und versuchen Sie Alternativen: „Nehmen sie die Tabletten immer vor dem Frühstück!“ – „Sie sollten abnehmen!“ – „Nächsten Mittwoch möchte ich noch einmal das Cholesterin kontrollieren.“ – „Warum kommen Sie mit dieser Wunde erst jetzt?“ – Welchen Ton möchten Sie als Patient hören? Welchen Gesichtsausdruck möchte Sie bei Ihrem Arzt sehen, wenn er Ihnen diese Fragen stellt?

Durch Aufmuntern können wir ablenken, zurückweisen und bagatellisieren. „Es wird schon wieder gut werden!“ – „Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich darum!“ – Spüren Sie die möglichen Untertöne oder / und Missverständnisse, die in diesem Satz enthalten sind? Die Schwierigkeit besteht darin, dass der Patient meist versteht, was er empfindet oder befürchtet oder hören will, und nicht, was Sie gemeint haben. Er unterstellt Ihnen aber, dass Sie genau das gesagt und gemeint haben, was bei ihm angekommen ist.

Trösten kann nicht nur beruhigen, sondern auch ruhig stellen und lähmen. Zu viel Reden und zu viel Nähe in der Trauer lassen dem Trauernden keine Möglichkeit, sich auf seine Gefühle und deren Verarbeitung zu konzentrieren. Trauerarbeit ist eine aktive und anstrengende Seelenleistung, für die man trotz der schmerzenden Gefühle aktiv sein und genügend Ruhe und Zeit haben muss.

Zureden kann als Predigt und Moralisieren verstanden werden. Wir kennen diese Sätze: „Du musst das so machen; ich zeige dir, wie es geht; ich weiß doch, dass du es kannst; nun mach es doch endlich.“ Spüren Sie wie auch gut gemeinte Ratschläge eher als Schlag denn als Rat aufgefasst werden? Und der Beratschlagte, der Geschlagene schlägt zurück! „Nein, ,jetzt lass mich doch endlich einmal tun, was ich für richtig halte!“ Das wäre ja noch eine gesunde Reaktion, weil sie auf Eigenständigkeit und damit auch auf Eigenverantwortung pocht. Aber viele Menschen lassen sich überreden statt überzeugen und spüren oft nicht einmal mehr die Aggression, die der Beratende in ihnen auslöst. Und wenn sie die aufkommende Wut spüren, lassen sie den Ärger nicht zu.

Durch Korrigieren können wir beschuldigen und verurteilen. Auch gut gemeinte Verbesserungsvorschläge können als Schuldzuweisung und negatives Urteil aufgefasst werden. Das wird besonders von den Menschen so empfunden, die ein geringes Selbstwertgefühl haben und unsicher sind, wenn sie irgendetwas entscheiden oder unternehmen.

Das Belächeln kann abwertend und kränkend verstanden werden. Das gilt auch dann, wenn es gar kein Belächeln, sondern ein freundliche gemeintes Lächeln war, das der Auslöser für das Missverständnis war. Das eigene negative Urteil, die eigene Unsicherheit lassen das Lächeln als Belächeln empfinden – mit allen Konsequenzen eines Missverständnisses.

Mit Loben können wir abhängig machen und manipulieren. Jeder Mensch möchte gern gelobt werden, und viele sind abhängig davon, verhalten sich also so, dass sie möglichst viel Lob bekommen. Wer machtbewusst ist und Menschen manipulieren will, kann auf diese Weise seine Angestellten oder Mitarbeiter mit Lob und Schmeichelei gefügig, abhängig und unselbständig machen. Wer gelobt wird, traut sich beispielsweise nicht mehr oder nur noch sehr gehemmt, dem Lobenden zu widersprechen.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Verständigung in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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Mögliche Gesprächskiller

Floskeln und allgemeine Redewendungen geben dem Gespräch manchmal eine ober-flächliche Wendung und können auch unpassend sein. „Jetzt warten wir mal ab! – Es wird schon besser werden!“-

Wenn Sie den Eindruck vermitteln, den Patienten zu examinieren, gerät er unter Druck und wird sicherlich nicht so offen sprechen wie es für eine gute Kommunikation nötig ist. Das wird ihnen sofort klar, wenn Sie sich vorstellen, wie es Ihnen geht, wenn Sie sich im Kreuzfeuer eines strengen Prüfers befinden, von dem sie wissen, dass er Ihnen rhetorisch und vom Fachwissen überlegen ist. Ihr Gehirn[1] (genauer: Ihr Mandelkern) schaltet sofort auf Alarm und sucht nach Fluchtwegen und blockiert dadurch die gelöste Atmosphäre, in der wir unbehindert denken können.

Begriffe und Situationen zu sehr zu abstrahieren, kann das Verständnis verschlechtern für Ihre Aussage. Auch wenn es für uns Ärzte einfach ist, sich mit definierten Fachbegriffen kurz und prägnant zu verständigen, hilft es weder Ihnen noch dem Patienten, wenn Sie ihn mit Fachwörtern konfrontieren, die er nicht versteht. Sprechen Sie die Sprache des Patienten, so dass er Sie versteht. Erklären Sie an einfachen Beispielen oder Skizzen, was Sie meinen. Die Pharmaindustrie hat inzwischen auch relativ viele Aufklärungsbögen, Hefte und gut verstehbare Informationsbroschüren herausgebracht, die Sie kostenlos erhalten. Fremdwörter, die nicht verstanden werden, schaffen Distanz und keineswegs Vertrauen, sondern Unsicherheit, Hilflosigkeit und möglicherweise Aggression.

Wenn Sie sich auf eine Meinung fixieren lassen, haben Sie keine Freiheit des Denkens mehr. Das kann besonders gefährlich sein, wenn der Patient die Diagnose vorgibt und sie auf Anhieb auch plausibel erscheint. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass auch ich schon auf die Diagnosen hereingefallen bin, die Patienten mit dem Brustton der Überzeugung an den Anfang des Gespräches gesetzt haben. Inzwischen bemühe ich mich bewusst, wenn der Patient die Diagnose von sich aus schon mitbringt, mich innerlich zurückzunehmen und erst recht zu überlegen: „Was würde ich tun, wenn ich die Diagnose nicht hätte. Was spricht gegen die Diagnose? Welche Alternativen gibt es?“ – Auch sonst ist es im Alltag ganz sinnvoll, über Alternativen nachzudenken. Selbst wenn ich beim Einkaufen auf Anhieb genau finde, was ich haben wollte, frage ich immer nach den möglichen Alternativen. Und dabei habe ich schon manchmal meine Meinung geändert und mit Zufriedenheit etwas anderes gekauft, weil mein ursprünglicher Wunsch besser befriedigt wurde.

Manchmal neigen wir dazu, uns mit einer Sache oder einer Person zu identifizieren. Wenn Sie die Ansicht eines Angehörigen übernehmen, besteht die Gefahr, dass Sie Ihre professionelle Distanz verlieren und zum Instrument der Familie gemacht werden. Das nimmt Ihnen die Unabhängigkeit und bringt die Gefahr der Übertragung ein: Man überträgt Gefühle auf Sie, und Sie lassen dies zu und reagieren entsprechend.

Wenn wir uns selbst oder den Patienten vom eigentlichen Thema ablenken oder ablenken lassen, verpassen wir vielleicht das Wesentliche, und/oder der Patient fühlt sich nicht ausreichend verstanden. Damit kommen auch oft Hektik und Gesprächsdruck auf. Telefonate während des Gespräches, eine Schwester, die herein kommt, ein Patient, der auf dem Stationsflur das Gespräch unterbricht – all dies irritiert, verbraucht Zeit, raubt Konzentration und geht letztlich auf Kosten der Qualität und Konsequenz unserer Arbeit.

Wenn der Arzt oder der Patient monologisieren wollen, wird meist der Schweigsame gelangweilt, er schaltet ab, und die Kommunikation bricht zusammen. Manchmal kommt dabei auch Aggression auf. Der Arzt, der von einer Idee begeistert ist und sie dem Patient aufredet, und der Patient, der endlos über seine Gedanken berichtet sind für die jeweils andere Seite schwer zu ertragen und sprengen natürlich sofort den Rahmen der Bestellsprechstunde und einer Stationsorganisation.

