Einmal nur

Einmal nur durch Frühlingslüfte fliegen,
einmal nur ganz kampflos siegen,
grundlos alle Nächsten lieben,
gold´ne Worte mit den Sinnen sieben,
Sätze mit dem Herzen führen,
Frieden ohne Hader spüren.

Einmal nur Erfolg genießen,
ohne Zwist und Neid zu schaffen,
nicht am Leid verdrießen,
sondern reine Freude raffen,
Streiter intensiv mit Blicken einen,
Wahrheit soll nur heuchelfrei erscheinen.

Einmal nur das Gute fassen,
Schlechtes auf der Seite lassen.
Einmal nur die Pole trennen,
Licht genießen, keine Schatten kennen.
Einmal nur Unmögliches erschaffen, –
mein Sehnen wird dann rasch erschlaffen.

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Letzte Tage

 

Letzte Tage

Bauch vom Krebs zerfressen,
operiert, bestrahlt
und chemotherapiert.
Fahlgraue Pergamenthaut
über Knochen,
hohle Wangen,
wilder Bartwuchs,
wirres Haar,
leerer Blick
durch die Decke,
Schmerzen.

Beißend der Uringeruch.
Nein, nicht waschen!
Nein, nicht essen, nicht trinken!
Nein, nicht ins Hospiz!
Zu Hause bleiben!
Nur noch sterben!
Lass mich los!

Verzweifelter Bruder,
weil Berühren verboten ist.

Die Stimme schweigt,
der Blick wird trüb,
die Atmung schnappt
und stoppt.

Endlich erfüllter Wunsch.

 

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Elfchen, Elfer und Doppelelfer aus der Silberschmiede

 

Die Silbenschmiede ist eine Werkstatt für Gedichte, die auf Spielen mit Silben beruhen. Sie soll die geistige Kreativität und den Humor fördern.
Die Idee dazu hatte mein Kollege Dr. med. Günther Neumeyer aus Hollenstedt. Er hat mir die Sammlung der Werke geschickt, die in einer Werkstatt entstanden ist, die er mit Freunden und Bekannten unterhält. Er hat mir auch erlaubt, alle Gedichte hier zu veröffentlichen. Dafür danke ich ihm sehr herzlich.
Die Sammlung wird kontinuierlich erweitert.

 

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Gedichten, die mit elf Wörtern oder elf Silben konstruiert werden.

a) Elfchen ist die Bezeichnung für eine  Gedichtform mit elf Wörtern,
deren Schema so aussieht:

1 Wort
2 Wörter
3 Wörter
4 Wörter
1 Wort

Beispiele

Achtsamkeit
ist ruhevolles,
wertfreies, geduldiges Betrachten
des momentanen Geschehens in
mir. (DW)

Frau
wird hoffend
durch Schmerzen, Glück,
Liebe, Natur, Fügung Mutter!
Lebensaufgabe. (DW)

Schneeglöckchen,
Primeln, Magnolien,
Schneewasser auf Straßen,
Offene Fenster voll Sonne.
Frühling. (DW)

Nebel.
Braue Blätter
schaukeln langsam abwärts.
Störche ziehen nach Süden.
Herbst. (DW)

Kinder
erklären sich
ihre Welt richtig,
wenn wir es zulassen.
Vertrauen! (DW)

Leben
mit allen
Leiden, Freuden, Hoffnungen
schenkt, nimmt, führt zielwärts.
Endlich! (DW)

Nebel
verbirgt Frühling.
Krokusse wachsen trotzdem,
Tulpen bereiten sich vor.
Blütenfest! (DW)

Schnee
bedeckt Knospen
und kühlt Blüten.
Der Frühling kommt trotzdem!
Naturkraft. (DW)

Schreiben
mit Bewusstsein,
Selbstkritik, Achtsamkeit, Geduld
vermittelt Erkenntnis, Wachstum, Reife.
Selbst-Therapie! (DW)

Schwimmbad,
saftige Wiesen,
Grillen am Abend,
auf warmen Waldwege wandern.
Sommer. (DW)

Wilderer
Nashörner Elefanten
Mordlust Geldgier Ausbeutung
Mutwillige Zerstörung der Natur
Verbrechen. (DW)

Eiszapfen,
Schneemänner, Rutschbahn,
Schlittschuhe gleiten lautlos.
Tee in warmer Stube.
Winter. (DW)

b) Mein Kollege Dr. Günter Neumeyer gab mir die Idee, Elfchen mit Silben zu schreiben.

Hier sind  Beispiele:

Schema: 2 x 11 Silben pro Zeile

Zwei Adler stießen vom Himmel hernieder
Kampflust zerfetzte ihr ganzes Gefieder. (G.N.)

Das Arzneimittelausgabenbegrenzungs-
gesetz hat keine Verbesserungen erbracht. (G.N.)

Den Zocker-Bossen gingen gold’ne Kröten
bei der tiefen Baisse fast  restlos flöten. (G.N.)

Als Dichter erscheinst du  illuster-famos,
als Mensch hast du meistens eine Schraube los! (G.N.)

Es ist besser, ein kleines Licht anzünden
als über Dunkelheit dauernd zu schimpfen. (G.N.)

Gibt es Elfen, die Elfchen schreiben können?
Nein, es gibt auch keine Elche, die schreiben! (D.W.)

Wenn es welche gäbe, wüssten wir das doch!
Es gibt ja auch keine Elchschule bei uns!

 

Wer andere erkennt, gilt als Gelehrter.
Wer sich selbst erkennt, gilt als Weiser.

(nach einer chinesischen Weisheit) (G.N.)

Aber mal im Ernst: Lernen ist sehr wichtig!
Leider wissen das nicht alle Grundschüler.

Mit lauter WENNS und ABERS geht es nicht vorwärts
mit der raschen Lösung der Eurokrise. (G.N.)

Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun könnte,
um die Firma vor der Pleite zu schützen. (H.G.)

Es sind ja nicht die dümmsten Frauen, die sich
mit Treue an untreuen Männern lange rächen. (G.N.)