Beschwerden oder Sachverhalte zu verharmlosen oder zu verallgemeinern, birgt die Gefahr, den Gesprächspartner zu kränken und zu entwerten. Er fühlt sich nicht ernst genommen, nicht als Individuum betrachtet. Abgesehen davon ist es in manchen Fällen sicher auch gefährlich, Symptome zu banalisieren. Selbst wenn Sie einen zu Recht besorgten Patienten damit beruhigen wollen, sollten Sie nicht zum Mittel der Banalisierung oder Verallgemeinerung greifen, sondern eher vermitteln, dass Sie das Symptom im Moment nicht für bedrohlich halten und es beobachten werden.

Ich halte ich es nicht für richtig, in der Arztpraxis oder Klinik zu moralisieren. Das verschlechtert die Beziehung zum Patienten, weil er sich meist entmündigt fühlt. Und der Arzt sollte kein Moralapostel sein. Ich empfinde weder als Mensch noch als Arzt einen Missionsauftrag. Dieser gilt allenfalls für religiöse Glaubensinhalte und wird keineswegs von allen Menschen akzeptiert. Und wenn es um die Diskussion von medizinischen Handlungen geht, die ethische Fragen und Antworten erfordern, sollte der Arzt meiner Meinung eher einfühlsam Fragen stellen, zuhören und dem Patienten helfen, dass er seine eigene Antwort findet und nicht verführt oder gezwungen wird, die Meinung des Arzt zu übernehmen. Dies gilt besonders für Fragen, die mit dem problematischen Anfang und Ende des Lebens zu tun haben: Künstliche Befruchtung, Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe, Patientenverfügung sind typische Beispiele.

Es ist eine menschliche Schwäche, rasch eine Diagnose stellen zu wollen, um damit zu imponieren. Das ist besonders verheerend, wenn es sich um eine Schockdiagnose für den Patienten handelt. Hier ist also Besonnenheit geboten. Es könnte nicht nur sein, dass die Blitzdiagnose falsch ist, sie könnte auch im falschen Moment und auf die falsche Weise geäußert sein. Natürlich gibt es Situationen, in denen auch mir beim ersten Blick in das Gesicht eines Menschen die Diagnose „Krebs!“ entgegen springt, und ich gestehe ein, dass es mich reizt, mein diagnostisches Können sofort zu zeigen. Aber es wäre menschlich und möglicherweise auch medizinisch falsch. Besonnenheit, ruhige Reaktionen und eine seriöse Abklärung der Lage sind geboten. Dann kann man immer noch und muss vielleicht auch die schlimme Diagnose in einer überlegt gewählten Situation vermitteln.

Die Sprechstunde darf nicht zur Debatte ausarten. Der Arzt verliert meist die Debatte (auch wenn er sachlich Recht hat!) und den Patienten. Das gilt besonders, wenn der Patient sich dirigiert fühlt.

Die Eskalation ist der allerletzte Schritt. Wenn Sie sich nach reiflicher Überlegung und Ausschöpfung aller weniger scharfen Alternativen dazu entschließen, den Patienten aus der Praxis oder Klinik rauszuwerfen (so genannte disziplinarische Entlassung), sollte das immer noch so höflich wie möglich geschehen. Juristische Gesichtspunkte sind dringend zu berücksichtigen: Ist der Patient überhaupt in der Lage, die Folgen seines Handelns oder Unterlassens voll zu verstehen? Überlegen Sie gut, ob das Vertrauensverhältnis noch hält oder wieder zu kitten ist. Wenn Sie sich zu einer Beendigung ihrer Arzt /Therapeuten-Patienten-Beziehung entschlossen haben, sollte dieser Schritt irreversibel sein, denn sonst machen Sie sich unglaubwürdig.

 

[1] Genauer: Ihr Mandelkern. Das steht ausführlich in dem Kapitel über neurophysiologische Reaktionsmechanismen.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht

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Ich- und Du-Botschaft

 

In unserem Alltag ist es sehr wichtig, möglichst authentisch zu reagieren, damit wir unsere wirkliche Meinung vertreten können, uns selbst treu bleiben und der Gesprächspartner genau weiß, wie es uns geht. Nur so kann er auf unsere Wünsche und Vorstellungen angemessen reagieren. Das gilt ganz besonders für Krisensituationen. Wenn wir nicht authentisch reagieren, gilt der Satz:

Jede emotionale Lüge vermindert das Selbstwertgefühl. (Frederich)

Wenn wir JA sagen und NEIN meinen oder NEIN sagen und JA meinen, stehen wir nicht zu uns selbst, und was halten wir von jemandem, der nicht ehrlich ist? – Eben!

Eine einfache und sehr wirksame Formulierung, um authentisch zu reagieren, ist die

ICH – Botschaft.

Sie sagt, was ich denke und fühle. Sie erfordert und ermöglicht Selbstbeobachtung, damit wir erkennen, was in uns wirklich vorgeht. Sie fördert dadurch das Selbstbewusstsein und deshalb das Selbstwertgefühl, wenn wir uns entschließen können, unsere Gefühle und Ge-danken auch echt weiterzugeben. Wir übernehmen damit unsere Verantwortung für das eigene Fühlen und Denken, indem wir uns selbst als die Produzenten unser Gefühle und Gedanken annehmen. Wir lassen dem Partner die Wahl, ob er sich für unsere Lage und Gefühle verantwortlich fühlen will oder nicht. Dadurch vermeiden wir Angriffe und neutralisieren gespannte Situationen. Wir verbessern die Qualität der Kommunikation, weil uns der Partner besser verstehen kann.

Genau der Gegensatz ist die

DU – Botschaft.

Sie behauptet, was du meiner Meinung nach machst, denkst oder fühlst, ob das nun stimmt oder nicht. Dadurch verhindert die Du-Botschaft die Selbstbeobachtung, indem sie sich auf das Du konzentriert. Sie greift meistens an und verallgemeinert oft:

„Du machst immer, schon wieder, nie … !“

Sie ist damit oft ungerecht und überschießend. Dadurch wird der Partner aggressiv oder regressiv. Die Du-Botschaft zwingt dem Partner Verantwortung für meine Reaktionen auf und verhindert damit die empathische Kommunikation. Sie verschlechtert also eine Gesprächssituation und fördert eine Eskalation.

„Du arbeitest zu viel.“ (Du-Botschaft)

Das ist meine Meinung, aber ich deklariere Sie nicht als meine Meinung, sondern behaupte es und mache damit den anderen dafür verantwortlich. Dabei kann es sein, dass der Partner sich wohl dabei fühlt und nicht überfordert. Und woher wissen wir schon, warum er so viel arbeitet und was für ihn gut ist? Wir tun so, als ob wir es besser wüssten. Dabei fühlt sich der Angesprochene meist angegriffen und reagiert entsprechend.

Besser wäre eine Ich-Botschaft:

Ich denke, du solltest weniger arbeiten.“

Damit sage ich klar meine eigene Meinung und übernehme die Verantwortung dafür. Er hat jetzt erkannt, was ich denke, also eine authentische Meinung gehört. Dann können wir auf einer gleichberechtigten Ebene weiterreden, und er kann für sich entscheiden, was er tun will.

„Du lügst.“

Damit stelle ich eine Behauptung auf, die möglicherweise sogar falsch ist. Sie greift an und provoziert ein dem Gesprächspartner entsprechendes Verhalten. Sicherlich wird die Stimmung im Gespräch dadurch schlechter. Wenn ich das als Ich-Botschaft sage, kann es so klingen:

„Es fällt mit schwer, dir zu glauben.“

Damit sage ich nur, dass es mir schwer fällt, etwas zu glauben. Es ist mein persönlicher Eindruck. Die Ich-Botschaft greift nicht an, und wenn der Andere sich trotzdem angegriffen fühlt, ist es seine Sache, und vielleicht habe ich dann doch eine Unwahrheit entdeckt. Selbst wenn er sagt:

„Du willst doch nicht etwa behaupten, dass ich lüge?“,

können wir ganz einfach sagen:

„Nein, das will und kann ich nicht behaupten, weil ich es nicht weiß. Ich kann es nur nicht glauben, was Du sagst.“

Dieser Sachverhalt hat auch eine wichtige juristische Seite. Eine Ich-Botschaft kann nie eine Beleidigung im juristischen Sinne sein. Denn ich habe nur meine Meinung gesagt, und die kann auch falsch sein, weil ich mich einfach geirrt habe. Wenn ich aber sage:

„Du bist ein Dieb!“,

und es stellt sich heraus, dass der andere nicht gestohlen hat, habe ich im juristischen Sinne eine Beleidigung ausgesprochen – mit allen Konsequenzen.

„Du greifst mich an!“

Hier spüren wir die Attacke der Verallgemeinerung. Außerdem kann es auch durchaus sein, dass der Partner gar nicht angreifen will. Der Angegriffenen hat es vielleicht nur so aufgefasst und auf den Angreifer projiziert, weil der Angegriffene sensibilisiert ist auf Angriffe oder darauf, eben immer angegriffen zu werden, weil sein Selbstwertgefühl so schwach ist und Angst hat, dass seine Fehler entdeckt werden. Besser wäre der Sachverhalt als Ich-Botschaft formuliert:

„Ich fühle mich angegriffen von dir.“

Wenn der Gesprächspartner jetzt sagt: „Aber ich greife Dich doch gar nicht an!“ kann ich sagen, dass ich das so nicht gesagt habe, sondern lediglich meinen Eindruck wiedergeben wollte. Dann können wir über meine Eindrücke und seine Aktionen reden und das Missverständnis ausräumen.

Ähnlich ist es im folgenden Satzpaar:

„Herr Müller, warum hören Sie mir denn schon wieder nicht zu?“

„Herr Müller, ich habe den Eindruck, Sie hören mir nicht zu.“

Beim zweiten Satz könnte es ja sein, dass Herr Müller ganz ehrlich antwortet:

„Ich höre schon zu, aber ich habe eben zum Fenster hinausgeschaut, weil ich so betroffen bin von Ihrer Diagnose.“

Noch ein häufiger Satz aus dem Familiendrama:

„Du verstehst mich nicht.“

Welch ein Angriff! Diese Situation kann nur eskalieren. Wie viel besser wäre es, den Partner anzuschauen und klar und freundlich oder weinend und betroffen zu sagen:

„Ich fühle mich von dir nicht verstanden.“

Damit ist der Weg offen für ein Gespräch über wechselseitige Kommunikation und die Gründe, warum diese Eindrücke zustande kamen.

Zugegeben: Es ist für den Anfang etwas schwierig, sich in diese Gedankengänge einzu-arbeiten und immer so bewusst zu reagieren und zu formulieren. Und aus der eigenen Er-fahrung mit Patienten und meinem Privatleben kann ich berichten, dass es sich wirklich lohnt, so bewusst mit unseren Gedanken und Gefühlen und unserer Sprache umzugehen. Es ist eine echte Bereicherung für alle Beteiligten und eine hervorragende Möglichkeit für Patienten, die Konflikte mit ihren Gesprächspartnern zu klären.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Vorschläge für gute Kommunikation

Vorschläge für eine gute Kommunikation

  • Das absolute Minimum, das Sie bei jeder Kommunikation immer noch aufbieten müssen, ist Höflichkeit und gute Manieren.

Das gilt besonders, wenn der Gesprächspartner diese Höflichkeit nicht aufbringt. Wenn Sie dann auch unhöflich oder ungezogen reagieren, begeben Sie sich auf die Stufe, die Sie am Anderen ablehnen. Wenn der Gesprächspartner freundlich ist, haben Sie sowieso keinen Grund, unhöflich oder ungezogen zu reagieren.

Wenn der Patient sich ärgerlich, fordernd oder vorwurfsvoll verhält, sollte Sie zuerst klären, ob er vielleicht unsicher ist, weil ihm wichtige Informationen fehlen und sein Verhalten der Ausdruck von Hilflosigkeit ist. Dann können Sie mit entsprechend verständnisvollem Verhalten eine gute Stimmung schaffen und das Gespräch auf eine ganz andere, nämlich helfende und konstruktive Ebene heben. Eine ärgerliche, rechtfertigende oder maßregelnde Reaktion Ihrerseits würde zu einer raschen Eskalation der Lage führen und die Chance auf eine Verständigung erheblich und schlagartig minimieren.

Bitte verstehen Sie, dass ich über solch eine für viele Menschen selbstverständliche Tatsa-che hier spreche. Leider habe ich immer wieder erlebt, dass auch Ärzte sehr schlechte Ma-nieren haben und forsches Auftreten mit Ungezogenheit verwechseln oder glauben, der Arztstatus oder gar der Chefarzttitel gäbe ihnen das Recht, unhöflich und arrogant zu sein. Häufig steckt hinter diesem schlechten Benehmen ein gerütteltes Maß an Unsicherheit, das mit Imponiergehabe verdeckt werden soll. Es kann auch an der Vorbildfunktion der Eltern liegen, wenn ein Arzt seine Angestellten und Familienangehörigen schlecht behandelt, weil er es zu Hause so erlebt hat. Ich möchte darüber sprechen, damit wir alle immer wieder dazu angehalten werden, auch unser eigenes Umfeld und die Einflüsse kritisch zu hinterfragen, die uns beeinflussen.

Wir müssen das Selbstwertgefühl des Partners achten, wenn wir optimal kommunizieren wollen.

Dazu gehört auch, dass wir bei kontroverser Diskussion nicht persönlich verletzend werden, sondern die Sache kritisieren und nicht die Person.

Dazu ein Beispiel. Welchen Satz finden Sie besser?

„Karin, warum machen Sie denn schon wieder so viele Schreibfehler?“

„Karin, hier sind einige Schreibfehler. Bitte ändern Sie den Text.“

Im ersten Satz machen Sie einen persönlichen Angriff und verschärfen diesen mit dem verallgemeinernden „schon wieder“. Im zweiten Satz machen Sie eine sachliche Feststellung und äußern eine klare Bitte zur Sache. Mit dem ersten Satz verschlechtern Sie die Situation und die Stimmung, mit dem zweiten bleiben Sie neutral.

Dazu gehört auch, bei passenden Gelegenheiten BITTE und DANKE zu sagen. Wenn Sie darauf achten, werden Sie sehr viele Möglichkeiten dazu finden, zum Beispiel bei jeder Anweisung an die Mitarbeiterin, oder wenn sie Ihnen etwas bringt oder für Sie erledigt hat. Ich habe mir angewöhnt, auf die kleinen selbstklebenden Zettelchen, die ich regelmäßig mit einem Wunsch an die Sekretärin oder an Kollegen an Briefe oder Akten hefte, immer mit „bitte“ zu beginnen und mit „danke“ und meinem Kürzel zu beenden. Ich weiß, es dauert zehn Sekunden länger, und es macht eine bessere Stimmung im Team. Wenn Sie im Gespräch mit Mitarbeitern, Patienten oder Kollegen diese kleinen Wörtchen „bitte“ und „danke“ auch noch mit einem freundlichen Lächeln begleiten, werden Sie verblüfft sein über die hervorragend motivierende Wirkung dieser Minikommunikation. Diese kleinen Wörtchen BITTE und DANKE sind das einfachste Gleitmittel in dem Praxis- und Stationsbetrieb, und es hilft über viele Sandkörner hinweg, die das Getriebe strapazieren.

Günter F. Gross schreibt in seiner prägnanten Art:

„Lächeln Sie 2 Sekunden länger, und Sie werden verblüffende Erlebnisse haben. Machen Sie das bitte nicht, wenn Sie ledig bleiben wollen!“

Ich weiß, dass es Menschen gibt, die glauben, mit Druck die bessere Motivation zu erreichen. Und die besonders Sparsamen handeln nach dem Grundsatz „Kein Tadel ist Lob!“ Diese Menschen müssen notwendigerweise den Druck immer weiter erhöhen, weil sich die Sandkörner ins Getriebe fressen. Und was geschieht mit Ihrem Autogetriebe, wenn Sie das Öl weglassen? – Eben!

Überlegen Sie einfach, wie diese Maximen auf Sie selbst wirken, wenn Ihre Mitmenschen diese Verhaltensregeln auf Sie anwenden. Erinnern Sie sich an die Zeiten, als Sie noch der kleine Assistent oder die Schwesternschülerin in der Klinik waren und der Chef Sie bei der Visite vor allen abgekanzelt oder auch nur peinlich befragt hat? Dann wissen Sie, was Ihre Mitarbeiter und Gesprächspartner brauchen und was nicht. Es gibt immer noch viele Chefs, die offensichtlich glauben, ihr Ansehen steige, wenn sie ihre Mitarbeiter vor der versammelten Mannschaft und erst recht vor Patienten bei der Visite vorführen und allen klarzumachen versuchen, dass nur EINER hier weiß, wo es lang geht. Ein guter Chef hat dieses billige Imponiergehabe nicht nötig. Und jeder erkennt trotzdem, was die Vorgesetzten können. Und abgesehen davon: Ich habe festgestellt, dass viele Patienten wesentlich mehr Wert legen auf eine vertrauensvolle Beziehung als auf einen unhöflichen Mediziner im weißen Kittel, der andere demütigt.