Die Frau gehört ins Haus. Deshalb erwartet
ihr Mann sie von ihrer Arbeit gern zurück. (G.N.)

Warum muss eine Frau nicht schön sein? Erkläre!
Weil sie dann nämlich fast wie ein Mann wäre. (D.E.)

Jede Frau möchte dem Mann  gern treu bleiben.
Doch welchem Mann kann sie wirklich treu bleiben? (G.N.)

Zehn Jahre jünger sein, das wünscht manche Frau
nach dem Überschreiten des Lebens-Zeniths. (G.N.)

Viele Frauen sind glücklich verheiratet,
weniger, die glücklich verheiratet sind. (nach Curt Götz)(G.N.)

Ein Gast aus Gastein störte die Gastlichkeit
der Gäste im Gasthaus mit Reizgas-Spray. (G.N.)

Die Belastungsgrenzen der Materie
gelten auch für das menschliche Gehirn. (G.N.)

Bei der Erdkugel–Umlauf-Geschwindigkeit
ist ein Total-Stillstand nicht vorgeseh’n. (G.N.)

Glauben und Wissen stoßen jetzt gemeinsam
an die Grenzen der Quanten–Nanophysik. (H.H.)

Gorillas sind seit Millionen Jahren
dem eigenen Vererbungsweg gefolgt. (G.N.)

Wenn bei dir die Liebe nicht mehr ganz ausreicht,
wünsche ich dir doch etwas Großherzigkeit. (G.N.)

Der habgierige Guthaben-Inhaber
hoffte, er hätte noch eine Handhabe. (H.G.)

 

Höhere Steuern für Junggesellen!
Sie sind glücklicher als Ehemänner. (G.N).

Die gnadenlose Verbrennung von Ketzern
war Ausdruck christlicher Kirchen-Frömmigkeit. (H.H.)

Mein kleiner grüner Kaktus, der steht auf dem
Balkon, fallera und falleri. juchè. (H.G.)

Zwei Adler stießen vom Himmel nieder,
Kampflust zerfetzte ihr ganzes Gefieder. (G.N.)

Es gibt Leute, die aus mir nicht klug werden.
Zu diesen Leuten gehöre ich auch. (nach Curt Götz) (G.N.)

Der Liebesakt beginnt mit Knutschen
und endet oft mit intensivem Lutschen. (H.H.)

Ist das Konto auf der Bank noch recht schmal
muss man alles tun für neues Kapital! (G.N.)

Die große Liebe endete mit Scheidung
und dem Prozess über Besitzaufteilung. (G.N.)

Wahre Liebe wird so lange besteh’n,
wie Ebbes und Ebbes miteinander geh’n. (H.G.)

Wolltest du uns gern etwas Liebes schenken,
vergiss bitte nicht, auch an’s Geld zu denken. (G.N.)

Die Lüge gleicht wohl einem großen Schneeball.
Je länger gewälzt, um so größer wird er. (Luther) (H.H.)

In die Angel der Wahrheit beißen  Karpfen.
Mit den Netzen der Lüge fischt man Lachse. (G.N.)

In einem Märchen aus Mähren mähte
ein Bauer mit der  Mähre mehrfach Gras. (G.N.)

Mit meiner Meinung meine ich nur die
gemeinsame Meinung der Gemeinde. (G.N.)

Nebukadnezar wird in USA
ohne Erkältung Nebbjukätt-Nieser. (G.N.)

Es jedem recht zu machen, ist nicht einfach,
denn jeder reagiert doch meistens anders. (H.G.)

Viele spirituelle Erkenntnisse
sind häufig als Religionen verödet. (H.G.)

Ungläubige töten, Religionspflicht?
Atheisten kennen solche Pflichten nicht.
(nach Richard Dawkins) (H.H.)

Wenn Silben-Reimer nach metaphorischen
Formen suchen, graben sie im Gedächtnis. (G.N.)

Sind die elf Silben in einer Zeile voll,
finden wir auch noch elf weitere Silben. (D.W.)

Wenn ich Silben finden soll, muss ich genau
überlegen, wo sie sind in meinem Kopf. (D.W.)

Eine Zeile mit elf Silben zu füllen,
ist sehr einfach, wenn man auf elf zählen kann (D.W.)

Sind die elf Silben in einer Zeile voll,
finden wir auch noch elf weitere Silben. (D.W.)

Das Steuerbegünstigungsabbaugesetz
verleitet zu mehr Steuerabwanderung. (G.N.)

Anschauungen von einer Ungläubigkeit
sind falsch. Es sind doch nur Andersgläubige. (H.G.)

Nichts vor dem Urknall  ist unvorstellbar,
ebenso die Ewigkeit nach Weltende. (G.N.)

Worte gesprochen dauern nicht lange fort.
Worte geschrieben sind länger geblieben. (G.N.)

Zufällig war auf der „Wilhelm Gustloff“ kein
Platz mehr für uns frei. Wir blieben am Leben. (G.N.)

c) Doppel-Elfer (2 x 22-er)

Die Zeit verwandelt die Hülle der Wesen
Doch tief in den  Herzen können sie lesen.
Sie spüren wie einst, sie lieben wie immer,
es glimmt noch sehr schön Erinnerungs-Schimmer. (G.N.)

Die Kunst, eine undankbare Person.
Erst läuft man sich nach ihr Absätze schief.
Dann lässt sie einen ganz herzlos laufen.
Natürlich mit ganz schiefen Absätzen. (nach C. Götz) (G.N.)

Bei der Unternehmens-Einweihung gab es
damals  eine schreckliche Prophezeihung.
Davon wurde im Lauf der Zeit wenig geseh’n.
Ganz was anderes ist bis heute  gescheh’n. (G.N.)