Abgesehen davon: Mit BITTE und DANKE wenden Sie einen kleinen und sehr wirksamen Trick an, um sich selbst ständig in guter Stimmung zu halten. Damit prägen Sie entschei-dend die Stimmung in Ihrem Alltag und natürlich auch an Ihrem Arbeitsplatz. Und Sie können viel leichter und ruhiger durch die Brandung des Alltags gleiten und oben bleiben und auch noch Freude haben an dem lebhaften Treiben.

Wenn Sie nur den Patienten gegenüber freundlich sind, weil Sie diese ja brauchen, aber den Helferinnen oder Schwestern gegenüber mürrisch, nörgelnd und grantig sind, prägen Sie einen sehr schlechten Eindruck von Ihrer Persönlichkeit und Führungsqualität in die Patienten. Denn Sie machen offen sichtbar, dass Sie zwei Gesichter haben. Sie wissen ja: Die Patienten sind Ihr Außendienst! Sie vermitteln in ihrem Umfeld, was sie in der Praxis oder Klinik erlebt haben.

Sobald ein Patient oder ein Mitglied des Pflege- oder Therapeutenteams sich gekränkt oder in anderer Weise entwertet fühlen, werden sie sich wahrscheinlich einen anderen Arzt oder Arbeitgeber suchen oder zumindest ihr Verhalten wesentlich distanzierter gestalten, weil sie das Vertrauen zu Ihnen verloren haben.

Dann werden Sie in Zukunft rasch merken, dass Sie die Mitarbeiter auch nicht mehr brau-chen, weil die Patienten dorthin gehen, wo die Patienten und das Personal gut behandelt werden.

  • Das Selbstwertgefühl und die soziale Stellung eines Menschen werden in der Gemeinschaft festgelegt, in der er kommuniziert.

Das bedeutet auch, dass der Patient sich in verschiedenen sozialen Umgebungen völlig unterschiedlich verhält, weil er seinen Wert beziehungsweise seine hierarchische Stellung jeweils anders einschätzt. Der Patient verhält sich zum Beispiel Ihnen gegenüber ganz anders als bei der Helferin oder Krankenschwester. Das merken Sie besonders gut, wenn der Patient die Helferin kritisiert wegen der langen Wartezeit und bei Ihnen im Sprechzimmer sehr freundlich ist.

  • Wir sind teilweise auf die Beurteilung anderer Menschen angewiesen, um unseren eigenen Wert zu erkennen.

Ein wesentliches Problem besteht darin, dass wir dieses Urteil der Anderen oft nur vermuten und als Tatsache akzeptieren, ohne das vermeintliche Urteil zu hinterfragen. Hier spielen natürlich die Erziehung und eigene Erfahrungen eine entscheidende Rolle.

  • Diese Bewertung wird erst durch die Kommunikation möglich.

Das heißt aber auch, dass wir besonders wachsam sein müssen, wie eine Kommunikation auf uns wirkt. Dabei ist es nötig, uns und unseren Kommunikationspartner bewusst zu be-obachten und zu hinterfragen.

  • Wenn der Gesprächspartner etwas ablehnt, fragen Sie nach dem Grund für die Ablehnung.

Wie gesagt, sprechen Sie über Ihre Art der Kommunikation. Zeigen Sie ruhig, dass Sie in-teressiert sind an der Ursache der Ablehnung. Damit erkennt der Patient, dass Sie seine Meinung wichtig finden für den weiteren Verlauf der Beziehung. Dann haben Sie auch eine Möglichkeit, eventuelle Missverständnisse auszuräumen. Wenn Sie nicht fragen, fühlt der Patient sich möglicherweise abgelehnt, nicht verstanden oder glaubt, er sei unwichtig für Sie. Das alles können Gründe für ihn sein, zum Nachbarkollegen zu gehen.

  • Wenn Sie den Verdacht haben, dass ein Argument des Patienten ein Vorwand ist, sollten Sie den Gesprächspartner nicht darauf aufmerksam machen.
  • Wenn ein Patient sein Gesicht bei Ihnen verliert, verlieren Sie den Patienten.

Fragen Sie lieber:

„Angenommen, das Problem wäre gelöst, könnten Sie dann meinen Vorschlag annehmen?“

Dann werden Sie rasch erkennen, ob das Argument echt oder vorgeschoben war.

  • Sprechen Sie bei mehreren Vorwänden nicht über die Argumente, sondern über die Situation, in der Sie jetzt mit dem Gesprächspartner sind.

„Jetzt haben wir mehrere Vorschläge der Therapie besprochen, die Sie nicht annehmen können. Wie können wir Ihrer Meinung nach jetzt weiterkommen?“

Kritische und nörgelnde  Patienten, die sachlich in die Mitverantwortung hereingenommen werden, reagieren dann meist kooperativ, weil im Allgemeinen ihr vermindertes Selbstgefühl sie zur Kritik veranlasst hat. Dies gleichen wir aus, indem wir sie um ihre Meinung und Mit-arbeit bitten.

Denken Sie bitte daran, auch Dinge zu erklären, die Ihnen sehr geläufig und vertraut sind. Denn wenn der Partner sie nicht kennt, kann er nicht angemessen darauf reagieren.

Wir müssen immer daran denken, dass der Patient Zusammenhänge, Fakten, Fremdwörter, Gesetze und Verordnungen, die zu unserem Routinegebrauch gehören, vielleicht nicht kennt. Das macht die Patienten unsicher. Wenn sie diese Unsicherheit nicht richtig artikulieren und bearbeiten können, reagieren sie meistens in irgendeiner Weise aggressiv oder sie stimmen vordergründig zu, um keine Unsicherheit zu zeigen und äußern die Unzufriedenheit auf andere Art und Weise. Das kann vom Schimpfen bis zur mangelhaften Mitarbeit oder zum stillen Rückzug aus der Praxis reichen. Ich erlebe es oft, dass Patienten rasch einsichtig waren, wenn ich Ihnen die Hintergründe des GSG oder der anderen neuen finanziellen Vorschriften im Gesundheitswesen und die daraus folgenden Maßnahmen erkläre.

  • Wenn Sie unsicher sind, wie Sie reagieren sollen, ist es besser, eine Frage zu stellen als etwas zu behaupten.

Damit vergeben Sie sich nichts, haben die Chance, eine weiterführende Information zu erhalten und zeigen durch die Frage Interesse an der Situation oder/und dem Patienten. Außerdem verbessern Sie durch eine geschickte Frage das Selbstwertgefühl des Angesprochenen, da er um seine Meinung gefragt wird. Auf diese Weise können Sie das Gespräch wieder in ein „ruhigeres Fahrwasser“ lenken.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Die Kette der Missverständnisse

 

Wir erleben im Alltag der Praxis und des Privatlebens immer wieder Missverständnisse, die das gute Verhältnis zwischen den Gesprächspartnern belasten, zu kritischen Situationen und manchmal sogar zu einer Trennung führen. Hier ist es hilfreich, sich ein paar einfache Gesetzmäßigkeiten bewusst zu machen, wie solche Missverständnisse entstehen. Dann ist es wesentlich einfacher, solche unliebsamen Überraschungen konstruktiv zu vermeiden oder zu erkennen und zu Verständnis umzuändern.

Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat eindrucksvoll dargestellt, wie Missverständnisse entstehen. Er sagte:

Gesagt            bedeutet nicht          gehört,

gehört             bedeutet nicht          verstanden,

verstanden     bedeutet nicht          einverstanden,

einverstanden bedeutet nicht          gemacht,

gemacht          bedeutet nicht          beibehalten,

beibehalten     bedeutet nicht          Erfolg gehabt.

Wir erkennen sofort die Parallele zum Alltag in der Praxis oder Klinik. Wenn wir einem Patienten etwas sagen, heißt es noch lange nicht, dass er es gehört hat. Er könnte nämlich schwerhörig sein oder sich gerade auf etwas anderes konzentriert haben. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Patienten meist nicht zuhören können, wenn sie sich an- oder ausziehen. Auch Mütter, die ihren Säugling wickeln, können sich erfahrungsgemäß in dieser Zeit nicht auf das konzentrieren, was der Arzt zu ihnen sagt. Wenn wir nebenher im Gespräch rasch noch ein paar Rezepte unterschreiben oder Notizen in die Karteikarte machen, hören wir auch nicht genau, was der Patient in dieser Zeit sagt.

Selbst wenn der Patient es gehört hat, versteht er es nicht immer. Vielleicht kennt er ein Fremdwort oder die Zusammenhänge nicht. Oder Sie haben zu schnell gesprochen. Es kommt auch oft vor, dass Patienten etwas anderes erwartet haben, also „hören“, was sie hören wollen.

Dann gilt der Grundsatz: Wahr ist für den Gesprächspartner nicht, was Sie sagen, sondern was er versteht.

Auch wenn der Patient verstanden hat, was Sie zu ihm gesagt haben, ist er vielleicht mit der von Ihnen gewünschten Handlung nicht einverstanden. Denn es könnte unbequem für ihn sein, oder Ihre Absicht widerspricht den Informationen, die er von einem Nachbarn oder seiner bevorzugten Zeitung bekommen hat.

Wenn Sie sein Einverständnis haben, kann es trotzdem sein, dass er im Moment die Dring-lichkeit der Therapie oder einer bestimmten Handlung gar nicht einsieht. Also macht er es auch nicht. Vielleicht müsste er selbst etwas bezahlen, was er nicht kann oder nicht will. Häufig bestehen Widerstände innerhalb der Familie, die den Patienten abhalten, seine Therapie einzuhalten.

Bei manchen Menschen freuen wir uns schon, dass sie so gut mitarbeiten. Aber nach kurzer Zeit lässt die Mitarbeit nach. Bei der Nachforschung entdecken wir vielleicht, dass wir den Patienten nicht sorgfältig genug aufgeklärt oder nicht beachtet haben, dass seine Körpersprache während des Gesprächs eindeutig ablehnend war. Deshalb behält er die Therapie nicht bei, wie es eigentlich nötig wäre.

Der grundlegende Denkfehler heißt: „Ich denke, der andere denkt wie ich denke.“

Das zeigt sich an folgenden Beispielen:

  • Wir glauben, der Patient weiß, was wir wollen, ohne dass wir es ihm gesagt haben.

(„Es ist doch klar, dass ich Mittelstrahlurin / Nüchternblut zur Untersuchung brauche.“)

  • Wir benützen gleiche Wörter und meinen verschiedene Dinge und Sachverhalte, er-warten aber, dass der Andere unsere Definition kennt und anwendet. („Die Blutuntersuchung war negativ!“ – „Das ist ja schlimm!“ oder „Der HIV-Test war positiv!“ – „Da bin ich aber erleichtert!“)
  • Wir gehen davon aus, dass der Andere sich auf der gleichen Ebene (Gefühl oder Ver-nunft) befindet und reagiert. („Ich habe Angst vor der Operation!“ – „Das ist unnötig, weil bei dieser Operation praktisch nie Komplikationen auftreten.“)
  • Wir gehen davon aus, dass der Andere jetzt auch wirklich zuhört und offen ist für meine Aussage. Wahrscheinlich ist er aber mit seinen Gedanken, Ängsten und Erwartungen so beschäftigt, dass er entweder nicht oder nur teilweise und selektiv zuhört.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Nur ein informierter Partner kann kooperativ sein.

Dieser Satz ist einer der wichtigsten für eine gute Kommunikation im Berufs- und im Privatleben. Man kann von niemandem verlangen, dass er in unserem Sinn reagiert, wenn er nicht weiß, was wir wollen oder nicht wollen.

Das bedeutet, dass die Einfachheit und Klarheit unserer Sprache ganz wesentlich dazu bei-tragen, dem Patienten die Mitarbeit überhaupt zu ermöglichen. Informieren bedeutet auch, auf Wunsch Einblick in alle Befunde mit entsprechenden Kommentaren und Kopien zu gewähren.

Ich halte es in vielen Fällen für sinnvoll, kurze Gutachten und Briefe in Anwesenheit des Patienten zu diktieren und Telefonate über den Patienten in seiner Anwesenheit zu führen. Wenn Sie z.B. eine gynäkologische Frage über Ihre Patientin mit ihrem Frauenarzt besprechen wollen, können Sie mit einem Dreiergespräch und durch eingeschalteten Lautsprecher Übertragungsfehler vermeiden, Zeit sparen, und die Patientin hat das Gefühl, dass sie voll informiert wird. Denken Sie auch an den Überweisungsschein für die telefonische Beratung für den konsiliarisch zugezogenen Arzt.

Wenn Sie Anordnungen an Mitarbeiterinnen vor dem Patienten geben, fühlt sich der Patient einbezogen und informiert. Das schafft Vertrauen und spart Zeit, weil Sie die Anordnung nicht zuerst dem Patienten und dann der Mitarbeiterin erklären müssen.

Wenn Sie Ihre geplanten Diagnostik- und Therapieschritte dem Patienten kurz und ver-ständlich erklären, kann dieser besser mitmachen, fühlt sich ernst genommen und als mündige Person eingeschätzt.

Sollten Sie Angst vor dieser Art der Information haben, bitte ich Sie, Ihren Umgang mit sich selbst und Ihren Gefühlen zu prüfen. Haben Sie Angst vor der Reaktion des Patienten, oder sind Sie selbst unsicher, sich offen mit bestimmten Einzelheiten zu konfrontieren?

Das Vertrauen des Patienten in den Arzt setzt auch Ehrlichkeit in ihm selbst voraus. Ein erfahrener Chirurg, der über viele Jahre eine hoch geschätzte Sprechstunde für Brustkrebs-Patientinnen abgehalten hat, sagte einmal zu mir:

„Ich sage allen Frauen die Wahrheit. Erstens bin ich Christ und meine, dass ich schon deshalb nicht lügen sollte. Und zweitens habe ich ein schlechtes Gedächtnis und wüsste schon in einer Woche nicht mehr, welcher Frau ich die Wahrheit gesagt habe und welcher nicht. Da würde mich eine Lüge in eine verheerende Lage bringen.“

Ich denke, dies ist ein gute Richtschnur für unser Handeln, wenn wir bereit sind, uns mit den möglichen Reaktionen der Patienten auf die Information wirklich auseinanderzusetzen und damit unsere eigenen Ängste und Bedenken zu bearbeiten.

Außerdem haben sich bei mir die Grundsätze bewährt:

  • Nicht alles, was wahr ist, müssen Sie sagen. Aber alles, was Sie sagen, muss wahr sein.
  • Beantworten Sie die Frage. Nicht mehr und nicht weniger. Schauen Sie dem Patienten dabei ins Gesicht.
  • Beantworten Sie nur Fragen, die gestellt worden sind.

Trotzdem können Sie immer fragen:

„Haben Sie Angst vor … ?“

„Haben Sie noch eine Frage?“

Überprüfen Sie, wie Sie selbst zur Wahrheit stehen! Neigen Sie dazu, Unangenehmes zu verdrängen oder aktiv anzugehen und zu klären?

Unsere eigene Unehrlichkeit oder ausweichende Formulierung ist meist begründet durch Unsicherheit, mangelndes Interesse, fehlende Bereitschaft zur Selbstkritik und Diskussion, und durch den „blinden Fleck“ in eigenen Angelegenheiten mit den dazu gehörigen Verdrängungsmechanismen.

Nur ein informierter Patient kann volle Verantwortung für sein Handeln übernehmen.

Helfen Sie ihm bitte dabei durch folgendes Verhalten:

  • Informieren Sie den Patienten richtig, sachlich, rechtzeitig, so vollständig wie nötig und so verständlich wie möglich.
  • Lassen Sie ihn fragen, und geben Sie gute Antworten.
  • Der Patient soll möglichst die Entscheidung erst dann fällen, wenn sie fällig ist.
  • Zeigen Sie dem Patienten, dass Sie ihn auch dann respektieren, wenn er eine andere Entscheidung fällt als Sie es für sich tun würden.

Gesundes Selbstwertgefühl wird nur durch die Entdeckung und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten und der daraus entstehenden Entscheidungsbereitschaft und den erfolgreichen Handlungen entwickelt.

Wenn der Patient Ihre Meinung wissen will, erklären Sie ihm diese, und überlassen Sie ihm seine Entscheidung. Erwarten Sie nicht, dass der Patient Ihre Meinung übernimmt, nur weil Sie glauben, es besser zu wissen. Wenn Sie ihm Ihre Meinung aufdrängen, können Sie im Allgemeinen nicht mit seiner überzeugten Mitarbeit rechnen. Mangelnde oder fehlende Mitarbeit kann auch ein Zeichen der „leisen Aggression“ sein, eine Form von Regression.

„Ihre Verantwortung ist die Bereitschaft, der Produzent Ihres Erlebens zu sein.