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Menschen verachtendes Spiel

„He, Manny, was machen wir mit dem angebrochenen Abend?“, grölt Harry, trinkt den letzten Schluck aus seiner Flasche und knallt sie auf die Theke. Plötzlich verstummt die lärmende Männerrunde, die von reichlich Alkohol aufgeheizt ist.
„Ich hätt´ nicht übel Lust, mal wieder richtig drauf zu hauen!“, prahlt er. „Assis abklatschen, die unser Land versauen! Das Pack sollen bleiben, wo es herkommt und dort verrecken!“
Er stampft seine Springerstiefel auf den Steinboden der Kneipe und streicht sich über den blanken Schädel. Dann steht er auf, zieht seine Jacke mit einem Ratsch zu und baut sich breitbeinig in der Mitte des Raums auf: „Also, wer geht mit?“
Manny klettert von dem Barhocker und stellt sich demonstrativ neben Harry. Als sich niemand zu Wort meldet, feixt er: „Na, wollt ihr das Spiel uns allein überlassen? Keine Lust, einem Nigger oder Kanaken die Fresse zu polieren! Wir müssen unser Vaterland sauber halten!“
„Okay, ich bin dabei!“ – Freddy erhebt sich aus dem zerschlissenen Sofa und schwankt leicht.
„Ich auch!“, ruft Teddy aus der Ecke.
Rasch sind die Schlagringe aufgesetzt, die Baseballschläger verteilt und die Messer griffbereit verstaut. Die Kneipentür fliegt auf, und die Vierergruppe marschiert mit der Entschlossenheit einer abgefeuerten Maschinengewehrsalve in die vollmondhelle Nacht.
Ein paar Querstraßen weiter sehen sie Owambo an der Bushaltestelle stehen, der vor ein paar Wochen ins Asylantenheim eingezogen war. Der Stadtanzeiger hatte sein Bild veröffentlicht und seine Geschichte erzählt: Mit zweiundzwanzig war Ovambo aus Nigeria geflohen, weil die Islamisten ihn, den Pfarrersohn, verfolgt hatten. Mehrfach konnte er ihren Todesdrohungen und Angriffen in letzter Minute entfliehen, aber seine Eltern und Geschwister hatten sie gefoltert und dann erschossen. Auf der Überfahrt war er im Sturm beim Kentern des überfüllten Boots fast ertrunken. Jetzt war er glücklich, endlich in Sicherheit in einem zivilisierten Land zu sein.
In seinen Träumen sah er immer wieder, wie die Schlächter, die sein Dorf überfallen hatten,  einer Schwangeren bei lebendigem Leib das Kind aus dem Bauch geschnitten und dann Mutter und Kind geköpft hatten. Er wachte oft schreiend auf, weil ihn im Alptraum bewaffnete Banden über die Steppe jagten und den Gefangenen mit Macheten Glieder abhackten.

Der Schlägertrupp hat jetzt sein Opfer schneller umzingelt, als Owambo fliehen kann. Sofort pöbeln sie ihn an.
„He, was willst du bei uns? Nigger brauchen wir nicht, die fressen zu viel und stinken!“ –
Owambo erschrickt und geht voll Panik einen Schritt rückwärts.
„Du wirst ja nicht mal blass, nicht ein mal das kannst du, Nigger!“, höhnt Harry.
„Da kriegst du eins auf die Schnauze, damit du das kapierst!“, schrei Teddy. Der Schlagring trifft Owambo mit voller Wucht mitten ins Gesicht. Das Nasenbein kracht. Er torkelt, kann sich aber gerade noch auf den Beinen halten. Blut tropft aus seiner Nase. Er sieht eine Lücke zwischen Harry und Manny. Geschmeidig setzt er zum Sprung an und rennt los. Die wütenden Männer hetzen ihm nach. Die Springerstiefel knattern wie Pistolenschüsse über das Kopfsteinpflaster und hallen an den Hauswänden wider.
Owambos Vorsprung wird größer. Er biegt in einen Weg der Schrebergartensiedlung. Erst neulich hatte er bei einem Spaziergang das freie Leben zwischen den Sommerblumen, dem duftenden Gras und den großen Bäumen genossen.
Jetzt spürt er die tödliche Hatz der geifernden Meute hinter sich.
Er flüchtet um eine Hecke, versteckt sich mit einem Sprung hinter der Krone eines umgefallenen Baums und bemüht sich, so leise wie möglich zu atmen. Die Viererbande rennt fluchend an seinem Versteck vorbei.
„Der verdirbt uns glatt den Spaß!“ Manny bleibt stehen und schreit in die Nacht: „Nigger, wo hast du dich versteckt? Wir wollen nur mit dir spielen! Komm raus, du Feigling! Wir machen dich alle!“
Owambo kann die Bande auf der anderen Straßenseite sehen. Er bleibt ruhig und fühlt den Schweiß über den Rücken rinnen. Sein Herz klopft so laut, dass er Panik hat, die Männer könnten es hören. Er hält dämpfend seine Hände über den Brustkorb.
Die Sekunden dehnen sich zu Stunden. In der Ferne bellt ein Hund. Der Wind raschelt durch das Laub neben Owambos Ohr. Die Männer unterhalten sich leise, sodass Owambo nichts versteht.
Harry lässt den Lichtkegel seiner Taschenlampe suchend über den Weg, die Gärten und die Hecke gleiten. Owambo schließt die Augen bis auf einen schmalen Spalt. Er weiß, dass sie im Licht einer Lampe wie bei einer Katze funkeln. Er sieht den Lichtstrahl über das Laub vor seinem Gesicht gleiten – und vorbei fliegen und verlöschen. Es bleibt ruhig. Sie hatten ihn nicht entdeckt.
„So eine Scheiße, jetzt sind wir umsonst gerannt! Aber den kriegen wir noch! Geh´n wir!“ Harry steckt die Lampe ein. Die Männer machen sich frustriert auf den Heimweg. In diesem Moment kracht in der Baumkrone ein Ast, auf den sich Owambo gestützt hatte. Die Bande bleibt sofort stehen.
„Was war das denn?“, fragt Teddy und schaut zurück. Da sieht er, wie Owambo aus seinem Versteck springt und flüchtet.
Ein Wutschrei durchreißt die Stille: „Los, hinterher!“ – Die Jagd ist wieder eröffnet.
Die Meute verfolgt Owambo. Er entdeckt eine Gartenhütte mit einer angelehnten Tür, flieht hinein und schiebt den Riegel vor. Durch das kleine Fenster zeigt ihm das Mondlicht einen Gartenstuhl. Er rückt ihn rasch unter die Türklinke. Da weiß er, dass er in der Falle sitzt. Das Bild seiner Dorfkirche blitzt in der Erinnerung auf: Die Bande hatte Frauen und Kinder hinein getrieben und dann die Kirche angezündet. Er hört jetzt plötzlich ihre Schreie, die sich mit den Rufen seiner Verfolger mischen. Während sie an der Tür rütteln, brüllt einer: „He, du dreckiger Nigger, mach sofort die Tür auf, sonst schlagen wir sie ein!“
Harry lässt das Licht der Taschenlampe durch die Scheibe blinken. Nackte Todesangst schießt ihm aus Owambos Augen entgegen, der zurück weicht, aber  sofort an die Wand hinter sich stößt.
„Ich hab einen Türöffner!“, feixt Manny und zieht eine Handgranate aus der Hosentasche.
„Dem machen wir Feuer unterm Arsch!“
Nach hartem Wurf splittert das Glas. Ein Blitz taucht die Hütte in grelles Licht. Die Flammenzungen schießen eine fauchende Feuerfackel in die Sommernacht. Ein Panikschrei übertönt den Knall, bevor Ovambo erstickt und in brennenden Kleidern zu Boden sinkt. Dann knattert nur noch der Mordbrand.
Die Bande hört eine Minute später auf der Flucht eine Explosion. Beim Blick zurück sehen sie, wie die haushohe Stichflamme den Himmel mit flackerndem Feuer bespeit und Bretter und Dachziegel in die Luft schleudert.
„Da hat einer Diesel für den Rasenmäher gehortet, wie praktisch!“, lacht Teddy hämisch und rennt weiter.