Verantwortung übernehmen bedeutet, Verursacher statt Opfer des Lebens zu sein.“

Ron Smothermon, MD, Psychiater

Das bedeutet, dass jeder verantwortlich ist für seine Gedanken und Gefühle. Denn in jeder Lage gibt es mehrere Möglichkeiten der Reaktion.

Das Leben kann uns viel aufbürden, aber es kann uns nicht zwingen, wie wir darauf reagieren.

Dieser Satz ist eine enorme Lebenshilfe in Konfliktsituationen. Er zeigt Licht am Ende des Tunnels.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

 

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Die Kunst des Zuhörens

 

Wir haben zwei Ohren und einen Mund, damit wir mehr zuhören als reden.

Zenon

 

Wir kennen drei Arten des Zuhörens:

1. Passives Zuhören: Das ist totales Schweigen. Der Partner kann sich durch das passive Verhalten des Zuhörers unbeeinflusst aussprechen. Dabei sind Blickkontakt und eine zuge-wandte Körpersprache wichtig, um dem Gesprächspartner die Aufmerksamkeit zu signa-lisieren.

2. Zuhören mit „Aufmunterung“: Kurze Signale wie „mhm“ oder „wirklich?“ oder inter-essierte Mimik stellen einen geringen und doch gesprächsfördernden und ermunternden Kontakt dar.

3. Aktives Zuhören: Hier fördern Antworten mit empathischer Reaktion oder Fragen das Gespräch aktiv.

Die ideale Form des Zuhörens schildert Michael Ende in seinem Roman MOMO:

„Wie Momo zuhörte

Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie sich Momo aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.

Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den Anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffen-de fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten.

Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich ganz frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt wer-den kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründ-lich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.

So konnte Momo zuhören!“

(aus Michael Ende: MOMO. dtv. TB 10958 mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

Wenn wir wirklich konstruktiv zuhören und den Patienten ausreden lassen, spricht er im Allgemeinen nicht länger als zwei Minuten, bis er eine Pause macht, in der wir „einhaken“ können, ohne ihm das Gefühl der Unterbrechung zu geben. Das wurde in intensiven Versuchs-reihen als durchschnittliche maximale Redezeit herausgefunden. Der Patient erzählt in dieser Zeit meist die Ursachen seiner Beschwerden, seine Therapievorstellungen, die Folgen, die er für sich erwartet und seine Wünsche an die Therapie.

Deshalb wirkt Zuhören meistens zeitsparend und informativ; es beruhigt den Patienten, wenn der Arzt mit einer offenen Einstellung zuhört. Dadurch wirkt die Situation Vertrauen erweckend und stellt eine Grundlage der empathischen Reaktion dar. Zuhören ist Energie sparend für Arzt und Patient. Der Arzt kann die Zeit als Beobachtungspause nützen und sich Gedanken über Inhalt und Art der Schilderung machen. Dabei entsteht für den Geübten ein wesentlicher Teil der Diagnose und der folgenden Therapie.

Wenn wir wegen der Alltagshektik den Patienten häufig in seiner Schilderung unterbrechen, um schneller zu unserem Ziele der möglichst vollständigen Information zu kommen, damit wir rasch das Rezept schreiben und den nächsten Patienten versorgen können, entsteht sehr viel Unruhe und Unsicherheit im Patienten. Die Spirale der Frage-Antwort-Hektik beginnt zu eskalieren. Wir neigen dazu, Doppel- oder Dreifachfragen zu stellen, was den Patienten noch mehr verwirrt. Und es ist leider auch oft der Fall, dass wir die Antwort nicht abwarten und dem Patienten keine Zeit zum Nachdenken geben. Das veranlasst die Patienten im Allgemeinen, unkonzentrierter und ratloser zu werden und mehr zu vergessen von dem, was sie eigentlich sagen wollten.

Deshalb stellen Sie bitte nur 1 Frage und warten dann auf die Antwort.

Untersuchungen zufolge wissen die Patienten im Durchschnitt noch etwa 10% von dem Inhalt des Gesprächs beim Arzt, wenn sie zu Hause angekommen sind. Wir müssen also darauf achten, dass es wenigstens die wichtigsten 10% sind, und vielleicht schaffen wir es ja auch, den Prozentsatz zu erhöhen.

Das erinnert mich an einen Cartoon, in dem der große Boss am überdimensionalen Schreibtisch sitzt und in das Telefon redet und redet und redet, ohne dabei zu bemerken, dass eine Maus das Telefonkabel durchgenagt hat. Darunter stand: Wer viel redet, erfährt wenig.

Luban-Plozza hat das als Zahnarzt-Phänomen der Gesprächsführung beschrieben:

Beim Bohren kann der Patient nicht sprechen.

Wenn wir ständig bohrende Fragen stellen, erfahren wir nichts, wenig oder das Falsche.

Das ist genauso, als ob wir keine Fragen stellten und uns beeilten, den Patienten schnell wieder loszuwerden. Dazu ein Beispiel.

Die Harvard Medical School hat einmal eine Versuchsreihe mit erfahrenen Ärzten gemacht. Dabei sollten vorher ausgesuchte Patienten in der Sprechstunde über drei verschiedene Krankheiten berichten: die leichteste (zum Beispiel eine grippale Infektion) zuerst, dann eine etwas schwerere wie zum Beispiel Gallensteine mit gelegentlichen Koliken und erst zum Schluss Symptome einer lebensbedrohenden wie zum Beispiel Krebs. Ahnen Sie das Ergebnis?

Nur 30% der Patienten bekamen die Möglichkeit, über die zweite Krankheit zu sprechen, nur 10% kamen dazu, über ihre lebensbedrohliche Krankheit zu berichten, weil sie schon viel früher wieder „draußen“ waren. Halten Sie kurz inne, und überlegen Sie bitte, wie Sie die Zahlen in Ihrer eigenen Praxis, auf Ihrer Station einschätzen.

Es ist also wichtig, dem Patienten die Gelegenheit zu geben, zuerst Vertrauen zu fassen, um dann das eigentliche Anliegen zu besprechen. Sie haben doch bestimmt schon oft erlebt, dass Ihre Patienten erst mit einer „Testkrankheit“ oder einer „Testfrage“ beginnen. Wenn Sie das gut gelöst haben, kam der Satz:

„Ja eigentlich wollte ich da etwas Schwieriges mit Ihnen besprechen, das ich schon lange mit mir herumtrage!“

Wenn Sie das noch nicht erlebt haben, waren Sie zu schnell mit der Abfertigung.

Ich habe mir zur Regel gemacht, am Ende eines Gespräches immer die Frage zu stellen:

„Kann ich noch etwas für Sie tun?“

Es liegt an mir, wie ich auf das reagiere, was dann noch kommt. Ich versuchen den Eindruck zu vermitteln, dass ich bereit bin, den Patienten das Gesprächsende mitbestimmen zu lassen und dass ich offen bin für eine weitere Frage oder Bemerkung.

Bei diesen Gesprächen zeigt sich auch, dass die wirkliche Aufgabe eines Therapeuten darin besteht, die Patienten so zu führen, dass sie die bereits in ihnen liegenden Erkenntnisse in Bezug auf die Ursache der Krankheit oder Lebenssituation und den therapeutischen Weg bewusst wahrnehmen und überzeugt gehen können. Der Arzt kann nur ein Wegweiser sein, der Wege aufzeigt und den Wanderer entscheiden lässt, welchen Weg er gehen will.

Die meisten Patienten wissen ganz genau, was ihnen fehlt, warum sie krank sind und was sie tun müssen, um wieder gesund zu werden. Wenn wir geschickt fragen und dann zuhören, erfahren wir meist genau das, was wir dem Patienten auch sagen würden. Oder wir erfahren etwas, das wir dringend wissen müssen und nicht in unsere Therapie eingebaut hätten, wenn wir nicht zugehört hätten. Es liegt an uns, ihnen das bewusst zu machen und sie zu bestärken, das gesunde Element in sich zu stützen und zu entwickeln.

Die Aufgabe des Arztes liegt in der richtigen und umfassenden Information, damit der Pa-tient seinen Entschluss selbstverantwortlich fassen kann. Deshalb kann der Arzt auch nur Vorschläge zur Therapie und dem Verhalten des Patienten machen und eine eigene Mei-nung äußern, die aber als solche für den Patienten klar erkennbar sein muss. Nur so kann einigermaßen gewährleistet werden, dass der Patient den selbst gefassten Entschluss auch ausführt und dazu steht.