Die Täter wurden nie gefasst.

Bemerkung:
Diese Geschichte entstand in der Schreibwerkstatt als Hausaufgabe zu dem Thema „Verbotene Spiele“.
Die Idee zu dieser Geschichte stammt aus einer Zeitungsnotiz vor einigen Jahren: Ein farbiger Migrant wurde von unbekannten Tätern in einer Gartenhütte verbrannt. Die Täter wurden nicht gefasst, man vermutet sie in der rechtsradikalen Szene. Der geschilderte Tathergang ist erfunden.

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Glaube – Liebe – Hoffnung

Glauben Hoffen Zweifeln

Wer nicht glauben kann
Muss hoffen
Dass andere auch zweifeln

Wer nicht hoffen kann
Muss zweifeln
Am eigenen Glauben

Wer nicht zweifeln kann
Ist hoffnungslos
Im Glauben gefangen

Dieses Gedicht von Gunther Klosinski erscheint auch im Almanach deutschsprachiger Schriftstellerärzte 2014. Herr Prof. Dr. Klosinski ist emeritierter Ordinarius für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Tübingen.

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Zwiespältige Erwartung

 

Hartmut Haller fährt zu seinem Postfach. Da er heute 65. Geburtstag hat, findet er sogar mehrere Briefe und Karten in dem Fach. Er schaut sie rasch durch. Da steht auf einem Brief seine Anschrift mit grüner Tinte geschrieben, kein Absender. Aber sofort erkennt er diese charakteristische Schrift! ELISABETH!

Er spürt eine Welle der Freude und gleichzeitig einen Schauer, der wie ein eiskalter Wasserguss die auflodernde Begeisterung löscht. Das Zittern in seinen Händen wird stärker. Während er mit dem Aufzug in die fünfte Etage des Seniorenheims fährt, sind seine Augen geschlossen. Bilder fliegen vorbei: Elisabeth vor 40 Jahren bei dem Hauskonzert von Professor Weise, als sie einander kennen lernten. Elisabeth, die bildhübsche Studentin, schlank mit lockenden Rundungen und eleganten Bewegungen; die schwarzen langen Haare, das bezaubernde Lächeln und die Grübchen in den Wangen! Damals war er schüchtern und unsicher. Doch dann hörte der Professor ihn Violine spielen und ermunterte ihn, sein Jurastudium aufzugeben und Musiker zu werden. Der Professor und Elisabeth entschieden über sein Leben! Haller wurde Musiker und überwand viele Selbstzweifel.

In seinem kleinen Zimmer öffnet er vorsichtig das Kuvert, als ob er Elisabeth nicht verletzen wollte, zieht ein Briefpapier heraus, das zu dem Umschlag passt:

Lieber Hartmut,

endlich konnte ich Deine Adresse ausfindig machen. Morgen werde ich vor Deiner Tür stehen und Dir persönlich gratulieren – absichtlich einen Tag nach Deinem 65. Geburtstag! Heute wünsche ich Dir einen schönen Tag mit Deinen Gästen. Ich freue mich sehr auf Dich!

Liebe Grüße, Elisabeth

Hartmut Haller schließt wieder die Augen und beobachtet Bruchstücke aus seinem Lebensfilm.

Er sieht sich mit Elisabeth auf dem ersten gemeinsamen Spaziergang, hört ihre lebhafte Stimme, fühlt wieder ihre Nähe, freut sich an dem blumigen Sommerkleid und dem roten Seidenschal, den sie so neckisch um den Hals gebunden hatte. Mitten in dem Gespräch über Beethovens „Frühlingssonate“, die sie am Abend vorher so innig miteinander gespielt hatten, blieben sie stehen und küssten einander zum ersten Mal, zuerst zärtlich,  tastend, dann immer leidenschaftlicher ….