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Benützen Sie die psychosomatische Sprache

Es ist sehr hilfreich, die Stimmung, Körpersprache, Modulation der Sprache und die Wortbilder des Patienten wahrzunehmen. Dann können wir uns mit unserer Körpersprache und seinen sprachlichen Bildern auf den Kommunikationspartner einstellen und gleiche
Ebenen der Verständigung schaffen und signalisieren, dass wir „auf seiner Wellenlänge“ sind und mit einem Wortschatz sprechen, den auch er benützt oder zumindest leicht versteht:

Patient: „Ich bekomme keine Luft. Mich drückt etwas auf die Brust.“

Arzt / Schwester: „Wer oder was drückt denn auf Ihre Brust?“

Wenn Sie dabei noch eine drückende, die Brust bedrohende Geste macht, wird die Assoziationskraft des Patienten gesteigert, und er kommt oft noch schneller auf die auslösende Ursache, die dann in einem psychosomatisch orientierten Gespräch erörtert werden kann. Dabei ist selbstverständlich, dass eine körperliche Untersuchung dazu gehört, um eine organische Ursache von einem rein psychisch ausgelösten Globusgefühl zu unterscheiden.

Wir hören oft Formulierungen wie

„Ich habe Kopfschmerzen!“

„Mir ist übel!“

„Ich habe Verdauungsbeschwerden!“

„Ich habe Schmerzen im Nacken!“

Die Lektüre des bekannten Buches „Krankheit als Weg“ von Thorwald Dethlefsen und Dr. med. Rüdiger Dahlke hat mir eine ganz neue Welt eröffnet, meinen Patienten und mir selbst zuzuhören. Dabei habe ich erkannt, dass unser Unterbewusstsein uns immer die richtigen Bilder „auf die Zunge legt“ nach dem alten Gesetz „wie innen so außen“.

Wenn Sie wirklich interessiert sind, auf Ihre Patienten ganzheitlich einzugehen, werden Sie in diesem Buch eine Fülle von verblüffenden Hinweisen und Vorschlägen erhalten, auf die psychosomatische Sprache besser einzugehen und sie in die Diagnostik und Therapie konstruktiv einzubauen. Dann können Sie zum Beispiel bei den oben genannten Sätzen antworten:

„Worüber zerbrechen Sie sich den Kopf?“

„Was liegt Ihnen denn so schwer im Magen? Warum ist Ihnen zum Kotzen?“ (Ich scheue mich nicht, dieses letzte Wort zu benützen, weil es den Sachverhalt drastisch und damit sehr anschaulich macht. Die Patienten verstehen das sehr gut.)

„Welche Eindrücke können Sie nicht verdauen?“

„Wer oder was sitzt Ihnen im Nacken? Was haben Sie sich auf die Schultern geladen?“

Damit erreichen Sie eine rasche Annäherung an die Wirklichkeitsebene des Patienten und geben ihm sehr schnell das Gefühl, ihn zu verstehen, und damit sind einem ganzheitlichen Gespräch Tür und Tor geöffnet.

Seit ich dieses Buch gelesen und in der Praxis täglich angewendet habe, wurde meine Beziehung zu den Patienten und zu mir grundsätzlich verändert. Es ist sicherlich eines der wichtigsten Bücher in meinem Leben. Sie sollten auch den zweiten Band von Dr. med. Rüdiger Dahlke „Krankheit als Sprache der Seele“ lesen.

Fairerweise möchte ich Sie warnen: Diese Bücher sind kompromisslos, geradlinig und für einen eingefleischten Schulmediziner schwierig anzunehmen, weil sie einiges an Althergebrachtem nicht nur in Frage stellen, sondern klar widerlegen. Sie müssen damit rechnen, dass sich Ihr Weltbild und die Sicht Ihrer bisherigen Tätigkeit grundlegend verändern. Wenn Sie das Wissen konsequent anwenden, garantiere ich Ihnen eine Veränderung Ihres Sprachbewusstseins und Ihres Umgangs mit Kranken. Noch einen Hinweis: Erkenntnisse kann man nicht rückgängig machen!

Zurück zur psychosomatischen Sprache: Wir müssen also immer an diesen Satz denken und ihn umsetzen: Begegnen Sie den Patienten auf der gleichen Ebene! Wenn Sie sich mit einem Menschen in einem Haus verabreden, werden Sie ihn logischerweise auf der Etage suchen, auf der er sich befindet. Ebenso müssen wir uns auf die emotionale und rationale Ebene des Gesprächspartners einstellen, um mit ihm optimal kommunizieren zu können.

Wenn Ihr Patient emotionales Verhalten zeigt wie Angst, Trauer, Zweifel, Wut, Freude, Ratlosigkeit, sollten Sie Interesse, Verständnis, Betroffenheit oder/und Empathie zeigen:

Patient: „Ich habe solche Angst vor dem Flug nach Kenia!“

Arzt:

Was macht Ihnen solche Angst?

Können Sie mir das genauer erklären?“

Hatten Sie schon einmal ein schlimmes Flugerlebnis?“

Haben Sie bei der Angst auch körperliche Symptome?“

„Ich habe den Eindruck, dass Sie sich deshalb gar nicht auf den Urlaub freuen können.“

In diesem Beispiel verschlechtern rationale Argumente die Kommunikation, wie Sie an den folgenden Sätzen leicht erkennen:

Die Angst ist unnötig, weil bewiesen ist, dass das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel ist.“

Das ist nicht schlimm, es geht ja wieder vorbei.“

Ja, das haben viele Patienten.“

Auch wenn Sie Ihre eigene Meinung dominieren lassen, fühlt sich der Patient unverstanden oder unterlegen:

Mein letzter Flug war herrlich. Ihrer wird sicher auch schön.“

Durch solche, wenn auch gut gemeinte Antworten, wird der Patient verprellt und verun-sichert. Verallgemeinerungen, Übertragungen von eigenen Meinungen und Erfahrungen anderer Menschen helfen dem Patienten meistens nicht, sich als Individuum angenommen zu fühlen. Sie bringen den Patienten entweder dazu, unbefriedigt die Praxis zu verlassen oder durch weitere Betonung seiner Angst dem Wunsch nach Verständnis Nachdruck zu verleihen. Das erschwert und verlängert das Gespräch.

Wenn sich Ihr Gesprächspartner auf der rationalen Ebene befindet, also z.B. informative Fragen stellt, sachlich schildert oder vernunftbetont argumentiert, sollten Sie Interesse und Sachkenntnis zeigen, klare und direkte Antworten geben oder gezielte Zusatzfragen stellen:

Patient: „Wie wird diese Magenspiegelung  durchgeführt?“

Arzt:

Das erkläre ich Ihnen gerne. ….“

„Haben Sie noch andere Fragen?“

Wir müssen bedenken, dass hinter solchen Sachfragen manchmal Angst steckt. Danach sollten wir fragen, um wirklich empathisch reagieren zu können. Wenn wir nicht fragen, wird ein wesentlicher Aspekt des Patienten außer Acht gelassen:

„Haben Sie Bedenken wegen der Operation?“

„Ich habe den Eindruck, Sie sind besorgt wegen der Operation. Stimmt das?“

Damit begeben wir uns dann gemeinsam auf die Gefühlsebene und können dort die Kom-munikation weiterführen.

Der Satz „Sie brauchen keine Angst zu haben!“ reicht im Allgemeinen nicht aus und wirkt oft bevormundend und bagatellisierend, auch wenn er gut gemeint ist. Außerdem hat der Patient dann möglicherweise den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden. Abgesehen davon ist Angst als Folge fehlender oder ungenügender Information ein häufiger Grund für mangelhafte Mitarbeit.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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Wie erreichen wir optimale Aufmerksamkeit beim Patienten? – Empathie

 

Die Persönlichkeit des Arztes und der Schwester strahlt nach außen und bewirkt schon allein dadurch Aufmerksamkeit oder nicht. Wenn wir im Gespräch rasch die richtige Kommunikationsebene treffen, ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Aufmerksamkeit erfüllt. Dazu ist unsere Wachheit für die Situation des Patienten unerlässlich. Dann können wir ihm signalisieren, dass wir seine Lage erkannt haben.

Wenn wir private und fachliche Interessen des Patienten besprechen, soweit das für die Stabilisierung der Beziehung und für die Festlegung der Therapie nötig ist, erlangen wir auch seine Aufmerksamkeit. Fragen Sie nach seinen Arbeitsbedingungen, Aufgaben und Schwierigkeiten. Nebenbei lernen Sie auch noch viel über andere Berufe.