Hartmut Haller öffnet die Augen. Er will dieses Gefühl gar nicht spüren, zu schlimm war das Ende des Glücks! Er reißt missmutig die anderen Briefe auf. Während er die üblichen Glückwünsche liest, merkt er, wie unkonzentriert er ist und wie sehr sich Elisabeth in den Vordergrund drängt:

Elisabeth, die mit ihm stundenlang so beglückend intensiv übte, damit er, der junge Geiger, bei ihrem Examenskonzert sogar mit ihr spielen konnte. Und der Jubel danach! Elisabeth war der Star der Hochschule! – Da war es selbstverständlich, dass Elisabeth ihn in seinem Examenskonzert am Flügel begleitete und einen großen Anteil zu seinem Erfolg beitrug.

Haller fährt zum Fenster. Warum kommt sie morgen? Was will sie nach all den Jahren von mir? Wie hat sie meine Adresse gefunden?

Während er über den Park schaut, wo die Blätter von den herbstlichen Bäumen geweht werden, denkt er an Elisabeth, diese großartige Duo- und Lebenspartnerin! Sie hatten schon ein paar Jahre glücklich zusammen gelebt. Dann während ihrer ersten großen Tournee durch Südamerika spürte er plötzlich auf dem Podium, wie der Geigenbogen ihm nicht gehorchte. Der Druck, den er dem Ton verleihen wollte, gelang nicht. Er erschrak. Elisabeth bemerkte die Unsicherheit sofort und spielte geistesgegenwärtig lauter. In den folgenden Tagen wurde der rechte Arm immer schwächer, und Hartmut sah unscharf. Er ging noch in Buenos Aires zum Arzt, der aber auch nicht helfen konnte.

Es war das letzte Konzert der Tournee. Voller Sorge traten sie den Heimweg an. In Deutschland gingen sie von Arzt zu Arzt. Schließlich äußerte ein Neurologe den Verdacht auf eine Multiple Sklerose.

Haller erinnert sich an die Wochen der Verzweiflung, mit dieser Diagnose und den Folgen leben zu müssen und wahrscheinlich nicht mehr musizieren zu können. Er sieht die Physiotherapeuten, die ihm Mut zusprechen und mit ihm die Arm- und Handbewegungen üben. Seine Freude über die völlige Wiederherstellung seines Körpers nach dem ersten Schub und die zwei Jahre anschließend mit erfolgreichen gemeinsamen Konzertreisen und glücklichen Stunden im Privatleben werden ihm wieder bewusst.

Sein Blick fällt auf eine Fotografie aus dieser Zeit, die über seinem kleinen Esstisch hängt: er mit Elisabeth beim Applaus in der Dorfkirche von Saanen bei den Yehudi–Menuhin-Festwochen. Das war ein grandioser Abend! Und ihre glücklichste gemeinsame Zeit.

Umso schlimmer der Absturz in den nächsten Schub, der endgültig die Diagnose Multiple Sklerose bestätigte: Diesmal waren der linke Arm und das linke Bein gelähmt. Zum ersten Mal war er gezwungen, sich an Gehhilfen fortzubewegen. Elisabeth war auf ihrer nächsten Tournee, die sie als Solopianistin mit einem italienischen Kammerorchester geplant hatte, ohne ihn durch Amerika unterwegs, während er in der Rehaklinik wieder gehen lernte.

Er sieht Elisabeth, wie sie erfüllt von der Reise zurückkam und spürt sein Glück, ihr auf dem Flughafen ohne Gehstöcke entgegen zu gehen und sie umarmen zu können. Am Abend dann der Schock. Elisabeth eröffnete das Gespräch mit dem Satz: „Ich habe mich in den Dirigenten verliebt, mit dem ich auf Tournee war: Enrico Montini. Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht, und ich habe ihn angenommen!“

Schreckliche Bilder:  Wie er verzweifelt versuchte herauszufinden, warum Elisabeth fähig war, innerhalb von vier Wochen sich zu diesem Mann mehr hingezogen zu fühlen als zu ihm, dem jahrelangen Duo-Partner und Geliebten!

Dann das Ende: Elisabeth, die nach Tagen voll quälender Diskussionen mit einem Leb wohl die Wohnung verlässt. Die Frau seines Lebens verließ sein Leben, und die Liebe blieb in ihm zurück.

Er nimmt wieder einmal wahr, dass er diesen Schlag heute noch nicht überwunden hat. Mühsam hatte er sich nach Elisabeths Auszug von einem Engagement zum nächsten gehangelt und war froh, dass er nach dem nächsten MS-Schub eine Anstellung in einer Jugendmusikschule bekam. Er, der international anerkannte Geiger, in der Jugendmusikschule! Und doch war er dankbar, dass er sich mit Musik beschäftigen und Kinder und Jugendliche begeistern konnte. Sie kamen gern zu ihm, auch als er einen Elektrorollstuhl brauchte, weil beide Beine den Dienst versagten.

Er erhielt immer wieder Nachrichten über Elisabeths Leben durch Notizen in verschiedenen Zeitungen: Sie heiratete Montini, konzertierte international, bekam eine Professur an der Musikhochschule und profilierte sich als sehr angesehene Pädagogin.

Hallers Blick fällt auf den Brief: „Ich freue mich auf Dich!“ –

Wie kann sie sich freuen? Sie hat mich verlassen! Was will sie von mir?

Haller verbringt den Tag in seinen Erinnerungen. Er holt die Fotoalben aus dem Schrank und blättert sein Leben mit wechselnden Gefühlen durch. Langsam wird es dunkel, zum Abendessen fährt er nicht, zwei Äpfel aus der Obstschale genügen ihm. Begleitet von der Musik, die sie gemeinsam auf Schallplatten und CDs eingespielt haben und die er sorgfältig aufbewahrt hat, gibt er sich den Erinnerungen hin. Er taucht ein in sein erfülltes Leben mit Elisabeth und geht erst spät in der Nacht zu Bett. Die Bilder der Konzerte und privaten Erlebnisse lassen ihn sehr unruhig schlafen. Er wird oft wach und hat viele Fragen an Elisabeth.

Was soll ich dir morgen sagen? Wie kommst du dazu, dich wieder zu melden? Genügt es nicht, dass ich so lange schon allein bin? Musst du die Wunde wieder aufreißen? Ich freue mich trotzdem, dich zu sehen. Ich habe dich immer in Gedanken begleitet und jede Nachricht über dich aufmerksam gehört und gelesen. Wenn du in der Nähe ein Konzert gegeben hast, war ich dort. Aber ich habe mich nie getraut, dir gegenüber zu treten oder in dein neues Leben einzudringen. Die Begegnung mit dir hätte mir zu wehgetan. Alle deine Plattenaufnahmen habe ich gekauft und wieder und wieder gehört.

Wie geht es dir? Wie lebst du nach dem Tod von Montini vor zwei Jahren? Ich habe es in der Zeitung gelesen, tut mir Leid für dich. Wie lange willst du noch deinen Lehrauftrag ausfüllen? Du bist doch ein Jahr älter als ich. Elisabeth, warum hast du dich in Montini verliebt? Warum konntest du innerhalb von vier Wochen Tournee dich für ihn entscheiden und mich verlassen? Diese Frage hast du mir nie beantwortet! Sie quält mich am meisten. Habe ich einen Fehler gemacht, oder war es dein Vorwand, nicht mit einem Behinderten zusammen leben zu müssen?

Er kann keine Antwort von Elisabeth bekommen, die zwar so lebendig in Gedanken vor ihm steht, aber doch Jahrzehnte entfernt ist. Seine Angst, wieder verletzt zu werden, kriecht in ihm hoch, und er getraut sich nicht einmal in seiner nächtlichen Fantasie zu fragen, ob sie ihn für den Rest seines Lebens wenigstens als Freundin begleiten will.

Aber warum kommst du dann? Du weißt, dass ich in einem Pflegeheim lebe. Du kannst dir denken, dass es mir nach 30 Jahren Multipler Sklerose körperlich nicht gut geht! Warum hast du mich überhaupt gesucht? Brauchst du mich jetzt? Mich, den Musiker, der mit Windeln im Rollstuhl sitzt und nicht einmal mehr die Geige halten kann?

Haller ist schon früh bereit, Elisabeth zu empfangen. Nach dem Frühstück versucht er, sich abzulenken mit einem Mozart-Klavierkonzert, und er will die Partitur mitlesen, aber er sieht Elisabeth am Flügel und hört nur ihr zu. Dann versucht er, Zeitung zu lesen und merkt, dass er immer wieder dieselbe Seite lesen muss, weil Elisabeth seine Gedanken besetzt. Das Mittagessen schmeckt ihm nicht, er lässt den Teller halbvoll zurückgehen, fährt in sein Zimmer und gleitet dort im Rollstuhl in einen Schlummer der Erschöpfung.

Klopfen weckt ihn. Die Tür öffnet sich langsam. Zuerst sieht er einen großen Blumenstrauß, dann sieht er sie.

 

Diese Geschichte entstand in der Schreibwerkstatt. Die Aufgabe war zu schildern, was die erste Hauptperson macht und empfindet, wenn Sie den Brief mit der Besuchsankündigung der zweiten Hauptperson erhält und auf den Besuch wartet. Nur der ungefähre Text des Briefs war vorgegeben. Während der Wartezeit soll die Geschichte der beiden Hauptpersonen geschildert werden. Die Geschichte soll zu Ende sein, wenn die angekündigte Person den Raum betritt.

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Hilfreiche Texte: Dem Tag mehr Leben geben

Vorbemerkung:

Herr Dr. med. Dietmar Epple ist niedergelassener Internist und Palliativmediziner in Leonberg und leitet seit vielen Jahren hier das stationäre Hospiz  Zur Eröffnung des neuen Hospizbaus hielt er am 01. Februar 2012 die folgende Rede. Sie wurde vorgeschlagen für den Preis  Rede 2012, den das Institut für Rhetorik in Tübingen jährlich verleiht.

Ich veröffentliche die Rede hier mit Erlaubnis von Herrn Dr. Epple.

Festvortrag am 01.02.2012

Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.

(Dame Cicely Saunders)

 

Liebe Anwesende,

Ich freue mich, hier und heute das Wort an Sie richten zu dürfen. Ich freue mich, dass wir mit der lang erwarteten und ersehnten Eröffnung des Hospiz-Neubaus gemeinsam bestätigt finden: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Umweg“.

Wenn ich an den Werdegang dieses Bauwerkes denke, fallen mir Begriffe ein wie Träumen, Mut, Wagen, Hoffen, Glauben – aber auch Begriffe wie Angst, Sorgen, Zweifel, Aussichtslosigkeit:

Hier spiegelt sich eine Polarität, die mich im Umgang mit unseren Patienten umtreibt, die mich letztlich in persönlichen stillen aber auch unruhigen Stunden umtreibt: Neben der bekanntermaßen notwendigen und vielfach möglichen Therapie belastender Symptome wie Atemnot, Schmerz, Unruhe, Angst, Übelkeit, schwebt immer die Frage im Raum:

Warum das Ganze, was soll’s?

Was „bewegt“ mich, gibt meinem Dasein Sinn?

Wie kann ich meine immer wieder auftretende „Starre“ überwinden?

Wie komme ich von der Resignation zum Hoffen?

Wie komme ich zu dem Gedankengang: „Ich lebe – und wenn der Tod kommt, ich bin da!“?

Manches scheint mir klar, immer wieder hänge ich aber fest, verspüre auch Frustration und eine eingangs schon erwähnte „Aussichts-Losigkeit“.

Ein wichtiger Aspekt der Hospizarbeit ist mir, im übertragenen Sinn „Wege zu Aussichtstürmen“ zu finden, zu kartieren und schließlich anderen aufzeigen zu können.

Einen Satz möchte ich Ihnen heute mitgeben:

Von Cicely Saunders, der Begründerin der Hospizbewegung, stammt der viel zitierte Spruch:

Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.