Wir sollten besondere Informationen über das verordnete Medikament geben und auf die persönlichen Belange des Patienten eingehen. Wenn Sie zum Beispiel einem trockenen Alkoholiker alkoholhaltige Tropfen verordnen, produzieren Sie eine Katastrophe.

Auch mit einer originellen Demonstration oder Veranschaulichung der Erkrankung oder Medikamentenwirkung können wir die Aufmerksamkeit erwecken.

Dazu ein kleines Beispiel: Als die Gyrasehemmer [1] neu auf den Markt kamen, fragte mich ein Pharmareferent, der mir gegenüber saß und die drei Finger seiner rechten Hand zusammengekniffen hatte: „Soll ich Ihnen zeigen, wie Gyrasehemmer funktionieren?“ Damit hatte er schon meine Aufmerksamkeit, denn er hielt die Finger so demonstrativ in die Luft, dass ich gespannt war, was da jetzt auf mich zukommen würde. In diesem Moment machte er die Finger auf, und ein kleines Gummiringchen fiel heraus. Er sagte: „Stellen Sie sich einfach vor, dass das Gummiringchen die DNS in der Zelle ist. Jetzt kommt der Gyrasehemmer und sprengt das Gefüge. Damit ist die Zelle zerstört.“

Aus der Tatsache, dass ich mich an diese kleine Szene nach über 20 Jahren Jahren immer noch erinnere, erkennen Sie, wie nachhaltig die Demonstration auf mich wirkte.

Um die Kommunikation optimal zu gestalten, müssen wir die Wirklichkeit des Gesprächs-partners möglichst gut erfassen. Deshalb gilt:

Empathie ist die Grundlage einer guten Kommunikation.

Empathie bedeutet das vollständige Einfühlen in den Bezugsrahmen eines anderen Men-schen mit der Wahrnehmung der gefühlsmäßigen Komponenten und Bedeutungen als ob man der Andere wäre, ohne allerdings den Als-ob-Zustand zu verlassen.

Carl Rogers

Wenn es ein Geheimnis des Erfolgs gibt, dann ist es das: Den Standpunkt des Anderen zu verstehen und die Dinge mit seinen Augen zu sehen.

Henry Ford

Die Aufgabe der Empathie besteht also darin, dass wir uns so gut wie möglich in die Ge-danken, Empfindungen und sozialen Bedingungen des Gesprächspartners hineinversetzen – als ob wir in seiner Lage wären. Damit können wir seine Ebene der Wirklichkeit erreichen und erkennen, was auf ihn wirkt. Nur so kann ein echtes Verstehen zustande kommen. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass wir nicht in seiner Situation sind. Dieses Einfühlen und Verstehen müssen wir dem Gesprächspartner vermitteln, damit er weiß, dass seine Botschaft angekommen ist. Sonst wird er es weiter versuchen, zum Beispiel mit Eindringlichkeit, mehr Beschwerden, hysterischen, hypochondrischen, ungeduldigen, ärger-lichen, ängstlichen oder depressiven Mechanismen.

Die Distanz der beiden Persönlichkeiten muss gewahrt werden. Das ist nötig, um uns vor fremden Gefühlen, Gedanken und Identifikationen mit anderen Menschen zu schützen. Sonst wird ein kritischer Rat unmöglich, und die Last der übernommenen Probleme würde uns rasch erdrücken.

Im Gegensatz zur Empathie steht die Sympathie. Sie bedeutet wertende Zustimmung zu den Gefühlen, Ideen und Werten des Anderen.

Der empathisch reagierende Mensch wird bei einem weinenden Patienten versuchen, dessen emotionale, rationale und soziale Gründe zu erfassen und ihm taktvoll distanziert zeigen, dass er die Hintergründe verstanden hat oder verstehen möchte. Der sympathisch reagierende Mensch wird sich in die Lage des Patienten versetzen, sich damit identifizieren und zum Beispiel mitweinen.

Dabei ist wichtig zu bemerken, dass beide Reaktionen menschlich richtig und authentisch sind. Wir müssen uns nur darüber bewusst sein, welche Vor- und Nachteile die jeweiligen Reaktionen haben.

Bewusst zwischen Empathie und Sympathie zu unterscheiden und beide je nach Anforderung und Einschätzung gezielt einzusetzen, erlebe ich als eine der ganz großen Künste menschlichen Zusammenlebens. Empathie tatsächlich zu empfinden und zu vermitteln ist mit Sicherheit eine der besonderen Herausforderungen ärztlichen Fühlens, Denkens und Handelns. Diese Kunst zu lernen und ständig zu verbessern, lohnt sich, weil dadurch die Beziehung zwischen Arzt und Patient erheblich intensiviert wird und der Patient sich viel besser in seiner psychosozialen Rolle verstanden fühlt. Außerdem kann der Arzt ganzheitlich behandeln, wenn er die ganze Situation des Patienten erfasst hat.

Wir können Empathie leichter entwickeln und pflegen, wenn wir gelassen, gesellig, selbstkritisch, reflexionsfreudig und seelisch stabil sind.

Beispiele für Empathie

Um uns in die Lage des Patienten hinein zu versetzen und ihm zu zeigen, dass wir seine Wirklichkeitsebene erreichen möchten, bieten sich z. B. folgende Möglichkeiten an:

„Wenn ich Ihnen zuhöre, habe ich den Eindruck, dass Sie ärgerlich (traurig, erfreut, überrascht, enttäuscht…) sind. Stimmt das?“

„Habe ich richtig verstanden, dass … ?“

Wenn Sie streng nach Rogers vorgehen, sind Fragen nicht vorgesehen, sondern der Thera-peut vermittelt nur seine eigenen Eindrücke im Sinne einer Rückmeldung. Er spürt in sich hinein, welches Gefühl bei ihm „ankommt“ und formuliert es etwas weniger ausgeprägt:

„Sie sind jetzt ärgerlich.“

Wir vermitteln also dem Patienten, was wir verstanden haben und geben ihm die Mög-lichkeit, unseren Eindruck zu korrigieren oder zu bestätigen. Das zeigt dem Patienten auch unsere Bereitschaft, unsere Eindrücke zu hinterfragen und eine echte Begegnung auf der gleichen Wirklichkeitsebene zu ermöglichen:

Bitte erklären Sie mir das genauer!“

Was haben Sie dabei empfunden?“

Diese beiden Formulierungen ermöglichen es uns, mehr Informationen über die Gedanken und Gefühle des Patienten zu erhalten, also näher an seine Wirklichkeitsebene heran zu kommen:

„Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie in dieser Situation ärgerlich (enttäuscht, niedergeschlagen…) reagiert haben.“

Hier bieten wir dem Patienten eine Möglichkeit aus unserer eigenen Reaktions- und Denkweise an und versuchen, sie mit der des Patienten in Übereinstimmung zu bringen. Dabei ist aber wichtig, dass der empathische Arzt seine persönliche Meinung nicht in den Vordergrund stellt, sondern die vermutete Reaktion und Empfindung des Patienten.

Alle diese Reaktionsweisen sind nur möglich, wenn wir uns aktiv und emotional bewusst an dem Gespräch beteiligen, also vollständig „auf Empfang“ schalten und uns auf die Wellenlänge des Patienten einzustellen versuchen. Es ist schwierig und eine echte Herausforderung an die Konzentrationsfähigkeit und die Bereitschaft des Arztes, in diesem Moment ganz bewusst zu sein. Diese Fähigkeiten werden an der Universität nicht gelehrt und während der Ausbildung im Allgemeinen nicht vermittelt. Welche Auswirkungen das hat, sehen wir jeden Tag bei der Arbeit und im Privatleben.

Bei einer Fortbildungsveranstaltung zu dem Thema Kommunikation in der Arztpraxis habe ich einmal erlebt, wie niedergelassene Ärzte sich über mehrere Stunden an praktischen Beispielen aus dem Praxisalltag abgeplagt haben, auch nur die Gefühlsebene von der Vernunft-ebene in den Aussagen der Patienten zu unterscheiden. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es auch für mich ist, immer voll konzentriert auf den Patienten einzugehen.

 

[1] Gyrasehemmer sind eine Gruppe von Antibiotika, die dadurch wirken dass sie ein wichtiges Enzym, die Gyrase, in der Zelle hemmen.

 

Diesen Artikel habe ich in dem Buch Ich verstehe Sie! Kommunikation in Praxis, Klinik und Pflege veröffentlicht.

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