Diesem einfachen Satz spüren wir im Hospiz für unsere Patienten und für uns und gerne wir hier alle für uns nach. Ein markant formulierter Auftrag, der es in sich hat.

Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.

Eigentlich erfrischend einfach und klar. Nur: Wie macht man das – „Leben“?

Es gibt ja sichere Todeszeichen, aber gibt es zwischen (schwerer) Geburt und Sterben ebenso sichere Lebenszeichen, Zeichen, bei denen ich sage: Stimmt, das ist „Leben“?

Reicht ein „Hänschen piep einmal“ oder ein „Häschen hüpf!“? Was braucht der Mensch? Was ist mein „Way of life“, zu Deutsch: Meine Lebensart, mein Lebensweg, oder besser: Mein Weg zum Leben. Wie versteht sich „Savoir vivre“ für mich?

Fragen über Fragen, denen ich versuche, mögliche Antworten gegenüber zu stellen:

Streng nach der Erkenntnis: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ gibt´s jetzt dazu ’ne Kleinigkeit zu Essen:  Neben dem vorgenannten „Satzknochen“ zum Abnagen folgt nun eine „Wortsuppe“, in der sie stochern dürfen:

Der Tod lauert bekanntlich an jeder Ecke – das Leben aber, Gott sei Dank,  auch!

Facetten des Lebens für mich: Miteinander reden. Zuhören. In Verbindung bleiben. Füreinander da sein. Fair handeln. Fair geben. Mal sehen, was geht. Sich freuen. Spaß haben. Augen offen halten. Chancen ergreifen. Lachen und Weinen. Vorwärts schauen. Hoffen. Wissen vermehren. Wachsen. Besser werden. Genügsam sein. Linie halten. Ressourcen nutzen. Haushalten. Wurzeln schlagen. Blüten treiben. Kunst pflegen. Musik genießen. Mitmachen. Sich verwenden. Andere sehen. Vorwärts gehen. Sich treiben lassen. Menschen und Orte besuchen.  Sich beschäftigen. Suchen. Dankbar sein. Zur Ruhe kommen. Nachdenken. Vordenken. Mitdenken. Kommen und Gehen. Abschied nehmen. Fehler machen. Zugeben. Fehler vergeben. Voneinander lernen. Lieben. Gott suchen. Fühlen. In sich reinhören. Handeln. Ein Ziel haben. Fünfe grad sein lassen. Stehen lassen. Toleranz. Profil haben. Wachsen. Entwickeln. Entfalten. Entpuppen. Wandeln. Werden. Genießen. Gut essen. Bewegen. Herkunft. Zukunft. Kultur haben. Pflegen. Kreativ sein. Vertrauen. Wagen. Grenzen kennen. Offen sein. Neugierig sein. Sich verwöhnen lassen. Hier und jetzt sein. Sich beschränken, Schwerpunkte setzen. Vergnügt sein.

Aber:

Wie kann ich heute leben, Leben gestalten, Leben genießen – wenn ich morgen tot sein könnte? Wie kann ich lachen, Kontakt pflegen, dankbar sein, Pläne machen, andere trösten, Mut machen, an das Leben glauben; Sinn erkennen – wenn ich morgen tot sein könnte?

Wie kann ich froh sein – wenn Leid mich begleitet, wenn ich den Tod vor Augen habe, wenn Arbeitslosigkeit besteht, Trennung, Brüche in der Lebensbiographie? Wenn ich Schuld auf mich geladen habe?

Wie kann ich heute mit meiner Situation zufrieden sein angesichts nachlassender Kräfte, Autonomieverlust, Hilfsbedürftigkeit? Wenn Fähigkeiten verloren gehen, wenn ich Hilfe annehmen muss, anstatt Geben zu können?

Leben bedeutet mir heute, jetzt und hier unbeirrt vom Morgen zu leben, Lebensmöglichkeiten kreativ zu suchen und zu nützen, im Geben wie auch im Nehmen. Nicht aber, nicht vorhandenen Lebensmöglichkeiten nachzutrauern.

Wenn Leben trotz Herkunft und Zukunft heute ist, will ich’s heute versuchen.  Wenn Leben heute ist, kann es heute Sinn machen.

Das Leben lässt sich nicht festhalten, einpacken, verschieben.

Endlichkeit zu erkennen und zu bejahen schließt heute Leben nicht aus. Endlichkeit drängt uns sogar geradezu, heute bewusst zu leben.

Leben kommt nicht von Reichtum oder Besitz, großen Häusern, tollen Autos, iPhones, übrigem Geld oder Zeit, sondern von den zwischenmenschlichen Aktivitäten, die daraus möglich werden, vom Geben und Nehmen in Beziehungen, von Anerkennung, Zuneigung, Aufmerksamkeit, Beachtung, Ehre, die einem zuteilwird, vom Gehör, das mein Wort findet, von Alltag, Freud und Leid, die ich mit anderen teilen kann.

Bei Lebensgestaltung geht es

  • um den Mut zum ersten Schritt,
  • um die Bedeutung von „morgen“ und „heute“ in meinem Denken,
  • um den Sinn des Lebens,
  • um Haben oder Sein,
  • um mich und die anderen,
  • um den Blickwinkel an Sachverhalte und Situationen, an deren Bewertung, an die Freiheit, sich bei verschiedenen Möglichkeiten für die Gute zu entscheiden als Grund zum Hoffen, somit Perspektiven zu bekommen. Realistische Hoffnung keimen zu lassen.
  • Es geht um Perspektivenwechsel durch Lob und Dankbarkeit.
  • Es geht um die Erfahrung des Füreinander-Da-Seins.
  • Es geht also ganz grundsätzlich um Lebens-gestaltung, die Erkenntnis, dass Für-andere-da-zu-Sein ein wichtiger Zweig meines Daseins und Wohlbefindens ist und sinnstiftend wirkt.
  • Es geht letztlich um Leben angesichts des Todes.

Auch und gerade in der Hospizarbeit spiegelt sich „Leben“ wieder, Ideenreichtum, Gestaltungskraft und Durchhaltevermögen einzelner.

Hospiz gibt’s praktisch nicht ohne die Erkenntnis Einzelner,

  • dass hier Menschen in Not sind,
  • dass Menschen Menschen brauchen (und nicht Apparate),
  • gibt’s nicht ohne deren Mut, sich – ohne den genauen Weg zu kennen – aufzumachen auf das Ziel hin, diesen Missstand zu ändern, nach Gleichgesinnten zu suchen, gegen alle Ungewissheit auf dem Weg zu bleiben.
  • Hospiz heißt dann aber auch, gemeinsam sich der wachsenden Verantwortung zu stellen, Strukturen zu schaffen und zu finanzieren, ohne den Geist des Anfangs zu verlieren und das Thema „abzuverwalten“. Heißt sichere, gute Rahmenbedingungen in Form von Räumen zu schaffen, die barrierefrei bedarfsgerecht Möglichkeiten zur Lebensgestaltung in schwieriger Lebenssituation ermöglichen.

Wir sind heute beieinander, um einen Meilenstein auf diesem Weg zu feiern. Ich bin stolz, froh und dankbar, hier einen kleinen Beitrag bringen zu dürfen und mit den Anwesenden zu feiern.

Es ist mir ein Bedürfnis, meine Achtung und meinen Respekt vor solch wagemutigen „PowerFrauen“ (und einzelnen Männern) zu bekunden und ihnen meinen Dank auszusprechen – verbunden mit den besten Wünschen für die weitere Hospizarbeit und dieses Haus.

Jeder kann seinen Beitrag leisten zu diesem Projekt. Ich mache etwas Unkonventionelles und singe und spiele ein Lied von Gerhard Schöne, das das Thema auf seine Art unterstreicht. Vielleicht hat die eine oder andere Privatperson oder der eine oder andere Funktionär hier im Raum eigene Ideen, vielleicht auch Beulen im Geldbeutel oder Reserven im Etat, die man angehen könnte: So oder so, die Sache ist’s wert. Wir gestalten hier das Leben in unserem Ort und Kreis.

(Dr. Epple begleitete sich auf der Gitarre.)

 

Spar deinen Wein nicht auf für morgen (G. Schöne)

Spar deinen Wein nicht auf für morgen,
sind Freunde da, so schenke ein,
leg, was du hast, in ihre Mitte –
durchs Schenken wird man reich allein.

Spar nicht mit deinen guten Worten,
wo man was totschweigt, schweige nicht,
und wo nur leeres Wort gedroschen
da hat dein gutes Wort Gewicht.

Spar deine Liebe nicht am Tage
für´n paar Minuten in der Nacht,
hol sie aus ihrer Dunkelkammer
dann zeigt sie ihre Blütenpracht.

Spar deinen Mut nicht auf für später,
wenn Du mal was ganz großes bist.
Dein kleiner Mut hilft allen weiter
weil täglich Mut vonnöten ist.

Spar deinen Wein nicht auf für morgen,
sind Freunde da, so schenke ein,
leg, was du hast, in ihre Mitte –
durchs Schenken wird man reich allein.

 

Ich fasse zusammen:

Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben.

Hier, heute, jetzt, mit Gottvertrauen.

Danke für ihre Aufmerksamkeit.

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Ethische Konflikte bei Schwerstkranken und Lösungsmöglichkeiten

Ethische Konflikte in der Medizin-für Homepage-070213 (Klicken Sie auf den Link, um die Folien zu sehen.)

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Hilfreiche Texte: Gebet von Saint-Exupéry

Gebet

Antoine de Saint-Exupery

 Wir bitten nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um Kraft für den Alltag.

Lehre uns die Kunst der kleinen Schritte.
Mache uns findig und erfinderisch, um im täglichen Vielerlei und Allerlei rechtzeitig unserer Erkenntnisse und Erfahrungen zu notieren, von denen wir betroffen sind.
Mache uns griffsicher in der richtigen Zeiteinteilung.
Schenke uns das Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, was erstrangig und was zweitrangig ist.
Lass uns erkennen, dass Träume nicht weiterhelfen, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft.
Hilf uns, das Nächste so gut wie möglich zu tun und die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen.
Bewahre uns vor dem naiven Glauben, es müsste im Leben alles glatt gehen. Schenke uns die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.
Erinnere uns daran, dass das Herz oft gegen den Verstand streikt.
Schicke uns im rechten Augenblick jemanden, der den Mut hat, uns die Wahrheit zu sagen.
Wir möchten dich und unsere Mitmenschen immer aussprechen lassen. Die Wahrheit sagt man sich nicht selbst. Sie wird einem gesagt.
Du weißt, wie sehr wir der Liebe bedürfen. Gib, dass wir diesem schönsten, schwierigsten, riskantesten und zartesten Geschäft des Lebens gewachsen sind.
Verleihe uns die nötige Fantasie, im rechten Augenblick ein Päckchen Güte mit oder ohne Worte an der richtigen Stelle abzugeben.
Mache aus uns Menschen, die einem Schiff mit Tiefgang gleichen, um auch die zu erreichen, die unten sind. Bewahre uns vor der Angst, wir könnten das Leben versäumen.
Gib uns nicht, was wir uns wünschen, Herr, sondern was wir brauchen!
Amen.

 

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Hilfreiche Texte: Manche Menschen wissen nicht

Manche Menschen wissen nicht, wie wichtig es ist, dass sie da sind.

Manche Menschen wissen nicht, wie gut es ist, sie nur zu sehen.

Manche Menschen wissen nicht, wie tröstlich ihr gütiges Lächeln ist.

Manche Menschen wissen nicht, wie wohltuend ihre Nähe ist.

Manche Menschen wissen nicht, wie viel ärmer wir ohne sie wären.

Manche Menschen wissen nicht, dass sie ein Geschenk des Himmels sind.

Sie wüssten es, würden wir es ihnen sagen.

Clemens Kunze

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